Ich bin sicher, dass auf dieser Seite hier im Haus Gott sei Dank niemand ernsthaft in Erwägung zieht, so vorzugehen.
(Beifall bei der CDU, der FDP/DVP und Abgeord- neten des Bündnisses 90/Die Grünen – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)
Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in diesem Land ist gut, und das soll auch so bleiben. Ich glaube nicht, dass das Miteinander von Staat und Kirchen, die in diesem Land auch eine ganz wichtige Aufgabe gut erfüllen, dadurch ernsthaft beeinträchtigt wird, dass engagierte Christen ihr Gewissen über staatliches Recht stellen, und das nur in wenigen Fällen.
Es darf aber auch kein Zweifel daran aufkommen – das ist die andere Seite, die man durchaus auch erwähnen muss –, dass es im funktionierenden Rechtsstaat natürlich keinen Raum für ein außerhalb der Rechtsordnung angesiedeltes Kirchenasyl gibt.
Sie sagen es immer ein bisschen anders und ein bisschen schärfer: In die Kirchen hineinspringen und die Leute rausholen. Das sagen Sie. Das sehen wir wirklich ganz anders.
Im Übrigen sind die Kirchen ja selbst der Auffassung, dass es kein Recht auf Kirchenasyl gibt. Die katholische Kirche hat im Jahr 1983 das damals noch im Codex Juris Canonici geltende Kirchenasyl herausgestrichen, weil sie erkannt hatte, dass es für dieses Kirchenasyl einen Hintergrund gibt. Es gab eine Zeit, in der das Kirchenasyl eine hohe Bedeutung hatte. Da gab es Lynchjustiz, da wollte man vor Rache schützen, wollte man bei unzumutbaren Rechtsverfahren, wo es nicht wie heute einen Rechtsweg gab, schützen und musste das auch tun. Damals gab es noch Verstümmelungen, Leibesstrafen, Todesstrafe. Diese Zeiten – das kann wohl niemand bestreiten – haben sich geändert, und zwischenzeitlich hat sich da sehr viel getan.
Wir haben heute nicht nur eine funktionierende Rechtsordnung, sondern wir haben auch ein staatliches Asylrecht, das seinesgleichen in der Welt sucht.
Innerhalb der für alle geltenden Gesetze ist eben nur dieses staatliche Asylrecht verfassungsmäßig verankert und maßgebend. Deshalb ist Asyl keine Angelegenheit der Kirchen.
Unsere Verfassung achtet aber auch – und das ist mehrfach in der Verfassung niedergelegt –, dass es in diesem Land in hohem Maß Glaubens- und Gewissensentscheidungen gibt. Wenn sich nun Christen auf ihr Gewissen berufen und Kirchenasyl gewähren, kann das der Staat zwar nicht akzeptieren – denn Unrecht bleibt Unrecht –, aber wir können diese persönliche Haltung achten und müssen nicht gleich mit staatlichem Zwang antworten und Gewalt anwenden.
Im Übrigen tun sie natürlich etwas; sie wollen ja Zeit gewinnen, mit den staatlichen Behörden reden. Sie versuchen, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, und sie tun das, was zumindest manche Kollegen im Petitionsverfahren auch tun: Sie spielen auf Zeit. Ich denke, solche Überlegungen muss man durchaus mit einbeziehen.
Deshalb: Die Innenverwaltung geht den richtigen Weg. Sie versucht, in jedem einzelnen dieser Fälle zu einer Lösung zu kommen. Sie versucht, die Spielräume, die das Recht gibt, für das Gespräch anzubieten und zu konkreten Lösungen zu kommen und danach die rechtsstaatlich zustande gekommene Entscheidung zu vollziehen.
Deshalb meine Bitte: Lassen Sie die Kirche im Dorf, und stellen Sie nicht solche Forderungen auf, die einfach nicht in die Landschaft passen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr König von den Republikanern hat in seiner Rede durchweg davon gesprochen, dass wir es hier mit Rechtsbruch und mit Rechtsbrechern zu tun hätten.
(Abg. Deuschle REP: Sie haben nicht einmal zuge- hört, wer geredet hat! – Abg. Käs REP: Sie reden zum falschen Tagesordnungspunkt!)
Er hat so getan, als seien diejenigen, die für Kirchenasyl verantwortlich sind, allesamt Straftäter oder Verbrecher. Ich halte eine solche Art und Weise für widerwärtig – ich sage Ihnen dies ganz deutlich, Herr Käs –, wie Sie mit diesem Thema umgehen.
Pauschalierungen zu diesem Thema, meine Damen und Herren, sind völlig fehl am Platz. Jeder Einzelfall ist für sich daraufhin zu untersuchen, wie man der Wechselwirkung von staatlichem Rechtsgüterschutz einerseits und Kirchenfreiheit andererseits durch eine Güterabwägung Rechnung trägt.
Die Frage ist, ob das Kirchenasyl unter die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Artikels 4 des Grundgesetzes fällt. Diese Glaubens- und Gewissensfreiheit wird durch die Bekenntnisfreiheit und die Freiheit der Religionsausübung ergänzt. Diese Grundrechte gelten im Übrigen nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für juristische Personen, also auch für Kirchengemeinden.
Zur Glaubensfreiheit gehört, sein Handeln nach seinem Glauben und nach seiner Religion auszurichten. Die Kirchen haben nach ihrem eigenen Selbstverständnis die Pflicht zur fürsorglichen Behandlung Hilfsbedürftiger, sprich Caritas.
Wenn nun eine Kirchengemeinde oder ein dort Verantwortlicher nach sorgsamer Prüfung im Einzelfall zum Ergebnis kommt, dass sie bzw. er aus religiösen Gründen nach ihrer bzw. seiner inneren Überzeugung verpflichtet seien, Kirchenasyl zu gewähren, so fällt dies nach meinem Verständnis unter den Schutz des Artikels 4 des Grundgesetzes.
Es gibt hier, meine Damen und Herren, natürlich Grenzen. Die Verfassungsnorm, religiöses bzw. durch Gewissen motiviertes Handeln zu schützen, kann mit anderen Verfassungsnormen oder den mit Verfassungsrang ausgestatteten Gemeinschaftswerten kollidieren. Bei einer solchen Kollision ist wiederum eine Güterabwägung vorzunehmen. Es gibt hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, Band 32 Seite 98:
Der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot kann den Täter in eine seelische Bedrängnis bringen, dergegenüber die kriminelle Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, sich als übermäßige und daher seine Menschenwürde verletzende Reaktion darstellen würde.
Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass es in fast ausnahmslos allen Fällen in der Bundesrepublik – seit Mitte der Achtzigerjahre rund 3 000 Fälle von Kirchenasyl – so war, dass das Rechtsgut der Glaubens- und Gewis
sensfreiheit nach Prüfung jeweils im Einzelfall einen höherrangigen Anspruch genießt und dass all diejenigen, die dort Verantwortung getragen haben, es sich alles andere als leicht gemacht haben und nach einer sorgfältigen Abwägung zu dem Ergebnis gekommen sind, man müsse in bestimmten Fällen Kirchenasyl, sprich Hilfe, gewähren.
Jetzt wurde von Maßnahmen gegen Kirchen gesprochen, mit welchen Rechtsmitteln die Landesregierung bisher gegen die Verantwortlichen der Kirchen und gegen die Kirchen vorgegangen ist. Kollege Schmid hat es gesagt: Es ist schon erstaunlich, dass Sie verlangen, die Kirchen sollten quasi gestürmt werden, denn es ist wirklich so, dass Ihre Forderung anders nicht durchzusetzen wäre.
Meine Damen und Herren, der wesentliche Punkt ist für mich folgender: Die Kirchen erheben keinen Anspruch auf Gewährung eines Kirchenasyls. Es ist allgemein anerkannt, dass weder aus dem Grundgesetz noch aus anderen Rechtsvorschriften ein solches Recht hergeleitet werden kann. Auch die Kirchen selbst respektieren, dass nur der Staat Asyl gewähren kann. Nur wenn das Kirchenasyl jetzt inflationär gehandhabt würde, hätte es sein moralisches Kapital verspielt und wäre wohl auch in der Bevölkerung oder auch in der Politik kein Verständnis mehr dafür vorhanden. Aber gerade die geringe Anzahl der Kirchenasylfälle zeigt augenscheinlich, dass Kirchengemeinden und deren Verantwortliche offenbar sehr sensibel und sehr verantwortungsbewusst mit diesem Thema umgehen.
Gestatten Sie mir, dass ich aus der letzten Ausgabe von „Chrisma Plus“, dem evangelischen Magazin, zitiere. Dort steht:
Insgesamt suchten seit Mitte der Achtzigerjahre mehr als 3 000 Menschen Schutz im Kirchenasyl in der Bundesrepublik, und rund 70 % von ihnen erhielten mithilfe der Gemeinden doch noch ein vorübergehendes oder auch dauerhaftes Bleiberecht.
Das zeigt: Vielleicht oder wahrscheinlich haben diejenigen, die Kirchenasyl gewähren, so Unrecht doch nicht.
Meine Damen und Herren, solange sich die Kirchen und deren Verantwortliche nicht anmaßen, zu entscheiden, was Recht und Unrecht ist, sondern dies dem Staat überlassen, solange klar ist, dass die Kirchen keine rechtsfreien Räume schaffen wollen und es sich wirklich nur um eine geringe Anzahl von Fällen handelt, tut dieser Rechtsstaat gut daran, Toleranz zu üben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Käs, Sie haben wieder einmal mit der Maßlosigkeit in Ihrer Sprache und der Art, wie Sie hier argumentierten, gezeigt, dass Sie das
Wie leiteten Sie diese Debatte ein? Sie leiteten sie mit Rekurs auf die Historie ein und sagten: Früher im Mittelalter gab es mal Kirchenasyl, wo sich Ganoven verkrochen haben. Damit leiteten Sie die Diskussion ein und wollten suggerieren, wir hätten heute ähnliche Verhältnisse, wo sich irgendwelche Ganoven bei den Kirchen verkröchen.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Wil- helm REP)
Zweitens redeten Sie in diesem Zusammenhang, wo es darum geht, Menschen in großer Bedrängnis und Not beizustehen, davon, dass irgendwelche – wörtlich – selbst ernannten Moralapostel sich irgendetwas anmaßen.