Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Ist Ihnen nicht klar, dass das eine hohe Gefahr für die Integration dargestellt? Das müsste Ihnen doch klar sein. Jetzt gerade wird es Ihnen offensichtlich klar.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Zum anderen wird gesagt, es sei für die Migrantenkinder notwendig, durch den Besuch des Kindergartens Kontakt zu anderen Kindern herzustellen, und die ausländischen Kinder bräuchten die deutsche Sprache, um zu kommunizieren.

Jetzt kommt auch noch einmal einfach eine wichtige Erkenntnis:

Dreijährige sind noch nie wegen ihrer Sprache ausgegrenzt worden. Deshalb lernen sie die deutsche Sprache unbefangener

das sagt die Professorin –,

und ältere Kinder, die wegen ihrer Probleme mit der deutschen Sprache nicht integriert wurden, haben ganz große Probleme, sich zum Lernen zu motivieren.

(Abg. Röhm CDU: Das ist ein alter Hut! In der Pä- dagogik seit Jahren bekannt! – Lachen bei der SPD)

Aber jetzt muss ich natürlich sagen: Dann ein solches Programm! Sagen Sie einmal, wo leben Sie eigentlich? Wenn Sie das wissen, können Sie doch nicht erst 2009 oder 2010 Ihren Orientierungsplan umsetzen wollen. Da brauchen Sie doch keine Modellversuche.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es von unserer Seite nicht nur eine Frage des richtigen Schrittes. Es kommt im Grunde nicht nur zu spät, sondern auch nicht umfassend genug. Es ist falsch. Es geht wieder über Modellversuche. Diese Modellversuche bräuchten wir eigentlich zurzeit nicht, weil alles auf dem Tisch liegt, was wir brauchen, um die Maßnahmen jetzt umsetzen zu können. Warum machen Sie es nicht? Die Antwort darauf ist heute nicht auf den Tisch gekommen.

(Abg. Wintruff SPD: Da sind sie alle sprachlos!)

Lassen Sie mich noch etwas zu den Jugendbegleitern sagen, Herr Ministerpräsident. Das ist auch nur ein Ausweg, weil

Sie im Grunde genommen nicht in den Bereich der Pädagogik in den Ganztagsschulen einsteigen wollen. Sie haben ja in dem halben Jahr eine Kehrtwendung gemacht, die schon fantastisch ist. In der Regierungserklärung haben Sie noch dazu aufgerufen, dass der Bund das Geld für die Ganztagsschulen zur Verfügung stellen soll. Das war im April dieses Jahres. Das hat mich schon gewundert, weil Sie ja eigentlich vorher, wie auch wir, in der Föderalismuskommission der Auffassung waren, dass der Bund das zwar machen kann, es aber, wenn er es schon einmal gemacht hat, nicht unbedingt fortsetzen muss, da die Länder dazu vielleicht auch selber in der Lage sind. Aber Sie haben das in Ihrer Regierungserklärung gefordert. Sie haben wörtlich gesagt:

Wir bitten den Bund nachhaltig, mehr Mittel für Baden-Württemberg bereitzustellen.

Dann ging es jedoch weiter. Kultusminister Rau hat bereits im Oktober der Presse gegenüber Stellung genommen. So hieß es am 7. Oktober: „Rau gegen weiteres Bauprogramm für Ganztagsschulen“, und ebenfalls am 7. Oktober titelte meine Heimatzeitung, die „Eßlinger Zeitung“: „Kein Landesprogramm für Ganztagsschulen“.

(Oh-Rufe von der SPD)

Kurze Zeit später gab es dann doch eines. Es ist ja klar, wieso. Da war ein massiver Druck vorhanden. Die Kommunen haben gesagt: Ihr könnt uns nicht hängen lassen. Dann hat man dieses Programm aufgelegt.

Jetzt machen Sie den nächsten Fehler. Jetzt müssten Sie eigentlich den 500 Schulen, die über das Bundesprogramm neu zur Ganztagsschule ausgebaut werden, Pädagogik zur Verfügung stellen. Es muss gefördert werden. Wenn wir das nicht machen, kriegen wir ja die Belastung durch die soziale Herkunft nicht weg. Wenn 25 % unserer Schüler insgesamt Nachhilfeunterricht bekommen, dies aber nur für weniger als 10 % der Hauptschüler gilt, weiß man doch, was da geht. Wenn die Eltern nicht helfen können, führt das eben dazu, dass ein Teil der Jugendlichen keinen Schulabschluss hat.

Im Übrigen erzählt uns die IHK ständig, dass die Leute, die aus der Schule kommen, aufgrund ihrer Leistungen überhaupt nicht ausbildungsfähig seien. Das ist doch eine Tatsache. Das ist doch kein sozialdemokratischer Vorwurf. Es ist so. Deswegen müssen wir doch im Grunde genommen auf diesem Gebiet etwas tun. Deswegen müssen die Ganztagsschulen ausgebaut werden, und zwar wären nach unserer Meinung Plätze an Ganztagsschulen für ein Drittel aller Schüler notwendig, um überhaupt zu erreichen, dass alle Eltern, die ihr Kind in eine Ganztagsschule schicken wollen, auch eine entsprechende Schulart finden. Jetzt haben wir an öffentlichen Schulen nur 80 000 derartige Plätze. Schätzen Sie einmal ab! Danach brauchen wir fast noch 300 000 oder 350 000 Plätze. Dafür ist das Programm überhaupt nicht ausreichend. Es gibt ja, wie gesagt, schon Städte, die sagen, sie könnten da nicht mitmachen.

Insgesamt, Herr Ministerpräsident, ist das ein Programm, bei dem ich feststelle, dass Sie sehr viel vom Aufbau des Kinderlandes reden. Zum Kinderland möchte ich jetzt auch noch etwas sagen. Wenn es richtig ist, dass die Kinder die

wichtigste Aufgabe sind, wie Sie sagen, dann kann man nicht 50 Millionen € in einer Stiftung parken, um das Ergebnis der Zinserträge – das kann man sich ja ausrechnen – wieder für irgendwelche Modellprojekte zu verwenden. Das ist doch eine Schaugeschichte.

Die 50 Millionen € brauchen wir jetzt für das alles, was ich gerade genannt habe.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das kann man doch nicht wieder über eine Stiftung machen und über diese Stiftung wieder nur gemeinnützige Projekte fördern, nicht aber die Pflichtaufgaben finanzieren. Ich verstehe das nicht.

Im Übrigen: Neulich hat eine Zeitung geschrieben: „Das Kinderland ist abgebrannt“, weil offensichtlich die Stiftungszusagen aus dem privaten Bereich auch nicht so kommen. Aber das ist nur eine zweitrangige Frage.

Für uns wäre es wichtiger gewesen, jetzt wirklich – –

(Abg. Mappus CDU: Wenn Sie es noch eine Weile mies machen, wird es nicht besser!)

Ich mache es nicht mies. Verstehen Sie, der Unterschied zwischen uns beiden ist: Ich mache es nicht mies, sondern ich beschreibe den Zustand.

(Lachen bei der CDU – Abg. Mappus CDU: Ach so!)

Der Zustand ist eben so!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Heide- rose Berroth FDP/DVP: Sie haben einen einge- schränkten Blickwinkel!)

Nein, überhaupt nicht. Sie können sich doch nicht lachend hinsetzen,

(Abg. Mappus CDU: Wer lacht?)

wenn wir nur für 5 % der bis zu Dreijährigen Betreuungseinrichtungen haben, während im Bundesgebiet für über 20 % Betreuungseinrichtungen vorhanden sind.

(Zuruf von der CDU: Wer lacht?)

Herr Seimetz lacht die ganze Zeit. Er kommt von der Schwäbischen Alb. Er kann nicht anders, er hat gar kein anderes Gesicht.

(Abg. Seimetz CDU: Da hat man einen klaren Blick von oben herunter! Da gibt es keine Scheu- klappen!)

Ja, ist klar. Ihr habt den Blick. Ja, das ist richtig.

(Abg. Mappus CDU: Jetzt beleidigt er auch noch einen Älteren! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Also noch einmal: Mit diesem Programm, so wie Sie es beschreiben, kriegen Sie kein Kinderland hin. Das kriegen Sie so nicht hin.

(Abg. Seimetz CDU: Wir sprechen uns dann mal wieder!)

Sie machen erhebliche Fehler. Sie stecken das Geld jetzt nur in Projekte für das letzte Kindergartenjahr. Wenn Sie einmal sehen, was die kirchlichen Träger zu dem Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten zum letzten Kindergartenjahr sagen, dann sollten Sie vielleicht auch einmal ein bisschen darüber nachdenken, ob das eigentlich das Richtige ist. Das Geld gehört an sich für die sofortige Umsetzung des Orientierungsplans verwandt.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Richtig! Genau das ist es!)

Genau das ist es.

Sie müssen einmal verstehen, was die Leute alles machen müssen. Die Landesstiftung unterstützt, dann gibt es ein Programm der Landesregierung, dann gibt es jetzt das Programm „Schulreifes Kind“. Wenn Sie so weitermachen, brauchen Sie noch ein Computerprogramm, um für jedes Kind im Kindergarten aufzuzeigen, wo das Kind überall hinmuss, um im letzten Kindergartenjahr eine schulische Ergänzungshilfe zu bekommen.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das Programm ist doch nicht aus einem Guss. Das schreiben im Übrigen auch die Zeitungen in Baden-Württemberg immer wieder: „Kein Programm aus einem Guss“. Die Geschäftsführer der beiden großen kirchlichen Trägerverbände für Kindergarteneinrichtungen haben am 28. April 2005 zu diesem Konzept Folgendes gesagt:

Die Aussagen Oettingers zum Bildungsauftrag des Kindergartens sind einseitig auf die Vorbereitung zur Schulreife bezogen. Oettingers frühere Vorschläge für ein Kindergartenpflichtjahr sind nun auf das Konzept „Schulreifes Kind“ abgespeckt worden. Dies entspricht einem überholten Vorschulkonzept, in dem einseitig nur die Kinder im letzten Kindergartenjahr gefördert werden.

(Abg. Schmiedel SPD: Altes Denken!)

Genau so ist es. Das ist altes Denken! Das, was uns die Forschung sagt, und die Erkenntnisse aus anderen Modellversuchen werden in Baden-Württemberg nicht umgesetzt. Das ist kein modernes Kindergartenkonzept, wie wir es für die Zukunft brauchen.