Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

(Lachen des Abg. Deuschle REP – Abg. Kluck FDP/DVP: Na, na, na! – Zuruf des Abg. Drautz FDP/DVP)

dürfte sich bis zu Ihnen rumgesprochen haben. Aber das ist auch gar nicht der Punkt.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Dass das Zusammenleben verschiedener Kulturen nicht immer vergnügungsteuerpflichtig ist, sondern Schwierigkeiten, Konflikte verursacht und sich eine offene Gesellschaft daran ausrichtet, wie man mit diesen Konflikten umgeht, müsste sich eigentlich herumgesprochen haben.

Jetzt möchte ich einen Zeugen zitieren, der insoweit unverdächtig ist, als er Ihr Parteibuch und nicht meines hat, nämlich meinen akademischen Lehrer Professor Dieter Oberndörfer aus Freiburg, der sich vor zwei Wochen in der „Badischen Zeitung“ in einem ganzseitigen Interview zu diesem Thema geäußert hat. Besser kann man nicht anführen, wie rückständig und hinter dem Mond das ist, was Sie hier erzählen. Wir haben seit Mitte der Neunzigerjahre überhaupt keine Nettozuwanderung nach Deutschland mehr, sondern einen negativen Saldo. Das ist das eine. Wenn man das demographisch für die nächsten 10 oder 20 Jahre fortführt, kommt man zum Ergebnis, dass wir dann nicht nur keine Fachkräfte mehr haben, sondern ein Arbeitskräftedefizit, das sich gewaschen hat; denn unsere Gesellschaft vergreist und veraltet. Das sagt Ihnen jeder Demograph. Die Frage der Jungen, wer später ihre Rente bezahlen soll, ist eben keine Scherzfrage, sondern eine ganz reale Frage. Da kann man zwar sagen, die Deutschen bekämen zu wenig Kinder. Mir steht nicht an, das zu kritisieren, und das steht auch niemandem von uns an. Aber zur Kenntnis zu nehmen haben wir schon, dass wir den Wirtschaftsstandort Deutschland ohne Zuwanderung auf Dauer zumachen können. Das ist keine ideologische Schwärmerei, sondern das sind schlicht Tatsachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Haas CDU: Was tut jetzt die Bundesregierung?)

Davor verschließen Sie die Augen, weil das ein Thema ist, das Ihnen unangenehm ist.

Ich kann nur noch einmal wiederholen: Globalisierung zum einen und ethnisches Reinheitsgebot zum anderen vertragen sich nicht. Wenn Sie den rechten Narrensaum von Schlierer und anderen einfangen wollen, kann ich nur sagen: An diesem Thema wird es nicht funktionieren, weil Ihnen die Wirtschaft dann nämlich nicht die Greencard, sondern die Redcard zeigt, und dann haben Sie verloren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des Abg. Bebber SPD)

Übrigens, und zwar nur in Klammern und am Rande: Mein akademischer Lehrer Dieter Oberndörfer, den ich erwähnt habe, hätte sich wahrscheinlich nicht sehr darüber gefreut, wie Sie mich hier gerade angemacht haben.

(Abg. Dr. Birk CDU: Na, na! Seien Sie nicht so beleidigt! – Abg. Haas CDU: Das haben Sie doch selber provoziert!)

Ich bin überhaupt nicht beleidigt und auch nicht, wie Herr Maurer gesagt hat, gedemütigt worden. Warum soll ich gedemütigt sein? Dafür gibt es gar keinen Grund.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Also, wer „ta- ta“ ruft! – Abg. Haas CDU: Sie haben doch provo- ziert!)

Ich will nur eines sagen: Ich würde nie auf die Idee kommen, die Qualität eines Politikers an seinem Bildungsabschluss festzumachen.

(Abg. Haasis CDU: Darum ging es doch nicht!)

Herr Haasis, das betrifft auch Sie; denn Sie haben da auch noch dazwischengequatscht. – Ich finde, Politik hat nichts mit Abitur oder Hochschulabschluss zu tun. Das ist gar keine Frage. Das habe ich Ihnen auch inzwischen mehrfach gesagt.

(Zuruf des Abg. Haas CDU)

Aber umgekehrt lasse ich mich auch nicht, nur weil ich einen sehr guten Hochschulabschluss samt Promotion gehabt habe, hier dumm anmachen, und sei es vom Ministerpräsidenten. Das lasse ich nicht zu. Das ist der Punkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Bebber SPD: Das ist richtig! – Abg. Haas CDU: Sie haben doch gesagt, dass er Real- schulabschluss hätte! Sie haben ihn doch ange- macht, nicht er Sie! – Weitere Zurufe von der CDU)

Jetzt komme ich zu dem eigentlichen Spagat, der in Ihren elf Punkten liegt, die Sie gestern vorgestellt haben. Dieses Papier ist in sich widersprüchlich. Sie können natürlich nicht sagen: „Wir wollen die Zuwanderung, und wir wollen sie begrenzen“, und hinterher sollen aber weniger Leute hereinkommen als vorher. Das heißt, die Ausländer, die

drin sind, müssen raus und andere rein, und insgesamt muss noch ein negativer Saldo bestehen. So funktioniert das nicht. Das ist ein Spagat, der tatsächlich im Schritt reißt.

(Abg. Haas CDU: Das hat doch kein Mensch ge- sagt!)

Das kriegen Sie argumentativ gar nicht durch.

Dann wird immer argumentiert: „Ja, wir machen da mit. Wir stimmen da zu.“ Erstens kennen wir das Papier noch nicht. Das kann man ja auch noch gar nicht kennen. Das ist ja noch gar nicht diskutiert worden. Aber gut, dieses Argument ist ja geschenkt. Sie kennen das Papier noch nicht. Es gibt noch keine Vorlage. Sie wissen noch nicht, ob Sie da mitmachen. Aber im Prinzip machen Sie da nur mit, sagen Sie, wenn vorher das Asylrecht geändert wird, das Sie eigentlich schon so geändert haben, dass das sowieso nicht mehr stattfindet.

(Lachen bei der CDU – Abg. Haasis CDU: Es gibt 100 000, und 3 % werden anerkannt! – Zuruf des Abg. Keitel CDU)

Ja. Herr Keitel, hören Sie doch zu. – Das Thema Zuwanderung – wenn Sie sich die Zahlen anschauen – hat mit Asyl schon lange nichts mehr zu tun.

(Abg. Haasis CDU: Ja, aber sie kommen mit dem Vorwand Asyl! Das ist das Thema!)

Die Tatsache, dass nur zwischen 4 % und 8 % anerkannt werden, wird immer so hingeschoben, als könne man alle anderen dann einfach morgen wieder abschieben. Da sage ich: Da täuschen Sie sich. Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt doch ganz eindeutig, dass die allermeisten Fälle

(Zurufe der Abg. Haas und Keitel CDU)

dieser restlichen Asylbewerber hier ein Bleiberecht haben, dass sie aufgrund der Tatsache, dass ihnen bei einer Abschiebung in ihrem Heimatland Gefahr für Leib und Leben droht, De-facto-Flüchtlinge sind. Das wissen Sie doch ganz genau.

(Abg. Herrmann CDU: Also die gar nicht herein- lassen!)

Von daher ist das eine Scheindebatte.

(Abg. Haas CDU: Scheinargument! – Weitere Zu- rufe von der CDU)

Ich sage noch eines und abschließend: Der Bundespräsident hat in seiner „Berliner Rede“ – ich glaube, dass es dieser Rede ähnlich gehen wird, wie es der Rede von Roman Herzog vor drei Jahren gegangen ist, nämlich dass es einige Wochen und Monate dauert, bis der richtige Gehalt der Rede erst einmal durchgesickert ist; ich bin aber überzeugt davon, dass er das tun wird – etwas Wichtiges gesagt, und damit hat er die Linie vorgegeben, wie Rot und Grün und auch Schwarz und Gelb damit umgehen sollten. Er hat nämlich einen schönen Satz gesagt:

(Abg. Haasis CDU: Nur einen?)

„Zuwanderung ist eigennützig.“ Ich habe begründet, warum. Wir brauchen Zuwanderung ökonomisch. Er hat gesagt: „Eine Einwanderungsregelung ist eigennützig, das Recht auf Asyl ist uneigennützig.“

Damit will ich es auch gut sein lassen, weil ich denke, dass es sich ein Land mit dieser Geschichte einfach nicht leisten kann, einen Asylparagraphen, den sowieso nur noch wenige in Anspruch nehmen können, einfach so mir nichts, dir nichts auf den Haufen der Geschichte zu werfen. Das wird so nicht funktionieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Abg. Deuschle REP: Wa- rum denn nicht?)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält Herr Abg. Dr. Schlierer das Wort.

(Abg. Wintruff SPD: Ist das erforderlich?)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einmal versuchen, die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten wie folgt zu kommentieren: Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“, Vermeiden klarer Aussagen, sich hinter der Verordnung verstecken, die noch nicht vorliegt, deren Eckdaten man aber kennt. Es wäre durchaus möglich gewesen, Herr Ministerpräsident, dass Sie sich hier klar und deutlich zu dem äußern, was bisher als Vorgaben für diese Verordnung in der Diskussion ist. Damit muss ich festhalten, dass Sie sich heute wiederum gedrückt haben, dass Sie alles weiter offen lassen, dass Sie offensichtlich nicht das Rückgrat haben, hier Ihren Umfall einzugestehen. Das ist Punkt 1.

(Beifall bei den Republikanern)

Punkt 2: Sie haben über die CeBIT 1996 gesprochen. Da müssen Sie sich natürlich fragen lassen: Wer war denn damals in der Bundesregierung? Wer war da Forschungsminister? Wer waren denn diejenigen, die damals die Verantwortung getragen haben, wenn Sie heute die Verantwortung in Berlin sehen?

Im Übrigen will ich nur dazusagen: Es ist in der Tat so, dass es bei der Entwicklung des Bedarfs und des manchmal auch vorhandenen Überangebots in bestimmten Fächern Dinge gab, die nicht absehbar waren, und dass es auf der anderen Seite Entwicklungen gibt, die wir kennen.

Damit bin ich beim nächsten Punkt. Sie haben vorhin von den Ingenieuren gesprochen. Offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass es sich bei den Ingenieuren um ein ganz anderes Problem handelt als im Bereich der IT-Fachleute. Diese zwei Dinge dürfen Sie sachlich nicht miteinander vermengen. Ich will Ihnen das ganz kurz begründen. Die Zahl der arbeitslosen Ingenieure folgt nach den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit ziemlich genau den zyklischen Konjunkturschwankungen. Das heißt, wir hatten schon immer Phasen mit einem Überangebot und darauf folgend Phasen, in denen Ingenieure gesucht wurden.

Wir haben heute nur ein Grundproblem, nämlich dass naturwissenschaftliche Fächer nicht die notwendige Attraktivität haben und dass sich heute zu wenige Schulabgänger

für ingenieurwissenschaftliche Studiengänge interessieren. Das ist das Problem, bei dem man etwas machen müsste. Dazu habe ich von Ihnen, Herr Ministerpräsident, nichts gehört.

Im Übrigen ist es bei den IT-Fachleuten tatsächlich so gewesen, dass der generelle Bedarf zwar schon früh erkannt wurde. Ich darf daran erinnern, dass die von Ihnen eingesetzte „Zukunftskommission Wirtschaft 2000“ bereits im Jahr 1992 den grundsätzlichen Bedarf an Softwarespezialisten festgestellt hat. Aber wir haben in der Tat bereits bei den letzten Debatten zu diesem Thema festgestellt, dass die Entwicklung, die wir heute haben, zumindest quantitativ nicht voraussehbar war.

Eines, Herr Ministerpräsident, haben Sie auch noch vergessen, deutlich zu machen: Wir haben zum einen sicherlich einen Bedarf. Aber diesem Bedarf steht nach wie vor eine hohe Zahl arbeitsloser IT-Leute gegenüber. Es gab Mitte der Neunzigerjahre tatsächlich eine Abholzungsaktion, bei der viele Unternehmen ihre qualifizierten Leute auf die Straße gesetzt haben. Jetzt stelle ich einmal folgende Frage

(Abg. Haasis CDU und Ministerpräsident Teufel unterhalten sich. – Abg. Deuschle REP: Hören Sie doch mal zu!)

Herr Teufel, falls Sie mir eventuell einmal kurz zuhören wollen –: Die Unternehmen haben diese Leute damals auf die Straße gesetzt. Dieselben Unternehmen kommen jetzt und sagen, sie brauchten dringend Kräfte. Wäre es jetzt nicht eine Frage der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung, die man auch einmal den Unternehmen deutlich machen müsste, festzustellen, dass es nicht angehen kann, aus reinen Kostengründen zu sagen: „Mein Verhalten vor vier oder fünf Jahren interessiert mich überhaupt nicht mehr. Die Leute haben wir rausgesetzt; wo die bleiben, interessiert uns nicht.