Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

beweist nur seine eigene moralische Zwergengröße. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Unruhe – Abg. Dr. Birk CDU: Ausgerechnet Sie!)

Ja, ja. Das muss man dem Herrn ab und zu sagen, weil diese Art von Angstbeißerei, die Herr Teufel pflegt, und das zustimmungsheischende Geblöke in die eigenen Reihen jedenfalls da ihre Grenzen haben, wo dies den menschlichen Anstand nicht mehr beachtet.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Abg. Döpper CDU: Jetzt hört es aber auf! – Weitere Zurufe von der CDU, u. a. des Abg. Dr. Birk)

Der Herr Ministerpräsident, Herr Teufel, hat, wie ich immer mehr lerne, ein sehr selektives Gedächtnis. Ein sehr selektives Gedächtnis! Ich will Sie da ausdrücklich warnen. Ich kenne die Recherchen des Kollegen Salomon nicht, aber er hat Ihnen vorhin einen Vorhalt über eine Äußerung Ihres Wissenschaftsministers im Ausschuss über Ihre Erkenntnisse bei der CeBIT gemacht. Bemühen Sie sich schnell, es aufzuklären. Ich sage das nach den Erfahrungen mit ihm im Untersuchungsausschuss zum Thema Bauernverbände. Ich weise Sie zart darauf hin, dass Ihr selektives Gedächtnis und der daraus resultierende gefährliche Umgang mit der Wahrheit für Sie sehr verhängnisvoll werden könnten. Ich sage Ihnen das ausdrücklich.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Herr Ministerpräsident Teufel, Sie hatten 1999 4 200 und 1995 2 500 Studienanfängerplätze in Baden-Württemberg im Fach Informatik. Wir entnehmen einer Mitteilung des zuständigen Ministers in Niedersachsen, dass dort die Zahl der entsprechenden Plätze im Jahr 1999 6 400 betragen hat.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Vielleicht sollten Sie das auch einmal nachprüfen, bevor Sie hier eine so große Lippe riskieren. Sie haben ja gelegentlich schon schwierige Erfahrungen mit Ländervergleichen gemacht. Sollte sich bei Ihren Recherchen am Ende herausstellen, dass es in Niedersachsen mehr Plätze gibt als hier, haben Sie ein Problem, nachdem Sie hier so großmäulig aufgetreten sind – nur damit das klar ist.

(Abg. Döpper CDU: Oh!)

Neulich habe ich Ihren verehrten Kollegen Koch bei Frau Christiansen gehört. Er hat für sich in Anspruch genommen, dass er in Hessen bald ein Drittel aller Plätze in Deutschland zur Verfügung stelle. Ihr müsst euch bei den Schwarzen langsam einigen, damit ihr beim Zusammenzählen nicht über 200 % kommt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zur Situation im Land, Herr Ministerpräsident, zu Ihrem selektiven Gedächtnis. Realität ist – das habe ich Ihnen

hier schon einmal vorgehalten –, dass Sie bereits vor einigen Jahren in diesem Haus einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf eine Bundesratsinitiative für ein Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung abgelehnt haben. Das ist in Ihrem selektiven Gedächtnis untergegangen.

Realität in Baden-Württemberg ist – ich sage es Ihnen noch einmal –, dass Sie mehrfach Anträge von uns, durch Einrichtung zusätzlicher Berufskollegs die Möglichkeiten in den informationstechnologischen Berufen auszuweiten, abgelehnt haben. Ihre Kultusministerin hat dies mit der Begründung getan, sie habe sowieso schon keine Lehrer für den Normalunterricht – was leider der Wahrheit entspricht – und könne sich deshalb so etwas nicht leisten. Das ist die Realität in Baden-Württemberg.

Realität in Baden-Württemberg ist, Herr Kollege Teufel, dass Sie im Moment eine so genannte Oberstufenreform machen, bei der Sie den Kurs Informatik beseitigen, weil Sie ja zum Klassenverband zurückkehren.

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Das hat doch da- mit nichts zu tun!)

Das hat damit nichts zu tun? Ich kriege mich nicht mehr ein. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man den Zugang zu IT-Berufen erst an der Hochschule erwirbt.

(Abg. Dr. Birk CDU: Aber das ist wirklich kein Problem des Klassenverbandes!)

Sie fahren die schulischen Qualifikationen in diesem Bereich in Baden-Württemberg planmäßig nach unten

(Abg. Seimetz CDU: Das stimmt doch nicht!)

und riskieren hier eine große Lippe zum Thema Universitätsausbildung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Das darf doch nicht wahr sein.

(Abg. Seimetz CDU: Das ist so falsch, wie es arro- gant ist!)

Wenn Ihnen das nicht passt, kommen Sie hier heraus und erklären Sie, dass Sie Ihre Oberstufenreform erneut ändern und das Fach Informatik einführen. Das können Sie gleich erklären. Aber reißen Sie, nachdem Sie etwas ganz anderes machen, hier nicht den Mund auf.

(Abg. Dr. Birk CDU: Informatik ist doch gar nicht abgeschafft!)

Sie können nicht die schulischen Qualifikationen in diesem Land herunterfahren, den Berufsschulunterricht herunterfahren, eine Oberstufenreform machen, bei der Sie in Wirklichkeit nur Personal sparen wollen und eben nichts tun, und dann derartige Reden halten, wie es Herr Teufel hier getan hat. Das können Sie nicht bringen, das kann nicht sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Woher stammen denn – das gehört auch zur Realität, über die man reden muss – die von Ihnen genannten Arbeitslosen mit Informatikausbildung?

(Abg. Deuschle REP: Ja, woher wohl?)

Sie stammen daher, dass auch die baden-württembergische Computerindustrie in den Neunzigerjahren riesige Frühpensionierungsaktionen veranstaltet hat, weil sie die Leute nicht beschäftigen konnte. Wer sagt denn, Herr Ministerpräsident, dass es die alleinige Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit sei, solche Menschen zu qualifizieren und wieder einzustellen? Das ist Ihre selbstverständliche Aufgabe als Weiterbildungsträger ganz genauso wie die von jedem anderen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Sie reden an der baden-württembergischen Wirklichkeit vorbei. Wenn ich Ihnen zuhöre, könnte ich meinen, unsere Hochschulen würden von Abgängern überquellen, und deswegen müssten die baden-württembergischen Betriebe die geringsten Probleme haben, lieber Kollege. Aber gerade aus der baden-württembergischen IT-Industrie höre ich die größten Klagen darüber, dass man nicht genügend Leute bekomme. Wie passt das zueinander?

Sie könnten dann eine stolze Bilanz vorlegen, wenn Sie mitteilen könnten: Wir bilden in Baden-Württemberg genau so viele Leute aus, wie die baden-württembergische Industrie benötigt. Das wäre eine stolze Bilanz. Davon ist aber keine Rede. Wir sind Gott sei Dank ein absoluter Schwerpunkt dieser Industrie, und dazu müssen Sie Ihre Anstrengungen im Bildungsbereich in Relation setzen, doch nicht zu Mecklenburg-Vorpommern in Ihrem Ländervergleich. Da genügen wir dem halt nicht.

Ich mache daraus Herrn Trotha keinen großen Vorwurf. Wer ehrlich mit dem Thema umgeht und nicht scheinheilig wie Sie, der muss zugeben, dass Mitte der Neunzigerjahre alle die Situation falsch eingeschätzt haben. Die Wirtschaft selbst hat sie falsch eingeschätzt, sie hat auch falsche Politikberatung gemacht. Die Wirtschaft selbst hat damals falsche Politikberatung gemacht. Das haben dann andere nachgemacht. Wenn Sie Ihrem Erinnerungsvermögen nachgeholfen haben, werden Sie vielleicht feststellen, dass auch Sie falsch beraten worden sind und von Ihrem CeBITBesuch falsche Erkenntnisse mitgenommen haben. Vielleicht stellen Sie beim Lesen von Protokollen noch fest, dass es so gewesen sein könnte. Das ist die Realität.

Deswegen geht es heute doch nicht darum, hier solche Scheindebatten zu führen. Heute geht es vielmehr um die Frage, wie man ein Problem, das durch Versagen auch der Wirtschaft und der Politik eingetreten ist, am vernünftigsten pragmatisch löst. Das ist unsere Aufgabe.

Der Bundeskanzler hat Recht, wenn er sagt: „Wir haben jetzt ein Problem. Das muss kurzfristig gelöst werden. Deswegen müssen wir ausländische Spezialisten anwerben.“

(Abg. Dr. Birk CDU: Er schafft das doch gar nicht!)

Herr Teufel hat hier eine Stunde lang schwadroniert. Nur: Zu der Frage, was er im Bundesrat tun wird, hat er nichts gesagt – damit das einmal klar ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Tour können wir natürlich nicht durchgehen lassen. Es geht nicht, dass Sie hier Wahlkampfreden aus dem „Roten Ochsen“ halten und zu der eigentlichen Frage nicht Stellung nehmen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Wo ist eigentlich Ihr „Roter Ochse“? Der kommt in allen Ihren Reden vor!)

Von mir aus können Sie auch den „Schwarzen Ochsen“ nehmen. Damit habe ich kein Problem.

Diese Art von Auftritten, die nur dazu dienen, sich darum herumzudrücken, in der Sache wirklich Farbe zu bekennen, habe ich allmählich dicke.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht angehen, dass ein Ministerpräsident nicht in der Lage ist, zu sagen, ob er für oder gegen die Greencard ist, und hier stattdessen eine Stunde herumredet.

(Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Es ist eben Realität: Sie waren voll auf dem Rüttgers-Trip. Sie haben gesagt, der Spruch „Kinder statt Inder“ sei eine tolle Nummer. Jetzt sind Sie vielleicht im Rückwärtsgang. Sie werden da geschoben, winden sich und halten hier wilde Reden für Ihre Fraktion. Sagen Sie doch endlich einmal, was Sie in der Sache selbst für richtig halten.

(Zuruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen)

Sind Sie für oder gegen die Greencard?