Protokoll der Sitzung vom 20.02.2001

Weder der Innenminister, der bei diesem Tagesordnungspunkt gar nicht mehr anwesend ist,

(Zurufe von der CDU: Doch!)

noch der Justizminister haben mir diese Eile bisher begründen können. Eine der ersten Botschaften, die ich bei meiner juristischen Ausbildung in öffentlichem Recht, in Staatsrecht mitgenommen habe, war die, dass es für Gesetzesvorhaben immer auch Erfordernisse geben muss. Weder der Justizminister noch der Innenminister haben dargelegt, dass es derzeit mehrere konkrete Fälle geben würde, die unter die beabsichtigte gesetzliche Regelung fallen würden, die jetzt entlassen werden müssten, wenn es dieses Gesetz nicht gibt.

(Abg. Rech CDU: Das ist aber kein Erfordernis!)

Das heißt aber im Klartext, dass die von Ihnen an den Tag gelegte Eile nicht notwendig ist. Herr Kollege Bebber, da beziehe ich mich jetzt einfach auf die Anträge, die die SPD-Fraktion im Ausschuss eingebracht hat und die Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, nur oberflächlich beraten haben.

(Zuruf des Abg. Haasis CDU)

All die Bedenken, die in diesen Anträgen formuliert sind, machen unseres Erachtens deutlich, dass das Gesetzesvorhaben an vielen Stellen auf jeden Fall noch einer handwerklichen Überprüfung bedurft hätte.

Das heißt aber auch, dass dann, wenn die Geschwindigkeit bei diesem Gesetzesvorhaben hätte begründet werden können – das könnte der Justizminister wohl als Einziger in diesem Haus, weil er die Übersicht über den Kreis der zu entlassenden Straftäter hat –, schon bei den Beratungen im Ausschuss und im Rahmen der Ersten Beratung, ein anderer Sachverhalt vorliegen würde. Da er dies aber nicht kann, ist diese Eile nicht angezeigt.

Ein zweiter Punkt sind die verfassungsrechtlichen Argumente. Herr Kollege Rech, es ist natürlich schön, wenn Sie sagen, Sie könnten die Bedenken verstehen.

(Zuruf des Ministers Dr. Schäuble)

Auch Sie, Herr Innenminister, können als ehemaliger Justizminister die Bedenken verstehen. Aber Sie ziehen daraus keine Schlüsse und liefern nicht einmal eine Begründung dafür, dass Sie dieses Gesetzesvorhaben in dieser Eile durch das hohe Haus ziehen wollen.

(Zuruf des Abg. Rech CDU)

Insofern wird es für uns völlig unerklärlich, dass Sie jetzt eine verfassungsrechtliche Gratwanderung vornehmen wollen, ohne dafür die erforderliche Begründung zu liefern.

(Minister Dr. Schäuble: Ach ja!)

Unsere verfassungsrechtlichen Überlegungen beziehen sich zum einen auf die Gesetzgebungskompetenz. Das haben wir schon vorgetragen. Zum anderen beziehen sie sich auf die Frage der Verhältnismäßigkeit.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Gerade der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet an vielen Stellen der diesem Haus von der SPD wieder vorgelegten Anträge seinen Ausdruck. Ich bin mir nicht sicher, Kollege Bender, ob uns in einer öffentlichen Anhörung, bei der wir nicht nur einen Sachverständigen hätten hören können – die Landesregierung hat nur einen beauftragt –, nicht weitere Argumente vorgetragen worden wären, die gegen das vorliegende Gesetzesvorhaben gesprochen hätten.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Bedenkenträger gibt es immer!)

Das heißt im Klartext, dass es uns, wie ich schon bei der Einbringung und bei der ersten Lesung für unsere Fraktion dargetan habe, nicht darum geht, Menschen, die tatsächlich rückfallgefährdet sind, ohne Not in die Freiheit zu entlassen, sondern darum, mit dieser Ultima-Ratio-Regelung der Sicherungsverwahrung wirklich so restriktiv wie möglich umzugehen. Herr Innenminister, diese Restriktion kann ich in dem Gesetzesvorhaben nicht erkennen.

Ein letzter Punkt zu diesem Gesetzesvorhaben, den ich ansprechen möchte – ich komme dann zum Schluss, Herr Präsident –,

(Minister Dr. Schäuble: Das ist ein guter Vorsatz!)

ist das Thema der Therapieplätze. Herr Innenminister, es wäre gut, wenn Sie da zuhörten.

Vor wenigen Tagen habe ich auf eine Anfrage in einem Antrag, wie es denn mit Therapieplätzen in Baden-Württemberg aussehe, zwei Antworten erhalten: Erstens, man könne es von der Zahl und der Dauer her nicht genau sagen, und zweitens, was die Sozialtherapeutische Anstalt Baden-Württemberg anbelange, gebe es im Moment eine Wartezeit von einem Jahr. Wenn Sie diese Antworten der Landesregierung, die Sie ja sicherlich mittragen, weil Sie

Mitglied dieser Landesregierung sind, ernst nehmen, müssen Sie erst alle Möglichkeiten ausschöpfen, ein flächendeckendes und für alle Menschen zur Verfügung stehendes Therapieangebot in den Strafvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg auszubauen. Erst dann kann die Ultima-Ratio-Regelung greifen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen – Abg. Rech CDU: Bleib einmal stehen, Thomas! – Minister Dr. Schäuble: Er flüchtet! – Zuruf von der CDU: Nach einer solchen Rede wäre ich auch geflüchtet!)

Das Wort hat Herr Abg. Kiesswetter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst stelle ich fest, dass alle Fraktionen hier im Haus einem solchen Gesetz bzw. dem entsprechenden Gedanken im Prinzip zustimmen würden.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Dass je- der zustimmt, versteht jeder!)

Das kann ich als Grundkonsens sagen.

Wir haben im Ausschuss vom Justizminister gehört, dass in den letzten fünf Jahren etwa 20 Fälle unter dieses Gesetz gefallen wären.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Nein!)

So hat er vermutet. Wir haben nur keine Statistik darüber, aber die Erfahrung der Leiter der Vollzugsanstalten war, dass etwa 20 Leute darunter fallen würden. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Jahr vier bis fünf darunter fallen. Deshalb besteht auch die Notwendigkeit, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Das hat der Justizminister im Ausschuss gesagt. Es wurde im Bericht nicht erwähnt, und Sie haben es jetzt auch nicht erwähnt.

(Abg. Bebber SPD: Doch, im Bericht steht es drin, und ich habe es zitiert!)

Dass wir mit diesem Gesetz nicht alle erfassen können, ist klar. Wenn sich einer anpasst, wenn einer sein Wohlverhalten zeigt und trotzdem im Hinterkopf hat, wieder strafbare Handlungen begehen zu wollen, werden wir ihn nie packen. Der hat sich angepasst. Wie soll der denn nach außen irgendetwas dokumentieren? Deshalb ist Ihr Beispiel ganz klar, Herr Bebber, dass man den nicht fasst. Wir werden nur solche erkennen, die irgendwo dokumentieren, dass sie wieder strafbare Handlungen begehen würden. Die sollen in eine Therapie kommen, wenn sie so weit sind, dass sie sich outen. Nur die kann man treffen.

Deshalb ist Ihr Argument, es sollten Sachverständige von außen kommen, neben der Sache, meine ich. Die Anstaltsleitung selbst muss entscheiden. Das ist doch ganz klar. Die kennt die Person und hat über Jahre hinweg Erfahrungen mit ihr, weiß, ob sie solche Äußerungen gemacht hat, ob sie gewalttätig ist, ob sie sich resozialisiert hat oder nicht, ob sie wieder strafbare Handlungen begehen möchte.

Wer anders soll das denn machen? Sollen die Regierungspräsidien entscheiden? Die können doch auch nur auf den Bericht der Anstaltsleiter Bezug nehmen. Da kann man, meine ich, gleich den nehmen, der die Entscheidung trifft. Der soll auch den Antrag stellen.

Es muss ein Sachverständiger aus der Anstalt sein, der die Person begutachtet. Der Sachverständige soll ja objektiv prüfen, ob jemand gewalttätig ist. Vielleicht kommt er in vielen Fällen dazu, zu sagen: „Nein, der ist nicht mehr gewalttätig; der ist resozialisiert, der kommt heraus.“ Aber wenn ein Anstaltsleiter nach jahrelangen Beobachtungen zum Ergebnis kommt, der Betreffende sei weiterhin gewaltbereit, wird dies noch von einem außenstehenden Sachverständigen überprüft. Ich halte diese Regelung für sinnvoll und praktikabel. Alles andere ist tatsächlich lebensfremd. Dabei bleibe ich, auch wenn Sie mich mit dieser Aussage aus dem Ausschuss schon zitiert haben. Ich sage das auch öffentlich: Ihre Vorschläge entsprechen nicht der Praxis. Ich kenne mich in der Praxis etwas aus. Ich halte es für lebensfremd, von außen über Leute, die in einem Gefängnis sind, zu urteilen. Das können nur Insider.

Deshalb meine ich, dass dieses Gesetz, wenn man eine solche Regelung befürwortet, richtig ist und allen Vorschriften entspricht, alle rechtsstaatlich gebotenen Hürden beinhaltet. Es enthält ein Gerichtsverfahren. Das Verfahren ist öffentlich; ein Anwalt ist beigeordnet. Alle diese Anforderungen sind in dem Gesetzentwurf gewährleistet, um den Rechtsstaat zu sichern. Deshalb, meine ich, sind die verfassungsrechtlichen Bedenken, die man bei einem Gesetz, das die Ultima Ratio ist, durchaus immer haben kann, ausgeräumt. Man kann durchaus verfassungsrechtliche Bedenken äußern. Aber wenn man das Gesetz will – und beide, sowohl die Grünen...

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Bebber?

... als auch die SPD, haben gesagt, im Prinzip wollten sie dieses Gesetz –, kann man sich, meine ich, einigen. Dieser Gesetzentwurf ist richtig. Auch die Gutachten der Sachverständigen haben eigentlich nichts Neues gebracht, meine ich. Einige haben ihn abgelehnt und gesagt, sie wollten ein solches Gesetz nicht – das ist deren Meinung –, und auch die Strafverteidiger haben gesagt, sie wollten kein solches Gesetz.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber auch begründet!)

Okay, das ist begründet. Das ist deren Recht. – Aber Sie wollen das Gesetz ja. Das ist das Erstaunliche: Sie sagen, wir bräuchten ein solches Gesetz. Dann, meine ich, muss man dem auch zustimmen.

Ich sehe gegen den Gesetzentwurf keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Frage der Gesetzgebungskompetenz haben wir hier ausgiebig erörtert. Der Bund und auch wir sagen, dass das Land unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten zuständig ist. Der Schutz des Bürgers ist wichtig. Deshalb sollten wir diesen Gesetzentwurf so beschließen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Kiesswetter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Bebber?

Herr Abg. Bebber, Sie haben das Wort.

Mit etwas zeitlicher Verzögerung, aber es passt noch hinein.

Macht es Sie überhaupt nicht misstrauisch, dass alle angehörten Sachverständigen – außer einem, der etwas zur Zuständigkeit gesagt hat – erhebliche Kritikpunkte vorbringen? Sehen Sie sich dann immer noch auf der Seite dessen, der gewissermaßen das Recht und den richtigen Weg hat? Können Sie sich nicht vorstellen, dass an den Argumenten dieser Sachverständigen etwas dran sein könnte und man den Gesetzentwurf auch ändern kann? Das wäre ja bedenkenlos.

Wir wollen das Gesetz ja. Aber wir wollen es so sicher formulieren, dass es nicht bei erster Gelegenheit vom Gericht aufgehoben wird.