Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: „Hoch verschuldet“ bei 4 000 €? Ist man bei 4 000 € hoch verschuldet? – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU – Unruhe)

Sie vernachlässigen völlig die Opportunitätskosten, die ein Studium beinhaltet. Sie wissen, was ein Student jeden Monat erbringen muss,

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Ich weiß, was er den Steuerzahler kostet! – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

weil er über Jahre hinweg auf Einkommen verzichtet, welches während der Zeit des Studiums zusammenkommen würde.

(Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Herr Pfisterer, ich muss auch sagen: Es ist auch für eine Kommune gut, wenn es da Wertschöpfung gibt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP – Heiterkeit bei der CDU – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Ich habe außer hochschulpolitischen Gesichtspunkten auch ein kleines Eigeninteresse daran, weil eine Stadt wie Heidelberg als Dienstleistungszentrum ohne Industrie eine gro

ße Universität braucht und weil ich, abweichend von eurem Elitenbegriff, auch davon ausgehe, dass man eine große Masse fähiger Menschen braucht, damit sich daraus etwas Besonderes entwickeln kann. Dieses Studiengebührenmodell führt aber dazu, dass in der Hoffnung, dass etwas Besseres dabei herauskommt, kleinere Einheiten entstehen,

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Völlig falsch!)

die bei irgendwelchen Rankings mitmachen, die von der Bertelsmann-Stiftung gesponsert sind und die in anderen Zusammenhängen auch wieder schauen, dass sie für sich selbst Vorteile aus der Gesellschaft herausholen. Man muss da also sehr vorsichtig sein.

(Abg. Rückert CDU: Der Wahlkampf beginnt erst nach Weihnachten! – Weitere Zurufe – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Wichmann, lassen Sie sich durch die Zwischenrufe nicht so stören, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, fortzufahren.

(Lebhafte Heiterkeit)

Herr Präsident, ich habe einmal in einem Handbuch gelesen: Das nennt man eine rhetorische Pause.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, was hier überhaupt nicht zur Sprache kam, ist die Aussage, dass es über die Einführung von Studiengebühren zu einer Verlagerung nicht nur derjenigen komme, die ein Studium anfangen. Ich möchte daran erinnern, dass der Anteil der Studenten aus einkommensschwachen Schichten der Bevölkerung damals, als Kohl das BAföG auf Volldarlehen umgestellt hat, von 27 % auf 13 % zurückgegangen ist. Davon habe ich heute nichts gehört. Die Befreiungs- und Ausnahmetatbestände sind dazu auch ein bisschen zu verwaschen und zu wenig genau gefasst.

Ich möchte Ihnen auch sagen: Wir bekommen auch eine kleine Prozesslawine, wenn jetzt diese 4 000 € bezahlt werden müssen, Herr Professor Klunzinger. Wie oft kommen Studenten zu mir, die einen Praktikumsplatz nicht antreten können, die einen Seminarschein nicht machen können, weil eine Überbelegung an der Universität stattfindet!

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Der muss doch erst zahlen, wenn er selber verdient!)

Wir bekommen da eine Prozesswelle.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Nein! Er muss erst zahlen, wenn er verdient!)

Das ist das eine.

Das Zweite ist: Ich möchte mich auch einmal dagegen wehren, dass hier immer die Kundenbeziehung in den Vordergrund gestellt wird. Es wird nie eine paritätische Kundenbeziehung zwischen Universität und Student geben. Allein durch die Prüfungsprozeduren, die der Student über sich ergehen lassen muss, allein durch das Abhängigkeitsverhält

nis, in dem er sich befindet, hat er nie eine Funktion auf gleicher Augenhöhe innerhalb der Universität. An dieser Stelle stimmt das Kundenargument nicht.

Ein zweiter Grund, warum es nicht stimmt, ist: Solange keine Mitwirkungsrechte des Studenten an der Universität richtig festgestellt sind – –

(Abg. Pfisterer CDU: Die haben wir doch in das Gesetzesvorhaben eingebaut!)

Ja, „im Benehmen“. Das ist ungefähr so, wie nächste Woche unsere Ausschusssitzung verlaufen wird, wenn wir argumentieren und dann das Studiengebührengesetz mit eurer Mehrheit durch den Landtag gehen wird. Das ist dann auch „im Benehmen“.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Das hat der Wähler entschieden! Das ist unsere Aufgabe!)

Aber Sie können, wenn Sie Partizipation der Studenten an der Universität einfordern, nicht sagen: „im Benehmen“ und es dann dabei belassen. Da muss schon ein bisschen mehr dabei herauskommen.

(Abg. Pfisterer CDU: Das ist eingebaut! – Abg. Dr. Klunzinger CDU: Sollen die Studenten allein be- stimmen?)

Es wird zu einer Verlagerung bei den Studiengängen kommen. Die Studiengänge, die in kurzer Zeit einen hohen ökonomischen Nutzen nach sich ziehen, werden verstärkt nachgefragt. Wir werden auch eine starke Diskrepanz zwischen den großen Universitäten, die ein vielfältiges Angebot vorhalten, und kleinen Universitäten wie zum Beispiel der Universität Ulm haben.

Was nicht geklärt ist, ist die Frage: Was geschieht mit dem Gebührenaufkommen? Es gibt keinen Umverteilungsschlüssel. Attraktive Fächer erzielen hohe Gebühreneinnahmen, unattraktive Fächer geringere Gebühreneinnahmen. Es ist nicht berücksichtigt, wie es an der einzelnen Hochschule mit der Höhe der Ausfallgebühren läuft. Welche Universität ist stärker betroffen, welche ist weniger betroffen? Auch da gibt es keinerlei Ausgleichsfunktion.

Es wird eine Abkehr derjenigen geben, die sich ein Universitätsstudium mit Masterabschluss nicht leisten können; die werden zur Fachhochschule und zur Berufsakademie gehen. Hier gibt es also schon eine Lenkungs- und eine Steuerungswirkung. Das, was das Wissenschaftsministerium und die Universitäten über ihre Strukturpläne jetzt schon machen, nämlich kleine, so genannte Orchideenfächer zu schließen, wird sich jetzt über den ökonomischen Druck, über die Studiengebühren noch beschleunigen. Ob das der Hochschullandschaft Baden-Württembergs gut tut, wage ich sehr stark zu bezweifeln.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Wir sind überzeugt davon, dass es gut tut!)

Ich finde es auch bezeichnend, dass die Partei, die immer das Wort „Familie“ so groß im Mund führt, jetzt ein Gesetz verabschiedet, das die Menschen, die sich vom Alter her in

der Gründungsphase einer Familie befinden könnten, davon abhält, eine Familie zu gründen.

(Abg. Pfisterer CDU: Ja warum?)

Weil sie durch Studiengebühren belastet sind.

(Abg. Pfisterer CDU: Aber die zahlen doch gar nichts zu dem Zeitpunkt! – Gegenruf der Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Keine Ahnung!)

Aber die Gründung einer Familie nach Abschluss des Studiums ist bei zurückzuzahlenden Studiendarlehen erschwert.

(Abg. Pfisterer CDU: Wenn sie ein hohes Einkom- men haben? – Abg. Dr. Klunzinger CDU: Bei 4 000 €? – Abg. Pfisterer CDU: Man muss das Ge- setz auch lesen!)

Sie versuchen uns hier weiszumachen, dass Baden-Württemberg das erste Land auf der ganzen Welt ist, das 500 € Studiengebühren pro Semester einführt und es dabei bewenden lässt.

(Abg. Zimmermann CDU: Also würden Sie 500 € akzeptieren?)

Ich würde 500 € nicht akzeptieren, denn für mich ist Bildung ein öffentliches Gut und keine Ware. Ich grenze auch niemanden vom Hochschulzugang aus,

(Abg. Alfred Haas CDU: Wir schicken Ihre Rede nach Berlin!)

wenn ich weiß, dass es eigentlich die Aufgabe in der Bundesrepublik und auch im Land Baden-Württemberg wäre, mehr Leute an die Universität zu bringen, einen höheren Prozentsatz eines Jahrgangs an die Universität zu bringen, und dass unsere Zukunft darin liegt, dass bei uns mehr Leute und nicht weniger Leute studieren. Es wird auch eine der Aufgaben sein, möglichst viele Frauen an die Universität zu bringen. Die Aufnahme eines gebührenpflichtigen Studiums wird für Frauen zusätzlich erschwert; denn man weiß, dass Frauen bislang in einem Land wie Baden-Württemberg später immer noch schlechtere Berufschancen haben als ihre männlichen Kollegen. Das kann man auch in Österreich und in anderen europäischen Ländern beobachten.

Das einzige Studiengebührenmodell, das funktioniert, ist ein Studiengebührenmodell, das die Grundalimentation des Studenten höher ansetzt als die Gebühr, die von ihm verlangt wird. Ein solches Studiengebührenmodell kann funktionieren. Vielleicht hätte das auch die eine oder andere Steuerungswirkung. Aber wir sind ja außerstande, die Grundalimentation zu erhöhen, wie das erfolgreiche Länder wie Schweden, die Niederlande, Finnland machen, die in allen Bildungsrankings vor uns liegen, die einen extrem hohen Anteil an Akademikern pro Jahrgang haben und bei denen dadurch die Produktivität und das Wirtschaftswachstum extrem hoch sind.

Ich habe die große Befürchtung, dass wir durch dieses Gesetz den Anteil der Studierenden in der Bevölkerung künstlich reduzieren werden. Ich habe die große Befürchtung, dass wir mit diesem Gesetz eine Ausgrenzung betreiben.

Und ich habe die Befürchtung, dass die Öffnung der Schranken, die wir vor 30 Jahren bewirkt haben, zu einer Rückkehr zu ständestaatsähnlichen Situationen in unserer Gesellschaft führen werden. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen, um uns der globalen Herausforderung zu stellen.

Sie müssen sich anschauen, wie rasant sich der Anteil der Studierenden in China entwickelt. Sie müssen schauen, wie sich die Hochschullandschaft in Indien entwickelt. Sie müssen schauen, wie viel in den Ländern, die im Wirtschaftswachstum und in ihrer Wirtschaftskraft zulegen, direkt vom Staat in Bildung investiert wird. Wenn wir in den nächsten 20 Jahren Anschluss halten oder an der Spitze bleiben wollen, müssen wir öffentliches Geld in die Bildung stecken und dürfen uns nicht damit behelfen, dass wir durch den Griff in die Tasche der Studenten versuchen, die Defizite in diesem Bereich zu kaschieren.

(Beifall bei der SPD)