Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Professor Jestaedt hat im Übrigen bei Ihrem Fachgespräch dargelegt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen sei, dass es auch für ein Verbot des Kopftuchs in Kindergärten ein Gesetz verlangen würde.

Mit unserem Gesetzentwurf lehnen wir uns an die Bestimmungen des Schulgesetzes an. Wir fordern dieses Neutralitätsgebot selbstverständlich nur für die Kindergärten der öffentlichen Hand, also für die öffentlichen Einrichtungen. Ausgenommen sind deshalb Kindergärten der Kirchen und freien Träger. In diesen Kindergärten gilt dieses Neutralitätsgebot nicht. Gerade die Kirchen legen zu Recht Wert darauf, dass in ihren Kindergärten die Kinder auch religiös im Sinne der jeweiligen Konfession erzogen werden. Auch muslimische Kindergärten wären im Übrigen zulässig, wenn die Anforderungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes erfüllt würden und insbesondere die gesellschaftliche und die sprachliche Integration nicht erschwert würden.

Dass in der Öffentlichkeit, leider wiederum auch von den Grünen, erneut der unzutreffende Vorwurf erhoben wird, die Debatte über die Neutralitätsverpflichtung und deren Ausgestaltung bei der öffentlichen Hand sei – ich zitiere aus Ihrer Pressemitteilung – „ein Zeichen der Ausgrenzung und Ablehnung der muslimischen Religion und Kultur“, veranlasst mich, darauf hinzuweisen, dass dies völlig unzu

treffend ist. Vielmehr handelt es sich hier um eine jahrzehntealte Diskussion. So hatte sich das Bundesverfassungsgericht bereits vor 30 Jahren, nämlich im Dezember 1975, aufgrund einer Verfassungsbeschwerde mit der Frage auseinander zu setzen, ob die christliche Gemeinschaftsschule im Sinne von Artikel 15 Abs. 1 unserer Landesverfassung als Schulform mit dem Grundgesetz vereinbar sei oder den Beschwerdeführer unzulässig in seinen Rechten aus der negativen Glaubensfreiheit verletze.

Ferner will ich beispielhaft erwähnen, dass die Rechtsprechung in vielen Urteilen entschieden hat, dass zum Beispiel eindeutige äußerliche politische Bekundungen nicht zulässig sind und dass die während der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß vor 25 Jahren verbreiteten Plaketten mit der Aufschrift „Stoppt Strauß“ nicht in Schulen getragen werden dürfen, weder von Lehrern noch von Schülern. Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht schon vor vielen Jahren einem Lehrer das weltanschaulich motivierte Tragen von Bhagwan-Kleidung in der Schule untersagt. Lassen Sie mich schließlich noch auf das so genannte Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweisen.

Es kann also keine Rede davon sein, dass die Diskussion über die Neutralitätsverpflichtung des Staates nur und ausschließlich mit der Zielsetzung geführt werde, die muslimische Religion und Kultur auszugrenzen.

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Abwägung zwischen der positiven und negativen Religionsfreiheit führt in der Bundesrepublik und in Baden-Württemberg unstrittig insgesamt dazu, dass im allgemeinen öffentlichen Raum und auch bei öffentlichen Veranstaltungen, die vom Staat oder den Gemeinden durchgeführt werden, die positive Religionsfreiheit voll gewährleistet ist, sich also jede bzw. jeder so kleiden kann, wie es der eigenen religiösen Auffassung entspricht. Allen anderen wird zugemutet, diese Bekundungen einer religiösen Einstellung hinzunehmen. Dies ist in vielen islamischen Ländern übrigens nicht möglich.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das ist das allerletzte Argument!)

Herr Kretschmann, von einer Behinderung der Integration oder gar von einer Ausgrenzung der Muslime bei uns kann doch keine Rede sein, wenn sie in unserem Staat mehr Rechte haben als in muslimischen, in islamischen Staaten.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Absurd! Das ist doch eine absurde Argumentation, einen demokratischen Rechtsstaat mit irgendwelchen Unrechtsregimen zu vergleichen! Das ist einfach degoutant!)

Sie hätten richtig zuhören sollen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Ich höre Ihnen immer sehr genau zu!)

Wenn zum Beispiel in der Türkei – von daher stammen drei Viertel unserer Muslime – die positive Religionsfreiheit viel weiter gehend eingeschränkt ist als bei uns,

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das ist auch kein Rechtsstaat!)

kann man doch nicht sagen, dass bei uns die Integration dadurch gefährdet wird, dass wir ihnen mehr Rechte einräumen, als sie in der Türkei haben.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Das gilt übrigens auch für Frankreich.

Bei öffentlichen Einrichtungen der Bildung und Erziehung ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Erzieherinnen und Erzieher nicht nur die Möglichkeit, sondern die Aufgabe haben, Kinder zu bilden, zu erziehen, das heißt zu beeinflussen. Da stellt sich selbstverständlich die Frage: Welche Erziehungsinhalte werden durch Wort und Tat, aber auch durch sonstige äußere Bekundungen vermittelt? Deshalb haben Erzieher und Erzieherinnen hier besonders die negative Religionsfreiheit der ihnen anvertrauten Kinder und deren Eltern und das Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren.

Gerade Erzieherinnen und Erziehern muss wie Lehrerinnen und Lehrern klar sein, dass ihrerseits besondere Zurückhaltung zu üben ist und dass sie keinesfalls durch ihr äußeres Verhalten, durch äußere Bekundungen den Eindruck hervorrufen dürfen – sei er berechtigt oder nicht –, sie würden nicht uneingeschränkt unsere Verfassungswerte, das heißt insbesondere die Achtung der Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ihrem Erziehungsauftrag zugrunde legen.

Gerade von Erziehern muss gefordert werden, dass sie sich darüber im Klaren sind, dass die Ausübung eigener Freiheitsrechte ihre Schranke findet an den Freiheitsrechten der anderen. Toleranz ist keine Einbahnstraße!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP)

Wenn ich in Diskussionen teilweise höre, wenn Kinder oder Eltern an einer kopftuchtragenden Erzieherin Anstoß nehmen, dann sollten sie doch einen anderen Kindergarten aufsuchen, dann ist dies doch völlig inakzeptabel.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wer sagt das?)

Inakzeptabel ist auch, was aus Ihrem Antrag hervorgeht. Sie verweisen auf die fehlende Kindergartenpflicht im Gegensatz zur Schulpflicht. Das heißt doch, Sie muten Kindern zu, eine öffentliche Einrichtung nicht zu besuchen, wenn dort eine kopftuchtragende Erzieherin tätig ist und die Eltern dies ablehnen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wie kommen Sie darauf?)

Diese Verpflichtung gilt – ich wiederhole es – für alle Erzieherinnen und Erzieher, unabhängig davon, welche weltanschauliche, religiöse oder politische Auffassung sie durch ihr äußeres Verhalten bekunden wollen.

Im Fall des Tragens eines Kopftuchs gilt diese negative Religionsfreiheit im Übrigen nicht nur im Verhältnis zu christlichen oder areligiösen Kindern und Eltern, sondern selbst

verständlich auch im Verhältnis zu muslimischen Kindern und Eltern. Nur ein sehr kleiner Teil der in Baden-Württemberg lebenden rund 600 000 Muslime befürwortet das Tragen eines Kopftuchs. Die große Mehrheit der Muslime lehnt dies für sich selbst konsequent ab.

Gerade die türkischstämmige Rechtsanwältin Frau Ates hat in der gemeinsamen Anhörung des Schulausschusses und des Ständigen Ausschusses im März 2004 dargelegt – ich zitiere –,

… dass die Masse der muslimischen Eltern dagegen ist, dass das Kopftuch in der Schule getragen wird und dass die Masse der muslimischen Kinder einen starken Einfluss spürt.

Sie hat weiter ausgeführt – ich zitiere –:

Allein die Tatsache, dass sie vor ihnen steht mit dem Kopftuch, hat einen Einfluss.

Die Ablehnung der großen Mehrheit der Muslime beruht im Übrigen auch darauf, dass Kopftuchträgerinnen ein aus unserer Sicht und der Sicht der muslimischen Mehrheit ein falsches Verständnis zum eigenen Körper demonstrieren. Wie sollte eine Lehrerin oder Erzieherin, die darauf besteht, nur mit dem Kopftuch zu unterrichten, einem muslimischen Mädchen klar machen, dass das Mädchen den Sport- und Schwimmunterricht an unseren Schulen zu besuchen und mitzumachen hat, wenn sie selbst als Erziehende den Besuch eines öffentlichen Schwimmbads ablehnt?

(Abg. Röhm CDU: Völlig richtig!)

Sie kennen ja die Probleme an unseren Schulen, die daraus resultieren.

Bezüglich der bisher dargelegten Prinzipien befinden wir uns in Übereinstimmung mit den entsprechenden Regelungen im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungsparteien. Wir wollen jedoch im Gegensatz zu den Regierungsparteien den Trägern der öffentlichen Kindergärten, also insbesondere den Kommunen, die Möglichkeit einräumen, auf Antrag eine Bekundung zuzulassen, wenn und solange dadurch nicht der Friede in der Einrichtung gestört wird. Wir sehen also ausdrücklich einen genau definierten Erlaubnisvorbehalt vor. Damit wird der kommunalen Selbstverwaltungskompetenz Rechnung getragen und die Möglichkeit eingeräumt – nach Abwägung und Prüfung –, zum Beispiel der positiven Religionsfreiheit einer Fachkraft im Einzelfall zu entsprechen.

Es ist für uns völlig unverständlich, dass die Regierungsfraktionen einen solchen Erlaubnisvorbehalt ablehnen. Wollen Sie im Ernst zum Beispiel die Stadt Stuttgart dazu zwingen, gegenüber den 30 Erzieherinnen das Verbot des Tragens eines Kopftuchs auszusprechen und diese bei Weigerung zu entlassen, obwohl bisher der Friede in den Einrichtungen gewahrt ist? Ihr Gesetz würde doch erst den Unfrieden in diese Einrichtungen tragen. Das können Sie doch nicht im Ernst wollen.

Lassen Sie uns deshalb bei den Ausschussberatungen gemeinsam das generelle Verbot, aber auch den kommunal

verfassungsrechtlich notwendigen Erlaubnisvorbehalt einführen, der zudem im Einzelfall eine angemessene individuelle Lösung ermöglicht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schebesta.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf von CDU und FDP/ DVP hat mehrere Bestandteile. Er beinhaltet eine Regelung zur Finanzierung gemeindeübergreifender Kinderbetreuungseinrichtungen, die Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes und das Verbot des Tragens eines Kopftuchs für Erzieherinnen in öffentlichen Kindergärten.

Nur zu Letzterem will ich in der ersten Runde sprechen. In der zweiten Runde übernimmt mein Kollege Alfred Haas die weiteren Punkte.

Im Landtag haben wir uns – Herr Birzele hat es erwähnt – eingehend mit der Frage eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen in öffentlichen Schulen beschäftigt. Auch für den Bereich des Kindergartens ist eine komplizierte Güterabwägung erforderlich. Es geht um die negative und die positive Religionsfreiheit, die zu berücksichtigen sind, und es geht um die Frage: Welche Botschaft vermittelt ein Symbol in öffentlichen Einrichtungen?

Ich möchte für die CDU-Landtagsfraktion noch einmal klar zum Ausdruck bringen: Für uns ist das Kopftuch kein ausschließlich religiöses Symbol. Wir werden gerade auch von muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern immer wieder angesprochen, die sagen: Das Kopftuch steht auch für eine bestimmte Auslegung des Islam im Sinne des politischen Islamismus, ist also auch mit einer politischen Botschaft verbunden, und als solches Symbol ist es Teil der Unterdrückungsgeschichte der Frau. Bei der Anhörung im Landtag zu dem Gesetzentwurf, der für den Schulbereich ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen vorsah, hat dies Frau Ates, eine bekennende Muslimin – Herr Birzele hat es angesprochen –, glaubhaft dargelegt. Ihr stimmten erkennbar die meisten muslimischen Gäste, die an der Anhörung teilnahmen, zu.

Nicht jede muslimische Frau, die ein Kopftuch trägt, äußert diese politische Botschaft oder ist gar eine Islamistin. Frauen mögen ihre Entscheidung für das Tragen dieses Kleidungsstücks religiös begründen oder damit eine individuelle Wertentscheidung zum Ausdruck bringen. Das Symbol ist aber mehrdeutig. Deshalb kamen alle Fraktionen, die dem gegenwärtigen Landtag angehören, in der letzten Legislaturperiode zu dem Ergebnis, dass der Staat durch eine seiner Lehrerinnen den Schülerinnen und Schülern nicht mit einem solch mehrdeutigen Symbol gegenübertreten soll.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die große Mehrheit des Landtags in dieser Legislaturperiode dafür im April 2004 eine gesetzliche Regelung getroffen. Wir sehen darin ebenso wenig, wie Herr Kollege Birzele für die SPD ausgeführt hat, einen Widerspruch zu den Bemühungen um Integration. Es liegt gerade keine Ausgren

zung vor. Vielmehr bemühen wir uns um eine Integration auch derjenigen, die in öffentlichen Einrichtungen mit einem solchen politischen Symbol konfrontiert werden. Auch in öffentlichen Kindergärten tritt der Staat den Kindern durch Erzieherinnen gegenüber, die bei den Körperschaften als Träger der Einrichtungen beschäftigt sind.

Es gibt Unterschiede zwischen Schule und Kindergarten: die Schulpflicht, die Anstellungskörperschaften bei öffentlichen Einrichtungen oder die wesentlich größere Trägervielfalt. Es bleibt aber der gleiche Staat, der durch die Erzieherinnen in öffentlichen Kindergärten vor den Kindern steht.

Deshalb wollen wir ein Kopftuchverbot, angelehnt an die Regelung im Schulgesetz, auch im Bereich des Kindergartens vorsehen, nachdem der Fall einer muslimischen Kinderpflegerin in Ebersbach großes Aufsehen erregt hat. Wir nehmen dabei den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ernst, ein solches Verbot nur durch eine gesetzliche Regelung auszusprechen.

Mit Rücksicht auf die kommunale Selbstverwaltung schlagen Sie von der SPD – Herr Birzele hat es ausgeführt – ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vor. Auch für uns ist die kommunale Selbstverwaltung ein hohes Gut. Wir halten unseren Vorschlag für juristisch vertretbar und sehen keinen Eingriff in die Personalhoheit bzw. die konkrete Personalwirtschaft. Es handelt sich nur um eine allgemeine gesetzliche Regelung über Beschäftigungsvoraussetzungen. Solche Regelungen enthält § 7 des Kindergartengesetzes bereits, etwa Voraussetzungen für das pädagogische Personal, die Zulassung von Ausnahmen auf Antrag beim Jugendamt oder Voraussetzungen für die Leitungsfunktionen.