Protokoll der Sitzung vom 09.02.2000

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Und die anderen?)

Das Nächste ist: Verfahrensfehler werden vom OLG häufiger bei Kammerentscheidungen als bei Einzelrichterentscheidungen festgestellt. Das ist Statistik.

(Abg. Redling SPD: Jetzt, Herr Reinhart!)

Wo ist da der Angriff oder die Angriffsfläche gegen die Qualität von solchen Entscheidungen, die Einzelrichter treffen? Sie wissen, dass in dem Entwurf steht, dass es nur bei Verfahren ohne Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und ohne grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vom Einzelrichter entschieden wird.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Und jetzt die Rechtslage?)

Herr Kollege, ich weiß, Sie wollen nichts ändern, aber im letzten Bundestag haben Sie haarscharf einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem der Einzelrichter eingeführt werden sollte. Sie wissen ganz genau, dass das nicht Recht wurde, weil damals der Bundesrat nicht mitgemacht hat. Sie wollten das in Sachen Einzelrichter, was jetzt geschieht. Ich will Ihnen sagen: Was wir jetzt machen, geht noch ein bisschen weiter. Nach Ihrer Vorstellung sollten die Parteien gewissermaßen das Wahlrecht haben. Wenn sie nicht vom Einzelrichter abgeurteilt werden wollten, sollten sie die Kammer wählen können. Das geht jetzt nicht mehr, und zwar ist das obligatorisch, weil nicht einsichtig ist, dass in einfachen Fällen – da zitiere ich jetzt wieder den Justizminister – der Einzelrichter und nur in schwierigen Fällen rechtlicher und tatsächlicher Art die Kammer entscheiden soll.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Das haben wir doch heute schon!)

Was Sie propagieren, dass die zweite Instanz keine Tatsacheninstanz mehr sei, stimmt so ja gar nicht.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Doch, nach dem Entwurf schon!)

Der Schwerpunkt der Berufung soll darauf liegen, dass Fehler der ersten Instanz korrigiert werden sollen.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Rechtsfehler!)

Rechtsfehler. – Es gibt die Möglichkeit, wenn etwas in der ersten Instanz nicht ordnungsgemäß festgestellt worden ist, das in der zweiten Instanz wieder aufzugreifen. Es gibt ganz stramme Regelungen. Der Justizminister hat die Kriterien für die Berufung in Verwaltungsgerichtsverfahren gelobt. Genau solche Kriterien wollen wir jetzt in der Zivilgerichtsbarkeit einführen. Das fördert das straffe Verfahren, das fördert die schnelle Rechtsprechung, das fördert die Rechtssicherheit, das fördert die Zuverlässigkeit in das, was die einzelnen Gerichte machen können.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Bebber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Reinhart?

Wenn ich, weil meine Zeit abgelaufen ist, dann noch antworten darf.

(Heiterkeit)

Bei einem großzügigen Präsidenten, der noch Jurist ist, bestimmt.

Herr Kollege Bebber, gestehen Sie zu, dass die Praxis der Kammern häufig dahin gehend orientiert ist, dass man einfach gelagerte Fälle dem Einzelrichter überträgt und schwierige, komplexe Fälle oft bei der Kammer belässt, und dass das Auswirkungen auf die Überprüfungsquote und die Abänderungsquote haben kann?

Zum Zweiten: Ist Ihnen bekannt, dass die zweite Entscheidungsebene nach dem Referentenentwurf Urteile nur noch rechtlich prüfen darf und ausschließlich dann, wenn ein

Tatsachenvortrag unverschuldet unterblieben ist oder wenn gänzlich neue Tatsachen auftreten,

(Abg. Junginger SPD: Frage!)

aus Effizienzgründen nur noch der Tatsachenvortrag eingebracht werden kann? Gestehen Sie mir das zu?

(Abg. Redling SPD: Hier wird überhaupt nichts zugestanden!)

Zunächst einmal ist es so – das wissen wir aus der Praxis –, dass die Kammern gerne etwas zur Entscheidung bei sich behalten, auch wenn es aus anderen Gesichtspunkten heraus möglich wäre, dass der Einzelrichter entscheidet. Sie wissen, dass das in der Praxis aus sehr unterschiedlichen Gründen so gemacht wird. Ich halte es nicht für gut, dass solche Fälle, die genauso gut ein Einzelrichter hätte entscheiden können, bisher von der Kammer entschieden werden konnten.

Damit macht dieser Referentenentwurf gewissermaßen ein Ende. Er schreibt vor, dass der Einzelrichter entscheiden muss. Bisher ist es in der Praxis eben nicht so gelaufen, dass alle Fälle, die genauso gut vom Einzelrichter entschieden werden könnten, von der Kammer auch auf den Einzelrichter übertragen worden sind.

(Abg. Nagel SPD: So, ist das klar? Ist das ange- kommen? – Dem Redner wird das Ende der Rede- zeit angezeigt.)

Zum zweiten Teil der Frage – den muss ich noch beantworten dürfen, obwohl hier das Ende der Sprechzeit angezeigt wird –: Sie haben gesagt, dass bisher eine zweite Tatsacheninstanz bestehe, was jetzt eingeschränkt werde. Es ist richtig, dass es eingeschränkt wird. Es wird nach ganz konkreten Kriterien eingeschränkt, und das halten wir auch für gut. Auch bisher war es allerdings so, dass Sie in zweiter Instanz, in der Berufungsinstanz, nicht munter drauflos neue Tatsachen vortragen konnten. Sie mussten die Kriterien der ZPO einhalten.

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Das weiß so- gar ich!)

Eines der Kriterien war: „wenn das Verfahren dadurch nicht verzögert wird“. Das kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: wenn das Verfahren nicht verzögert wird – ein unbestimmter Rechtsbegriff. Was machen Sie damit? Dann gibt es den nächsten Streit; das ist der nächste Revisionsgrund, wenn Sie damit – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Bebber – –

Also, die Antwort ist: Die Regelung im Referentenentwurf ist konkreter in Bezug auf die Kriterien und deshalb besser als das, was wir bisher hatten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Ich erteile Herrn Abg. Oelmayer das Wort.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch einmal auf zwei, drei Punkte eingehen, die hier angemahnt worden sind. Ich versuche gerne, es – so gut ich das kann – zu erläutern.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Zulassungsbe- rufung! Ich bestehe darauf, dass Sie dazu etwas sa- gen!)

Dass es Reformbedarf auch im Bereich des Zivilrechts und des Zivilverfahrensrechts gibt, haben Sie am besten dadurch dokumentiert, dass Sie, als Sie die Gesetzgebungsbefugnis zur Veränderung des Verfahrensrechts hatten, mehrfach Gesetze geändert haben. Ich habe irgendwann aufgehört, mitzuzählen, wie viele Vereinfachungs- und Entlastungsgesetze oder wie immer Sie sie bezeichnet haben, es gegeben hat. Wozu hat das geführt? Es hat dazu geführt, dass letztendlich komplette Unübersichtlichkeit entstanden ist.

Insbesondere die Bürgernähe, die Sie hier einfordern, kann ja nicht nur geographisch gemeint sein, sondern sie muss auch so gemeint sein, dass die Menschen verstehen, was da abläuft. Wenn man sich anschaut, was Sie in den vergangenen Jahren während Ihrer Regierungsverantwortung im Bund an Regulierungen versucht haben, muss man sagen: Sie sind alle miteinander gescheitert.

(Abg. Nagel SPD: Reden wir lieber darüber!)

Da bin ich einer Meinung mit vielen in der Justiz tätigen Leuten. Ich will jetzt niemanden zitieren, aber es gibt Richterinnen und Richter, es gibt Anwälte und Verwaltungsjuristen, die diese Meinung mittragen – Sie kennen sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Lassen Sie mich aber nochmals konkret auf den Entwurf eingehen. Kollege Reinhart, es verwundert mich schon, dass Sie, der Sie noch vor wenigen Tagen hier gestanden und die Richterinnen und Richter in diesem Land ob ihrer Leistung gelobt und sich bei ihnen bedankt haben, heute so tun, als seien Richterinnen und Richter der ersten Instanz nur dann in der Lage, gute Arbeit zu leisten, wenn sie den Druck im Rücken spürten. Kollege Reinhart, diese Auffassung kann ich nicht teilen. Ich glaube, die Richterinnen und Richter in diesem Land versuchen immer, in jedem Verfahren das Bestmögliche zu tun.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wenn ausgerechnet von Ihnen eine solche Unterstellung hier vorgetragen wird, muss ich als rechtspolitischer Sprecher der bündnisgrünen Fraktion die Richterinnen und Richter in Schutz nehmen, weil Ihre Aussage einfach nicht stimmt.

(Abg. Rech CDU: Das werden die sich verbitten!)

Hier möchte ich noch einen kleinen Einschub machen. Wer hat denn dafür Sorge getragen, dass Urteile, die einen Streitwert von unter 1 500 DM haben, gar nicht mehr angreifbar sind, nur noch beim Bundesverfassungsgericht? Wessen Entscheidung war denn das? Wie viel Amtsge

richtsurteile betrifft denn das? Haben Sie das einmal nachgeschaut? Das sind über 40 % der Urteile, die bisher mit gar keinem Rechtsmittel mehr angegriffen werden konnten.

Wir senken diesen Beschwerdewert. Sie haben es nicht für notwendig gehalten, dies hier lobend zu erwähnen. Das bedeutet mehr Bürgernähe, das bedeutet mehr Rechtsschutz für die Menschen. All dies bringt die Reform auch. Wenn wir hier diskutieren, müssen wir also ehrlich bleiben, Kollege Reinhart und Kollege Kiesswetter.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Haben Sie die Senkung des Streitwerts vorgesehen?)

Ich habe nur noch eine Minute, Kollege Reinhart. Wenn ich jetzt nicht weitermache, werfen Sie mir nachher wieder vor, ich hätte nicht zu allen Punkten etwas gesagt.

Zum Thema der erstinstanzlichen Urteile: Wie, Kolleginnen und Kollegen – wer sich ab und zu bei Gericht aufhält, wird es wissen –, sieht es denn bisher aus? Welche Richterinnen und Richter werden denn in der ersten Instanz eingesetzt? Es sind diejenigen, die mit dem Berufsleben beginnen. Das sind natürlich diejenigen, die am wenigsten Erfahrung mitbringen. Genau diese Situation wollen wir ändern. Wir wollen Menschen mit Lebenserfahrung, wir wollen Menschen mit Justizerfahrung in die erste Instanz bringen, und dann werden Sie sehen,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Und wo kommen die Anfänger hin?)