Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Ich sage Ihnen voraus: Es wird einen Rückgang der Studierendenzahlen geben. Wir haben ein erstes Ergebnis ja schon

in diesem Semester. Allein an den Universitäten BadenWürttembergs haben sich über 4 % weniger Studienanfänger eingeschrieben als im letzten Semester. Wenn das kein Signal ist, dann weiß ich nicht, welche Signale Sie noch brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Das wird auch nicht dadurch besser, dass Sie jetzt sagen: Die Studierenden werden mit einbezogen und können entscheiden, was mit den Studiengebühren passiert. Der Begriff „im Benehmen“ heißt so viel wie: „Vielen Dank für das Gespräch!“ – ohne Konsequenzen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Nach Ihrer Meinung! Nach Auslegung der SPD! – Abg. Teßmer SPD: Herr Haas, wir kennen Sie!)

Das ist so ähnlich wie Ihr Vorgehen beim Anhörungsverfahren: Sie haben das Anhörungsverfahren in den Semesterferien gestartet – in dem Wissen, dass die Gremien zu dieser Zeit gar nicht agieren können – und haben den Rückmeldeschluss für die Anhörung eine Woche nach Semesterbeginn gesetzt.

Was die Studierenden, die Hochschulen und die Verbände an Anregungen und Kritik eingebracht haben, haben Sie überhaupt nicht wahrgenommen. Sie haben nur Marginalien verändert, aber das, was substanziell an Kritik gekommen ist, hat Sie überhaupt nicht interessiert. Warum sollte dann das „Benehmen“, das Sie mit den Studierenden herstellen wollen, für die Hochschulen zu einer Verbesserung führen? Das frage ich mich.

(Beifall bei der SPD)

Ihr Gesetzentwurf ist eine unverantwortliche Belastung für Familien und Frauen.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU – Lachen des Abg. Mack CDU)

Es ist einfach scheinheilig, auf der einen Seite zu beklagen, dass junge Leute heute keine Kinder mehr kriegen wollen, auf der anderen Seite aber Familien einseitig zu belasten.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Hillebrand CDU: Mit der Begründung müsste man schon eher die Kindergartengebühren abschaf- fen!)

Denn wer Single ist, zahlt keine Studiengebühren für seine Kinder. Aber wer eine Familie gründen will und das Studium nicht direkt finanzieren konnte, weil seine Eltern das Geld nicht hatten, der geht in die Familiengründungsphase mit Schulden, und er weiß, dass auch seine eigenen Kinder später noch einmal tiefer in die Tasche greifen müssen als frühere Generationen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Ganz Deutschland sinniert darüber, wie junge Menschen dazu ermutigt werden können, Kinder zu kriegen, und Sie bestrafen die Familien.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Kinderland ist abge- brannt!)

Jetzt haben wir die Frauen bildungspolitisch endlich so weit wie die Männer. Wir haben es jetzt endlich geschafft, dass genauso viele Frauen Abitur machen wie Männer.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Mehr! – Abg. Dr. Döring FDP/DVP: Mehr und besser! – Abg. Herr- mann CDU: Wer kein Abitur hat, ist für Sie ein schlechter Mensch?)

Es sind sogar ein bisschen mehr, und sie sind besser. Aber erstaunlicherweise verdienen Frauen bis zu einem Viertel weniger als Männer in vergleichbaren oder sogar in den gleichen Berufen. Sie haben Einkommensausfälle durch die Familienphase hinzunehmen, und sie arbeiten überdurchschnittlich häufig in Teilzeit. Das heißt also, Frauen, die studieren und für die Studiengebühren einen Kredit aufnehmen müssen, werden von Ihnen bestraft, denn sie müssen länger zahlen und werden viel höher belastet als jeder Mann, der ein Studium aufnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist Ihr Gesetzentwurf familien- und frauenfeindlich.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Abg. Wa- cker CDU: Stimmt! Das hatten Sie noch verges- sen!)

Ich nehme Sie jetzt einfach einmal beim Wort. Sie sagen, nachlaufende Studiengebühren seien sozial gerecht und sozialverträglich.

(Zuruf von der CDU: Jawohl!)

Dann wissen Sie zum einen nicht, dass Gebühren grundsätzlich sozial blind sind,

(Abg. Kiefl CDU: Was? Blind?)

es sei denn, sie sind sozial gestaffelt. Aber gut, das kann man ja noch hinnehmen. Aber warum in aller Welt brauchen Sie dann einen Gesetzentwurf mit Ausnahmen und mit Befreiungen?

(Abg. Drexler SPD: Wenn das stimmt!)

Dann müssen Sie doch niemanden in besonderen Lagen befreien, denn Sie gehen davon aus: Egal, in welcher Lage jemand heute ist, wenn er nach dem Studium sehr viel Geld verdient, dann kann er das doch zurückzahlen! Warum wollen Sie ihn vorher befreien?

(Abg. Drexler SPD: Eben! So ist es! Es geht doch ums Bezahlen!)

Sie sagen, Sie befreien die Promovierenden von Studiengebühren im Sinne der Nachwuchsförderung. Also gefährden Sie die Nachwuchsförderung, wenn Sie von den Studierenden nachlaufende Studiengebühren verlangen! Wo ist denn da der Sinn?

(Zuruf von der CDU: So ist es! – Abg. Drexler SPD: Völlig irre! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Völ- lig „sophisticated“! – Zuruf des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Sie entlarven sich mit diesen Ausnahmeregelungen selbst, und sie zeigen, dass Ihre Argumente Schönfärberei sind – angesichts eines schlechten Gewissens, das Sie irgendwo im Hinterstübchen doch plagt.

(Beifall bei der SPD)

Genauso entlarvend sind Ihre Beteuerungen, dass die Studiengebührenhöhe gleich bleibt. Wenn Sie das Marktargument nehmen – Sie sagen, man brauche mehr Markt, dann steige auch der Wert und das Bewusstsein für den Wert –, dann verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie dann einfach Pi mal Daumen 500 € festsetzen. Bayern zum Beispiel hat Bandbreiten.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wäre Ihnen das lieber?)

Andere Länder überlegen sich andere Regelungen.

Warum werden für alle Hochschularten Gebühren in gleicher Höhe festgesetzt,

(Abg. Alfred Haas CDU: Machen Sie doch einen besseren Vorschlag!)

egal, ob Fachhochschule, Berufsakademie oder Universität? Letztere sind ja ungleich teurer, aber alle bekommen den gleichen Gebührensatz. Wo ist denn da der Markt? Das macht doch gar keinen Sinn.

(Abg. Wacker CDU: Was hatte denn Frau Vogt vor? – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Herr Haas, die Quantität Ihrer Zurufe macht die Qualität nicht besser.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Sehr richtig! – Zurufe der Abg. Alfred Haas und Dr. Scheffold CDU)

Das kann man aber alles auf die Seite stellen; denn BadenWürttemberg wäre das erste Land dieser Welt – Sie wären damit Weltmeister –, das die Gebührenhöhe tatsächlich beibehält. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem Gebühren, nachdem sie einmal eingeführt waren, der Höhe nach beibehalten worden wären. Selbst der Minister redete ja früher, als die Diskussion anfing, von unterschiedlichen Gebührenhöhen. Alle die, die den Minister und die CDU-Fraktion beraten – sie alle! –, sagen: 500 € sind viel zu wenig; das muss viel mehr werden. Und es wird auch mehr werden!

Ihr Koalitionspartner, vertreten durch die Landesvorsitzende, hat ja auf eine sehr naiv freundliche und offene Art und Weise das Gebührenvisier heruntergelassen und einmal den Betrag von 1 000 € in die Welt gesetzt.

(Abg. Drexler SPD: So ist es! Frau Homburger!)

Bitte schön! Mehr hat man gar nicht gebraucht als diese Aussage. Ich sage Ihnen eines: Wenn der Damm einmal gebrochen ist, gibt es kein Halten mehr. So ist es überall auf der Welt.

(Beifall bei der SPD)

Kindlich naiv ist auch der, der glaubt und behauptet, die Erträge aus den Studiengebühren blieben in den Hochschulen. Baden-Württemberg wäre das erste Land auf der Welt, in dem das so wäre. Selbst der Minister jongliert ja mit unterschiedlichen Zahlen. Da sind einmal 200 Millionen € im Gespräch, einmal 150 Millionen €, einmal 180 Millionen €, die bei den Hochschulen bleiben. In einem Chat sagte er, von 1 000 € blieben 900 € an den Hochschulen, also 90 %, während, wenn man alle Gründe zusammenzählt, die in der Stellungnahme zu unserem Antrag in Bezug auf die Frage aufgeführt sind, weswegen das Geld nicht an der Hochschule bleibt, 27 % von den Gesamteinnahmen aus den Hochschulgebühren abgezogen werden. Was gilt denn jetzt? Keiner weiß es. Alle werden überrascht sein, was dann tatsächlich bei den Hochschulen bleibt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sie haben nicht zuge- hört! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Neben dieser Unsicherheit tragen die Hochschulen dann auch noch das volle Risiko: das volle Risiko beim Verwaltungsaufwand, das volle Risiko des Ausfalls und das Risiko der jetzt erfolgten Öffnung der Kapazitätsverordnung. Ich verstehe die Hochschulen gut. Nach der Enttäuschung über das erste Schreiben aus dem Ministerium im Sommer, wonach sie mit den Mitteln kein wissenschaftliches Personal einstellen können, hat das Ministerium jetzt eine kleine Kehrtwendung vollzogen und sagt nun: Okay, man kann auch wissenschaftliche Stellen einrichten, ohne dass sie als kapazitätserweiternd gelten. Sie führen also nicht zu einer Zulassungszunahme. Aber jetzt sollen die Hochschulen mit dem Geld, das sie bekommen, den Bibliotheken ermöglichen, Bücher zu kaufen und Öffnungszeiten zu verlängern, jetzt sollen sie Tutoren einstellen, wissenschaftliche Hilfskräfte einstellen, die Studienberatung verbessern und auch noch Professorinnen und Professoren einstellen. Ja bitte, was denn noch alles? So viel Hoffnung mit dem bisschen Geld! Was ist denn davon real?