Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

Das hat mit den beruflichen Schulen zu tun. Sie werden sehen, dass das auch in den kommenden Jahren so bleibt. Wir brauchen eine Stabilisierung im Blick auf die Lehrerversorgung. Ich sage Ihnen aber auch: Wer sich heute die Ergebnisse der neuen Stichprobe ansieht, der spürt auch ganz deutlich: Es gibt Unterrichtsausfall, der nicht vermieden werden kann.

(Abg. Wintruff SPD: Fünf Jahre lang 70 neue Leh- rer!)

Den hat es vor 20 Jahren gegeben, den hat es vor 10 Jahren gegeben, und den wird es auch in 20 Jahren geben, wenn die Schülerzahlen längst wieder zurückgegangen sind.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Unsere Analysen sind so detailliert, dass wir in der Lage sind, Konsequenzen zu ziehen. Deshalb haben wir für das nächste Schuljahr – das ist der zweite Punkt – eine eigene Rubrik – das haben wir im Haushalt für die kommenden Jahre strukturell so angelegt – für Nebenlehrermittel und Spezialisten an beruflichen Schulen

(Abg. Wintruff SPD: Die finden Sie doch gar nicht! Wo sind die denn?)

und eine deutliche Zunahme in der Rubrik Krankenstellvertretung. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir, was die finanzielle Seite angeht, was die personelle Seite angeht, auf die große Herausforderung der zunehmenden Schulabsolventenzahlen gut vorbereitet sind, dass wir Zuwachs haben werden, und es wird das bleiben, was das berufliche Schulwesen in Baden-Württemberg prägt: viele verschiedene Antworten auf ganz verschiedene Herausforderungen, Zukunftschancen für die junge Generation mit immer neuen Bildungsangeboten, mit immer neuen Stundentafeln, mit einer immer besseren Verbindung von Schule und Betrieb. Das ist das Kernstück: Betrieb und Schule, die vertrauensvoll miteinander arbeiten,

(Zuruf von der SPD: Das wissen wir auch!)

Betrieb und Schule, die gemeinsam festlegen, was zu einer Ausbildung gehört, wie viel Beweglichkeit wir brauchen, was in der Tat in den nächsten zehn Jahren Stundentafeln sind, die am Ende zu einer qualifizierten, zu einer zukunftsträchtigen Ausbildung führen.

Ich freue mich über jede Unterstützung, und wenn die Unterstützung über Kritik kommt, ist es auch gerade recht. Sagen Sie Ihrer Landesvorsitzenden einen schönen Gruß: Bevor sie auch in der großen Geste der Unwissenden aus Berlin hier über baden-württembergische Schulen spricht,

(Abg. Zeller SPD: Jawohl, Frau Lehrerin!)

soll sie mal schauen, wie es wirklich bei uns aussieht.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle und Rau CDU)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Es wurde angeregt, den Antrag an den Ausschuss für Schule, Jugend und Sport zu überweisen. – Dem wird nicht widersprochen. Dann ist so beschlossen und Punkt 1 der Tagesordnung damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Abschiebung von Arbeitnehmern bosnischer Herkunft – Auswirkungen auf die badenwürttembergische Wirtschaft – beantragt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: 50 Minuten ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die Redner in der ersten Runde und ebenfalls fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nicht erst seit gestern klagen Industrie und Handwerk in Baden-Württemberg über einen Facharbeitermangel, und nicht umsonst sprechen sie sich deswegen bereits seit Jahren für ein Bleiberecht der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aus. Denn mittlerweile sind diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu wichtigen Säulen in den jeweiligen Betrieben geworden.

Der IHK-Sonderbericht „Greencard für die Region“ macht deutlich, dass es in der gesamten Region in sämtlichen Bereichen und Branchen Facharbeitermangel gibt. Es bekommen ja nicht nur wir Briefe von Handwerkern, Gastronomen und Unternehmern. Jede Woche werden wir von neuem darauf hingewiesen, welche wichtige Rolle diese Menschen in den Betrieben spielen.

Allein seit Dezember liegen dem Petitionsausschuss 15 neue Petitionen aus diesem Personenkreis vor. In den Jahren zuvor waren es ungezählte Petitionen, die jeweils mit der Begründung abgelehnt wurden, die Bürgerkriegsflüchtlinge müssten zurück in ihre Heimat. Die Aktion der Oberbürgermeister von Konstanz und Singen war ein Hilferuf an die Politik, den wir nun endlich ernst nehmen sollten.

(Abg. Deuschle REP: Der war rechtswidrig!)

Aufgrund des Mangels an Facharbeitern waren die Betriebe sehr froh darüber, dass die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die oft sehr gut ausgebildet waren, zur Verfügung standen. Anstatt nun aber die Initiative zu ergreifen, anstatt die Chance beim Schopf zu packen und das aufzunehmen, was die Betriebe von der Regierung fordern, versucht sich die CDU weiterhin in einer Ausländerpolitik, die den Anforderungen an eine moderne Gesellschaft schon lange nicht mehr entspricht.

Stattdessen schlagen Sie die Schlachten der Vergangenheit. Ich verstehe ja das Problem der CDU: Seit Jahren rennen Sie durchs Land mit Parolen wie „Das Boot ist voll“.

(Abg. Deuschle REP: Das ist keine CDU-Parole! Das ist Rep-Parole!)

Ja, da seid ihr natürlich auch dabei. Das ist mir klar.

(Abg. Deuschle REP: Natürlich! Doch immer!)

Im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen kommen Sie jetzt mit so Dumpfbackenparolen wie „Kinder statt Inder“. Wer natürlich über Jahre hinweg Wahlkampf mit Feindbildern führt, der tut sich nun schwer, einzusehen, dass die Parolen, die da geäußert wurden, schlichtweg falsch sind, hauptsächlich aus ökonomischer Sicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Meine Damen und Herren, Sie verstoßen gegen die Interessen der baden-württembergischen Wirtschaft,

(Widerspruch bei der CDU)

und Sie fordern ja auch, Kollege Döpper, immer wieder die Integration der Menschen. Was ist das eigentlich für ein Integrationsangebot an Menschen, die hier seit Jahren le

ben, wenn es dann einfach heißt?: Ihr habt hier nun jahrelang gute Arbeit geleistet, aber nun weg mit euch!

(Abg. Döpper CDU: Die werden in Bosnien auch gebraucht!)

Das ist keine Integration, ganz zu schweigen von der Perspektive für die Menschen, die hier zerstört wird. Sie wissen genau: Viele Kinder dieser Bürgerkriegsflüchtlinge kennen nur eine Heimat, und die heißt Baden-Württemberg und nicht Bosnien.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So ist es!)

Wenn ich mir dann die Betrachtungsweise vieler Mitglieder Ihrer Fraktion im Petitionsausschuss anschaue, dann stelle ich fest: Da heißt es einfach, es könne ja gar kein Problem sein, bei 4 Millionen Arbeitslosen Arbeitskräfte zu finden. So werden wir der Sache nicht gerecht. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, gibt es Ursachen für diesen Facharbeitermangel. Selbstverständlich hat die Wirtschaft in den letzten Jahren zu wenig ausgebildet. Doch diese Einsicht hilft uns jetzt nicht weiter. Es hilft auch nicht, zu sagen: Jetzt müssen wir halt zukünftig wieder mehr ausbilden. Denn damit lösen wir das Problem, das wir j e t z t haben, nicht.

(Abg. Haasis CDU: Es geht doch nicht um Ausbil- dung!)

Übrigens: Wenn es stimmt, dass die Flüchtlinge zum Erfolg dieser Betriebe beitragen, dann tragen sie auch zur Ausbildungsbereitschaft dieser Betriebe bei,

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

das heißt, das eine kann hier nicht gegen das andere ausgespielt werden. Und wenn es stimmt, dass dieser Facharbeitermangel wachstumshemmend ist, dann werden wir, wenn wir jetzt noch weitere Facharbeiter wegschicken, weitere Arbeitslosigkeit haben. Genau so können wir diese Debatte nicht führen.

Das Weitere, was nun geschehen wird – und das hat die Greencard-Initiative der Bundesregierung mit sich gebracht –, ist, dass wir eine Debatte über ein Einwanderungsgesetz bekommen, und, meine Damen und Herren von der CDU, diese Debatte werden Sie so schnell nicht mehr los werden. Denn aus allen Branchen wird nun auf Sie Druck ausgeübt werden, dass der Facharbeitermangel durch entsprechende Zuwanderung behoben wird.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Deswegen, meine Damen und Herren, begrüßen wir auch den Vorstoß des Kollegen Oettinger. Schade, dass er jetzt nicht da ist. Das beharrliche Arbeiten an dieser Problematik durch das Handwerk, durch die Wirtschaft, durch den Koalitionspartner, aber auch durch die Opposition hat offensichtlich nun dazu geführt, dass Kollege Oettinger begriffen hat, dass seine Fraktion mit dieser Haltung völlig isoliert ist und nur noch Beifall von der rechten Seite bekommt, und er hat offensichtlich auch begriffen, dass die Wirtschaftsverbände und das Handwerk einen ganz anderen Weg gehen wollen.

(Zuruf der Abg. Ingrid Blank CDU)

Schauen Sie sich nur das ständige Abwürgen der Initiativen wie zum Beispiel der von Justizminister Goll im Kabinett an. Da heißt es einfach: Wollen wir nicht! So kommen wir nicht weiter.

Ich möchte dann in der zweiten Runde noch ein paar Vorschläge machen, wie wir jetzt aus dieser Krise herauskommen können, und ich bin gespannt, was wir jetzt insbesondere von der CDU zu hören bekommen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Ing- rid Blank CDU: Thema verfehlt!)