Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

(Heiterkeit – Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Fleischer CDU: Sehr gut! – Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP)

In der Allgemeinen Aussprache erteile ich Herrn Abg. Reichardt das Wort.

Herr Präsident, lieber Herr Kommissionsvorsitzender, liebe Frau stellvertretende Kommissionsvorsitzende! Ich spreche Sie alle noch einmal an – quasi Pars pro Toto –, um den Kolleginnen und Kollegen in der Kommission und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung und der Fraktionen Dank für die ausgezeichnete Zusammenarbeit zu sagen.

Der Vorsitzende hat Ihnen den Bericht schon als Weihnachtslektüre empfohlen. Es ist ein großer und, wie ich meine, auch inhaltlich exzellenter Band. Er soll das Lukasevangelium über die Feiertage nicht verdrängen,

(Abg. Stickelberger SPD: Das ist nicht so dick!)

aber er ist auch inhaltlich großvolumig und sehr konkret.

Wir haben als Gesamtkommission in etwa eineinhalb Jahren alle wesentlichen Felder bearbeitet, kameradschaftlich und kompetent. Sie erlauben mir diesen einen Satz: Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat objektiv nicht Recht,

(Abg. Dr. Döring FDP/DVP: Was? – Abg. Carla Bregenzer SPD: Grundsätzlich!)

wenn er, wie kürzlich in einer Pressemitteilung, behauptet, die CDU habe sich dem demografischen Thema im Landtag nicht gestellt. Wir alle haben uns in der Kommission gemeinsam mit diesem Thema befasst. Herr Drexler hätte gerne einmal zu Gast sein können, wir hätten ihm sogar ein Mineralwasser hingestellt. Er war in der Kommission nicht anwesend. – Das war auch schon das, was ich parteipolitisch sagen will.

(Zurufe der Abg. Fischer und Marianne Wonnay SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben die gesellschaftlichen Trends aufgearbeitet, Trends, die auch in unserem Bundesland einander überlagern. Wir stehen vor der Tatsache, dass in den westlichen Industrieländern die Menschen lebensälter werden, während zugleich weniger Babys zur Welt kommen. Wir haben Globalisierung, wir haben Internationalisierung, wir haben Miniaturisierung und Massenfertigung von Produkten als wirtschaftliche Megatrends. In Deutschland besteht für mehr Menschen als früher die Notwendigkeit, zum Arbeitsplatz von weit her anzureisen oder dorthin umzuziehen, wo sich ihr Arbeitsplatz befindet. Schließlich haben wir mehr und mehr optische und technische Anreize, denen die Menschen ausgesetzt sind, Anreize, die Lebenshaltungen und Lebenseinstellungen sicherlich in einer Weise prägen, wie sie noch nicht umfassend untersucht ist.

Daraus erklärt sich zumindest rational sehr vieles von dem, was wir in der Kommission untersucht und Ihnen in dem Bericht dargestellt haben. Zum einen nimmt die Bevölkerungszahl in unserem Land Baden-Württemberg als wirtschaftlich starkem Bundesland immer noch zu, und sie wird auch in den nächsten Jahren zunehmen. Wir haben derzeit 10,6 Millionen Menschen in unserem Bundesland. Im Jahr 2020 werden es laut Schätzung des Statistischen Landesamts, die dieser Tage an uns alle geschickt wurde, mehr als 11,1 Millionen Menschen sein.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Alle ranhalten!)

Wir müssen uns sicherlich, Frau Lösch, alle ranhalten. Aber, liebe Frau Kollegin, wir haben auch Zuzug. Wir haben Wanderungen von Nord nach Süd, wir haben Wanderungen von Ost nach Süd. Baden-Württemberg ist ein Wanderungsgewinner. Denn die Menschen wandern nach Baden-Württemberg, weil sie hier Arbeit finden und eine Zu

kunft sehen, zumindest mehr als in allen anderen Bundesländern.

(Beifall des Abg. Fleischer CDU)

In Deutschland hatten im Jahr 2004 von 439 Stadt- und Landkreisen nur noch 81 – also weniger als 20 % – mehr Geburten als Sterbefälle, und dies, obwohl die Sterbefallzahl 2004 aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung so tief war wie zuletzt 1987, also vor 18 Jahren. 26 dieser 81 Stadt- und Landkreise befinden sich im Land Baden-Württemberg, 25 im Freistaat Bayern. Im gesamten weiteren Bundesgebiet sind es nur noch 30 von 299 verbleibenden Stadt- und Landkreisen. Bei uns haben also mehr als die Hälfte der Stadt- und Landkreise noch eine positive Bilanz, was das Verhältnis Geburten zu Sterbefällen angeht, in den anderen Bundesländern sind es gerade noch 10 %.

Meine Damen und Herren, das zeigt ein Weiteres, was uns auch die Anhörungen bestätigt haben: Um Mut zum Kind zu entwickeln, bedarf es zuallererst Vertrauen in die Zukunft, zweitens Vertrauen in die Partnerschaft und schließlich drittens Maßnahmen, die wir politisch konkret unterstützen – ich nenne sie die politisch begleitenden Maßnahmen –, etwa für Vereinbarkeit von Familie und Beruf für junge Frauen und auch für interessierte Männer. Hier müssen wir Fortschritte machen, und die Landesregierung ist dabei, wie ich meine, auf einem hervorragenden Weg. Der Ministerpräsident misst dem Projekt „Kinderland BadenWürttemberg“ und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine hohe Priorität bei. Das ist richtig, weil er hier überzeugend Schwerpunkte setzt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aber nochmals: Entscheidend – das haben uns die Experten in den Anhörungen erklärt; da kommt auch die Politik mit ihren Vorgaben an ihr Ende – sind das Vertrauen in die Zukunft und das Vertrauen in die Stetigkeit von Partnerschaften. Aus allem, zusammen mit den politischen Maßnahmen, die richtig und erforderlich sind, wächst dann Familie und wächst der Mut zum Kind. Das war wohl das, was Frau Lösch mit ihrem Zwischenruf meinte. Fangen wir damit an!

Die CDU stand in der Kommission vor der Frage: Machen wir jetzt 100 oder 1 000 Einzelvorschläge und versprechen alles vor einer Landtagswahl – das wäre verführerisch gewesen –, oder bleiben wir als Land Baden-Württemberg mit unseren Haushalten auch künftig, wie schon bisher, Maastricht-konform und verfassungskonform? Wir haben uns für Verantwortung entschieden und zugleich den sehr entscheidenden Vorschlag der CDU in die Mitte gestellt: Wir wollen, dass künftig ausnahmslos alle Programme und Fördermaßnahmen des Landes und alle Initiativen und Aktivitäten des Landes gegenüber dem Bund entlang den demografischen Fakten und Erfordernissen ausgerichtet werden.

Die Leitfragen müssen dabei sein: Wie kann ich Mut zur Familie, Mut zur Zukunft, Mut zum Kind, Mut zur Verantwortung fördern? Wie kann ich die Chancen junger Menschen verbessern und gleichzeitig finanzpolitisch verantwortungsbewusst bleiben und handeln? Wie kann ich die Partizipation lebensälterer Menschen stärken? Dabei sind Arbeit, Bildung, Wissenschaft, Sport, Ehrenamt und freie Zeit, aber auch Menschenwürde zum Lebensende hin die

zentralen Felder, was die Lebensbedingungen in unserem Bundesland betrifft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Wieser CDU zur Opposition: Ihr könnt auch mitklatschen! Wenn man da nicht klatscht, dann weiß ich auch nicht!)

Die Opposition muss sich allmählich noch warm klatschen.

(Abg. Wieser CDU: Die schläft noch!)

Das kriegen wir im Laufe des Vormittags noch hin.

(Abg. Fischer SPD: Es kommt darauf an, was man redet!)

Herr Kollege Fischer, das Adventsklatschen wird bei Ihnen um halb elf einsetzen.

Wir fordern gemeinsam, dass dem Landtag künftig über die Umsetzung unserer konkreten Handlungsempfehlungen regelmäßig berichtet wird. Frau Kollegin Sitzmann hat den Antrag für uns alle formuliert und für die Grünen eingebracht. Wir haben alle diesem Antrag zugestimmt. Denn es darf keine Beliebigkeit entstehen, die dazu führen könnte, das Thema Demografie quasi zu verdrängen, nur weil die Kommission mit dem heutigen Tage ihre Arbeit abschließt. Wir müssen an diesem Thema in der Zukunftswerkstatt der Landespolitik nachhaltig dranbleiben. Eigentlich müsste diese Kommission als beratendes, die Landespolitik begleitendes Gremium in einer geeigneten Weise fortgeführt werden. Das hat aber sicherlich ein künftiger Landtag zu entscheiden. Denn die demografische Herausforderung, meine Damen und Herren, hat ja gerade erst begonnen.

Ich habe während unserer Beratungen vom Finanzministerium berechnen lassen, welche Kosten etwa für die Altersversorgung 2025 auf das Land zukommen. Meine Damen und Herren, diese Verbindlichkeiten entsprechen nach heutiger Prognose den Ausgaben für rund 50 000 bis 60 000 zusätzlichen Stellen. Wir haben derzeit rund 258 000 Landesbeschäftigte. Daran sehen Sie, welche Brocken auf uns zukommen. Die Beschäftigung mit diesen schweren Steinen wird die zentrale Aufgabe in der verantwortungsvollen Gestaltung von Landes-, insbesondere Haushalts- und Zukunftspolitik sein. Aber wir packen die Aufgaben verantwortungsvoll an.

Wie dieses Beispiel zeigt, verbietet es sich von selbst, leere Versprechungen zu machen. Wir als CDU haben bei jeder einzelnen Sitzung der Kommission deutlich gemacht: Alle Vorschläge sehen wir unter dem Gesichtspunkt finanzieller Solidität. Wir machen keine leeren Versprechungen. Wir beschreiben, was notwendig ist, und wir setzen es dann Zug um Zug um. Das ist meines Erachtens der richtige Kurs.

Wenn nun vonseiten der SPD behauptet wird – ich muss das aufgreifen –, es seien Zusagen zurückgenommen worden,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das stimmt ja auch!)

dann ist das einfach falsch. Wir haben Schritt für Schritt beraten – unter einem Vorbehalt: Am Schluss wird sich unsere

ganze Fraktion mit dem Paket befassen – entsprechend dem, was finanzpolitisch verantwortbar ist. Wir haben jeden Vorschlag in den verschiedenen Phasen der Kommissionsarbeit – das weisen die Kommissionsprotokolle vielfach aus – unter genau diesen Vorbehalt gestellt und endgültig zum Ende unserer Arbeit entschieden, und zwar unsere gesamte Fraktion. Die Handlungsempfehlungen der Koalition sind von der CDU-Fraktion und auch von der FDP/DVP-Fraktion einstimmig gebilligt worden. Damit hat sich im Falle der CDU die stärkste Fraktion landespolitisch festgelegt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Nur zahlenmäßig!)

Sie war dabei zukunftsfähig, und sie konnte folglich auf Luftzahlen, Frau Kollegin Haußmann, verzichten. Sie hat vielmehr Zukunftsaufgaben beschrieben, die dann Zug um Zug finanziert werden. Das ist der Unterschied zwischen Stratthaus und dem ehemaligen Bundesfinanzminister Eichel: Solidität auf der einen Seite, Luftzahlen auf der anderen Seite.

(Beifall des Abg. Wieser CDU – Abg. Wieser CDU: Stratthaus ist ein Kurpfälzer! – Zuruf von der SPD: Sie leben aber auch noch in der Vergan- genheit!)

Meine Damen und Herren, weil die SPD jetzt endlich wach wird, will ich doch zum adventlichen und vorweihnachtlichen Frieden noch eines sagen:

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Lieber nicht!)

Wer in einer so sehr fachlich ausgerichteten Kommission gleich wieder seinen „Asbach-Uralt“-Antrag „Abschaffung der Landesstiftung“ auf die Tapete kleistert, der sollte das eigentlich im Recycling-Komitee für Altanträge der SPDLandtagsfraktion tun,

(Abg. Wieser CDU: Oi!)

aber nicht in einer Fachkommission dieser Qualität, zu der alle beigetragen haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussion.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Altpeter.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Jetzt kommt Ni- veau!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Enquetekommissionen haben die Aufgabe, Entscheidungen des Landtags über umfangreiche und bedeutsame Sachverhalte vorzubereiten. Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass die Herausforderungen des demografischen Wandels an die Landespolitik ein solch umfangreicher und vor allem landespolitisch außerordentlich bedeutsamer Sachverhalt sind. Deshalb war es richtig, dass sich der Landtag im letzten Jahr fraktionsübergreifend auf die Einrichtung einer Enquetekommission „Demografischer Wandel“ verständigt hat.

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, welcher Auftrag dieser Enquetekommission auf den Weg gegeben wurde. Ich zitiere aus dem Einsetzungsbeschluss:

Ziele sind die Erarbeitung von Empfehlungen an den Landtag, wie in Baden-Württemberg die Herausforderungen des demografischen Wandels bewältigt werden können, insbesondere um ein solidarisches Zusammenleben der Generationen zu sichern, familienfreundliche Rahmenbedingungen – vor allem im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – herzustellen, die Zukunftschancen der jungen Generation und die Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen Leben zu sichern sowie für eine ausgewogene Entwicklung aller Landesteile zu sorgen.