Protokoll der Sitzung vom 22.03.2000

(Abg. Hehn CDU: Oder sich selbst!)

Jetzt fangen Sie nicht auch noch so an!

Das Leben mit Kindern benötigt entsprechende Rahmenbedingungen. Die Bundesregierung hat solche bereits auf den Weg gebracht. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen – dabei geht es nicht nur um steuerliche Rahmenbedingungen, es geht auch um Arbeitsplätze, um eine vernünftige Umwelt- und Sozialpolitik und vieles andere –, dann wollen Menschen in der großen Mehrheit mit Kindern, also in einer Familie leben, wenn auch etwas anders als früher und in vielfältigeren Formen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich Familienförderung aufs Panier geschrieben hat, verdient normalerweise unsere Unterstützung. Sie von den Republikanern verdienen sie nicht. Es ist aus verschiedenen Blickwinkeln schon beleuchtet worden, warum nicht.

Der für mich entscheidende Satz ist die Aussage in Teil B – Wesentlicher Inhalt – des Vorblatts Ihres Gesetzentwurfs, wonach Sie klarstellen wollen, dass „unter Familie“ – ich füge hinzu: nur – „der traditionelle Begriff aus Vater, Mutter und Kindern zu verstehen ist“. Jetzt frage ich mal: Sind Sie sich eigentlich bewusst, dass Sie einen ganz großen Teil der Mütter der Nachkriegsgeneration, die ungewollt allein erziehend waren, hiermit diskriminieren, wenn Sie sagen, nur Vater, Mutter und Kind seien eine Familie? Haben Sie sich das mal überlegt?

(Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP)

Zweite Frage an die Republikaner: Haben Sie sich denn schon mal überlegt, dass kein Kind dieser Welt entscheiden kann, in welche Form von Familie es hineingeboren wird? Kein Kind kann das entscheiden. Und deswegen ist die Definition von Familie, die auch Frau Thon genannt hat – Familie sei das, wo Kinder sind, wo Verantwortung für Erziehung von Kindern übernommen wird –, richtig, und deswegen verdient auch jede Form von Verantwortungsübernahme für Kinder unsere Unterstützung und die des Staates.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Kurz CDU)

Frau Blank hat ja auf das Land bezogen geschildert – wir haben es vor kurzem in der Debatte hier über das Thema Familienarmut ausführlich dargestellt –, dass das Land mit dem, was es für Familien tut, sehr wohl zu den Spitzenreitern im bundesweiten Vergleich gehört. Der Bund – ich stehe nicht an, das zu sagen – hat Nachhilfe vom Bundesverfassungsgericht nötig gehabt, unter anderem mit Bezugnahme auf Artikel 6 des Grundgesetzes, um zu zeigen, dass er das Ziel erreicht, Familien die ihnen zustehende Förderung zukommen zu lassen. Aber ich denke, in der Fami

lienförderung sind wir sicherlich noch nicht an dem Punkt angelangt, bei dem wir sagen können, es sei alles in Ordnung. Wir müssen vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass wir neue Ideen entwickeln müssen, wie wir zu dem Ziel kommen, dass der Wunsch, Kinder haben und erziehen zu wollen, nicht zum Armutsrisiko in dieser Gesellschaft wird.

Vielleicht noch ein Wort zum doch etwas romantisierenden Familienbild. Ich stehe nun überhaupt nicht hier, um zu sagen, die klassische Familie sei etwas Schlechtes. Im Gegenteil, ich genieße dieses klassische Familienbild seit langem. Aber es gab – wenn man einmal zurückdenkt – Zeiten, in denen es zum Beispiel gesellschaftlich geächtet war, allein erziehend zu sein oder sich zu trennen, und Sie sollten sich einmal überlegen, ob Kinder in Familien, die unter massivem äußerem Druck zusammengehalten wurden, viel besser erzogen wurden als Kinder in einer Familie, in der man heute eine saubere Trennung mit klaren Regelungen zur weiteren Verantwortung für die Kinder eingeht. Auch da muss man manches romantisierende Bild doch etwas hinterfragen.

Ich denke, der Staat ist nicht dazu da, Zensor über Lebensformen unserer Bevölkerung zu sein, sondern der Staat ist dazu da, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann.

Der Staat hat auch in der Vergangenheit an vielen Punkten auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert und reagieren müssen. An viele Dinge denkt man vielleicht nicht sofort. Letztes Beispiel: Pflegeversicherung. Das ist für mich eine klassische Reaktion auf Veränderungen in der gesellschaftlichen Realität. Denn in der früheren Großfamilie, die es schon lange nicht mehr gibt, war das natürlich kein Problem. Das kann man auch auf die Rente ausdehnen, wo die alte Bäuerin oder der alte Bauer aufs Altenteil kamen und natürlich von den Jungen „durchgefüttert“ wurden, sage ich jetzt mal. Da war das überhaupt kein Thema. Aber daran zeigt sich ja, dass der Staat auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen reagieren muss.

Wir werden künftig alles unterstützen, was die Bedingungen für das Ja zu Kindern in unserer Gesellschaft verbessert. Wir geben unsere Unterstützung aber nicht Ihrem unausgegorenen Entwurf; denn Sie wollen sich damit zum Zensor für die Menschen in unserem Land aufspielen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- nen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Herbricht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Noll, wir wollen uns keineswegs zum Zensor aufspielen. Das habe ich in meinen Ausführungen anfangs auch nicht gesagt. Aber dem Staat darf es doch unbenommen bleiben, Familienkonstrukte zu fördern, die ihm mehr förderungswürdig erscheinen als, sagen wir mal, gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

(Beifall bei den Republikanern)

Noch ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Blank und Herrn Birzele.

(Zurufe: Herr Blank?)

Frau Blank, natürlich. Entschuldigung. – Sie haben sich daran gestoßen, dass wir in unserem Entwurf stehen haben: Familien mit Kindern. Wenn Sie einen Blick in den Familienbericht der Landesregierung geworfen hätten, hätten Sie feststellen können, dass es sich dabei um einen Terminus technicus handelt, und er meint Familien mit Mutter, Vater und Kind, also die normale Familie, und die Alleinerziehenden mit Kind.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sind die anderen unnor- mal?)

Nein. Das ist die traditionelle Familie. Das andere sind die Alleinerziehenden mit Kindern. Das ist in diesem Gesamtbegriff „Familien mit Kindern“ umfasst. Wenn man den Familienbericht der Landesregierung nicht mehr zitieren darf, bewegen wir uns natürlich etwas auf schwankendem Boden.

(Beifall bei den Republikanern)

Bei den neuen Leitbildern, die jetzt SPD, Grüne und auch die CDU entworfen haben, empfinden wir die stärkere Hinwendung zum Kind als positiv. Das wird ja von uns gar nicht als negativ gesehen. Wir kommen aber nicht umhin, festzustellen, dass der Trend der Siebzigerjahre hin zur Berufstätigkeit der Frauen und zum Ausbau professioneller Kinderbetreuung – Kinderkrippen, Tagesmütter, Ganztagsschulen – doch auffällig korreliert mit dem hohen Anstieg der Zahl verhaltensgestörter Kinder sowie des Rauschgiftkonsums und der Jugendkriminalität.

(Abg. Deuschle REP: Hört, hört!)

Wenn wir heute feststellen müssen, dass wir Probleme mit einem Teil unserer Jugendlichen haben, müssen wir uns aber auch eingestehen, dass wir diese vernachlässigt haben, als sie noch Kinder waren. Die frühkindliche Hirnforschung in den USA, beispielsweise von Stanley Greenspan, hat zweifelsfrei belegt, wie wichtig die mütterliche Hinwendung zum Kind in den ersten drei Jahren ist. Ein Kind braucht eine phasenspezifische Betreuung, eine Anpassung der Eltern an den jeweiligen Reifegrad des Kindes – welcher individuell verschieden sein mag –, was von keiner Kinderkrippe geleistet werden kann.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Stephanie Günther Bündnis 90/Die Grünen: Aber vielleicht vom Mann!)

Eine solche umfassende Betreuung ist eben nur möglich, wenn die Mutter nicht aus finanziellen Gründen genötigt ist, noch berufstätig zu sein. Mutterschaft muss daher in unseren Augen ein bezahlter Beruf mit Rentenanspruch werden.

(Beifall bei den Republikanern)

Alles andere ist unseres Erachtens Flickschusterei.

Zu einer gesunden Entwicklung eines Kindes gehört aber nicht nur die Mutter, wie Frau Blank eben gesagt hat, son

dern auch der Vater. Da greift die These meines Erachtens zu kurz, wenn man nur dort von Familie spricht, wo Kinder sind. Das ist nicht ausreichend. Der allein erziehenden Mutter gehört unser aller Respekt und auch alle erdenkliche Hilfe.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Oder dem Vater!)

Wir dürfen aber doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass beispielsweise in den USA – bei uns wird es nicht viel anders aussehen – 63 % der jugendlichen Selbstmörder, 71 % der schwangeren Teenager, 90 % aller Ausreißer und obdachlosen Kinder, 70 % der Jugendlichen in staatlichen Einrichtungen, 85 % aller jugendlichen Häftlinge, 71 % aller Schulabbrecher und 75 % aller Heranwachsenden in Drogenzentren aus vaterlosen Familien stammen.

(Abg. Deuschle REP: Aha!)

Auch diese Zahlen zeigen uns ja, dass wir gut beraten sind, wenn wir der traditionellen Familie eine besondere Förderung angedeihen lassen.

(Beifall bei den Republikanern)

Wir müssen diese Förderung auch deswegen diesen Familien angedeihen lassen, weil wir vielen Kindern den Schock einer Scheidung ersparen müssen. Durch die Scheidung wird bei einem Kind zum Beispiel das Urvertrauen in die schützende Funktion der Eltern untergraben. Wechselnde Bezugspersonen und Umgebungsverhältnisse erschweren einem Kind die Entwicklung und seine Erziehungsfähigkeit. Wir schaffen hier Kinder, die später nicht bindungsfähig sind und meinen, sie kämen als Einzelkämpfer besser durchs Leben.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines ansprechen. Wenn wir in Deutschland rund 1 Million Kinder haben, die von Sozialhilfe leben, sind davon 40 % Kinder von allein erziehenden Frauen und 35 % aus Familien mit drei und mehr Kindern. Es darf doch nicht sein, dass wir Kinder, die wir so nötig brauchen, aufgrund dieser Tatsache in unserem Land zum Armutsrisiko umgestalten.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Dazu trägt Ihr Ge- setzentwurf überhaupt nichts bei, dass das anders wird!)

Der trägt deswegen dazu bei, weil wir mit dem Gesetzentwurf eine spezielle und stärkere Förderung der Familie erreichen wollen.

Danke.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Das Wort erhält Herr Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Republikaner kann kein Erfolg beschieden sein.

(Abg. Deuschle REP: Weil er von den Falschen kommt!)

Die Frau Kollegin Blank hat in einer charmanten und bildhaften Art und Weise, wie sie einem Juristen gar nicht möglich wäre, die verfassungsrechtlichen Bedenken bereits ausgeführt und ist auch durch den Herrn Kollegen Birzele, der als herausragender Verfassungsjurist ausgewiesen ist, darin bestätigt worden, sodass ich dem nichts hinzuzufügen habe.

Ich will aber einige Bemerkungen dazu machen, was Herr Kollege Birzele, der inzwischen zum Präsidenten „mutiert“ ist – eine nicht ganz einfache Situation für eine Debatte –, rechtspolitisch ausgeführt hat,