Protokoll der Sitzung vom 27.07.2000

Das wissen wir heute aus vielen Schulen, an denen dies gemacht wird. Aber für Sie ist Schule nach wie vor nur ein Ort der Wissensvermittlung.

(Abg. Haas CDU: Sozialismus pur!)

Übrigens: Der Einstieg über die Grundschule in andere Schularten wäre auch der Schlüssel für eine für alle vernünftige Verkürzung der Schulzeiten. Dann müssen wir aber auch die Schulstruktur verändern, nicht nur in der Grundschule, sondern über die Grundschule hinaus auch in den anderen Schularten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Haas CDU: Die Familienstruktur muss geändert werden!)

Deshalb, glaube ich, ist es ganz entscheidend, dass wir über die Frage der Lehrerstellen hinaus noch viel stärker die pädagogische Seite in der Diskussion berücksichtigen; denn ich glaube, wir vertun im Augenblick Chancen, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen eine Stabilisierung im Interesse der Kinder in unserer Gesellschaft einzuleiten.

Lassen Sie mich noch eine letzte, kurze Bemerkung zum Thema Lehrerfeuerwehr machen, weil Sie das angesprochen haben. Ich habe eines nie begriffen:

(Abg. Haas CDU: Vieles haben Sie nicht begrif- fen! – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist Ihr Problem! – Abg. Capezzuto SPD: Oh, der Haas ist wieder da!)

Sie stellen Mittel zur Verfügung, stellen, wie Sie gesagt haben, damit dann Halbtagskräfte ein, bilden sozusagen eine Reserve außerhalb der Schule und setzen diese dann von außen jeweils an der Schule ein, wo Bedarf besteht.

(Zuruf des Abg. Haas CDU)

Ich komme noch einmal auf unsere alte Vorstellung zurück. Unserer Ansicht nach würde es auch den Durchschnitt im Altersbereich erheblich senken und

(Abg. Moser SPD: Von 63 auf 62,5!)

zu mehr Lehrern an der Schule beitragen, wenn wir die Berufsanfänger als Zweidrittellehrer einstellen würden. Dafür müssen wir dann auch die rechtlichen Grundlagen ändern; aber dies ist möglich. Dann hätten Sie an der Schule automatisch Ihre Lehrerreserve, indem Sie nämlich einem Lehrer, der zu einem Drittel nicht beschäftigt ist, dann, wenn ein Bedarf an seiner Schule besteht, eine Erhöhung seines Deputats gegen Überstundenvergütung anbieten könnten. Sie hätten dann vor allem folgenden Vorteil: Sie hätten einen Lehrer in der Lehrerreserve, der die Schule, vielleicht sogar die Klasse kennt und daher überhaupt nicht erst die Schwierigkeit des Einsatzes von außen in der Schule hat. Das wären pragmatische Ansätze, über die man nachdenken sollte.

(Abg. Haas CDU: Wie viele Schulen haben wir denn? 2 500 Grundschulen haben wir, Herr Brechtken!)

Sie sollten nicht ständig stop and go mit Mitteln von außen Leute einsetzen, sondern in der Schule sozusagen immanent eine entsprechende Reserve bilden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Haas CDU: 2 500 Grundschulen haben wir! Da müssen Sie 2 500 Nebenlehrer einstellen!)

Letzte Bemerkung: Herr Kollege Scheffold, Sie haben am Ende Ihrer Rede gesagt, wie gut, wie positiv doch alles sei.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Natürlich! Für die Bürgerinnen und Bürger ist das gut!)

Natürlich – das sage ich Ihnen ganz offen – leben wir alle gern in diesem Land. Aber das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Nutzen Sie mit Ihrer Mehrheit die Chancen, die wir haben, oder nutzen Sie sie nicht? Unserer Ansicht nach werden die Chancen in diesem Land nicht genutzt, und deshalb brauchen wir eine politische Veränderung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Lachen bei der CDU – Zurufe von der SPD: Jawohl! – Abg. Haas CDU: Mein lieber Mann!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. ErdrichSommer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Vorfeld habe ich mit meinem Kollegen Moser über den Haushalt gesprochen. Er hat mir eine kleine Geschichte erzählt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, denn sie passt sehr gut.

Das Finanzministerium stellt einen Haushaltsexperten ein, und in Vorstellungsgesprächen wird folgende Frage gestellt: Wie viel sind 1,57 Milliarden DM plus 300 Millionen DM? Die Mehrheit der Bewerber sagt: 1,87 Milliarden DM; das ist doch klar. Doch die fallen alle durch. Nur der, der die richtige Antwort gibt – die für das Finanzministerium richtige Antwort! –, wird eingestellt, nämlich der, der auf diese Frage sagt: „Ja wie hätten Sie’s denn gern?“

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/Die Grü- nen und bei der SPD)

Ich glaube, der Herr – das kann nur ein Herr sein –

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/Die Grü- nen und bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Das war jetzt gemein!)

hat an diesem Haushalt heftig mitgedreht. Denn wenn Sie sich dieses Zahlenmaterial anschauen, dann stellen Sie fest, dass es nicht auf so sicheren Beinen steht, wie es für einen ordentlichen Haushalt eigentlich notwendig wäre.

Der Einnahmebereich ist aufgrund der Mai-Steuerschätzung mit 495 Millionen DM absolut in Ordnung. Damit bin ich sehr einverstanden. Hinzu kommen aber zusätzliche Mehreinnahmen von immerhin 465 Millionen DM, und zwar geschätzt. Das ist ein Verfahren, das in diesem Parlament bisher nicht üblich war, weil es die notwendige Vorsicht vermissen lässt.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das ist wie die gefühlte Temperatur!)

Die Zahlen wurden auch im Finanzausschuss nicht belegt. Es wurde nur auf die allgemeine Entwicklung hingewiesen.

Auf der Ausgabenseite bzw. bei den Steuermindereinnahmen ist es noch schlimmer: 1,87 Milliarden DM aufgrund der Steuerreform. Das BMF gibt aber andere Zahlen vor. Es geht mit 2,8 Milliarden DM weit über diese Zahlen hinaus.

Die Erklärungen im Finanzausschuss waren meines Erachtens nicht schlüssig und auch nicht nachvollziehbar. Trotz Hinweis auf den kommunalen Finanzausgleich und kommunale Anteile bleibt nach meiner Rechnung eine Differenz von über 400 Millionen DM, die zusätzlich gedeckt werden muss.

Ich weiß, dass der Herr Finanzminister darauf sagen wird, das seien die Korrekturen im Länderfinanzausgleich und – wenn das nicht reicht – die Korrekturen, die wir aufgrund von Selbstfinanzierungseffekten erwarten könnten.

Aber, meine Damen und Herren, erstaunlich ist doch, dass mit diesen geschätzten Mehreinnahmen und den vorgelegten Steuermindereinnahmen genau das gewünschte Ergebnis erzielt wird, nämlich null für null, wenn es das CDUModell ist, und 350 Millionen DM weniger, wenn es das Eichel-Modell ist.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Da müssen wir doch überlegen, wie das zustande kommt.

(Abg. Brechtken SPD: Nach dem Motto „Wie hät- ten Sie’s denn gern?“! – Gegenruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Nein, „Wie es euch beliebt“ heißt es!)

Herr Finanzminister, das haben Sie einfach sauber hingerechnet. Das muss der Neid Ihnen lassen. Aber der Praxistest wird beweisen, ob diese Rechnung auch stimmt.

Die bisherige Vereinbarung, Einnahmen vorsichtig konservativ zu bewerten – was der CDU ja gut ansteht –, haben Sie aufgegeben. Bisher waren die Zahlen möglichst gerechnet und nicht gegriffen. Wir haben nur nach unten und nicht nach oben korrigiert. Diesen Pfad haben Sie verlassen, und mir scheint, Sie denken weniger an seriöse Zahlen als an konservative Wahlen, Herr Finanzminister.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung zeigt aber, dass seriöse Finanzpolitik dringend geboten ist. Denn wenn wir mal in das Jahr 2002 schauen, dann sehen wir, dass im Jahr 2002 die Mär von der Verringerung der Nettoneuverschuldung, die Sie ja in Ihrer Eingangsrede zum Haushalt sehr gepflegt haben, allerdings hoch problematisch wird. Dort haben wir eine Nettoneuverschuldung von 1,5 bis 2,3 Milliarden DM in der Spreizung, aber zusätzlich noch eine Deckungslücke von 1,4 Milliarden DM. Diese Summe muss eingespart werden. Ich sehe derzeit weder eine Diskussion darüber, wie die Einsparungen erfolgen sollen, noch sehe ich in diesem Nachtragshaushalt Ansätze dafür, wie dies im Jahr 2002 begonnen werden kann. Das Sparziel will aber erfüllt sein, meine Damen und Herren, denn sonst gehen wir in eine noch höhere Verschuldung, als schon bisher an

visiert ist, hinein. Die Nullverschuldung ist angesichts dieser Tatsachen eine Begleitmusik, die vor der Wahl einlullt und für die Zeit nach der Wahl ein böses Erwachen befürchten lässt.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So siehts aus!)

Welche Probleme werden aber dann mit diesem Haushalt angegangen? Die Hilfen zur Beseitigung der Schäden durch den Orkan Lothar gehen in Ordnung. Richtig ist, dass für die Beseitigung der Schäden im Staatswald eine große Summe bereitgestellt wird und dass auch für den Privatwald vorgesorgt wird. Die Schäden müssen rasch beseitigt werden.

Der zweite Punkt, der angegangen wird, ist der Versorgungsnotstand an den Schulen des Landes. Auch das geht in Ordnung. Nur wie Sie das machen, das geht nicht in Ordnung. Denn trotz der Lehrerstellen, die Sie schon im Urhaushalt unter dem Druck von Opposition und Öffentlichkeit zusätzlich schaffen mussten und die Sie vorgezogen haben, sieht es in den Schulen vor Ort katastrophal aus. Die Unterrichtsversorgung ist schlechter denn je. Bei den Grund-, Haupt- und Realschulen sind 160 Klassen mehr zu versorgen. Obwohl in einem Maße aufgefüllt und zusammengelegt wird, wie es pädagogisch in keiner Weise mehr verantwortbar ist, fehlen 250 Deputate, um die Unterrichtsversorgung nur so aufrechterhalten zu können, wie sie in den letzten Jahren aufrechterhalten wurde – und das war schon schlimm genug.

Da hilft auch die verstärkte Krankheitsreserve nichts mehr. Denn wenn ich in der Grundversorgung an der Schule schon nicht genügend Lehrer habe, wie soll ich denn dann überhaupt noch in irgendeiner Weise vernünftig Unterricht zustande bringen? Dabei herrscht bei den Schülerinnen und Schülern an den Grund- und Hauptschulen die größte Leistungsdifferenziertheit. Dort muss ich fördern und fordern, und zwar in einer ganz großen Bandbreite. Aber angesichts der Situation werden die Förderstunden gestrichen. Die ganz wichtige Förderung bei Lese-Rechtschreib-Schwäche muss in vielen Schulen ausfallen. Das halte ich für außerordentlich problematisch;

(Abg. Moser SPD: Skandalös!)

denn wenn Kinder da nicht rechtzeitig gefördert werden, zerstört das wirklich ihre zukünftigen Bildungschancen.

(Zuruf des Abg. Moser SPD)

Die sozialpädagogische Betreuung in Schulen in sozialen Brennpunkten fällt weg. Meine Damen und Herren, wer die Verhältnisse an den Brennpunktschulen kennt, dem muss doch klar sein, dass dort Sozialstunden benötigt werden,

(Die Rednerin hustet. – Abg. Moser SPD: Bringen Sie einmal ein Glas Wasser! – Abg. Brechtken SPD: Ein Wasser für die Kollegin! – Abg. Klein- mann FDP/DVP: Herr Moll, ein Glas Wasser! – Abg. Bloemecke CDU: Das gibt es nicht mehr! – Abg. Nagel SPD: Wasser marsch!)

um eine richtige Korrektur schaffen zu können.