Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

tagsbetreuung statt. Es ist wirklich ein Trauerspiel, wie sich die Landesregierung hier verhält, sodass sich die kommunalen Landesverbände von dieser Landesregierung zu Recht im Stich gelassen fühlen, die nicht bereit ist, sich in einem angemessenen Umfang an der Finanzierung und Ausgestaltung dieser Nachmittagsangebote zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, die Defizite in unserem Bundesland werden noch deutlicher, wenn wir uns vor Augen halten, wie die Situation der Ganztagsbetreuung in Europa aussieht. Fast in allen europäischen Ländern gibt es die Tradition der Ganztagsschule. In Deutschland haben dagegen folgende Zustände Tradition: Unzuverlässige Schulzeiten, eine reine Begrenzung auf den Unterrichtsvormittag, ein fehlendes Angebot für Frühstück und Mittagessen an der Schule, und wir haben hier auch traditionell die Arbeitsteilung zwischen Schulunterricht und Hausaufgaben, wobei traditionell die Mütter zu den Hilfslehrerinnen der Nation gemacht werden.

Schließlich haben wir in steigendem Maße privat finanzierten Nachhilfeunterricht, den sich nur diejenigen leisten können, die das entsprechende Einkommen haben. Das bedeutet auch eine gravierende Verletzung der Chancengleichheit in diesem Bundesland.

(Beifall bei den Grünen)

Ich möchte aber betonen: Der Ausbau von Ganztagsangeboten an Schulen ist nicht nur wegen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erforderlich, sondern ist auch aus pädagogischen Gründen absolut notwendig.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Denn bei Ganztagsschulen, bei Ganztagsangeboten geht es gerade nicht um die Betreuung der Kinder, sondern es geht um die Rechte von Kindern und Jugendlichen, nämlich um das Recht auf ein pädagogisch gutes und sinnvolles Angebot. Es geht um eine bessere individuelle Förderung der Kinder und um eine Verbesserung der Chancengleichheit. Das muss im Mittelpunkt eines Ganztagsangebots stehen.

Wir Grünen unterscheiden beim Ausbau der Ganztagsangebote in Baden-Württemberg – dazu bitte ich Sie, den von uns vorgelegten Antrag zu betrachten – zwischen dem Modell einer offenen Schule am Nachmittag und dem Modell der Ganztagsschule mit verpflichtender Teilnahme für die Kinder innerhalb der festgesetzten Zeit.

Mit dem Konzept des offenen Nachmittags an der Schule soll ein flächendeckendes Angebot an allen Schulen des Landes erreicht werden. Ich sage: Flächendeckend an allen Schulen ist hier das Ziel.

In den offenen Nachmittag an den Schulen sollen integriert werden: Stütz- und Förderangebote, Hausaufgabenbetreuung, interessante Freizeitprojekte für die Schülerinnen und Schüler sowie Unterrichtsprojekte, die auch außerschulisch stattfinden sollen, wie zum Beispiel die Pflege eines Biotops, Waldpädagogikprojekte oder auch ein Projekt am Stadttheater. In dieses offene Angebot sollen auch die Arbeitsgemeinschaften der Schulen integriert werden.

Das offene Angebot, dieser offene Nachmittag, hat den Charme, dass es stufenweise ausgebaut werden kann und

ein flexibles Modell ist, das den unterschiedlichen Lebensentwürfen von Familien in unserer Gesellschaft gerecht wird. Das heißt, Familien können entscheiden, ob sie zwei oder drei Nachmittagsangebote für ihre Kinder annehmen. Familien können auch entscheiden, ob sie das gesamte Angebot brauchen.

Wir wollen, meine Damen und Herren, dass dieses Angebot allen Kindern zur Verfügung steht, und eine ganz wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass für den offenen Nachmittag keine Gebühren verlangt werden dürfen.

(Abg. Herrmann CDU: Und wer zahlt das?)

Darauf komme ich gleich zu sprechen.

(Abg. Herrmann CDU: Das wird interessant!)

Es dürfen keine Gebühren verlangt werden – mit Ausnahme von ganz besonderen Angeboten, zum Beispiel der Unterricht von Musikschulen oder von Kunstschulen oder auch, wenn hier ein qualitativ hochwertiges Angebot integriert ist, das von den Eltern sozusagen speziell gewünscht wird. Für diese einzelnen Bausteine können auch Gebühren verlangt werden. Aber die grundsätzliche Offenheit beinhaltet Hausaufgabenbetreuung, Stützkurse, Arbeitsgemeinschaften. Diese Angebote müssen – –

(Zuruf des Abg. Wintruff SPD)

Zum Teil mit Landesmitteln, zum Teil ehrenamtlich. Die Schulen machen ein pädagogisches Konzept. Sie binden ehrenamtliche Kräfte, Honorarkräfte, eigene Lehrerstunden und Vereine mit ein. Für die dann notwendige Finanzierung ist ein fairer Lastenausgleich zwischen Land und Kommunen zu finden.

Ein Beispiel: Wir wollen, dass die Grundschule zu einer echten Halbtagsgrundschule in der pädagogischen und finanziellen Verantwortung des Landes ausgebaut wird. Das bedeutet, dass dann, wenn wir eine echte Halbtagsgrundschule haben, auch die 20 Millionen DM, die die Kommunen heute noch dafür ausgeben, für einen offenen Nachmittag an den Schulen bereitstehen.

Gleichzeitig wollen wir, dass Ganztagsschulen mit einem entsprechenden pädagogischen Ganztagskonzept ausgebaut werden. Aber da sage ich, an die Adresse der SPD gerichtet: In welchem Zeitraum und in welcher Zahl Schulen zu echten Ganztagsschulen ausgebaut werden, dürfen wir nicht von oben verordnen. Wir wollen auch nicht, dass die vollen Ganztagsschulen den Schulen übergestülpt werden, sondern als Schulentwicklungsprojekte dort eingerichtet werden, wo die Eltern, die Schulen und die Kommunen dies wünschen.

Wie viele Schulen das in den nächsten Jahren sein werden, hängt von den pädagogischen Konzepten und von der Bedürfnislage ab. Aber wir verstehen Ganztagsschulen eben als echte, hervorragende pädagogische Angebote, die nicht übergestülpt werden und damit im Grunde Betreuungseinrichtungen werden.

(Zurufe von der CDU)

Das wollen wir nicht.

(Zuruf von der CDU: Warum eigentlich nicht?)

Meine Damen und Herren, wir sehen das so: Der Weg wird längerfristig in Richtung Ganztagsschule führen. Wir sehen in der von uns angestrebten Kombination von offenem Nachmittag an der Schule auf absehbare Zeit an möglichst allen Schulen, getragen von der Bereitschaft aller Beteiligten und gefördert von allen Beteiligten, mit dem Ausbau von Ganztagsschulen ein gutes Angebot, die Möglichkeit eines zukunftweisenden Modells, das den Erwartungen einer pluralen Gesellschaft entspricht,

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

das für Eltern gute Angebote macht, aber – und das ist das Entscheidende – die besten Angebote für die Kinder und Jugendlichen bereitstellt; denn um die geht es, und die sind uns am wichtigsten.

Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Herrmann CDU: Für die Grünen fällt Geld vom Himmel!)

Das Wort erhält Herr Abg. Seimetz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen greifen mit ihrem Antrag ein ernsthaftes Anliegen auf, die SPD-Fraktion hat sich angehängt,

(Widerspruch bei der SPD)

das Oppositionsboot steht gewaltig unter Dampf.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Bist du gedopt?)

Natürlich, noch von gestern Abend.

(Heiterkeit – Abg. Fischer SPD: Er ist wenigstens ehrlich!)

Der vorgelegte Antrag zum Ganztagsangebot an Schulen scheint nicht nur bildungspolitisch motiviert, sondern bemüht auch wirtschaftspolitische Fragen – die SPD spricht von „Standortpolitik“ –, und die – ich unterstreiche das – pädagogischen Absichten sind unverkennbar. Aber gerade weil Pädagogik mit im Spiel ist, hätte dem Antrag ein allseits bekannter Satz der Didaktik gut getan: Weniger wäre mehr gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Es geht mir keineswegs um einen simplen Frontalangriff gegen Ihre gesellschaftlichen Vorstellungen. Angreifbar sind sie schon deshalb, weil Sie von einer veralteten Pädagogik und einem egalisierenden Gesellschafts- und Menschenbild ausgehen.

(Widerspruch der Abg. Christine Rudolf SPD)

Damit werden Sie den jungen Menschen in ihrer Gesamtheit keineswegs gerecht. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass es Differenzierungen geben muss.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Eine moderne Pädagogik muss auf Unterschiede abheben und flexibel auf Milieus hin ausgerichtet sein. Im Gegen

satz zu dem Ihren ist unser Modernisierungsanspruch darauf ausgerichtet, den verschiedenen Wirkungserwartungen auch gerecht zu werden.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Wir scheuen zu Recht vor einem Fiasko zurück, das diese Gleichausrichtung entsprechend Ihren schulpolitischen Auffassungen

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

für die Kinder und Jugendlichen mit sich bringen würde.

(Beifall bei der CDU)