Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Pauli und Hoffmann CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie in der Tat nicht verwundern, dass unsere Fraktion dem Gesetzentwurf gern und vollinhaltlich zustimmt. Ich hoffe, dass viele Mittelständler und

Handwerker Ihre Rede zu diesem Punkt gehört haben. Wir werden sie gerne weiter verbreiten.

(Abg. Fischer SPD: Ach, Herr Hofer! – Abg. Jun- ginger SPD: Die haben da kein Problem! Die be- kommen kommunale Aufträge!)

Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen gemeindewirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Betätigung. In diesem Spannungsverhältnis haben wir uns von Anfang an – das ist richtig – für die Stärkung von Handwerk und Mittelstand eingesetzt. Das haben wir über viele Jahre getan,

(Zuruf von der SPD: Wir auch!)

zunächst einmal mit einem Teilerfolg einer einfachen Subsidiarität und nun mit der geforderten Einführung einer verschärften und somit wirklich handhabbaren Subsidiaritätsklausel, einer Klagebefugnis, Herr Kurz, sprich Drittschutzwirkung, die klargestellt ist, einer praktikablen und unbürokratischen Anhörungspflicht über das Hauptorgan des Gemeinderats. Ich kann sagen: In der Tat, 100 % unserer Vorstellungen finden sich in diesem Gesetzentwurf wieder,

(Abg. Fischer SPD: Aha!)

und dazu stehen wir auch.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Kurz CDU)

Diese Neuregelung, lieber Herr Junginger, stärkt nämlich im Gegensatz zu manch gut gemeinter Sonntagsrede tatsächlich endlich einmal die Belange von Mittelstand und Handwerk.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Junginger SPD: Wo sind denn die Beispielsfälle?)

Ich verkenne nicht, dass die kommunalen Landesverbände – wie übrigens alle kommunal getragenen Organisationen – mit diesem Subsidiaritätsgrundsatz nicht einverstanden sind, sowenig sie es übrigens mit dem einfachen Subsidiaritätsgebot 1999 waren.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP zur SPD: Beim Kinder- garten seht ihr es anders!)

Eine Entscheidung, die bei einem solchen Spannungsverhältnis Beifall von beiden Seiten bringt, wäre mit Sicherheit keine richtige gewesen.

Im Übrigen verstehe ich natürlich: In Zeiten, wo sich Gemeinden mit Finanzproblemen herumschlagen, wird alles kritisch gesehen, was auch nur andeutungsweise den Handlungsspielraum einengen könnte, auch wenn viele Kommunen sich völlig ordnungsgemäß verhalten und wissen, was sie an ihrem Mittelstand haben, und der Mittelstand wiederum weiß, was er in einer gut funktionierenden Kommune zu tun hat, auch unabhängig davon, was ordnungspolitisch richtig ist.

(Abg. Gall SPD: 99 % verhalten sich so!)

Herr Junginger, Sie haben offenbar keine Anhörung durchgeführt.

(Abg. Drexler SPD: Was?)

Wir haben eine gemacht. Bei uns – und wohl auch bei Ihnen, weil Sie die Industrie- und Handelskammern angesprochen haben – hat der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer einen Aktenordner mit Einzelbeispielen vorgelegt, alle aus dem Internet entnommen. Lassen Sie sich den Aktenordner geben, und schauen Sie ihn sich an! Dann werden Sie die Notwendigkeit nicht mehr bestreiten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Junginger SPD: Gucken Sie sich einmal den Bericht des Innenmi- nisteriums an! Die IHK Ostwürttemberg sagt, das Problem ist kein Problem!)

Nein. Der Industrie- und Handelskammertag hat ausdrücklich einen Aktenordner vorgelegt und hat gesagt: „Das muss abgestellt werden“ – um das eindeutig zu sagen.

Wir haben nicht ins Gesetz hineingeschrieben: Damit muss ein Klagerecht verbunden sein. Die Gerichte haben gesagt, es genügt, dass das in der Begründung steht. Wir wollen nicht Klagen provozieren; wir wollen auch niemand anders provozieren. Wir wollen aber diejenigen, die einen Rechtsanspruch haben, nicht schutzlos dastehen lassen. Sonst wundern Sie sich, dass sich keiner wehrt, weil er von vornherein weiß, dass seine Klage wegen Unzulässigkeit abgeschmettert wird. So kann man es nicht machen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke der Präsiden- tin)

Herr Abg. Hofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger?

Bitte schön, Herr Abg. Stickelberger.

Herr Kollege Hofer, können Sie sich an die Aktuelle Debatte zum Antidiskriminierungsgesetz in diesem Haus erinnern, wo insbesondere die dort verankerten Klagerechte zu heftigem Protest Ihrer Fraktion im Hinblick darauf geführt haben, dass wegen dieser Klagemöglichkeiten wirtschaftliche Prozesse, insbesondere Investitionsvorhaben, blockiert oder zumindest auf die lange Bank geschoben werden? Sehen Sie nicht gerade in diesem Bereich die Gefahr, dass kommunale Investitionen, die im Interesse unserer Bürger liegen, wegen dieser Klagemöglichkeiten auf die lange Bank geschoben werden?

(Abg. Gall SPD: Genau dies wird passieren!)

Ich denke, Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, und zwar ganz einfach deshalb: Wir haben schon seinerzeit geglaubt, dass wir mit dem einfachen Subsidiaritätsgrundsatz den Kommunen die Möglichkeit geben, sich bei Verstößen auch wehren zu können. Über die Gerichte haben wir festgestellt, dass das in der Begründung des Gesetzes deutlich gemacht werden muss. Dies holen wir jetzt nach.

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie einen Schutz vor Kommunen haben wollen, die mit Steuergeldern wirtschaften, Kommunen, die nicht in Insolvenz geraten können, die teilweise über Informationsvorsprünge verfügen, die der

Private nicht hat – es sind nicht nur ganz wenige, sondern eine ganze Reihe; den Aktenordner werde ich Ihnen zukommen lassen –, dürfen Sie die Betroffenen nicht rechtsschutzlos stellen. Das machen Sie auch sonst nirgendwo. Das ist für mich ein klarer Standpunkt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Sosehr wir übrigens der Meinung sind – da sehen Sie, dass wir durchaus ausgewogen handeln –, dass die Kommunen ihre Vorteile gegenüber den Privaten nicht ausnützen dürfen, so sehr setzen wir uns umgekehrt dafür ein, dass die Kommunen dort, wo es selbstverwaltungsrechtlich vom Grundgesetz her um die Daseinsvorsorge geht, die völlig ausgenommen ist, Herr Junginger, und die sehr breit ausgelegt ist, auch keine Wettbewerbsnachteile haben dürfen. Das ist das, was Sie sagten, Herr Kurz: In all den Fällen, in denen die Gebietsmonopole heute nicht mehr bestehen, in denen andere Durchleitungsrechte haben, müssen die Kommunen in diesen Bereichen gleiche Möglichkeiten haben. Deswegen haben wir den Örtlichkeitsgrundsatz so gelockert, dass im Übrigen natürlich auch die Nachbarkommune mit der Ausdehnung der wirtschaftlichen Aktivität einverstanden sein muss. Das lockern wir entsprechend.

Der Begriff der Daseinsvorsorge – lassen Sie mich das noch sagen – ist kein statischer. Autowaschplätze, Gefrieranlagen, was früher alles dazugehörte, das gehört heute sicherlich nicht mehr dazu. Telekommunikationsdienste gehören heute wahrscheinlich dazu. Der Begriff der Daseinsvorsorge, der sehr breit ist, schützt die Kommunen. Da haben sie immer das Prä, aber nicht dort, wo es nicht um Daseinsvorsorge geht. Von einer Betätigung, die ein örtlicher Anbieter mindestens so gut erfüllen kann wie die Kommune, hat sie die Finger wegzulassen. Da ist sie auch gut beraten, wenn sie das tut.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Im Übrigen gibt es auch keine Umkehr der Beweislast, weil es bei den Verwaltungsgerichten gar keinen Amtsermittlungsgrundsatz gibt. Die Kommune muss auch nicht nur deutlich machen, dass sie es wirtschaftlich besser kann, sondern wenn sie es qualitativ besser kann – dazu gehören auch ökologische Gesichtspunkte –, reicht auch dieses aus. Ich denke, das ist sehr ausgewogen.

(Glocke der Präsidentin)

Ich kann zum Schluss – letztes Wort – sagen, was die Anhörung anbelangt: Das Maß und den Umfang der Anhörung im Gemeinderat haben wir bewusst nicht festgelegt, weil wir das in unbürokratischer Weise dem Selbstverwaltungsorgan überlassen wollen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.

Jawohl. Ich komme zu meinem Schlusssatz. Das war uns auch wichtig genug.

Wir danken unserem Koalitionspartner und ausdrücklich auch unserem Ministerpräsidenten, dass er das nun freundli

cherweise mitträgt. Herr Kurz, ich glaube, wir beide haben heute keinen schlechten Tag.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Junginger SPD: „Wir beide“, ja! – Abg. Stickelberger SPD: Herr Hofer, Sie misstrauen den Kommunen!)

Nein, nein.

(Abg. Birzele SPD: So ein Misstrauen gegenüber den Kommunen!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Reform des Gemeindewirtschaftsrechts, wie sie jetzt in der Form dieses Gesetzentwurfs vorliegt, greift unseres Erachtens viel zu kurz – nicht um auf den Kollegen Bezug zu nehmen, sondern vielleicht auch einfach deshalb, weil schon die Analyse nicht stimmt bzw. einfach fehlt. Tatsache ist, dass wir im Jahr 1999 – im Übrigen in der gleichen Zusammensetzung: CDU und FDP/DVP – den Vorrang des Eigenbetriebs aus dem Gesetz herausgenommen haben und dass wir seitdem eine Entwicklung bei den Kommunen haben, wonach dort verstärkt von Privatrechtsformen Gebrauch gemacht wird. Wenn man sich einmal die Mühe macht, die Beteiligungsberichte von Landkreisen, Gemeinden, kreisfreien Städten und Stadtkreisen nachzulesen, stellt man fest, dass es heute Kommunen in BadenWürttemberg gibt, die schon zwei Drittel ihres Etats nicht mehr über die kommunalen Haushalte, sondern über privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen abwickeln. Das ist für uns die Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung.

(Zuruf des Abg. Heinz CDU)