Ich verwerfe Ihre Auffassungen nicht in Bausch und Bogen. Ihr familienpolitisches Argument kann ich akzeptieren.
Das fällt mir schon deshalb nicht schwer, weil die CDU in diesem Land über Jahre und Jahrzehnte eine gute Familienpolitik betrieben hat und betreibt
Herr Wintruff, wir bekommen da die meisten Stimmen. Das zeigt, dass wir gar nicht so schlecht liegen.
Diese familienpolitischen Leistungen können sich auch im Vergleich mit den anderen Bundesländern sehen lassen,
aber ich bezweifle entschieden, Frau Rastätter, ob das von Ihnen anvisierte flächendeckende Angebot einer offenen Schule am Nachmittag und damit ein flächendeckendes Ganztagsangebot sinnvoll ist.
Klar ist – ich sage das, damit Sie mich nicht bewusst missverstehen –, dass es gute Gründe für die Einrichtung von Ganztagsangeboten gibt. Es geht mir nicht um die einfache Abweisung von Ganztagsangeboten. Wir fangen auch hier im Land nicht bei null an.
Natürlich haben sich gesellschaftliche Entwicklungen vollzogen, die den Wandel der Situation von Familien und Frauen beinhalten. Selbstverständlich müssen wir den veränderten Lebensverhältnissen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden.
Das heißt für diejenigen, die für die Bildungspolitik und die Bildungsplanung zuständig und verantwortlich sind,
dass im Kontext von Schulentwicklungsprozessen Ganztagsangebote Platz haben müssen – aber bitte doch nicht in dem von Ihnen vorgestellten Riesenwurf.
Von welchen Nachfragepotenzialen gehen Sie denn aus? Sie arbeiten doch mit utopischen Bedarfsfeststellungen, die uns wirtschafts- und finanzpolitisch überfordern würden.
Ich will aber gar nicht diese nüchterne ökonomische Argumentation bemühen, obwohl wir aus unserer Position der Gesamtverantwortung heraus diese Argumente nicht ignorieren dürfen. Ich will vielmehr pädagogisch fragen. Dann sehe ich ganz unterschiedliche Wirklichkeiten der Erziehungs- und Betreuungsnotwendigkeiten. Ich sehe keineswegs gleichartige Familienmilieus und gleichartige gesellschaftliche Kulturen.
Für einen Teil unserer Kinder und Jugendlichen wäre es geradezu eine Zumutung, wenn wir sie, wie Sie es wollen, über den ganzen Tag hinweg mit Unterricht und Betreuungsangeboten zudecken würden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Christine Rudolf SPD: „Flächende- ckend“ heißt doch nicht, dass jeder gehen muss!)
So sehr ich für Schule aufgeschlossen bin, weiß ich – und das wissen doch auch Sie –, dass die meisten Schülerinnen und Schüler nach der Schule anderswohin wollen.
Sie wollen nachmittags absolut nicht in der Schule bleiben. Sie hält am Nachmittag nichts in der Schule. Sie haben ihre Orte und Räume, in denen sie sich entwickeln und Halt finden können, außerhalb der Schule.
Das pädagogische Problem unserer modernen Gesellschaft ist die Differenz. Deshalb kann die Antwort auf Problemlagen dieser Gesellschaft überhaupt nicht in einem vereinheitlichenden Konzept bestehen, wie Sie es vorschlagen.
Sie konstruieren ein vermeintlich grandioses Bildungs- und Betreuungskonzept, das Sie noch mit Begriffen wie „pädagogische Qualitätssicherung“ oder „innovative Schulentwicklungsprojekte“ garnieren. Doch Sie müssen sich sagen lassen, dass Ihre Konzeption der Modernisierung unserer Gesellschaft nicht gerecht wird und sich in ihrer eindimensionalen Ausrichtung von der Wirklichkeit abkoppelt.
(Abg. Christine Rudolf SPD: Das können nur Sie verstehen! – Abg. Zeller SPD: Das ist ein Eiertanz ersten Grades!)
Wir wissen alle, dass es Standorte gibt, die ein Ganztagsangebot zwingend erscheinen lassen, und ich sage das Enga
gement meiner Fraktion in dieser Frage zu, wenn es um die Förderung von Kindern und Jugendlichen geht, die dadurch tatsächlich Chancen erhalten,
die dadurch so etwas wie Stabilität erfahren und für deren Identitätsentwicklung eine weitgehende Betreuung und ein erweitertes Angebot unterstützend wirken.
(Abg. Wintruff SPD: Er muss aber noch sagen, was die CDU wirklich will! So viel Zeit müssen wir ihm geben!)
Ich werde jetzt kurz zusammenfassen: Auch wir wissen, dass aus der Situation der berufstätigen Mütter da und dort ein Ganztagsangebot notwendig wird, wenn wir deren Berufsmöglichkeiten damit unterstützen müssen. Das erfordert dann nicht nur eine ernsthafte Überprüfung, sondern hier muss auch die Durchsetzung angegangen werden.
Ernsthaft bedeutet für mich aber gerade nicht, dass wir kurzerhand ein flächendeckendes Konzept einfordern. Das ist der Punkt, an dem Sie überhaupt nicht solide arbeiten. Wir wollen dort, wo der Bedarf und die Notwendigkeit gegeben sind, für Ganztagsangebote, auch für Ganztagsschulen, eintreten. Das unterstreiche ich gerade auch im Hinblick auf unsere schwächeren Schülerinnen und Schüler. Hierzu brauchen wir die entsprechenden Pädagoginnen und Pädagogen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Ein Ganztagsangebot ist nicht nur eine organisatorische Maßnahme,
gewissermaßen eine äußere Bedingung. Viel wichtiger ist es, eine pädagogisch-inhaltliche Zielrichtung zu verwirklichen. Dies findet aber nicht unbedingt und wie von selbst bei einem Nachmittagsangebot oder bei einer Nachmittagsbetreuung statt.
Die eigentliche schwierige Aufgabe, die wir haben, ist eine pädagogische, der wir uns stellen müssen. Die Lösung – ich sage es noch einmal –
besteht nicht in einer Dauerbetreuung. Die Lösung besteht nicht in einem Dauerangebot für Kinder und Jugendliche
von 8 bis 17 Uhr. Sie besteht für junge Menschen in einer pädagogischen Spitzenleistung, die nicht nach Stunden bemessen mehr oder weniger gut ausfällt. Es geht um eine Erziehungsaufgabe besonderer Qualität.