Protokoll der Sitzung vom 22.11.2000

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis macht uns deutlich, dass wir dieses umfangreiche Werk heute schwerlich in epischer Breite in wenigen Minuten abhandeln können. Es waren nicht nur die Grünen und die SPD, die eine Aufwertung dieser Debatte verlangt haben, sondern auch ich habe

im Ausschuss vorgeschlagen, diesen umfangreichen Katalog in Teilen zu behandeln, um auf die Themen wirklich im Einzelnen stärker eingehen zu können.

Allein im Besonderen Teil finden wir 50 Seiten zur Ressourcenschonung, fast 35 Seiten zum Klimaschutz, rund 50 Seiten zur Luftreinhaltung, 25 Seiten zum Lärmschutz und über 35 Seiten zum Gewässerschutz. Es gibt 28 Seiten zum Bodenschutz, 24 Seiten zum Schutz der biologischen Vielfalt, über 25 Seiten zur Abfallwirtschaft und rund 40 Seiten zum Thema Umwelttechnik, Energie und Risikovorsorge.

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Sie sollen das Ding lesen und nicht Seiten zählen!)

Es handelt sich um ein wahrlich prächtiges Werk zur Umweltpolitik der Landesregierung – das meint zumindest der Umwelt- und Verkehrsminister.

Sprecher der Kommunen stimmen vorwiegend zu. Was sollen sie auch sonst tun? Man stellt nebenbei auch fest, dass die schmerzhaften Eingriffe der EU in die kommunale Selbstverwaltung gerade im Natur- und Umweltschutzbereich zunehmend tiefe Wunden zum Vorschein bringen.

(Beifall bei den Republikanern – Unruhe bei der CDU)

Flora-Fauna-Habitat-Bestimmungen oder Andienungspflicht im Abfallbereich, Wirtschafts- und Lebensmittelkontrolle sind nur erste Keile, die unsere Selbstverwaltung einschränken. Auch das Stromeinspeisungsgesetz, das alternativ erzeugte Energien aus nachwachsenden Rohstoffen fördert, steht auf der Abschussliste.

(Abg. Scheuermann CDU: Von wem? – Gegenruf des Abg. Deuschle REP: Von der EU natürlich!)

Von der EU natürlich.

(Zuruf von der CDU: Ach so!)

Die Landesregierung propagiert wie andere AllerweltsGutmenschen das Motto: Global denken, lokal handeln. Ich behaupte, dieser Wahlspruch wird sukzessive von der Realität konterkariert.

(Abg. Scheuermann CDU: Aber außer Seitenzah- len scheinen Sie nichts gelesen zu haben!)

Es ist zwar wichtig, dass globale Probleme stets die Summe lokaler Sünden sind – das ist von mir –

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Caroli SPD: Ausnahmsweise mal nicht von Herrn Müller!)

und dass diese Umweltsünden auch vor Ort gerügt bzw. möglichst verhindert werden müssen. – Diese Aussage war nicht von Herrn Müller, deshalb habe ich es dazugesagt. – Doch es ist klar, dass Umweltschutzmaßnahmen zunehmend von EU-Wirtschaftsinteressen ausgehebelt oder bereits im Ansatz verhindert werden.

(Beifall bei den Republikanern – Zuruf von der CDU: Von wem ist das jetzt?)

Das ist auch von mir. – Die Anregungen und Einwände der ebenfalls angehörten Verbände berücksichtigen den wachsenden Einfluss der EU-Bestimmungen und den Zwang der Bundesgesetzgebung oft leider nicht. Trotzdem haben diese Recht, wenn sie mehr Aktionen und restriktive Aktivitäten fordern und die reine Zieldefinition des Umweltplans beklagen.

Wir Republikaner meinen, dass Ressourcenschonung auch künftig eine Chance haben muss. Das erreicht man nicht durch eine Verlagerung der Kernkraftwerke in Gebiete außerhalb der Bundesgrenzen, die ansonsten ja gar nicht mehr existieren sollen. Man erreicht es auch nicht durch Globalisierung des Strommarktes. Man erreicht es genauso wenig durch den absoluten Stopp aller Subventionen für die alternativen Energieträger und nachwachsenden Rohstoffe der Landwirtschaft. Umweltfreundliche Abfallwirtschaft funktioniert nur bei regionalen Regelungen auf der Basis bundesweiter Gesetzgebung.

(Beifall bei den Republikanern)

Klimaschutz, Luftreinhaltung, Lärmschutz oder Gewässerschutz kann bei Bedarf zwar durch Verträge mit den Anrainerländern grenzüberschreitend geregelt werden; die EU kann dazu aber wenig beitragen.

(Beifall bei den Republikanern)

Noch einen Satz zum Bodenschutz. Bei der Planung von städtebaulichen Maßnahmen erleben wir ständig – über Vorschläge zu städtebaulichen Maßnahmen finde ich in dem Katalog überhaupt recht wenig, Herr Scheuermann – –

(Abg. Scheuermann CDU: Wo? Auf welcher Sei- te? Ich werde es Ihnen nachher zeigen!)

Dazu sehe ich darin sehr wenig.

(Abg. Scheuermann CDU: Aber über Bodenschutz finden Sie sehr viel!)

Ja, über Bodenschutz, aber nicht über die Städteplanung, von der Sie erwähnt haben, dass sie sehr wichtig wäre. Man scheut die Bebauung von Brachen, seien es Industrieruinen oder verlassene Militärgelände, wie der Teufel das Weihwasser. Warum wohl? Weil beim Abriss und beim Aushub meist Altlasten zutage treten, die dann kostenträchtig entsorgt werden müssen.

Wie in der Umweltschutzdebatte allgemein helfen auch hier gutes Zureden oder Überzeugungsversuche wenig. Wir brauchen eindeutige Vorgaben und effektive Kontrollen bzw. Maßnahmen zur einheitlichen Regelung. Wer rät, bei feuchten Innenräumen bei offenem Fenster zu schlafen, und wer den Lärm und die Energieverschwendung mit noch mehr Dämmung bzw. mit Schallschutzfenstern bekämpfen will, der kann das nicht global tun, sondern muss es kommunal, ortsnah und fallbezogen regeln.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erhält der Minister für Umwelt und Verkehr, Herr Müller.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen Plan von 400 Seiten Umfang kann man hier jetzt nicht inhaltlich erörtern. Ich glaube, das wäre unangemessen. Es

ist ein Gang durch die gesamte Umweltpolitik, und nun irgendetwas davon herausgreifen zu wollen, wäre relativ sinnlos. Im Übrigen liegt der Umweltplan auch schriftlich vor, und ich will nichts wiederholen, unterstreichen oder begründen, was ausführlich dargestellt worden ist. Mir geht es hier eigentlich mehr um die Darstellung des politischen Diskussionsprozesses.

Zunächst möchte ich damit beginnen, einfach festzustellen, dass wir hiermit einen Punkt aus der Regierungserklärung abarbeiten, der zu Beginn dieser Legislaturperiode formuliert worden war. Wir haben jetzt einen langen Erörterungsprozess – weshalb lang, dazu werde ich gleich noch etwas sagen –, und wir werden jetzt rechtzeitig am Ende der Legislaturperiode diesen Erörterungsprozess mit einem, wie ich glaube, insgesamt runden und nicht nur vom Volumen oder von der Quantität her gewichtigen, aber auch inhaltlich qualifizierten Werk abschließen.

Es war eine außerordentlich umfangreiche Arbeit, weil alle Umweltmedien sowohl hinsichtlich der Tatbestandsaufnahme als auch hinsichtlich der politischen Konzeptionen darzustellen waren und weil wir im Übrigen ganz bewusst – das ist eine der Erklärungen für den langen Prozess des Entstehens – eine ganze Reihe von internen und externen Erörterungsphasen durchgemacht haben. Das verändert natürlich einen solchen Plan und führt dazu, dass man sich relativ lang mit ihm beschäftigt. Wir sind jetzt sozusagen in der Schlussphase im Parlament, bevor sich die Regierung das letzte Mal damit befasst.

Sie haben die Frage angesprochen: Wäre hier nicht eine Regierungserklärung erforderlich? Ich habe im Umweltausschuss schon gesagt: Es ist keine Regierungserklärung, die hier vorgetragen wird, aber es ist eine Erklärung der Regierung. Das ist kein Wortspiel, sondern damit will ich Folgendes sagen: Es handelt sich hier nicht um ein schlichtes Arbeitsprogramm des Umwelt- und Verkehrsministeriums, sondern es handelt sich um eine politische Willensbekundung der ganzen Regierung. Der Abstimmungsprozess bei einem politischen Feld, das in viele andere Sektoren hineingreift, also auch in viele andere Ministerien eingreift, ist nicht ganz einfach; aber ich habe den Eindruck, er gelingt uns. Das erste Mal haben wir diese Hürde schon überschritten, als wir die Freigabe zur Anhörung durch die gesamte Landesregierung bekommen haben. Wir sind jetzt über viele Stufen – Verbandsanhörungen, mündliche Anhörungen, parlamentarische Behandlung – weitergegangen, und jetzt kommt der zweite Schritt, noch einmal ins Kabinett zu gehen. Insofern haben wir es dann schon mit einem Dokument zu tun, das nicht rechtlich verbindlich ist, auch wenn das vielleicht das Wort Plan signalisiert, aber mit dem sich immerhin eine ganze Regierung in einem komplexen, schwierigen Gebiet auf lange Zeit politisch selbst in die Pflicht nimmt und dabei auch andere mit auf diesen Weg nimmt. Ich will zu dem Thema Eigenverpflichtung und Verpflichtung anderer dann auch noch etwas Genaueres sagen.

Wie immer muss man von den Tatbeständen ausgehen. In dem Allgemeinen Teil ist etwas über die Strategien der Umweltpolitik, den Aufgabenwandel, die neuen Felder, die neuen Instrumente gesagt, aber in dem Besonderen Teil ist etwas gesagt zu den Fragen: Wie sind denn zunächst ein

(Minister Ulrich Müller)

mal die Tatsachen? Wie war es in der Vergangenheit? Was ist geschehen? Wie wäre der Trend, wenn wir nichts machten? Welchen Zustand wollen wir erstreben? Aus dieser Differenz wird dann abgeleitet, ob es größeren oder kleineren Handlungsbedarf gibt. Dieser datenorientierte Ansatz, dieser faktenorientierte Ansatz, dieser rationale, im Messen und Wägen ausdrückbare Ansatz ist zunächst einmal schon ein Gewinn für die Umweltpolitik, gemessen an früheren umweltpolitischen Diskussionen, als es mehr um Ideologie ging und weniger um naturwissenschaftliche Zusammenhänge, denn die Umweltpolitik gehört immerhin zu den Bereichen, in denen man tatsächlich mit naturwissenschaftlichen Instrumentarien und Analysen und Feststellungen etwas erkennen und auch bewegen kann. Diesen rationalen Ansatz haben wir gewählt.

Zum Zweiten: Der Umweltplan ist dadurch gekennzeichnet, dass wir uns ganz ausdrücklich der Querschnittsfunktion der Umweltpolitik, der Integration, man könnte beinahe sagen, des Störpotenzials der Umweltpolitik in anderen Bereichen bewusst sind und uns dieser Aufgabe stellen. Deswegen sind alle Schnittstellenprobleme – Umwelt und Landwirtschaft, Umwelt und Tourismus, Umwelt und Wirtschaft, Umwelt und Verkehr, Umwelt und Freizeitverhalten, Umwelt und Wohnen – hier angesprochen. Das zeigt zu gleicher Zeit natürlich auch den Schwierigkeitsgrad nicht nur im Entstehungsprozess eines solchen Plans, sondern auch später in der Realisierung. Aber einen solch breiten Ansatz müssen wir wählen. Auch das scheint mir eine Besonderheit dieses Plans zu sein.

Zum Dritten: Wir greifen im Allgemeinen Teil generelle Veränderungen auf. Es gibt Umweltprobleme, die ein gutes Stück weit gelöst sind. Aber es gibt andere Themen, bei denen wir einen Plus-Minus-Zustand haben. Es gibt weitere Probleme, bei denen wir klar einen Handlungsbedarf feststellen müssen. Ich habe das neulich anhand des Umweltdatenberichts dargestellt. Wenn man den Blick noch etwas weiter richtet, beispielsweise in die europäischen oder globalen Zusammenhänge, dann wird noch deutlicher, dass es in Zukunft weniger um Verschmutzungsbeseitigung geht als vielmehr um Ressourcenschonung. Das ist im Prinzip der große Themenwandel in der Umweltpolitik, und diesen beschreiben wir. Daneben gibt es einen großen Instrumentenwandel, und diesen beschreiben wir auch. Es mag vielleicht sein, dass manches von dem, was wir da beschrieben haben, quasi schon als selbstverständlich wirkt, weil es zum Glück mittlerweile auch Allgemeingut geworden ist, dass bestimmte Instrumente an ihre Grenzen geraten sind. Gerade wenn es um Ressourcenschonung geht, kann ich nicht mit Verboten arbeiten – das ist ein Widerspruch in sich –, sondern ich brauche andere Instrumente, und die sind hier beschrieben. Es geht weniger um das Ordnungsrecht – obwohl das auch seine Funktion hat – als vielmehr beispielsweise um Anreizsysteme, um Selbstverpflichtungen, um die Orientierung der Menschen. Deswegen lokale Agenda, deswegen Umweltbildung und dergleichen mehr. Alle diese Dinge werden beschrieben.

Es geht im Übrigen auch um etwas, was wir, glaube ich, in der Umweltpolitik immer noch mehr lernen müssen, nämlich um Ökoeffizienz,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

und zwar um Effizienz in dem Sinn, dass man sagen kann: Ein bestimmtes Ziel sollte man mit einem möglichst geringen Aufwand erreichen, oder mit einem bestimmten Aufwand sollte man ein möglichst weit gehendes Ziel erreichen.

(Abg. Hehn CDU: So ist es!)

Dabei geht es nicht einfach darum, dass man Dinge nur abhakt und sich auf die letzten 2 % irgendeines Problems konzentriert, während wir an anderen Stellen wirklich noch große Brocken zu bewegen haben, oder darum, dass wir untaugliche Instrumente einsetzen. Was sind taugliche, was sind effiziente, was sind systemkonforme Mittel der Umweltpolitik? Auch dieser Grundsatzfrage stellen wir uns. Ich glaube, dass wir damit die Diskussion einerseits aufgreifen, sie andererseits aber auch über das Land BadenWürttemberg hinaus ein Stück weit voranbringen.

Herr Dr. Caroli, Sie haben heute Geburtstag. Ich bin gebeten worden, das zu berücksichtigen.

(Allgemeine Heiterkeit und Zurufe von der SPD)

Nicht von Ihnen.

(Abg. Wacker CDU: Minderheitenschutz!)

Aber ich habe dafür Verständnis.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Nur zu! Ich schlage zu- rück!)