Protokoll der Sitzung vom 04.10.2000

Zweifelsohne haben sich noch nicht alle an die neuen Regeln gewöhnt,

(Abg. Hehn CDU: Das ist klar!)

und zweifelsohne hat die Rechtschreibreform auch noch nicht alle Kuriositäten der alten Regelung beseitigen können, ja sogar andere Ungereimtheiten geschaffen.

Trotzdem, meine Kollegen von den Republikanern, finde ich es sehr befremdlich, wenn Sie argumentieren, dass die Rechtschreibreform große Unsicherheit geschaffen habe. Sie selbst tragen mit Ihrer Initiative doch maßgeblich zu dieser Unsicherheit bei.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Wer die Abschaffung oder Aussetzung der Rechtschreibreform jetzt fordert, nachdem die neuen Regeln zwei Jahre in der Schule erfolgreich gelehrt und in der Verwaltung umgesetzt werden, der nimmt billigend Irritationen und weitere Unsicherheiten in Kauf.

Damit nicht genug: Würde Ihr Antrag eine Mehrheit hier im Haus finden, würde dies heißen, dass Baden-Württemberg zukünftig nach der alten Rechtschreibung schreiben würde, das restliche Bundesgebiet jedoch nach den neuen Regeln. Dies kann wohl kaum ernsthafter politischer Wille sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Würden Sie, meine Damen und Herren von den Republikanern, Ihren eigenen Antrag konsequent zu Ende denken, würden Sie feststellen, dass Sie den Bock zum Gärtner machen wollen. Denn „zu Ende gedacht“ heißt nichts anderes, als dass Sie mit Ihrem Antrag das Ende aller Verbindlichkeiten festschreiben wollen. Oder umgekehrt: Das Chaos, das Sie beklagen, schaffen Sie erst.

In Ihrer Antragsbegründung steht aber noch etwas anderes Bemerkenswertes. Sie schreiben nämlich, eine Rechtschreibreform könne nicht über den Verordnungsweg eingeführt werden. Da frage ich mich aber schon, ob Ihnen im Sommerloch entgangen ist, dass die alte Rechtschreibung, auf die Sie sich berufen – auch als Autorität, wie der Duden –, ebenfalls über den Verordnungsweg eingeführt wurde.

Sie schreiben weiter, die Rechtschreibung könne deswegen nicht über den Verordnungsweg eingeführt werden, weil nicht sichergestellt werden könne, dass alle Schreibenden in unserem Land die gleichen Regeln anwendeten. Da frage ich mich schon: Welches Rechtsverständnis herrscht in Ihrer Fraktion vor?

(Beifall des Abg. Rech CDU)

Es ist doch ganz klar: Eine über den Verordnungsweg festgeschriebene Rechtschreibung kann nur innerhalb der Schulen und der öffentlichen Verwaltung verbindlich sein.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Darüber hinaus entfaltet sie natürlich eine Vorbildfunktion. Aber wer jedem freien Bürger rechtsverbindlich vorschreiben will, wie er zu schreiben hat, offenbart ein mir völlig fremdes Rechtsverständnis.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, Ihre Argumentation ist nicht nur schwach, sie ist brüchig, sie ist nicht logisch. Das kann sie auch gar nicht sein. Denn Ihnen geht es im Grunde genommen gar nicht um eine Rechtschreibreform. Ihnen geht es nicht um eine Reform, die unsere Kinder in die Lage versetzt, leichter deutsch schreiben zu lernen. Denn wenn es Ihnen darum ginge, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Elternschaft für diese Diskussion gar kein Verständnis aufbringt, und zwar deshalb, weil sie weiß, dass ihre Kinder seit zwei Jahren erfolgreich und ohne Probleme nach den neuen Regeln schreiben lernen.

(Abg. König REP: „Ohne Probleme“, das stimmt doch gar nicht!)

Sie können ja nachfragen, wenn Sie in Schulen gehen. Sprechen Sie einmal mit Lehrern. Sie bestätigen das Gleiche.

(Abg. König REP: Ich bin selber Lehrer!)

Selbst jene, die der Rechtschreibreform gegenüber kritisch eingestellt waren oder es noch sind, bestätigen auf Nachfrage, dass nach den neuen Regeln nicht mehr Fehler gemacht werden als vorher. Auch dass man nicht zwingend zur alten Rechtschreibung zurückkehren muss, ist ein Argument.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, die Initiative der Republikaner entspringt entgegen ihrer Behauptung nicht der Sorge um die deutsche Rechtschreibung. Sie entspringt lediglich der Hoffnung auf ein bisschen politische Anerkennung.

(Beifall des Abg. Rech CDU)

Meinetwegen, die sollen Sie haben, aber bitte nicht auf dem Rücken unserer Kinder.

(Beifall bei der CDU – Abg. Rech CDU: Mal ei- ner, der das klar sagt!)

Für uns in der CDU ist auf jeden Fall klar, dass wir nicht nach dem Motto der Republikaner Politik betreiben: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Wir pflegen Politik mit Weitsicht zu betreiben. Dazu gehört auch, dass wir eine Reform, der Kultusministerkonferenz und Bundesregierung gemeinsam zugestimmt haben, nicht bei erster Gelegenheit über Bord werfen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Anmerkung zu einer Sorge, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, wonach die neue Regelung Wortbedeutungen aus unserem Sprachschatz tilgen würde. Da kann ich Sie beruhigen: Ein Blick ins Regelwerk hilft.

Die Bedeutung eines Wortes hängt nicht am Wort allein, sondern lebt vom Sprachgebrauch. Ein Beispiel: „Jemandem einen Korb geben“ kann ganz konkret oder auch in übertragenem Sinn gemeint sein. In diesem übertragenen Sinn geben wir Ihrem Antrag und Ihrem Ansinnen einen Korb – zum Wohle der Einheitlichkeit der Rechtschreibung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP sowie des Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Rech CDU: Unsere Antwort auf Capezzuto!)

Das Wort erhält Frau Abg. Rudolf.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Uns liegt im Oktober 2000 der Antrag vor, die Rechtschreibreform, die schon 1996 als Verordnung eingeführt und umgesetzt worden ist, wieder rückgängig zu machen. Das ist meines Erachtens ein Ansinnen, das wirklich von vorgestern ist. Wenn wir uns erinnern, welchen Weg diese Rechtschreibreform genommen hat, welcher breite Konsens vorgeschaltet wurde, um gemeinsam diese wenigen kleinen Schritte zur Vereinfachung der deutschen Schriftsprache zu erzielen, müssen wir feststellen, dass das Ansinnen, dieses Wenige, was wir erreicht haben, zurückzunehmen, von vorgestern ist.

Darüber hinaus – Herr Ommeln hat es bereits ausgeführt, deshalb möchte ich es nur kurz antippen – ist die Rechtschreibreform in den Schulen vollzogen. Wenn hier das Argument angeführt wird, wir würden mit dieser Rechtschreibreform für Verwirrung sorgen, dann ist gerade das vorgetragene Ansinnen der größte Meilenstein zur Verwirrung.

Wenn man die Umfrage, die Sie ebenfalls zitiert haben, Herr König, genau liest, sieht man, dass ein Generationsproblem vorliegt. Mehr als die Hälfte der jüngeren Menschen bis zum Alter von 29 Jahren sind bereit, die neue Rechtschreibung zu benutzen oder in absehbarer Zeit anzuwenden. Es ist verständlich, dass Menschen, die in ihrer Schulzeit nicht mit der reformierten Rechtschreibung konfrontiert waren und jetzt keine Nachschulung erhalten haben, sich mit den vorgenommenen Umstellungen etwas schwer tun.

Aber Sprache ist etwas Lebendiges, deshalb wird sich die Reform in weiten Teilen durchsetzen. Darauf hoffen wir in der Fraktion und weisen deswegen dieses Ansinnen von vorgestern zurück.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Weil wir bekanntlich nicht so schreiben wie wir sprechen, ist Rechtschreibung eine schwierige Angelegenheit, besonders die deutsche. Deshalb ändert man die Rechtschreibregeln nur selten; das letzte Mal geschah dies vor 100 Jahren.

Auch die neue Rechtschreibreform ist deshalb sehr vorsichtig angegangen worden. Man schreckte vor einer großen Rechtschreibreform mit radikalen Vereinfachungen zurück. Das Ganze geschah in einem sehr aufwendigen Verfahren. Es gelten Übergangsfristen bis zum Jahr 2005. Bis zum Jahr 2002 sollen die Ungereimtheiten, die sich bei einem so komplexen Regelwerk immer ergeben, gesammelt, besprochen und endgültig geklärt werden. Wir haben also ein ganz klares Verfahren.

90 oder 95 % der Bevölkerung haben die Rechtschreibung anders gelernt und schreiben seit Jahrzehnten anders. Es ist logisch, dass diese Menschen erst einmal gegen die Reform

eingestellt sind. Das kann niemanden besonders erstaunen und ist eigentlich zu erwarten.

Trotzdem hat sich die neue Rechtschreibung, soweit die Erfahrungen mit ihrer Einführung bereits reichen, in der Praxis durchaus bewährt. Es wäre völlig unsinnig, ein so schwieriges Regelwerk, dessen Ausarbeitung so lange gedauert hat und an dem so viele beteiligt waren,

(Abg. Deuschle REP: Und auch Geld verdient ha- ben!)

beim ersten Gegenwind wieder umzustoßen und etwas Neues daraus zu machen. Damit erledigt man politische Prozesse. Es ist nämlich Sinn der Politik, verlässliche Regeln für einen absehbaren Zeitraum zu schaffen und sie nicht beim erstbesten Gegenwind wieder umzustoßen, auch wenn es allmählich vielleicht modern geworden ist, wie wir an der Debatte zur Ökosteuer sehen.

(Lachen bei der CDU und den Republikanern – Zuruf von der CDU: Eben! – Abg. Deuschle REP: Eigentor! – Abg. König REP: Ein gutes Beispiel!)

Natürlich beinhaltet Rechtschreibung immer eine gewisse Willkür, deswegen kann sich auch jeder genüsslich darüber auslassen. Aber schon bei der letzten Rechtschreibreform war es so: Wir schreiben heute „Tal“ und „Tag“ ohne h, aber „Thron“ mit h. Warum? Weil es dem damaligen Kaiser einfach nicht gepasst hat, dass sein Stuhl ohne h geschrieben wird. Deswegen schreiben wir auch nach der neuen Rechtschreibreform „Eltern“ nach wie vor mit e und nicht mit ä, damit man dieser Generation nicht pietätlos zu nahe tritt und ihr nicht nahe gebracht wird, dass „Eltern“ etwas mit „alt“ zu tun hat.

Deswegen handelt es sich, wie ich glaube, beim Antrag Drucksache 12/5414 um einen ganz unsinnigen Antrag, dem kein vernünftiger Politiker entsprechen kann.

(Abg. Deuschle REP: Nicht so hochmütig!)

Etwas ganz anderes ist es, sich für die Sprache der eigenen Gesellschaft einzusetzen. Da bestehen ganz andere Gefahren als die der Rechtschreibung. Unsere Sprache wird von einer Unmenge von Anglizismen durchsetzt.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Eben! Bravo!)

Zwar hat unsere Sprache schon immer Fremdwörter aufgenommen und in ihren Sprachkorpus eingebaut, aber gegenwärtig hat das ein solches Ausmaß und Tempo angenommen, dass die Fremdwörter oft Fremdkörper bleiben und gar nicht mehr in unsere Sprache integriert werden. Wer also etwas für unsere Sprache tun möchte, der muss es beim Sprechen und nicht bei der Rechtschreibung tun und der muss dafür sorgen, dass unsere Sprache lebendig und kräftig bleibt und dass wir endlich der Tatsache Widerstand entgegensetzen, dass alles, was insbesondere in der Werbung als besonders originell gelten will, mit irgendwelchen Anglizismen daherkommt,