Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

Viertens: Unsere Heilbäder – ein ganz besonders wichtiger Teil für Baden-Württemberg, das Bäderland Nummer 1 – spüren einen deutlichen Rückgang bei den Reha-Angeboten für Arbeitnehmer. Das ist nicht nur auf die Arbeitnehmer selbst, sondern auch auf den notorischen Geldmangel in der Sozialversicherung zurückzuführen. Hier wird an der falschen Stelle gespart. Eine verschobene Reha-Maßnahme kostet nachher nicht nur mehr Geld, sondern wir leisten damit auch den Erkrankten einen sehr schlechten Dienst. Wir sollten alles daransetzen, auch die Leistungsverweigerung – ich will dieses Wort in den Mund nehmen – einzelner Leistungsträger zu beseitigen und Rehabilitationsmaßnahmen wieder anzukurbeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Drautz FDP/DVP)

Fünftens: Wir erleben im Moment eine dramatische Entwicklung beim Generationenwechsel im Tourismus. Töchter und Söhne von Hoteliers und Gastwirten überlegen es sich gut, ob es sich noch lohnt, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Viele Betriebe haben in den letzten Jahren von der Substanz gelebt. Es wurde nicht mehr investiert. Wenn jetzt die nächste Generation einen Betrieb übernehmen soll, sind in der Regel hohe Neuinvestitionen notwendig. Hier stoßen die Unternehmer, die einen Betrieb übernehmen wollen, bei den Banken oft auf verschlossene Türen. Der Tourismus hat kein gutes Rating. Basel II ist eine Todesfalle für viele Familienbetriebe in der Übernahmephase. Es gibt in Baden-Württemberg schon heute Orte, in denen genauso viele Gasthöfe und Hotels geschlossen wie geöffnet sind. In solche Touristenorte, in denen die Touristiker selber nach und nach nicht mehr teilnehmen, kommen anschließend auch die Touristen nicht mehr.

Wir müssen im Tourismus neue Wege gehen. Wir müssen in Baden-Württemberg auch neue Zielgruppen erschließen. Wir dürfen die bisherigen Gruppen nicht vernachlässigen. Aber wir brauchen dringend auch eine Besinnung, wie wir künftig neue Gruppen von Touristen an dieses Land binden. Auf diese Punkte will ich in der zweiten Runde eingehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Gustav-Adolf Haas.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Die Überschrift der heutigen Debatte lautet: „Das Tourismusland Baden-Württemberg stärken“. Meine Frage ist: Warum kommt die FDP/DVP-Landtagsfraktion im Grunde erst am „Abend“ dieser 13. Legislaturperiode auf die Idee, sich diesem Thema zuzuwenden?

(Abg. Drautz FDP/DVP: Ihr habt euch dem Thema gar nicht zugewandt!)

Lieber Kollege Drautz, ich darf daran erinnern, dass die SPD-Landtagsfraktion mit ihrer am 6. Juni 2002 eingebrachten Großen Anfrage Drucksache 13/1060

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist aber schon lange her!)

genau dieses Thema „Zukunftschancen des Dienstleistungssektors Heilbäder und Tourismus in Baden-Württemberg“ auf den Weg gebracht hat. Die Landesregierung hat damals vier Monate gebraucht, um auf eigentlich einfachere Fragen – wir wollten ihr damals bei der Fragestellung auch nicht allzu viel zumuten – zu antworten.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Drautz FDP/DVP und Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Lieber Herr Kollege Drautz, Sie sind der Letzte im Bunde, der sich mit diesem Thema befasst. Die CDU-Landtagsfraktion, Herr Dr. Birk, Herr Hoffmann, hat damals eine gleich gerichtete Große Anfrage eingebracht, die im Februar 2003 hier gemeinsam mit unserer Großen Anfrage diskutiert worden ist.

(Abg. Hoffmann CDU: Na also! – Abg. Dr. Birk CDU: Sehr gut, Herr Haas! Vielen Dank!)

Lieber Herr Dr. Birk, was ist, das ist. Das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU – Zuruf des Abg. Drautz FDP/DVP)

Ich möchte nur darstellen, lieber Herr Drautz, dass Ihre Fraktion einzelne kleinere Anträge gestellt hat, die sich aber immer wieder nur mit kleinen Partikeln des gesamten Bereichs

(Abg. Drautz FDP/DVP: Aber wichtigen Dingen!)

ja, so sehen Sie das – beschäftigt haben.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Mit Beilagen!)

Wir von der SPD-Landtagsfraktion sind uns sicher mit allen Kolleginnen und Kollegen darin einig, dass der Tourismus und der ganze Bereich, der damit in Verbindung steht – auch der ganze Dienstleistungsbereich –, für das Land Baden-Württemberg eine große Bedeutung haben.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Darüber haben in der Vergangenheit auch mit der Hotellerie und mit dem DEHOGA intensive Gespräche stattgefunden.

Von meinen Vorrednern wurden auch schon die berühmten 3 Milliarden € angesprochen. Davon entfallen auf den Dienstleistungsbereich 1 Milliarde €, auf den Gastbereich 1,3 Milliarden €, und auch der Einzelhandelsverband profitiert mit rund 0,7 Millionen € von dieser ganzen Geschichte.

Meine Damen, meine Herren, was die Hotellerie fürchterlich beschwert, ist, dass sechs von zehn Hotelzimmern unbelegt sind. Das ist ein Thema, das im Grunde zu der nächsten Kategorie überführt, nämlich zu der Frage der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Hotelleriebetriebe.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Sehr richtig!)

Durch diese Unterbelegung ist im gesamten Hotelleriebereich leider ein finanzielles Defizit eingetreten. Wenn ich mit Vertretern dieses Bereichs zusammenkomme, wird mir gesagt: „Herr Haas, wir haben große Nöte.“ Gerade wurde ja auch schon angesprochen, dass beim Übergang auf die nächste Generation durch Baumaßnahmen – Einbau von Brandmeldeanlagen, Gewährleistung der Barrierefreiheit und all diese Dinge – auch ein kolossaler finanzieller Aufwand entsteht. In dieser Richtung hat man enorme finanzielle Probleme. Diese Lasten wurden in der Vergangenheit nicht durch Finanzhilfen des Landes Baden-Württemberg abgegolten. Vielmehr wurden Darlehen der Landeskreditbank vergeben. Das ist auch schon etwas. Auf Wunsch könnte ich Ihnen die Zahlen nennen.

Die Frage ist, meine Damen, meine Herren: Welche Bedeutung hat denn die Landesregierung bei dieser ganzen Geschichte, und wie kommt man an den Kunden heran? Ich habe mir einmal aufschreiben lassen, wer sich im Land Baden-Württemberg alles mit dem Bereich „Tourismus und Hotellerie“ befasst. Das ist eine ganze Liste, die ich hier dabeihabe. Das reicht von der Deutschen Zentrale für Tourismus, dem Deutschen Tourismusverband, dem DEHOGA, dem Verband der Heilklimatischen Kurorte Deutschlands, der Tourismus-Marketing GmbH Baden-Württemberg, dem Heilbäderverband über die Schwarzwald-Tourismus GmbH und, und, und. Die Liste ließe sich fortführen.

Die Frage unter den Touristikern lautet im Grunde genommen: Ist das nicht zu viel, was man in dieser Richtung an Werbung macht und an Materialien erstellt? Steht man damit in Konkurrenz zum Auslandstourismus?

Die Umsätze – das haben wir im Wirtschaftsausschuss auch besprochen – sind seit dem Jahr 2000 im Bereich Hotel, Gaststätten und Pensionen von 100 auf 90 % zurückgegangen. Das muss uns Tourismuspolitiker im Land BadenWürttemberg aufmerksam und wachsam machen. Wir müssen fragen: Was ist in dieser Richtung getan worden?

Die Eigenkapitalbildung – so sagen mir die Tourismusfachleute – ist fast gleich null, mit Ausnahme der großen Hotellerie, die im Grunde genommen immer wieder ein gutes Geschäftsergebnis hat. Aber der mittlere Bereich der Hotellerie hat große Probleme, und auch die Ertragssituation ist sehr schlecht.

Vor diesem Hintergrund ist natürlich die Frage zu stellen: Was macht das Land Baden-Württemberg? Das Land hat

im Jahr 2003 damit begonnen, die Mittel für die Förderung der Tourismusinfrastruktur von 9 Millionen € auf 8 Millionen € zu kürzen. Im vergangenen Jahr hat sie darüber hinaus die Fremdenverkehrspauschale gekürzt. Das macht im Bereich des Südschwarzwalds – St. Blasien, Dachsberg usw. – 280 000 € aus und im gesamten Bereich des Schwarzwalds 1,4 bis 1,5 Millionen €. Das ist Geld, das eigentlich den Gemeinden gehört. Man hat es vorher aus dem Kommunalen Investitionsfonds herausgenommen.

Mehr dazu in der zweiten Runde.

Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Witzel.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Baden-Württemberg kann nicht die Sonne Italiens, nicht die Strände des Mittelmeers und auch nicht die Preise von Billigzielen bieten.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Aber Wind- mühlen!)

Das Tourismusland Baden-Württemberg muss andere Qualitäten haben, und auch hier gilt die alte Weisheit: Wir müssen besser sein, weil wir nicht billiger sein können.

(Beifall des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Damit stellt sich die Frage: Wo liegen diese Qualitäten?

Für uns Grüne ist klar: Nur mit einem hochwertigen und unverwechselbaren Tourismusangebot können wir langfristig Kaufkraft im Land sichern. Guter Service, hochwertige Angebote und eine sehenswerte Landschaft müssen dazu führen, dass es sich lohnt, bei uns Urlaub zu machen.

Es ist daher unsere Überzeugung, dass unsere Regionen langfristig nur dann erfolgreiche touristische Ziele sein können, wenn wir nach einem ökologischen Leitbild unsere Landschaft schützen und dadurch attraktiv machen. Dieser Leitgedanke eines nachhaltigen Tourismus sollte bei der Tourismuswerbung für unser Land deutlich herausgestellt werden, damit so ein klares Profil geschaffen wird. Die Fördergelder des Landes sollten gezielt für diesen Zweck eingesetzt werden.

Für ein solches Leitbild gibt es einige positive Ansätze. Ich möchte zwei Beispiele nennen.

Erstes Stichwort: „Schmeck den Süden“. Es ist schon gesagt worden: Baden-Württemberg ist ein Sterneland. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele prämierte Spitzenrestaurants wie bei uns, und es gibt auch einige Initiativen für die regionale Vermarktung von Lebensmitteln und für regionale Speisekarten. Das alles entstand aus Initiativen von unten, von Gastronomen und Biolandwirten. Ich erinnere an die Initiative Schwäbisch-Hällisches Landschwein und anderes. Alles das wird im Prinzip vom MLR gefördert unter der Dachmarke: „Schmeck den Süden“, Spezialität regionale Speisekarten und verschiedene Qualitätszeichen.

Das Problem ist leider, dass das noch nicht zum Verbraucher durchgedrungen ist, weil der Verbraucher nicht genau weiß, worum es sich dabei handelt. „Schmeck den Süden“ könnte viel mehr sein. Wir fragen: Wo sind klare Kriterien, damit der Gast auch weiß, was sich hinter „Schmeck den Süden“ verbirgt? Denn er wird nur dann gutes Geld ausgeben, wenn er weiß, dass er dafür Qualität geliefert bekommt. Vertrauenswürdige Qualität besteht für den Gast auf jeden Fall in gentechnikfreien Lebensmitteln, möglichst auch aus biologischer Erzeugung.

(Beifall des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Das ist ein wichtiger Ansatz. Hier könnte ein Profil geschaffen werden, indem die Marke „Schmeck den Süden“ in diesem Sinne präzisiert wird.

Ein zweites Stichwort: KONUS. In den letzten Jahren wurde im Südschwarzwald das Projekt KONUS gestartet. Der Grundgedanke lautet: Jeder Gast, der zu uns kommt, kann mit seiner Gästekarte kostenlos den öffentlichen Nahverkehr der gesamten Region nutzen. Meine Damen und Herren, das ist ein tolles Angebot. Die Gäste nutzen es und sind begeistert. Das geht dann so weit, dass Züge auf der Höllentalbahn überfüllt sind, weil nicht genug Plätze für die vielen Gäste und die vielen Pendler im Berufsverkehr da sind. Mich erreichten bereits Beschwerden von Leuten, die traditionell mit dem Zug fahren und sagen: Wir kommen gar nicht mehr in den Zug hinein, weil so viele Touristen drinsitzen.

Meine Damen und Herren, das muss geändert werden. Hier müssen wir Geld in die Hand nehmen, damit die Züge auch tatsächlich alle Gäste aufnehmen können. Frau Gurr-Hirsch, es zeigt sich hier wieder, wie notwendig es ist, gegen die Pläne in Berlin anzugehen, die ÖPNV-Mittel zu kürzen. Ich fordere an dieser Stelle auch Sie, Herr Pfister, auf, als Wirtschaftsminister und Vertreter des Tourismus in Berlin vorstellig zu werden, damit das KONUS-Projekt weitergeführt werden kann.