Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Neuordnung des Naturschutzrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften – Drucksache 13/4768

Das Präsidium hat für die Aussprache nach der Begründung durch die Regierung eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.

Das Wort erteile ich Herrn Minister Hauk.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Novelle des Landesnaturschutzgesetzes bildet nicht ohne Grund seit einigen Monaten eine echte Schwerpunktaufgabe der Landesregierung: Das Vorhaben ist anspruchsvoll und auch vielschichtig. Deshalb war gründliche Vorbereitung statt eines Schnellschusses angesagt. Denn nur so ist gewährleistet, dass einerseits der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen auch weiterhin den gewohnt hohen Stellenwert in unserem Land behält, dass aber andererseits umfangreiche Nachbesserungen als Folge von Schnellschüssen, wie wir sie von Rot-Grün in den letzten sieben Jahren sattsam haben erfahren müssen, vermieden werden.

(Abg. Walter GRÜNE: Die Umsetzung bei euch war jetzt kein Schnellschuss!)

Herr Kollege Walter, die Anzahl der handwerklichen Fehler, die in Berlin in den letzten sieben Jahren getätigt wurden, ist Legende.

(Beifall des Abg. Kübler CDU – Abg. Walter GRÜNE: Warten wir mal ab, was noch alles kommt!)

Die Regelungen sollten auch größtmögliche Akzeptanz erfahren.

Aus diesem Grund haben wir schon im Vorfeld der Novellierung im Jahr 2004 die Anregungen der Verbände eingeholt und nun erneut eine breit angelegte Verbandsanhörung durchgeführt. Am 24. Oktober hat der Ministerrat schließlich dem Gesetzentwurf in der Ihnen heute vorliegenden Fassung zugestimmt. Mit dem vorliegenden Entwurf be

kommt Baden-Württemberg ein modernes und für den Naturschutz auch richtungweisendes Gesetz.

Ich will Ihnen ein paar Eckpunkte benennen. Dazu zählen mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit, das Prinzip, gesetzliche Regelungen nur noch dort zu treffen, wo dies auch von der Sache her geboten erscheint, Entbürokratisierung durch Verschlankung von Verwaltungsverfahren und mehr Raum für Freiwilligkeit und Eigeninitiative.

Mit dem Entwurf setzen wir nicht nur schematisch bundesrechtliche Rahmenvorgaben um. Vielmehr wurden auch landespolitische Spielräume genutzt, um, wie in BadenWürttemberg in der Vergangenheit üblich, eigene, wenn man so will landespolitische Duftmarken zu setzen, ohne dabei – und darauf legen wir Wert – die Regelungsdichte zu erhöhen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Naturschutzgesetz in Baden-Württemberg muss zwangsläufig anders ausfallen als eines in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern. Wir leben in einer dicht besiedelten Kulturlandschaft, bei der zwangsläufig Interessen- und Nutzungskonflikte an der Tagesordnung sind. Meine Damen und Herren, es kommt ebenso hinzu, dass mittlerweile nicht nur verschiedene Nutzungsarten im Interessenkonflikt miteinander stehen, sondern sich auch deshalb Interessenkonflikte ergeben, weil sich unsere naturräumliche Ausstattung verbessert hat.

Durch den baden-württembergischen konsequenten Weg des Artenschutzes, indem wir nämlich beispielsweise Agrarumweltprogramme auf der Fläche und nicht nur inselartig und in Reservaten praktizieren, haben wir mittlerweile einen so großen Artenreichtum und eine Artenvielfalt auch bei vielen Arten, die auf der roten Liste stehen, dass es mittlerweile sogar schon innerhalb des Naturschutzes zu Zielkonflikten kommt. Ich denke einerseits an den Vogelschutz, zum Beispiel den Schutz des Kormorans, und andererseits an den Fischschutz, den Schutz seltener Fischarten. Hier müssen wir Abwägungen vornehmen.

Lassen Sie mich kurz auf die wichtigsten Neuregelungen eingehen. Die flexiblere Gestaltung der Eingriffsregelung ist ein wesentlicher Punkt. Ein gutes Beispiel ist die Einführung des handelbaren Ökokontos. Damit wurde die Eingriffsausgleichsregelung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht flexibler und landeseinheitlicher gestaltet.

(Abg. Walter GRÜNE: Vor allem räumlicher!)

Herr Kollege Walter, es ist in beiderlei Hinsicht notwendig. In einem dicht besiedelten Raum wie Baden-Württemberg brauchen wir gerade in der Frage der Flächen deutlich mehr Flexibilität. Dieses Mehr an Flexibilität wird jetzt erstmals auch im Naturschutzrecht eingeführt.

Ein Zweites kommt hinzu: Durch die Handelbarkeit gewinnt auch der Naturschutz einen echten finanziellen und materiellen Wert – auch dies hatten wir bislang überhaupt nicht –, und zwar einen Wert nicht nur für die öffentliche Hand, sondern auch einen Wert für den Privatmann. Wenn morgen ein Privatmann sagt: „Ich lege eine Streuobstwiese an“, dann kann er sie einbuchen. Man kann sogar sagen: Das Kapital verzinst sich, weil die Streuobstwiese mit ih

(Minister Hauk)

rem Wachsen auch wertvoller wird – auch in ökologischer Hinsicht. Der Privatmann kann dieses Kapital dann, wenn man so will, aufgrund der Handelbarkeit gegebenenfalls bei einem notwendigen Ausgleich – Verbreiterung einer Straße, Baugebietserweiterung etc. – einsetzen. Es ist für ihn unter Umständen auch bares Geld wert.

Damit wollen wir die Wertigkeit des Naturschutzes erstmals auch in einer materiellen Form untermauern und dokumentieren. Das ist ein neuer Ansatz, der jedenfalls in einem Flächenland wie Baden-Württemberg bundesweit nahezu einmalig ist.

Unser Ökokonto soll für Außenbereichsvorhaben – dabei gilt nämlich das baurechtliche Ökokonto bislang nicht –, zum Beispiel bei Abbau- oder Straßenbauvorhaben, Anwendung finden. Zudem sollen die Maßnahmen im Interesse einer Effizienz- und Akzeptanzsteigerung gerade auch von Privaten handelbar sein.

Mehr Effizienz ergibt sich dadurch, dass die Naturschutzmaßnahmen aus Fachkonzeptionen wie zum Beispiel einer Biotopvernetzungsplanung oder auch einem Landschaftsplan entwickelt werden können. Mehr Akzeptanz wiederum erfahren die Maßnahmen durch eine breite Abstimmung dieser Fachplanungen mit allen Betroffenen.

Um die erforderliche Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erreichen und unter anderem einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für die Maßnahmen herzustellen, ist eine Verordnungsregelung notwendig, über die wir – das steht auch erstmals, Herr Kollege Walter, in einem Landesgesetz – im Landtag beraten wollen und zu der wir möglichst eine einvernehmliche Zustimmung erzielen wollen.

Die verbindliche Vorgabe des Bundesnaturschutzgesetzes, auf mindestens 10 % der Landesfläche ein Biotopverbundsystem einzurichten, wollen wir im baden-württembergischen Naturschutzgesetz so ausgestalten, dass sie größtmögliche Akzeptanz erfährt. Wir haben das große Glück, dass wir in unseren reich strukturierten Landschaften auf viele mit Schutzstatus versehene Flächen wie gesetzlich geschützte Biotope, Naturschutzgebiete, Natura-2000-Gebiete oder auch geeignete Teile von Landschaftsschutzgebieten zurückgreifen können. Damit werden wir im Wesentlichen die 10-%-Marke ohne große Anstrengungen erreichen, jedenfalls ohne dass wir in nennenswertem Umfang auf weitere Flächen angewiesen sind.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Mehr Partnerschaft zwischen Naturschutz und Landnutzern ist ein weiterer Kernpunkt dieser Gesetzesnovelle. Wirtschaftliche Nachteile durch Anforderungen, die über die aus dem Bundesnaturschutzgesetz zu übernehmenden Standards der guten fachlichen Praxis hinausgehen, wollen wir vorrangig durch freiwillige Vereinbarungen und nicht durch hoheitliche Maßnahmen ausgleichen. Soweit dies nicht geschieht, kann das Land für erhebliche und über die gute fachliche Praxis hinausgehende Beschränkungen auch ein Ausgleichentgelt gewähren.

(Abg. Walter GRÜNE: Je nach Haushaltslage!)

Es wäre jedoch unehrlich, wenn wir dabei die gegenwärtig sehr angespannte Haushaltslage außer Betracht ließen und

Erwartungen wecken würden, die wir später nicht einhalten könnten. Wir haben deshalb den finanziellen Ausgleich mit einem Haushaltsvorbehalt versehen.

Aufgrund der rahmenrechtlichen Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes sind die Schutzgebietskategorien „Nationalpark“ und „Biosphärenreservat“ neu in das Landesrecht zu übernehmen. Wir haben beim Biosphärenreservat zur Vermeidung negativer Assoziationen eine kleine kosmetische Korrektur in der Namensbenennung vorgenommen und bezeichnen diese Schutzkategorie als „Biosphärengebiet“. Das tun wir aber auch ganz bewusst, meine verehrten Damen und Herren. Wir wollen keinen Naturschutz, der mit der Käseglocke und dem Reservationsgedanken verbunden ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Vielmehr wollen wir einen Naturschutz, der Entwicklungen auch bei den Nutzern, den Kommunen, den Bürgern befördert, der Entwicklungen nicht im Wege steht, sondern Entwicklungen impliziert.

(Zurufe der Abg. Regina Schmidt-Kühner und Dr. Caroli SPD)

Deshalb haben wir uns ganz bewusst für den Begriff „Biosphärengebiet“ entschieden.

Wie Sie wissen, arbeiten wir derzeit gemeinsam mit den betroffenen Verbänden und Kommunen mit Hochdruck an der Verwirklichung des ersten baden-württembergischen Biosphärengebiets im Raum Münsingen, sodass dieser Schutzgebietsbegriff aller Voraussicht nach erfreulich rasch mit Leben erfüllt wird.

(Abg. Capezzuto SPD: Herr Minister, können Sie auch emotionaler lesen? – Heiterkeit)

Herr Kollege Capezzuto, mir fehlt noch ein bisschen die Animation von Ihrer Seite.

(Beifall des Abg. Röhm CDU – Zuruf des Abg. Ca- pezzuto SPD)

Das liegt ein bisschen an Ihnen. Ich stelle fest, dass Sie damit offensichtlich weitestgehend zufrieden sind. Mir soll es recht sein.

(Zuruf des Abg. Röhm CDU)

Da die wesentlichen Vorschriften zum Schutzgebietsnetz Natura 2000 bereits bei der Novelle des Naturschutzgesetzes im November 2002 berücksichtigt wurden, werden im aktuellen Entwurf nur Ergänzungen vorgenommen. So soll das MLR unter anderem ermächtigt werden, die ausgewählten Vogelschutzgebiete mit den wertgebenden Vogelarten und Erhaltungszielen durch Rechtsverordnung festzulegen. Dies ist erforderlich, weil der Mitgliedsstaat nach der EuGH-Rechtsprechung seine Ausweisungspflicht nach der Vogelschutzrichtlinie nur auf diese Weise rechtswirksam erfüllen kann.

Ferner, meine sehr geehrten Damen und Herren, wollen wir auch die Artenschutzregelungen optimieren. Betonen möchte ich dabei, dass wir alles andere als glücklich sind, die

(Minister Hauk)

missglückten Begriffsbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz, wie zum Beispiel zu den heimischen Arten bzw. gebietsfremden Arten, übernehmen zu müssen. Sie öffnen Fehlinterpretationen Tür und Tor und erschweren dadurch den Verwaltungsvollzug erheblich.

Der erheblichen Ausweitung der landschaftsschutzgebundenen Sportarten haben wir jetzt Rechnung getragen. Sport, soweit er natur- und landschaftsverträglich ausgeübt wird, ist nun auch naturschutzrechtlich Teil der Erholungsvorsorge. Damit ist die naturverträgliche Sportausübung auch bei der Landschaftsplanung zu berücksichtigen und wird von den Regelungen des Betretungsrechtes mit erfasst. Auch im Bereich des Betretungsrechtes ist das neue Naturschutzgesetz bürgerfreundlicher geworden. So konnte für die Reiter eine Harmonisierung der Regelungen für das Reiten im Wald und außerhalb des Waldes erreicht werden.

In diesem Zusammenhang will ich auch erwähnen, dass ich die im Rahmen der Anhörung geäußerten Befürchtungen einiger Verbände nicht teile, die Aufhebung des Wegegebots beim Reiten in Verdichtungsräumen könnte vermehrt zu Schäden an Waldwegen führen. Ich halte diese Änderung im Interesse der Entbürokratisierung für geboten und hoffe auf ein rücksichtsvolles, das Eigentum der Waldbesitzer respektierendes Handeln der Bürger zu Pferde.

(Abg. Capezzuto SPD: Was ist mit Nordic Wal- king?)

Meine Damen und Herren, die Naturschutzvereine tragen durch ihre Arbeit wesentlich zum Schutz und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bei. Es ist daher notwendig und uns ein wichtiges Anliegen, ihre Mitwirkung mit dieser Gesetzesnovelle auch zukünftig sicherzustellen. Und – auch das ist ein Markenzeichen dieser Landesregierung –, meine Damen und Herren, wir setzen auf Freiwilligkeit, auch auf das Ehrenamt. Wir wollen das Ehrenamt und die Freiwilligkeit nicht behindern, sondern dort, wo sie vorhanden sind, befördern und weiter unterstützen.