Protokoll der Sitzung vom 20.02.2001

Auch das Patentrecht muss überprüft werden. Es geht hier immer um wirtschaftliche Interessen. Natürlich gibt es wirtschaftliche Interessen. Aber letzten Endes ist ja die Gesundheit das Ziel. Auch die Wirtschaft dient letztlich der Gesundheit, der Förderung des Lebens in dem Sinne, irgendwelche Benachteiligungen im Körper und in der Gesundheit zu eliminieren. Hier muss die Wissenschaft zur Forschung angehalten werden. Das kann ich natürlich nur mit einem modernen Patentrecht. Einer, der auf diesem Gebiet forscht, muss geschützt sein. Es darf nicht sein, dass jemand Millionenbeträge investiert und dann keinen Schutz hat.

Die ganze Frage ist eine sehr große Herausforderung. Ihr müssen wir uns stellen, und wir müssen uns ihr schnell stellen. Wir müssen diese Diskussion positiv und offen angehen, damit eben nicht die Angst da ist, damit das Risiko, das damit verbunden ist, in Grenzen gehalten wird. Nur wenn ich Bescheid weiß, habe ich auch keine Furcht mehr. Deshalb muss man so schnell wie möglich an diese Frage herangehen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich denke, in den Beiträgen der Vorredner

ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es um die Möglichkeiten, aber vor allem auch um die Grenzen dieses Forschungsbereichs geht. Bei dieser Grenzziehung haben wir Grundsätze einzuhalten. Für uns stehen Forschung und Technik immer unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem Gebot des Schutzes der unteilbaren und unveräußerlichen Menschenwürde. Der Mensch darf nicht zum Objekt von Forschungs- und Wirtschaftsinteressen werden. Dies sehen wir als eine besondere Verantwortung der Politik – auch einer christlichen Politik.

Zweitens: Die Unverfügbarkeit des eigenen Genoms und der Schutz seiner Daten – es wurde hier angesprochen – sind ein unveräußerliches Recht jedes einzelnen Menschen. Das menschliche Genom als solches darf nicht patentiert werden. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen – darauf kommt es an – erfordert die Befähigung zur gesundheitlichen Eigen- und Selbstverantwortung.

Drittens: Wir sind für den Einsatz zellbiologischer Methoden zur Heilung schwerer Krankheiten, denn dort werden sie dringend gebraucht, dort sind sie auch ein Fortschritt. Aber Eingriffe in die menschliche Keimbahn sowie das Klonen von Menschen lehnen wir ab.

Mir ist bewusst, dass es auf diesem Gebiet keine einfachen Antworten gibt. Ich denke, es ist richtig gesagt worden: Die Politik muss sich auch mit diesen Themen befassen. Es ist auch ein Thema, bei dem nicht der Streit der Parteien im Vordergrund steht. Es sollte wichtig sein, dass man auch in die Zukunft blickt, die uns alle bewegen muss. Unsere Wertorientierung geht aus vom unbedingten Gebot der Achtung der Menschenwürde und verlangt, dass wir einen Menschen niemals nur als Mittel für unsere Zwecke gebrauchen, sondern ihn zugleich immer als Person achten. Dieses Gebot der Achtung der Menschenwürde hat seinen rechtlichen Niederschlag – um das Recht geht es heute ja auch – nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in den Verfassungen der Länder, in einer Fülle von internationalen Konventionen und Verträgen

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Herr Präsident, er liest ständig ab! Das gibt es ja nicht!)

und in unzähligen einzelgesetzlichen Regelungen gefunden. Es ist das Fundament einer zivilisierten Welt.

(Abg. Bebber SPD: Der Kollege ist des Lesens kundig!)

Wer daran rührt – Herr Kollege –,

(Abg. Capezzuto SPD: Bebber!)

der läuft Gefahr, sich einmal mit blankem Entsetzen fragen zu müssen, was er getan hat.

Deswegen wurde vom Kollegen Kiesswetter und auch von anderen Kollegen zu Recht die Grenzziehung angesprochen. Ich vermute, dass Sie an folgenden Grenzen stehen müssen – geradezu an Grenzpfählen –:

(Abg. Brechtken SPD: Oh Gott!)

Dort, wo mit gendiagnostischen Maßnahmen die Selektion von Menschen beabsichtigt wird, dort – –

Ich möchte noch einmal auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung verweisen.

Ich kenne § 60. Nur: Wenn ich eine grundsätzliche Ausführung – –

Auch bei einer schwierigen Debatte gilt: Wenn eine Aktuelle Debatte beantragt ist, dann ist die Aussprache gemäß der Geschäftsordnung in freier Rede zu führen.

(Abg. Capezzuto SPD: Aha!)

Vielen Dank, Herr Präsident, für diesen gewichtigen Hinweis. Das war mir bis heute völlig unbekannt.

(Lachen bei der SPD – Abg. Capezzuto SPD: Jetzt aber! Nächstes Mal auswendig lernen!)

Ich denke, insofern hat das wirklich zur Aufhellung der Geschäftsordnungsauslegung beigetragen.

(Abg. Döpper CDU: Weiter so, Wolfgang!)

Ich fasse zusammen und komme damit auch zum Schluss. Es gibt Grenzen und Grenzpfähle – ich habe das Klonen und die menschliche Keimbahn erwähnt –, auch wenn eugenische Ziele verfolgt werden. Wenn wir nicht den Mut haben, diese Grenzen eindeutig zu ziehen, dann kommen wir in eine gefährliche Diskussion. Deshalb muss es, glaube ich, die Aufgabe der Politik sein, sich mit den Möglichkeiten, mit den Chancen und mit den Risiken, aber vor allem auch mit den Grenzen zu befassen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP )

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Walter Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Reinhart, Ihr Beitrag hat gezeigt, wie schwierig das Problem ist. Da gab es schon ein bisschen Kraut und Rüben – im ersten und im zweiten Teil. Im ersten Teil war es der Biotechnologiestandort Baden-Württemberg – Weltniveau auf dem US-Standard –,

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

im zweiten Teil war es die von der katholischen Kirche verkündete Moral in Baden-Württemberg. Das passt halt nicht zusammen. Diese Diskussion müssen Sie, meine Damen und Herren, erst einmal innerhalb der CDU führen, ehe Sie dann Erklärungen abgeben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Sehr gut! – Abg. Capezzuto SPD: Deswegen sind auch so wenige da! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Haben Sie die Rechtsgrundlagen gehört?)

Zweitens, Herr Kollege Dr. Reinhart: Sie fordern in diesem Bereich klare Grenzziehungen, Sie fordern Haltelinien. Das ist nicht so einfach; das kann man nicht so machen. Sie sagen zum Beispiel: Wir wollen dort, wo Embryonen verbraucht werden, die Grenze setzen – als eines der Bei

spiele. Ich denke, es ist menschlich verständlich, dass man eine Grenze haben will. Aber in dieser Diskussion müssen wir es aushalten, dass es keine starre Grenze gibt. Wir müssen tatsächlich diskutieren; wir brauchen Ethikkommissionen, die von Fall zu Fall beraten.

Ich will Ihnen das an dem Beispiel der Ethikkommission in Lübeck erläutern. Da war eine Frau, die ein Kind gehabt hat, das mit neun Jahren an Mukoviszidose gestorben ist. Dann ist sie noch einmal schwanger geworden und hat einen Schwangerschaftsabbruch in der 18. Woche mit allen Konsequenzen auf sich genommen. Dann ist sie zu dieser Ethikkommission gegangen, und die hat gesagt: „In diesem Fall befürworten wir eine Präimplantationsdiagnostik.“ Präimplantationsdiagnostik heißt, dass man auch einen Embryo verwirft, der ein Krankheitsrisiko hat. Die Ethikkommission hat Ja gesagt. Ich glaube, es ist menschlich verständlich, einer Frau, die im ersten Fall ein Kind verloren hat, die im zweiten Fall einen späten Schwangerschaftsabbruch gemacht hat, im dritten Fall zu sagen: „In diesem Fall machen wir die Präimplantationsdiagnostik.“ Ich weiß, dass das eine schwierige Ebene ist, aber ich glaube, gerade diese Schwierigkeit gilt es in der Diskussion auszuhalten. Das ist das eigentliche Problem. Denn wenn wir selber sagen, wir errichten diese Grenzen, dann werden wir in zehn Jahren merken, dass jenseits des Rheins ganz andere Grenzen bestehen. Schon heute geht man zur Präimplantationsdiagnostik nach Belgien, und damit haben wir letztendlich auch nichts gewonnen.

Meiner Ansicht nach kann ein Vorbild in dieser Diskussion der Diskurs sein, den wir um den § 218 geführt haben. Dieser dauerte 20 Jahre lang in dieser Gesellschaft. Da hat man unterschiedlichste Positionen diskutiert. Am Ende kam ein Kompromiss heraus, mit dem viele nicht ganz zufrieden waren, aber es war der Standard, auf den wir uns einigen konnten. Ganz ähnlich wird es in diesem Bereich auch sein.

Denken Sie einmal an folgenden Fall: Wir wollen nicht in embryonale Stammzellen eingreifen. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Bereitschaft zur Organspende relativ gering. Jetzt können Sie über Stammzellen Leberorgane, Nieren und andere Organe gewinnen. Wollen Sie das den Kranken vorenthalten, um Ihre Moral hochzuhalten?

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das habe ich nicht abge- lehnt! Hätten Sie zugehört! Für die Heilung von Krankheiten lassen wir es zu!)

Es ist schwierig, aber ich will Ihnen zeigen, dass es in diesem Bereich einfache Lösungen nicht gibt, sondern dass man sagen muss: Wir müssen sehen, dass wir diesen Diskurs führen und dass wir diesen Diskurs dauerhaft führen.

Ich halte es auch für richtig, dass wir auf Landesebene – da komme ich jetzt auf die Landesebene zu sprechen – sagen: Das, was wir bei den Landesärztekammern an Ethikkommissionen haben, gilt es zu stärken. Das, was wir an den Universitäten haben, zum Beispiel Professor Mieth in Tübingen, der ja einen sehr dezidierten, sehr restriktiven Standpunkt in dieser Diskussion hat, gilt es auch zu fördern. Ich meine, wir können keine Kleinlösungen für Baden-Württemberg haben, sondern wir brauchen die euro

päische Diskussion. Wir müssen uns auch mit den Argumenten der Engländer und der Franzosen auseinander setzen, die die Problematik insgesamt ganz anders sehen. Wir brauchen letztendlich auch das, was die Ethikkommission beim Deutschen Bundestag, die gerade für diese Probleme eingesetzt worden ist, erarbeitet. Das kann für uns möglicherweise Richtschnur für die kommenden Jahre sein. Der Bundeskanzler hat ja auch einen Ethikrat eingesetzt, der sich mit diesen Fragen beschäftigt.

Zusammengefasst: Es gibt meiner Ansicht nach in diesem Bereich keine einfachen Lösungen. Es gibt auch nicht die Argumente, die von vornherein nur ein Pro haben, sondern es geht um eine Güterabwägung. Vor allem geht es darum, Spannungen auszuhalten, im Einzelfall zu entscheiden und zu sagen: Das ist unsere momentane Situation; sie wird in einigen Jahren völlig anders sein.

Der Kollege Kretschmann hat das Argument eingebracht: Die Grenze ist der Eingriff in die Keimbahn. Was machen Sie, Herr Kollege Kretschmann, wenn Sie irgendwelche Erbkrankheiten erkennen und tatsächlich aus diesem Menschengeschlecht beseitigen können? Sagen Sie dann: „Das geht nicht“? Sie kennen die Diskussion auf Zypern. Dort sind inzwischen 60 bis 70 % Erbträger der Thalassämie. Was machen die Zyprioten mit Billigung der Kirche? Sie haben zuerst Schwangerschaftsabbrüche gemacht. Jetzt machen sie die Präimplantationsdiagnostik, weil sie wissen: Wenn wir es nicht machen, können wir letztendlich unser Gesundheitssystem nicht mehr finanzieren und haben eine Krankheit, die wir nicht mehr beherrschen. Das heißt also, die Moral ist von vielen Dingen abhängig.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Da haben Sie einen Satz gesprochen!)

Wir haben eine internationale Moral, die sich sehr verändert. Wir haben insgesamt eine Diskussion, die ständig weitergeführt werden muss und die feste Grenzziehungen nicht verträgt.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich versuche, diese schwierigen ethischen Debatten zu verfolgen. Ich kann Ihnen, Herr Kollege Müller, auf Ihre Frage selbstverständlich keine Antwort geben. Deswegen stört mich der zwanghafte Optimismus, der bei diesem Thema verbreitet wird.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es!)