Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Das Erste ist – um einmal mit der Bundespolitik zu beginnen; ich komme gleich auf das Land zurück –, dass wir Abschied nehmen müssen von einer Politik, die man nur als massive staatliche Vorruhestandsregelung bezeichnen kann.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Fischer SPD: Wer hat denn damit angefangen, Herr Kollege? – Abg. Ruth Weckenmann SPD: Wer war das? Sagen Sie nur, wer das war! Das reicht schon!)

Das gilt völlig unabhängig davon, wer es war. Ob „Mea culpa“ oder nicht, ist nicht die Frage. Es ist nicht die Frage, ob es die Schwarzen oder die Grünen oder wer auch immer waren. Eines ist allerdings richtig: Die Politik, die daran beteiligt war, hat es Hand in Hand auch mit der Wirtschaft gemacht. Die Wirtschaft hat diesen Prozess des staatlichen Vorruhestands natürlich genauso gefördert,

(Abg. Fischer SPD: Ja!)

aber das Ergebnis ist doch eine Katastrophe, Herr Kollege Fischer. Das Ergebnis ist eine Katastrophe.

(Glocke des Präsidenten)

Wir sind heute in einer Situation, in der wir jährlich um die 50 Milliarden € – jährlich, wohlgemerkt; jährlich! – für diese Politik bezahlen. Das werden wir uns in der Zukunft mit Sicherheit nicht mehr erlauben können.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Schmiedel?

Bitte.

Herr Minister, nachdem Sie diese Kooperation der Wirtschaft mit dem Staat bei der Zurruhesetzung von Älteren gerade kritisiert haben: Wie beurteilen Sie – –

Ich habe das nicht kritisiert! Ich habe nur gesagt: Es war nicht nur eine Veranstaltung der Politik, sondern genauso eine Veranstaltung der Wirtschaft.

Richtig. Ich habe Sie aber so verstanden, dass Sie das beendet sehen wollen.

Ja, das möchte ich beendet sehen.

Das wollen Sie beendet sehen. Deshalb in diesem Zusammenhang meine Frage: Wie beurteilen Sie, dass der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg einer der Ersten war, der Verständnis für die neue Welle der Zurruhesetzungen bei Daimler-Chrysler verlautbart hat?

Lieber Kollege Schmiedel, ich kann jetzt unmöglich auf die besondere Situation eines einzelnen Unternehmens eingehen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Warum nicht? – Abg. Schmiedel SPD: Sie sollen zum Ministerpräsiden- ten etwas sagen!)

Ich sage Ihnen nur: Wir können es uns in der Zukunft aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht mehr leisten, auf die besondere Qualifikation älterer Arbeitnehmer zu verzichten. Wenn wir dies tun, werden wir ein deutliches Stück an Wirtschaftsdynamik in diesem Land verlieren, und dies gilt es zu vermeiden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke des Präsiden- ten)

Ich möchte einen zweiten – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Kurz?

Aber gern.

Herr Minister, stimmen Sie mit mir darin überein, dass man nicht einfach von „der Wirtschaft“ sprechen kann, sondern dass hier eine differenzierte Betrachtung angebracht ist?

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Insbesondere die Großunternehmen lösten ihre Probleme auf diese Art und Weise, die kleinen und mittelständischen und lohnintensiven Betriebe aber bezahlten diese Misere durch eine hohe Beitragslast.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das ist absolut richtig. Diese Diskussion müsste natürlich auch geführt werden. Festzustellen ist, dass diese Entwicklung insbesondere in den Großbetrieben stattgefunden hat. Dass sie längst nicht in diesem Umfang bei den mittelständischen Betrieben stattgefunden hat, hängt eben auch damit zusammen, dass an der Spitze eines mittelständischen Betriebs in der Regel ein

(Minister Pfister)

Mann oder eine Frau steht, die mit vollem Risiko diesen Betrieb führen und bei denen es im Misserfolgsfall nicht mit einer Abfindung getan ist. Das ist der Grund dafür, dass diese Entwicklungen gerade in der mittelständischen Wirtschaft längst nicht in dem Umfang stattgefunden haben, wie es in Großbetrieben der Fall war.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass wir unbedingt die Parameter unserer Bildungspolitik und unseres Bildungssystems verschieben müssen. Es kommt bei dieser Entwicklung darauf an, die Erstausbildungszeiten tendenziell zu verkürzen, aber die Weiterbildungszeiten tendenziell zu verlängern.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Dann macht doch einmal was!)

Wir haben ja damit angefangen, lieber Kollege. Wir haben die Erstausbildungszeiten verkürzt, und wir müssen jetzt in der Tat die Weiterbildungszeiten verlängern. Dazu tut das Land Baden-Württemberg durchaus einiges.

Ich will einmal darauf hinweisen, dass die berufliche Weiterbildung aus meiner Sicht eine Aufgabe der Wirtschaft selbst ist. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ein Land oder die Landespolitik diese betriebliche Weiterbildung übernehmen kann. Es kann sie anstoßen und muss sie auch anstoßen. Sie wissen ganz genau, Frau Kollegin Weckenmann, dass das Wirtschaftsministerium eine ganze Menge getan hat, um diese Prozesse anzustoßen, beispielsweise mit dem „Löwinnen-Programm“ oder mit der Durchführung des Landesfrauentags oder mit den Programmen zur Qualifikation von Frauen ab 45 bzw. von Männern ab 50 Jahren,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Mehr als anderswo! – Gegenruf der Abg. Ruth Weckenmann SPD: Ach Quatsch! Gucken Sie doch einmal nach NRW, Herr Noll, da läuft viel mehr!)

Aber das muss natürlich in den Betrieben fortgesetzt werden. Die betriebliche Weiterbildung ist in allererster Linie eine Aufgabe der Wirtschaft. Ich rate der Wirtschaft sehr, diese Aufgabe in der Zukunft aus den genannten Gründen auch tatsächlich ernst zu nehmen.

Eine Bitte habe ich noch an alle, meine Damen und Herren: Diese Programme, die das Land Baden-Württemberg fährt, werden in allererster Linie aus dem Europäischen Sozialfonds gespeist.

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Eigentlich nur!)

Sie werden eigentlich nur aus dem Europäischen Sozialfonds gespeist. – Sie wissen, dass wir jetzt eine Diskussion darüber haben, dass möglicherweise ab dem Jahr 2007 Mittel, die wir bisher aus dem Europäischen Sozialfonds erhalten, entweder versiegen oder jedenfalls deutlich geringer werden. Ich kenne im Augenblick noch nicht die endgültige Entscheidung; wir müssen abwarten. Aber ich kann Sie alle nur bitten, darauf hinzuwirken, dass Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds auch in Zukunft in ein Land wie BadenWürttemberg fließen, das bewiesen hat, dass es mit ESF

Mitteln etwas Vernünftiges macht. Es kann nicht sein, dass ESF-Mittel in Zukunft total an Baden-Württemberg vorbeigehen werden.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich möchte alle Fraktionen herzlich bitten, dafür zu sorgen, dass Baden-Württemberg auch in Zukunft noch mit ESFMitteln rechnen kann. Das ist eine gute Gelegenheit, um diesen Prozess der Qualifizierung älterer Arbeitnehmer im Interesse unserer Volkswirtschaft auch zukünftig positiv zu begleiten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr gut!)

Frau Berroth, Sie wünschen das Wort?

(Zurufe: Nein!)

Nein? Sie müssen nicht.

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ich kann auch im Anschluss an die an- deren sprechen!)

Das entspricht der Reihenfolge.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist nicht die Reihenfolge!)

Wenn Sie das Wort wünschen, erhalten Sie es.