Protokoll der Sitzung vom 26.10.2000

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Sie haben jetzt Ihre Redezeit um über drei Minuten überschritten. Ich habe Sie gewähren lassen, aber Sie sollten meine Geduld nicht überstrapazieren.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Koalition werden wir uns weiterhin intensiv für eine Verbesserung der Situation im beruflichen Schulwesen einsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Sie haben diese Große Anfrage mit Sicherheit ja nicht gestellt, um sich über das berufliche Schulwesen zu informieren, sondern um sich für das, was Sie in diesem Bereich tun, zu loben. Sie werden sicher verstehen, dass ich nun einige kritische Anmerkungen dazu machen werde, wobei ich hinzufügen muss – und das möchte ich am Anfang betonen –: In den letzten Jahren haben im Bereich des beruflichen Schulwesens durchaus überfällige Modernisierungen und Aktualisierungen stattgefunden. Dies möchte ich ausdrücklich begrüßen. Aber es gibt auch Defizite, und meine Aufgabe ist es, nun an einigen Punkten auf diese Defizite hinzuweisen.

Zunächst aber noch eine kleine Vorbemerkung: Aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU geht hervor, dass sie die Perspektiven für die Jugendlichen in Baden-Württemberg als gut betrachtet. Sie verweist darauf, dass nur 4,5 % der Jugendlichen arbeitslos sind. Das ist der zweitgeringste Wert bundesweit. Das ist sicher positiv, aber ich möchte einfach sagen: Jeder einzelne Jugendliche, der ohne Perspektive in die Arbeitslosigkeit geschickt wird, ist einer zu viel. Wir können und dürfen erst richtig zufrieden sein, wenn alle Jugendlichen in unserem Bundesland beruflich und sozial integriert werden können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nun zu den kritischen Punkten. Herr Wintruff hat bereits darauf hingewiesen, dass wir in der Tat einen hohen Lehrermangel in Baden-Württemberg im Bereich der Berufsschulen haben. An den beruflichen Schulen fehlen – das hat die Ministerin selbst zugegeben – 1 000 Deputate. Nun ist es nicht damit getan, immer wieder zu betonen, dass wir im Vergleich zu den anderen Bundesländern eine hohe Messlatte haben – wir haben 13 Wochenstunden Berufsschulunterricht, während die anderen weniger haben –, sondern wenn Sie die Messlatte so hoch legen, wenn Sie 13 Wochenstunden ansetzen, dann müssen Sie sich an Ihren eigenen Ansprüchen messen lassen und nicht an den Ansprüchen anderer Bundesländer.

(Zuruf von der SPD: Es werden doch gar keine 13 Stunden gegeben!)

Wir müssen deshalb große Anstrengungen unternehmen, damit dieser strukturelle Lehrermangel, insbesondere was die Spezialisten an den beruflichen Schulen anbelangt, abgebaut werden kann. Wir brauchen dazu zusätzliche Lehrerstellen in Baden-Württemberg. Wir brauchen aber auch ein Konzept zur Gewinnung der Spezialisten, zum Beispiel zur Gewinnung von Informatikern und Elektroingenieuren. Dazu gehört vor allem, dass diese Spezialisten mit Lehraufträgen einige Stunden an den beruflichen Schulen unterrichten, denn wir werden bei der derzeitigen Konkurrenzsituation mit der Wirtschaft sicher nicht genügend Vollzeitlehrkräfte an die Schule bekommen.

Zweitens zur Multimediaausstattung der beruflichen Schulen: Hier besteht ein erheblicher Nachholbedarf. Die Schulen klagen darüber, dass sie die moderne Ausstattung, die sie brauchen, nicht haben. Sie müssen die gleiche Ausstattung wie die Betriebe haben, damit die Schüler und Schülerinnen nicht im Berufsschulunterricht demotiviert werden. Deshalb fordern wir Grünen eine Multimediaoffensive von 1 Milliarde DM.

(Abg. Hauk CDU: Ja, wollen Sie denn auch eine Zukunftsoffensive haben?)

Egal, ob Zukunftsoffensive, Multimediaoffensive: 1 Milliarde DM – diese Offensive haben wir bereits vorgestellt – für Hardware, für die Lehrerqualifizierung, aber auch für die Netzwerkbetreuung, damit die beruflichen Schulen die Ausstattung bekommen, die sie für eine fundierte Ausbildung in ihren Bereichen brauchen.

Drittens: Fremdsprachen an den beruflichen Schulen – immer noch ein düsteres Kapitel. Nur 11 500 Azubis bekommen Englischunterricht, 1 500 Französischunterricht. Bezogen auf die Gesamtzahl der Azubis sind das 6,4 %. Ich frage Sie: Sollen unsere Auszubildenden ihre Fremdsprachenkenntnisse aus den allgemein bildenden Schulen vergessen? Welchen Sinn macht es, wenn ein Hauptschüler fünf Jahre unter großen Mühen Englisch gelernt hat und es dann in der Berufsschule nicht weitergeht? Die Azubis müssen endlich Fremdsprachenunterricht in der Berufsschule bekommen.

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut, Frau Kollegin!)

Viertens ein Problem, das vor Ort immer noch auf den Nägeln brennt – Sie müssen es wissen, Herr Wieser –: Die Abschlussprüfung ist auf zwei Tage verdichtet. Warum mutet man den Berufsschülern zu, unter diesen hohen Belastungen ihre Abschlussprüfung zu machen?

(Abg. Wieser CDU: Arbeit in der Zeit ist Leistung! – Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Das mutet man einem Abiturienten nicht zu; dem werden drei Wochen zugestanden. Deshalb ist die Forderung richtig, die Abschlussprüfung wieder zu entzerren und den Berufsschülern, die ohnehin größere Schwierigkeiten haben, gute Chancen für ihre Abschlussprüfung zu geben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Fünfter und letzter Punkt: In Baden-Württemberg ist es notwendig, doppelt qualifizierende Abschlüsse an den beruflichen Schulen zu ermöglichen. Bis jetzt gibt es kaum welche. Dann können Jugendliche gleichzeitig einen Berufsabschluss erzielen und die Fachhochschulreife machen. Das spart Ressourcen, aber auch Lebenszeit von Jugendlichen für die Ausbildung. Es gibt an den beruflichen Schulen motivierte und leistungsfähige Jugendliche, die dies tun wollen.

Ich komme zum Schluss: Wir alle betonen die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung mit der Bildung an den allgemein bildenden Schulen. Wenn wir dieses Ziel ernst nehmen, müssen größere Anstrengungen im Bereich des beruflichen Schulwesens unternommen werden, damit die Jugendlichen gute Perspektiven in beruflicher, in sozialer und in persönlicher Beziehung bekommen.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf 49 Seiten wird zu dieser Großen Anfrage viel Gutes berichtet und die ganze bewundernswerte Vielfalt des beruflichen Schulwesens aufgefächert. Ich will meine fünf Minuten Redezeit jedoch vor allem für konstruktive Kritik nutzen. Im Übrigen gilt der schwäbische Grundsatz: Betrachten Sie in diesem Fall „net gmeckert“ wirklich als gelobt.

Sieben Punkte sind mir aufgefallen:

Erstens: Das Kultusministerium ist stolz auf die durchgängige zweite Fremdsprache an den beruflichen Gymnasien. Die Abschaffung der fachgebundenen Hochschulreife wirkt sich jedoch nachteilig auf alle Jugendlichen aus, die nicht so stark sprachbegabt sind. Gerade für die war es eine Chance, über die Realschule doch noch in einen technischen Beruf und auch zum Beispiel in ein technisches Studium zu finden.

(Abg. Mühlbeyer CDU: Aber über das Berufs- kolleg können sie es nach wie vor!)

Wir beklagen den Ingenieurmangel und schaffen gerade diese Möglichkeit ab. Da werden wir aber dranbleiben müssen, auch weiterhin einen möglichst schnellen, durchgängigen Weg zu erhalten.

(Beifall der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Das hat nämlich auch Rückwirkungen auf die Realschule, auf das Wahlverhalten in Klasse 7. Wir müssen darauf achten, wie sich das auswirkt.

Auf Seite 18 wird eine Erweiterung um neue Inhalte im Profilbereich dargestellt. Wird denn an anderer Stelle auch gekürzt, oder packt man wieder nur drauf?

Ausgesprochen gut ist, dass an beruflichen Schulen inzwischen fachbezogener Fremdsprachenunterricht stattfindet

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

und ökonomische Inhalte stärker einbezogen werden.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Zweitens: Ich bemängele ausdrücklich die sehr zögerliche Ausweisung weiterer Wirtschaftsgymnasien und Technischer Gymnasien. Hierfür gibt es eine große Nachfrage von Schülern, Eltern und auch der Wirtschaft. Diese sollte berücksichtigt werden.

Drittens: Ebenso knapp gehalten werden Folgeangebote vor allem für Hauptschüler, aber auch für Realschulabsolventen, zum Beispiel bei den zweijährigen Berufsfachschulen. „Kein Abschluss ohne Anschluss“ soll gerade für diesen Schülerkreis wichtig bleiben und sein.

(Abg. Zeller SPD: Richtig!)

Zum Verweis auf das BVJ: Das ist äußerst kostenintensiv. Dort gibt es kleinere Klassen, und die gleichen Schüler tauchen hinterher wieder als Bewerber auf.

Viertens: Neue Modelle im dualen Bereich der kaufmännischen Assistentenausbildung werden ebenfalls nur zögerlich angepackt. Dabei wäre dies volkswirtschaftlich gesehen eine sehr effiziente Investition.

(Abg. Wieser CDU: Kompetent, die Frau!)

Fünftens: Ausgesprochen wichtig und gut ist, dass es an unseren beruflichen Schulen immer mehr Übungsfirmen gibt. Diese ermöglichen eigenverantwortliches Lernen und Handeln samt allen Konsequenzen. Das ist die beste Basis, die wir unseren Jugendlichen mitgeben können.

Sechstens: Sehr intensiv ist der Bericht zum IT-Bereich, und das zu Recht. Zwei Anmerkungen hierzu jedoch: Netzwerkbetreuer, gerade an beruflichen Schulen, sind zum Teil immer noch stark im Freizeiteinsatz. Das ist nicht okay. Sie sind dafür zu loben, aber das kann man nicht auf ewig erwarten. Zweitens steht immer noch die Lösung der steuerlichen Absetzbarkeit von privat beschafften PCs von Lehrern aus.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wieser CDU: Ja! Das ist ein Skandal! – Abg. Pfister FDP/DVP: Herr Finanzminister!)

Hier müssen wir dringend etwas tun. Wir haben im Schulausschuss bereits einen entsprechenden Antrag gestellt. Bei der nächsten Finanzausschusssitzung werden wir darüber weiter beraten. Das sollte noch in diesem Jahr zum Tragen kommen, damit nicht ein weiteres Jahr verstreicht und wir die Lehrer nicht noch weiter frustrieren.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, jeder, der am Rednerpult steht, erwartet eine gewisse Ruhe. Ich bitte, das auch zu beherzigen, wenn andere am Rednerpult stehen.

Siebtens und letztens: Die Rekrutierung von mehr Berufsschullehrern wird zu Recht als wichtige Aufgabe der nächsten Jahre dargestellt.

Auch hierzu habe ich zwei Fragen: Wann ist mit der Wiedereinführung der auch von uns seit langem geforderten Anwärtersonderzuschläge zu rechnen?