Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

In seiner Kritik des Gothaer Programmentwurfs schreibt Karl Marx:

Wenn in einigen Staaten … auch „höhere“ Unterrichtsanstalten „unentgeltlich“ sind, so heißt das faktisch nur,

jetzt tritt die Diktion von Karl Marx klar zutage –

den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten.

(Abg. Schmiedel SPD: Das war im vorletzten Jahr- hundert! – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Wollen Sie sich daran erinnern, dass wir eine völlig andere Rolle von Wissenschaften haben? Völlig unhistorisch! – Weitere Zurufe)

Wenn Sie die Interessen der niederen Klassen vertreten wollen und das Massenelend anführen, dann haben Sie Karl Marx falsch verstanden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das ist völlig unhistorisch, Herr Klunzinger, was Sie da ar- gumentieren! – Weitere Zurufe)

Ich höre Sie nicht. Sie geifern zu sehr. Die weibliche Stimme ist in der Tonhöhe etwas höher, deshalb ist sie immer etwas unangenehmer. Ich habe Sie überhaupt nicht verstanden, weil Sie zu sehr gegeifert haben.

(Unruhe bei der SPD)

Abschließend – das akzeptieren Sie hoffentlich noch – möchte ich Immanuel Kant zitieren. Immanuel Kant sagt zu unserer Problematik – wenn das Studium als Geschenk des Steuerzahlers offeriert wird –:

Der zum ordentlichen Zahlen angehaltene Zuhörer wird dadurch gewissermaßen immer auch zum Fleiß genötigt.

Der Mann hat Recht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Anhalten- der Beifall bei der CDU – Beifall bei Abgeordne- ten der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das ist schön, dass Frau Fauser bei Karl Marx klatscht!)

Das Wort erhält Herr Abg. Wichmann.

(Abg. Herrmann CDU: Jetzt kommt Schiller! – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Goethe und Schiller kommen jetzt!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Klunzinger, ich bin Ihnen dankbar; aber Sie als Wissenschaftler sollten eigentlich sauber argumentieren lernen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Klunzinger CDU: Das mache ich! – Abg. Drexler SPD: Das hat er nie gelernt! – Unruhe)

Denn wenn Sie die Kritik von Karl Marx am Gothaer Programm von 1867 zitieren, sollten Sie sich dessen vergewissern, dass es damals eine Bildungskleinstaaterei gab – zu der Sie zurückwollen. Außerdem gab es im Deutschen Bund lineare Steuersysteme.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Die Aussage ist völlig unabhängig von der Zeit! Die Aussage ist klas- sisch!)

Aus diesem Grund ist die Aussage richtig, dass bei linearen Steuersätzen die Rückführung der Studienkosten durch höhere Beiträge gerechtfertigt ist.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Also: Karl Marx hat Recht!)

Aber wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein Steuersystem, das sich seit der Reichsgründung herausgebildet hat – seit 120 Jahren –, nämlich ein Steuersystem, das sich an der Leistungsfähigkeit des Einzelnen bemisst.

(Abg. Drexler SPD: So ist es! Progressiver Steuer- satz! – Abg. Schmiedel SPD: Das war jetzt kosten- lose Nachhilfe, ohne Gebühr! – Abg. Dr. Klunzin- ger CDU: Lesen Sie im Protokoll nach, was ich ge- sagt habe! Sie haben nicht verstanden, was ich ge- sagt habe! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Und Sie wollen das, was Professor Kirchhof will!)

Um darauf zurückzukommen, bedeutet das: Wir haben in Deutschland bereits ein Studiengebührensystem, und zwar durch Steuern. Und dieses Steuersystem muss gerecht gestaltet werden. So gesehen hat Herr Frankenberg auch nicht Recht mit der Argumentation – –

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Sie haben nicht ver- standen, was ich gesagt habe!)

Gothaer Programm 1867! Schauen Sie sich einmal die Steuergesetzgebung in diesem Zeitraum an. Sie werden feststellen, dass es da kein progressives Steuersystem gab.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es damals einen ersten Schritt hin zu einer Bildungsoffensive der Gesellschaft gab, als klar wurde, dass die Agrarbevölkerung in die Städte kam und die Bildung nicht hinreichend war.

Der zweite große Schritt war in den Sechzigerjahren, als Georg Picht von der „Bildungskatastrophe“ sprach. Damals haben sich FDP-Politiker wie Hildegard Hamm-Brücher und wie Helga Schuchardt dafür eingesetzt, die Bildung für alle Schichten zu öffnen.

(Abg. Drexler SPD: So ist es! – Abg. Dr. Klunzin- ger CDU: Und Ihr Generalsekretär Glotz? Was sa- gen Sie zu dem?)

Mein Generalsekretär Glotz hat sich seinen eigenen Kopf bewahrt. Ich bewahre mir auch meinen eigenen Kopf.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Klunzinger CDU: „Eigener Kopf“, gibt es das bei der SPD auch?)

Das ist in der Demokratie ganz praktisch.

(Beifall bei der SPD)

Um gleich bei Ihnen weiterzumachen:

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Ja!)

Immanuel Kant sagt: Wer ordentlich zahlt, ist auch ordentlich fleißig. Lassen Sie mich das einmal kurz subsumieren.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Ja!)

Sie sprechen von einer Zeit, als es noch die Universitas gab: mit einer eigenen Rechtsprechung, mit einem Karzer und mit einer sehr starken autoritären Führung innerhalb der Universität durch den Rektor und den Kanzler. Das ist ja genau das, was uns mit der Landeshochschulgesetzesnovelle jetzt wieder blüht, nämlich ein Rückfall hinter die Aufklärung, eine paternalistische Struktur

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Klunzinger CDU: In welcher Welt leben Sie?)

sowie bilaterale Beziehungen zwischen Rektorat und Wissenschaft. Die Mangelverwaltung wird in die Autonomie gestellt, und das wird dann als Fortschritt verkauft.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: So ist es! – Abg. Theurer FDP/DVP: Das Ganze ist amü- sant, aber entspricht nicht den Tatsachen! – Abg. Dr. Klunzinger CDU: Ach du lieber Gott!)

Interessant ist auch die Geschichte mit dem linearen und dem progressiven Steuersystem. Schauen wir einmal ein bisschen in die jüngere Geschichte Ihrer Partei: Das ist ja genau das, was Sie vorhaben; Sie haben ein lineares Steuersystem mit der Flat Tax Marke Paul Kirchhof, Sie haben eine Vereinheitlichung der Steuersätze mit Ihrem Kollegen

Friedrich Merz, und das bedeutet, dass Sie oben zurückführen, während Sie unten eine Gleichmacherei einführen. Das ist etwas, was man der Sozialdemokratie 20 Jahre lang vorgeworfen hat: eine Gleichmacherei zu betreiben, ohne zu berücksichtigen, wer denn eigentlich die Leistung erbringen kann

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Sie haben keine Ah- nung!)

und ob er die Möglichkeiten dazu hat.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: Sie haben keine Ah- nung! Sie haben keine Ahnung vom Steuersystem!)

Diese Gleichmacherei heißt jetzt „Kopfpauschale“ oder „Studiengebühren“. Es ist auch so ein Rückschritt, dass man den Einzelnen jetzt als Marktteilnehmer betrachtet, ohne zu berücksichtigen, welche Chancen er hat, Marktteilnehmer zu werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Klunzinger CDU: Null Ahnung! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Claus, sprich langsamer, damit der Herr Klunzinger mit- kommt!)

So gesehen haben wir heute wirklich eine historische Debatte. Denn das Land Baden-Württemberg versucht, das öffentliche Gut Bildung zur Ware Bildung zu machen. Hier wird von allen möglichen Rednern von „Investitionen in die eigene Zukunft“ gesprochen, für die man etwas verlangen könne. Da frage ich Sie einmal: Wie wollen Sie denn bei gleichen Sätzen für alle Studenten verhindern, dass ein Sozialarbeiter, der auf einer Halbtagsstelle in irgendeinem Jugendzentrum in Mannheim tätig ist und sein Darlehen in kleinen Beträgen zurückzahlt, hoch verschuldet ist, wenn er aus kleinen Verhältnissen kommt?

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: „Hoch verschuldet“ bei 4 000 €? Ist man bei 4 000 € hoch verschuldet? – Zuruf des Abg. Pfisterer CDU – Unruhe)