Protokoll der Sitzung vom 20.02.2001

(Heiterkeit)

Wenn wir über das Thema „Geburtenrückgang und Zunahme des Durchschnittsalters in unserer Gesellschaft“ reden, dann dürfen wir nicht nur über mehr Kinder und erhöhte Geburtenraten sprechen. Denn selbst wenn sich von jetzt an die Geburtenraten sprunghaft nach oben bewegen würden, hätten wir in der Gesellschaft seit den Sechzigerjahren das Problem: Die Menschen, die in 30 Jahren alt sind, sind alle jetzt schon geboren, und die Jahrgänge, die dann berufstätig sind, die vergleichsweise zu kleinen Jahrgänge, sind auch alle jetzt schon geboren bzw. eben nicht geboren.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Deswegen hättet ihr euer Rentenkonzept anders konstruieren müssen!)

Das heißt, rückwirkend kann man in dieser Sache nichts heilen. Wir brauchen in Baden-Württemberg Zuwanderung, und – ich füge das deutlich hinzu – wir Grünen wollen in Baden-Württemberg Zuwanderung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere ein bisschen, dass sich die beiden großen Fraktionen und auch die Grünen jetzt gerade in die Falle locken lassen, anhand eines von den Republikanern aufgebrachten Themas sich hier gegenseitig Zahlen um die Ohren zu schlagen.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Das Thema ist wichtig, Herr Noll! Das Thema ist uns wichtig, egal, woher es kommt!)

Herr Müller hat in Teilen das Richtige gesagt. Lassen Sie mich zu dem Thema noch einmal zurückkommen. Das ist natürlich eine Querschnittsaufgabe, Frau Blank, da sind wir uns völlig einig.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Da sind wir einig!)

Aber da könnte jetzt die Retourkutsche von vorhin kommen. Deswegen kann man nicht sagen, es sei unmöglich, in fünf Minuten den einen oder anderen vernünftigen Gedanken zu einzelnen Themen zu bringen.

Herr Krisch, gleich zu Ihrem ersten Satz. Ich habe mich persönlich attackiert gefühlt, denn mein erster Satz ist immer: Familie ist da, wo Kinder sind. Sie haben gesagt, das gelte für Sie nicht. Sie haben gesagt: Familie ist da, wo Vater, Mutter, Kind sind. Habe ich das richtig verstanden?

(Abg. Krisch REP: Eltern und Kinder, sagte ich!)

Eltern und Kinder. Das ist wieder eine unglaubliche Diskriminierung all der Alleinerziehenden hier in diesem Land.

(Abg. Deuschle REP: Warum? – Abg. Krisch REP: Artikel 6 des Grundgesetzes!)

Wir stehen dazu, dass wir vom Kind her denken und nicht zunächst einmal fragen, in welchen Familienformen das Kind aufwächst.

Zweite Bemerkung: Landeserziehungsgeld. Man muss schon einmal wahrnehmen, dass Baden-Württemberg neben Sachsen das einzige Bundesland ist, das im dritten Jahr ein Landeserziehungsgeld zahlt. Sie hätten ohne weiteres die Möglichkeit, ein dreijähriges Bundeserziehungsgeld einzuführen.

(Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen: Wir haben das Kindergeld für alle er- höht!)

Bitte schön, Frau Erdrich-Sommer, ich habe Sie nicht verstanden. Das zeigt wieder, dass man, wenn man in der Opposition ist, viel fordern kann, wenn man dann aber an der Regierung ist, manches eben auch an den finanziellen Möglichkeiten ausrichten muss.

(Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen: Wir haben das Kindergeld für alle erhöht, und zwar ordentlich, nämlich im Grundbetrag! Nehmen Sie das zur Kenntnis!)

Lassen Sie mich noch eine kleine Bemerkung zu dem Streit machen, wer denn das Landeserziehungsgeld erhalten soll. Ich komme wieder auf den Punkt: Für mich muss das von den Kindern her definiert werden. Deswegen habe ich kein so arg großes Verständnis für Herrn Oettinger gehabt, der gesagt hat: „Wenn es so ist, dass wir jetzt das Landeserziehungsgeld auch an Nicht-EU-Bürger, also an Türken, zahlen müssen, dann denken wir darüber nach, es ganz abzuschaffen.“ So habe ich es gelesen.

(Abg. Dagenbach REP: Haben Sie etwas dagegen? – Abg. Ingrid Blank CDU: Sie glauben doch nicht, dass ein junger Familienvater das Erziehungsgeld abschaffen will!)

Dann muss man mich möglicherweise korrigieren. – Jedenfalls gilt für mich wie beim Bundeserziehungsgeld auch beim Landeserziehungsgeld: Kinder, die bei uns leben, haben Anspruch auf dieses Geld, nicht zuletzt deshalb, weil deren Eltern in aller Regel bei uns auch Steuern und Abgaben zahlen.

(Beifall der Abg. Sabine Schlager Bündnis 90/Die Grünen)

Danke schön, es freut mich, dass ich auch einmal von Ihnen Beifall erhalte.

Noch einmal zum Thema. Ich glaube, es ist falsch, irgendwelche Prämien für das Kinderkriegen auszusetzen. Das wollen wir im Übrigen nicht. Wir wollen, dass das Kindererziehen kein Armutsrisiko wird. Das wird es nämlich zunehmend. Deswegen müssen wir uns, ohne uns die Zahlen um die Ohren zu schlagen, neue Lösungen überlegen, wie wir künftig die Familienförderung ein Stück weit in sich konsistenter bei Zusammenfassung aller familienpolitischen Leistungen, die ich als Familiengeld bezeichnen möchte, gestalten können.

Völlig unabhängig davon zeigt gerade das berühmte Beispiel der Akademikerinnen, dass es wohl nicht um ein Problem der Finanzen geht, sondern eher um die Frage, wie man die eigene Karriere, den Beruf mit der Tatsache vereinbaren kann, Kinder haben zu wollen. Ich gebe gerne zu, dass es entscheidend ist, die Möglichkeiten zu verbessern. Baden-Württemberg hat dabei einiges zu bieten. Ich denke an die Programme aus dem Wirtschaftsministerium; ich denke daran, dass wir im Betreuungswesen, im Kindergartenbereich, im Schulbereich die Bedingungen massivst verbessert haben, auch wenn Sie das überall schlechtreden.

Trotzdem sage ich: In der Tat haben wir an einer Stelle ein Problem, nämlich bei den unter Dreijährigen. Das wissen wir, Frau Blank. Auch ich verspreche, dass ich im nächsten

Landtag wieder dabei sein werde, nachdem mehrere Kolleginnen und Kollegen ausscheiden werden. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, die in diesem Bereich möglicherweise noch vorhandenen Defizite ein Stück weit abzubauen, und zwar durch plurale Angebote, die nicht nur auf Krippen und Horte, sondern zum Beispiel auch auf flexible Formen von Tagesmütterbetreuung setzen. Wir werden die Bedingungen weiter verbessern.

Fazit: Ich glaube, was Herr Müller gesagt hat, ist richtig. Seit eine Schwangerschaft praktisch zu 100 % planbar und steuerbar ist, werden wir bei aller Verbesserung der Bedingungen wohl nie mehr zu den früheren Geburten- und Reproduktionsraten zurückkehren. Die Prognosen zeigen alle auf, dass wir angefangen bei der Region

(Abg. Pfister FDP/DVP: Nicht nur bei uns!)

über das Land bis hin zum Bund

(Abg. Pfister FDP/DVP: Und in Europa!)

eine verringerte Bevölkerungszahl haben werden. Dass Einwanderung schon stattfindet und dass sie in Teilen auch in der Lage ist, dies aufzufangen, leugnet überhaupt niemand mehr, was nicht heißt, dass dies der alleinige Königsweg ist. Dieses aber abzulehnen, wie Sie es tun, und zu sagen: „Deutsche Frauen heim an den Herd,

(Abg. Deuschle REP: So ein Quatsch! – Wider- spruch bei den Republikanern)

wieder Kinder kriegen, dann brauchen wir die Ausländer nicht“, halte ich für eine typische perfide Republikanerstrategie.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Staatssekretärin Lichy.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon etwas amüsant, dass sich jetzt ausgerechnet die Republikaner um die aktive Familienpolitik kümmern.

(Abg. Deuschle REP: Warum „ausgerechnet“?)

Sie sind alle, wie Sie hier sitzen, nicht gerade die Jüngsten. Ich denke auch nicht, dass Sie für die Verjüngung und den Familienzuwachs sorgen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dagenbach REP: Wir praktizieren es auch, Frau Lichy!)

Spaß beiseite: Ich nehme das Thema durchaus ernst und will auch ernsthafte Antworten geben.

Die Erkenntnis ist ja nicht neu, dass wir eine demographische Entwicklung haben, in der unsere Bevölkerung immer mehr altert. Das hat viele Konsequenzen, das hat auch viele sozialpolitische Infrastrukturkonsequenzen.

Ein hauptsächliches Thema ist natürlich die Familienpolitik.

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

Einhergehend mit der Familienpolitik geht es auch um das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.

Ich möchte kurz noch mehrere Aspekte anreißen. Es geht auch darum, dass wir eine alternde Bevölkerung haben, für die entsprechend gesorgt werden muss. Das gilt sowohl für die Altenpflege als auch für den Arbeitsmarkt. Es gilt, auf dem Arbeitsmarkt Nachfrage nach älteren Arbeitnehmern zu erhalten.

Ich will ein bisschen stärker auf das eingehen, was Sie hier angesprochen haben:

Die Landesregierung entdeckt bestimmt die Familienpolitik nicht erst seit heute. Ich bin zwar zugegebenermaßen noch nicht sehr viele Jahre Mitglied dieses Landtags, aber als ich begonnen habe, mich politisch in der CDU zu engagieren, war die Familienpolitik schon eines der Hauptthemen der CDU.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)