Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Ing- rid Blank CDU: Thema verfehlt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Haasis.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abg. Walter hat ja für die Grünen, die diese Aktuelle Debatte beantragt haben, gesprochen, aus meiner Sicht aber nur sehr kurze Schritte zu dieser Debatte über Bürgerkriegsflüchtlinge und Rückführungen in die Heimat gemacht.

Wir haben es hier mit einem sehr komplexen und zweigeteilten Thema zu tun, zweigeteilt für die Bürgerkriegsflüchtlinge, aber auch für uns.

Es ist ein gesellschaftliches Problem für uns, in unserem Staat.

Es ist aber auch, denke ich, ein moralisches Problem für uns in der Politik, wie wir mit solchen Dingen umgehen, in der Verantwortung, die wir für unser Land haben, für die Menschen, die hier leben, aber auch in der Verantwortung, die wir ein Stück weit für das Land haben, aus dem die Bürgerkriegsflüchtlinge gekommen sind. Denn wir haben sie hier aufgenommen, und Deutschland und Baden-Württemberg haben sie in großer Zahl aufgenommen.

Zum Dritten ist es auch ein Problem, das eine wirtschaftliche Dimension hat, und auch hier wieder eine wirtschaftliche Dimension für unser Land, aber auch für das Land, aus dem die Flüchtlinge gekommen sind, in dem es um Wiederaufbau geht, in dem der Krieg vorbei ist und die, die geblieben sind und den Krieg mitgemacht haben, jetzt allein aufbauen sollen, während die anderen hier vielleicht noch abwarten und erst dann kommen, wenn der Aufbau weiter fortgeschritten ist. Auch das ist eine Dimension, die wir meines Erachtens berücksichtigen müssen.

Sie haben angeführt, dass es Probleme auf dem Arbeitsmarkt gibt. Das ist sicher richtig und aus der Sicht der Betroffenen natürlich auch wichtig. Derjenige, der hier einen Arbeitsplatz gefunden hat, ein gutes Einkommen und ordentliche Lebensverhältnisse hat, das ist eine Seite. Betroffen sind auch die Handwerker und die Gastronomen, die hier keine entsprechenden Arbeitskräfte finden. Aber ich denke, die Politik muss auch das Gesamte sehen, und zum Gesamten gehört das, was ich vorhin gesagt habe, und zum Gesamten gehört auch Kontinuität in der Politik.

Ihre Aktuelle Debatte betrifft das Thema Bosnier. Ihnen ist wahrscheinlich nicht unbekannt, dass nahezu 50 000 Bosnier in Baden-Württemberg waren und dass davon über 40 000 zurückgeführt sind. Das heißt, im Augenblick geht es noch um etwa 5 000, von denen etwa 2 000 arbeitsfähig

sind und einen Arbeitsplatz haben. Bei den 40 000, die zurückgegangen sind, waren aber doch mindestens 10 000 oder 15 000 dabei, die auch in einem Arbeitsverhältnis waren. Politik muss ja auch ein Stück Kontinuität haben. Das heißt, die, die schon zurückgegangen sind, haben sich darauf verlassen, dass unsere Aussage richtig ist: Bürgerkriegsflüchtlinge sollen wieder gehen, wenn ihr Heimatland befriedet ist. Und auch ihre Arbeitgeber haben sich darauf verlassen, dass ihre Arbeitskräfte wieder zurückgeschickt werden.

Es ist total falsch, Herr Walter, wenn Sie das Thema mit der Greencard vergleichen, also mit einem Ausbildungsproblem. Es geht doch nicht um Facharbeiter, sondern um angelernte Arbeitskräfte,

(Beifall bei der CDU – Abg. Deuschle REP: Eben!)

die in weiten Teilen eine gute Arbeit machen und die vor allem eine Arbeit machen, die kein einziger Arbeitsloser, ob er Deutscher oder Ausländer ist und in der Bundesrepublik lebt, machen will.

(Abg. Deuschle REP: Das ist ja die Frage! Nicht will, Herr Haasis!)

Wenn ein Bürgerkriegsflüchtling, der vor vier oder fünf Jahren nach Deutschland kam, kein Wort Deutsch konnte, unsere Industrie nicht kannte, diese Art von Handwerk nicht kannte, hier angelernt wird und arbeitet, dann kann man doch nicht von einem Ausbildungsproblem in Deutschland reden. Diese Kenntnisse kann sich jeder Arbeitslose in Deutschland, ob Deutscher oder Ausländer, auch aneignen.

(Beifall bei der CDU)

Er muss es nur wollen. Deshalb ist es ein Thema unseres Arbeitsmarkts und der starren Gesetzgebung. Statt hier diese Rede zu halten, sollten Sie einmal in Berlin dafür sorgen, dass wir den Arbeitsmarkt aufbrechen. Wir können doch nicht einfach so tun, als ob die 4 Millionen, die hier arbeitslos sind, nicht mehr arbeitsfähig wären und für die Vermittlung nicht zur Verfügung stünden.

Ich teile nicht die Meinung, die der Präsident des Landesarbeitsamts auf die Anfrage der FDP/DVP wiedergibt, dass, statistisch gesehen, die Unternehmerklage unrichtig sei und arbeitsmarktpolitisch zu widerlegen sei und dass man genügend Leute bei uns finde. Ich habe genauso wie Sie alle viele Handwerker, viele Gastronomen, die niemanden finden, der die entsprechenden Arbeiten machen würde.

(Abg. Göbel CDU: So ist es!)

Aber ich habe in meinem Wahlkreis 5 000 arbeitslose Leute. Ähnlich wird es bei jedem von Ihnen in seinem Wahlkreis sein. Deshalb dürfen Sie das nicht mit der Greencard verwechseln, wo es um Leute geht, bei denen man in der Bundesrepublik, zumindest in manchen Ländern, die Ausbildung vernachlässigt hat, sodass keine ausgebildeten Akademiker, Fachhochschulabsolventen und Facharbeiter zur Verfügung stehen, sondern es geht um angelernte Kräf

te, die Lücken in unserer Wirtschaft füllen, weil leider kein einziger Arbeitsloser in Deutschland die entsprechende Arbeit annimmt, ob er Deutscher oder Ausländer ist.

Das ist das Thema. Da dürfen wir nicht darum herumreden, sondern wir müssen das benennen. Das Problem ist nicht so einfach zu lösen, dass wir sagen: Bisher mussten alle gehen, und jetzt dürfen alle bleiben. Es darf doch auch nicht der der Dumme sein, der freiwillig gegangen ist, oder der Arbeitgeber, der geglaubt hat, dass unsere Politik so bleibt, dass wir die Bürgerkriegsflüchtlinge also zurückschicken. Der wäre dann der Dumme, und derjenige, der sich widersetzte, wäre dann der Gewinner. Denn die Lage hat sich nicht geändert.

(Abg. Schmiedel und Abg. Weimer SPD: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Oettinger!)

Das gleiche Problem, das wir heute auf dem Arbeitsmarkt haben, hatten wir auch vor einem Jahr. Auch vor einem Jahr waren diese Arbeitnehmer in der Gastronomie und im Handwerk genauso begehrt. Ich habe doch deutlich gesagt: Wir sehen das Problem genauso wie Sie, aber es ist nicht so einfach zu lösen, wie das hier dargestellt wird: Bis jetzt mussten alle gehen, und der Rest, der noch hier ist, darf jetzt hier bleiben. So kann man keine Politik machen. So ist es nicht zu lösen, wie Sie es hier angedeutet haben. So einfach ist die Sache nicht.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Brinkmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, dass zu diesem Thema hier der Kollege Haasis für die CDU gesprochen hat

(Abg. Haas CDU: Wieso denn?)

ich wollte es Ihnen gerade erklären –

(Abg. Haas CDU: Das brauchen Sie uns nicht zu erklären!)

und nicht der Kollege Schuhmacher, der bei diesem Thema noch nicht einmal anwesend ist, aber tagtäglich durch seinen Wahlkreis zieht

(Abg. Haasis CDU: Ist Ihnen bekannt, dass ich Mitglied im Innenausschuss bin?)

und den Handwerksmeistern verspricht, sich im Landtag für ihre Interessen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass diese bosnischen Arbeitnehmer da, wo sie dringend gebraucht werden, auch bleiben dürfen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Döpper CDU: Auf je- den Fall macht er keine Versprechungen!)

Es ist zum Zweiten bemerkenswert, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU, der Kollege Oettinger, nicht anwesend ist.

(Abg. Schmiedel SPD: Ja!)

„Schwäbische Zeitung“ vom 11. April:

Oettinger: Greencard auch für das Handwerk.

(Zurufe von der CDU: Wo ist Herr Maurer?)

Bemerkenswert ist, dass sich hier nicht Herr Maurer im Gegensatz zu seiner Fraktion befindet, sondern der Herr Oettinger, der Vorsitzende Ihrer Fraktion, sich offensichtlich im Gegensatz zu Ihrer Fraktion befindet.

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Das ist Quatsch, was Sie hier reden! – Zurufe von der SPD: Wo ist der Oettinger denn?)

Das Chaos wird noch größer. Das Chaos in dieser Regierungskoalition ist offenkundig.

(Abg. Haas CDU: Sagen Sie einmal etwas zur Sa- che! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Euch trifft es ja wirklich hart!)

Neulich hat eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses stattgefunden. In dieser hat der Wirtschaftsminister dieses Landes den Beschluss des Bundestags aus dem letzten Monat zitiert, als es um eine Petition ging – im Grunde um drei Petitionen, alle aus Baden-Württemberg –, die mit der fast einstimmigen Empfehlung des Deutschen Bundestags abgeschlossen wurde, die nächste Innenministerkonferenz möge darüber beraten, ob für den Personenkreis der bosnischen Flüchtlinge, die dringend in den Handwerksbetrieben gebraucht werden, eine Altfallregelung geschaffen werden müsse. Das war ein Beschluss des Deutschen Bundestags, der, wie gesagt, fast einstimmig gefasst wurde, auch mit den Stimmen der CDU. Nur die PDS hat dem nicht zugestimmt.

Das Bemerkenswerte daran ist, dass der vorsichtigen Anregung des Herrn Wirtschaftsministers, man könne doch zunächst einmal bis zur nächsten Innenministerkonferenz zuwarten, praktisch ein Moratorium schaffen, die Kollegen der CDU – und auch die der FDP/DVP, muss ich sagen – nicht gefolgt sind. Ich sage: Welch ein Chaos in dieser Regierung!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Hauk CDU: Mit Blick auf Berlin wäre das schon richtig!)

Sachlich wissen wir alle: Es geht hier um Menschen, die durch ihre Arbeit dafür sorgen, dass andere Arbeitsplätze erhalten werden, und es geht hier um Menschen, deren Anwesenheit auch für Entspannung auf dem deutschen Arbeitsmarkt sorgt.

(Abg. Hauk CDU: Das war doch Ihr Herr Schily, der die Debatte überhaupt angezettelt hat!)

Die CDU entfernt sich hier aus ideologischen Gründen – und nichts anderes gibt es – immer mehr von der Realität. Herr Kollege Haasis, Ihre Fraktion hat in diesem Punkt wirklich kein Realitätsbewusstsein mehr, und sie entfernt sich immer mehr von den Problemen der mittelständischen Wirtschaft. Ich rufe Sie dringend auf, hier zu einem Umdenken zu kommen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Haasis CDU: Sie haben offenbar nicht zugehört, was ich gesagt habe! Es war scha- de, dass Sie Ihre vorbereitete Rede vorgelesen ha- ben und nicht auf die Argumente eingegangen sind!)

Aber Sie wollen das Problem doch nicht lösen, Herr Kollege.