Wir brauchen deshalb eine Gesamtlösung, die die Interessen der Wirtschaft, die Interessen der Bevölkerung und die der wirklich politisch Verfolgten miteinander verknüpft. Mit diesem Ziel beteiligt sich die CDU-Fraktion an der Diskussion um eine sachgerechte Lösung, die dann auch von der Bevölkerung mit getragen werden kann.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Tatsache, dass die Reps in schöner Regelmäßigkeit exakt die gleiche Thematik hier behandeln lassen, wird nicht gerade ein entscheidender Beitrag zur Belebung der Parlamentsdebatten geleistet. Wenn es kein unparlamentarischer Ausdruck wäre, würde ich sagen: Ich kann mir dieses Geseire von rechts zu diesem Thema bald nicht mehr anhören.
Meine Damen und Herren, es gibt augenblicklich überhaupt keine aktuelle Veranlassung zu dieser Debatte, und
wir haben wahrlich wichtigere Probleme, als uns mit der Frage auseinander zu setzen, ob Artikel 16 a des Grundgesetzes abgeschafft und durch eine so genannte Institutsgarantie ersetzt werden soll.
Ich wiederhole es, Herr Schmid: Die Zahl der Asylbewerber ist seit 1993 in der Tat zurückgegangen. Wir hatten damals 438 000 Asylbewerber. In den Jahren 1998 und 1999 waren es jeweils unter 100 000, und in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es gerade einmal knapp 19 000. Hochgerechnet auf das ganze Jahr, kommen wir im Jahr 2000 auf eine Asylbewerberzahl von etwa 80 000. Wir sind deshalb weit, weit weg von den damaligen Zahlen, die uns in der Tat zum Handeln gezwungen haben.
Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Ergebnis einer erfolgreichen Asylpolitik lässt sich nicht an reinen Zahlen wie Zugängen, Ausweisungen, freiwilligen Ausreisen, Abschiebungen usw. ablesen, sondern immer noch an der Tatsache, wie wir mit diesen Menschen umgehen und ob wir ihnen ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren gewähren und sie auch menschenwürdig behandeln.
Meine Damen und Herren, völkerrechtlich nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass die Bundesrepublik wie 137 andere Staaten auch – übrigens wie auch alle anderen EU-Staaten – die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat. All diese Staaten wenden die Konvention bei der Flüchtlingsanerkennung innerstaatlich an. Wesentliches Element der Genfer Flüchtlingskonvention – Artikel 33 Abs. 1 – ist, dass ein Flüchtling nicht in Gebiete aus- oder zurückgewiesen werden kann, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion oder Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
Dies ist nach herrschender Meinung übrigens auch Völkergewohnheitsrecht, und herrschende Meinung ist ferner, dass jeder Flüchtling in dem Land, welches die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat, die Möglichkeit haben muss, seinen Antrag auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch eine unabhängige Instanz überprüfen zu lassen. Insoweit ist zum Beispiel auch Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – die Rechtsweggarantie – kein bundesrepublikanischer Sonderfall.
Dies heißt, meine Damen und Herren, dass der Kerngehalt des Asylrechts nach Artikel 16 a des Grundgesetzes und des Abschiebeverbots nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleich sind.
Wenn man dies einmal kapiert hat, dann kommt man zu einem Schluss, der beängstigend ist, nämlich dem: Wer wie die Reps immer wieder massiv die Abschaffung des Individualgrundrechts einfordert, der hat bereits die aus seiner Sicht logische nächste Forderung im Hinterkopf, nämlich die Genfer Flüchtlingskonvention aufzukündigen und infrage zu stellen.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Widerspruch bei den Re- publikanern – Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Ist doch klar!)
Meine Damen und Herren, zur europäischen Harmonisierung: Es ist überhaupt keine Frage, dass das Asylrecht in der EU vereinheitlicht werden muss. Es geht hier um zwei Sachverhalte, nämlich um eine Vergemeinschaftung und um eine gerechte Verteilung der Aufgaben und Quoten innerhalb der Länder Europas.
Damit wir uns aber auch hier nicht falsch verstehen: Ich bin nicht der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland die meisten Asylbewerber aufnimmt. Dies mag zwar in absoluten Zahlen stimmen, nicht aber in der Relation zur Einwohnerzahl. Wenn ich die Zahl in Relation zur Einwohnerzahl nehme, dann stelle ich fest, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in der EU auf einem Mittelplatz befindet.
Deshalb sollten wir ganz nüchtern, unaufgeregt und sachlich die Eckpunkte diskutieren, und die heißen für uns: Angleichung der sozialen Standards, die nicht gegen null gefahren werden dürfen, auf europäischer Ebene. Das ist nicht die Diskussion, sondern es müssen humane und menschenwürdige Mindeststandards gegeben sein. Wir brauchen ein europäisch angeglichenes, schnelles und rechtsstaatliches Asylverfahren. Erst hier stellt sich dann die Frage, wie dieses rechtlich auszugestalten ist, ob in Form eines Individualgrundrechts, einer Institutsgarantie auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention – es wird wohl dahin führen –, oder vielleicht auch in anderer Form und Ausgestaltung. Es kann sich heute kein Land in Europa mehr einbilden, allein innerhalb seiner Staatsgrenzen eine sinnvolle Asylpolitik betreiben zu können.
Hier will ich noch einen Schritt weiter gehen: Vergemeinschaftung und Angleichung dürfen sich nicht nur isoliert auf die Asylpolitik beziehen, sondern umfassen die gesamte Migrationspolitik in Europa unter dem Stichwort einer europäischen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik. Hierauf, meine Damen und Herren, sollten wir unsere gedanklichen Anstrengungen konzentrieren. Eine solche Diskussion wäre ebenso interessant wie notwendig. Wir haben innerhalb Europas offene Grenzen – das Stichwort Osterweiterung kommt noch hinzu –, und das zeigt uns, dass nur eine einheitliche, gesamteuropäische Migrationspolitik erfolgreich sein kann. Alle anderen Diskussionen, wie von den Reps zum wiederholten Mal hier eingefordert, sind zum Scheitern verurteilt. Lassen Sie uns darüber diskutieren, was notwendig ist. Deshalb werden wir den Antrag der Reps, für den überhaupt kein Bedarf besteht, ablehnen.
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Deuschle REP: Das war jetzt die Rede von einem Sozi!)
und nicht die Logik der Abschreckung oder die Abschaffung eines Grundrechts steht in dieser Debatte für uns im Vordergrund. Das unterscheidet uns und auch andere grundlegend von den Reps. Während auf europäischer Ebene über die Schaffung einer Grundrechtscharta diskutiert wird, müssen wir hier in diesem Haus zum wiederholten Mal über die Aushöhlung eines Grundrechts reden, nämlich des Individualgrundrechts auf Asyl als subjektives Grundrecht.
Bedauerlicherweise hat sich in Deutschland seit Jahren eine Diskussionskultur entwickelt, die restriktiven Äußerungen zum Asylrecht ungleich mehr Gehör verschafft als sachlich und fachlich haltbaren bzw. besonnenen Beiträgen. Die Reps, aber auch der Innenminister dieses Landes und der CDU-Newcomer Merz sind für die Abschaffung des derzeit geltenden Asylrechts, und das alles angesichts fallender Flüchtlingszahlen, also ohne Not.
(Abg. Deuschle REP: Na, na! – Abg. Haasis CDU: Wann ist denn die Not groß? Als 400 000 Asylan- ten gekommen sind?)
Was steht auf europäischer Ebene zur europäischen Harmonisierung des Asylrechts auf der Tagesordnung?
Erstens – es wurde auch schon von Herrn Heiler ausgeführt –: Es werden gemeinsame Anstrengungen hin zu einer kohärenten Flüchtlings- und Migrationspolitik unternommen.
Zweitens: Es sollen so genannte Flüchtlingsfonds geschaffen werden, die die Kosten in der Gemeinschaft solidarisch regeln, eine alte Forderung des Europäischen Parlaments an die Kommission, die auch vom europäischen Flüchtlingsrat ECRE und auch von den Grünen unterstützt wurde und wird. Übrigens ist diesem Vorschlag gestern zugestimmt worden.
Zweitens: Es sollen besondere Sanktionen gegen kriminelle Schleuserbanden formuliert und umgesetzt werden.
Das erscheint uns zwar nicht unbedingt als fällige Kehrtwende in der Asyl- und Einwanderungspolitik, aber – das ist jetzt wichtig – die Konferenz von Tampere hat nachdrücklich bestätigt, ihre Asylpolitik auch weiterhin auf die Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention zu stellen. Nach Auslegung des UNHCR – nur die UN haben das Recht, festzulegen, wer als Flüchtling unter die GFK fällt – besteht in Deutschland eine zunehmend restriktivere Asylrechtsprechung. Es besteht sozusagen eine Schutzlücke, wird doch strikt getrennt in staatliche und nicht staatliche Verfolgung, und geschlechtsspezifische Verfolgung wird
nicht als Asylgrund anerkannt. Aber ich frage Sie, was es bedeutet, wenn Frauen in Afghanistan, denen in ihrem Herkunftsland Grundrechte, wie Recht auf Bildung, Recht auf entsprechende Krankenversorgung, verwehrt werden, sogar die Todesstrafe droht, wenn sie unverschleiert aus dem Haus gehen, ob dies Verfolgung ist, egal ob durch den Staat oder durch ein absolut Menschen verachtendes System wie die Taliban, und ich frage Sie, ob diese Frauen schutzbedürftig sind.
Bei uns wurden 1998 1 895 Asylsuchende aus Afghanistan anerkannt und 3 821 abgelehnt. Hohe Ablehnungsquoten sind noch lange kein Beleg dafür, ob jemand schutzbedürftig ist oder nicht. Außerdem liegt die Anerkennungsquote allgemein eben nicht, wie leider auch Bundesinnenminister Schily behauptet, bei 3 %, sondern letztlich um ein Fünf- bis Sechsfaches höher.
Für uns ist das Fazit dieser Diskussion, dass der verbliebene Teil – und Herr Schmid, der jetzt nicht mehr da ist
hat ja schon den Kollegen Özdemir erwähnt – des individuell einklagbaren Grundrechts auf Asyl nicht zur Disposition gestellt werden darf. Wer verfolgt wird, muss auch in Zukunft einen einklagbaren Anspruch auf Asyl behalten. Den Vorstoß der Reps lehnen wir ab.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es bedarf im Moment keiner Bundesratsinitiative zur Änderung des Asylartikels im Grundgesetz. Wir müssen die Landesregierung auch nicht auffordern, sich für eine Angleichung des Asylrechts der Mitgliedsstaaten der EU einzusetzen; denn diese Angleichung ist doch längst beschlossene Sache.