Renate Rastätter
Sitzungen
13/7
13/8
13/11
13/13
13/15
13/18
13/20
13/23
13/25
13/26
13/29
13/31
13/32
13/33
13/34
13/35
13/37
13/38
13/39
13/40
13/42
13/46
13/47
13/49
13/50
13/51
13/53
13/54
13/56
13/60
13/63
13/67
13/68
13/69
13/74
13/75
13/76
13/77
13/78
13/79
13/81
13/84
13/88
13/91
13/92
13/93
13/96
13/97
13/98
13/99
13/100
13/101
13/102
13/103
13/106
13/107
13/108
13/109
Letzte Beiträge
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Im internationalen Vergleich gibt es zwei Sonderwege im deutschen Bildungswesen: Der erste ist die Halbtagsschule mit einem verdichteten, Stress erzeugenden Unterrichtsvormittag, dem freien Nachmittag und der Tatsache, dass dadurch die Mütter zu Hilfslehrerinnen der Nation geworden sind und dass wir so viele Nachhilfeinstitute in Deutschland haben, wie es sie in keinem anderen Land der Erde gibt. Der zweite Sonderweg ist die frühe Aufteilung der Kinder nach nur vier gemeinsamen Grundschuljahren.
Herr Kollege Röhm, wenn Sie eben gesagt haben, dass im internationalen Vergleich diejenigen besser sind, die eine frühe Aufteilung haben, dann muss ich Sie fragen, woher Sie diese Information haben. Denn es gibt weltweit nur zwei Länder, die ihre Kinder so früh auf unterschiedliche Bildungsgänge aussortieren, und das sind Deutschland und Österreich. Österreich hat sogar im Prinzip ein zweigliedriges Bildungswesen. Diese rigorose Dreigliedrigkeit nach nur vier Grundschuljahren gibt es tatsächlich nur in Deutschland. Insofern betone ich: Es ist der deutsche Son
derweg, der diese massive deutsche Ungerechtigkeit im Bildungswesen erzeugt hat.
Beide Sonderwege im Bildungswesen müssen überwunden werden, wenn wir den Anschluss an gerechte und leistungsstarke Bildungssysteme finden wollen.
Kollege Wintruff hat es schon gesagt: In den Bereich der Halbtagsschule ist ja Bewegung hineingekommen. Der Zug ist in der Tat abgefahren. Ich sage: Der Sonderweg Halbtagsschule ist ein Auslaufmodell. Denn auch Sie sagen mittlerweile, dass Sie die flächendeckende Ganztagsschule haben wollen.
Nun, der Kultusminister ist nicht da –
er hat erklärt, warum Sie am dreigliedrigen Bildungssystem festhalten wollen –, deshalb wende ich mich jetzt an meinen ehemaligen Kollegen Bildungspolitiker, den Staatssekretär – –
Gut, sorry.
Herr Kultusminister Rau, Herr Staatssekretär Wacker,
Sie betonen immer, dass das dreigliedrige Schulsystem sich bewährt habe, dass es begabungsgerecht sei, dass die Entscheidung für eine Schulart noch nicht die Entscheidung für einen Abschluss sei.
Sie betonen, dass es im beruflichen Schulwesen noch möglich ist, höherwertige Schulabschlüsse zu erzielen.
Es ist richtig, dass es in der Tat die Möglichkeit im beruflichen Schulwesen gibt. Aber auch hier gibt es Analysen des Statistischen Landesamts, die ganz klar belegen, dass auch im beruflichen Schulwesen gerade diejenigen Schüler und Schülerinnen, die am stärksten benachteiligt werden, nämlich diejenigen mit Migrationshintergrund und diejenigen aus sozial schwachen Familien, vorwiegend im BVJ und eben nicht im beruflichen Gymnasium zu finden sind.
Die TOSCA-Studie belegt, dass im beruflichen Gymnasium vor allem die Bildungsaufsteiger aus der Mittelschicht aus den Realschulen sind.
Vor allem Ihre Behauptung, das gegliederte Schulsystem sei begabungsgerecht, stimmt natürlich absolut nicht. Sie werden auch keinen Wissenschaftler finden, der Ihre These unterstützt, dass es drei Begabungstypen gebe. Es gibt keine drei Begabungstypen. Jedes Kind lernt anders; alle Kinder lernen unterschiedlich. Deshalb wollen wir eine neunjährige Basisschule mit einer individuellen und differenzierten Förderung.
Das ist genau das, Herr Kollege Röhm, was in Finnland gemacht wird. Es gibt eine differenzierte Förderung in einem gemeinsamen Klassenverband. Das ist ein modernes Bildungskonzept mit einer modernen Unterrichtskultur, die nicht vorgibt, homogene Gruppen zu haben. Es gibt keine homogenen Gruppen, und weil jedes Kind eben anders lernt, brauchen wir eine solche Schule, die den Lernbedürfnissen aller Kinder gerecht wird.
Meine Damen und Herren, der Druck von unten wächst. Wir wollen den Schulen die Freiheit geben, sich zu Basisschulen weiterzuentwickeln. Es gibt Schulen im Land, die dies tun wollen, es gibt den Druck vonseiten des BadenWürttembergischen Handwerkstags, und auch die Eltern wollen diese Weiterentwicklung. Deshalb sagen wir: Wenn wir aufgrund der demografischen Entwicklung jetzt auch noch einen Schülerrückgang bekommen, dann brauchen wir diesen Zusammenhang zwischen der Weiterentwicklung der Lernkultur und der strukturellen Weiterentwicklung des Schulwesens. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben.
Ja, ich komme zum Schluss.
Am Beispiel Südtirol können wir sehen, wie das funktioniert. In Südtirol gibt es eine gemeinsame Schule bis Klasse 8, es gibt keine Fachleistungsdifferenzierung, es gibt bis zur achten Klasse keine Noten, alle behinderten Kinder sind integriert – und Südtirol hat bei PISA genauso gut wie Finnland und Kanada und besser als Deutschland und auch Bayern abgeschlossen.
Wir wollen uns auf diesen Weg machen, und ich bitte Sie: Geben Sie den Schulen die Freiheit. Denn dann wird es
auch bei uns eine solche Entwicklung geben, im Interesse eines gerechten Zugangs zur Bildung.
Ich bedanke mich.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße diese Initiative für einen fraktionsübergreifenden Antrag, mit dem wir die Sicherung der Sparkassen-Informatik für den Standort Baden-Württemberg erreichen wollen. Dieser gemeinsame Antrag ist ein kraftvolles Signal, dass sich der gesamte Landtag dafür einsetzt, dass 900 hoch qualifizierte Arbeitsplätze im IT-Bereich und weitere rund 100 Arbeitsplätze im Zulieferbereich in unserem Bundesland erhalten bleiben.
Meine Damen und Herren, mit dieser Initiative stellen wir klar, dass es sich hier nicht um Partikularinteressen handelt oder gar um eine Standortkonkurrenz zwischen Baden und Württemberg, sondern dass unsere Sorge dem Erhalt von Arbeitsplätzen in unserem gesamten Bundesland gilt.
Ich finde es außerordentlich erfreulich, dass sich auch die Betriebsräte an den beiden Standorten Fellbach und Karlsruhe, allen voran die Betriebsratsvorsitzenden, für eine solche Gesamtlösung stark machen
und sich nicht, wie es in solchen Fällen ja oft vorkommt, nur für die Sicherung des eigenen Standorts „verkämpfen“.
Meine Damen und Herren, klar ist natürlich, dass ich als Karlsruher Abgeordnete mehr über die Standortproblematik in meiner Stadt weiß als andere.
Die Sparkassen-Informatik ist bei uns eng mit dem ITSchwerpunkt unserer Region verknüpft. Das ist einfach eine Tatsache. Dadurch entstehen auch positive Synergieeffekte. Aber – das hat Kollege Fischer ja schon hervorgehoben – natürlich hat auch der Standort Fellbach ganz klar seine Stärken und seine Schwerpunkte. Daher ist es völlig richtig, dass es hier um den Erhalt von Arbeitsplätzen in ganz Baden-Württemberg geht.
Nun hat der Präsident des Sparkassenverbands BadenWürttemberg und designierte Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands ja ein Schreiben an uns alle gerichtet.
In diesem Schreiben hat er uns im Grunde zwei Kernbotschaften mitgeteilt
und dabei praktisch einen Spagat zwischen zwei Gegensätzen versucht.
Erstens hat er festgestellt, dass die Sparkassen in einem harten Wettbewerb stehen und sich dadurch keine ineffizienten Strukturen leisten können.
Er hat aber zweitens auch gesagt, dass er einer Verlagerung der zwei Standorte bislang nicht zugestimmt hat und dass er sich auch künftig für die Sicherung von Arbeitsplätzen und für die Interessen des Landes Baden-Württemberg engagieren wird.
Ich denke, meine Damen und Herren, auch wir Abgeordnete können nicht so tun, als existierte diese Wettbewerbsproblematik nicht.
Wenn wir jetzt verfolgen, mit welcher Kaltblütigkeit andere Großbanken Tausende von Arbeitsplätzen mit einem Federstrich vernichten, angeblich, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich die in öffentlicher Verantwortung stehenden Sparkassen dies in der Vergangenheit nicht so leicht gemacht haben.
Die Sparkassen in Baden-Württemberg sind ihrer sozialen Verantwortung bisher gerecht geworden.
Ich hoffe und wünsche, dass dies auch unter einem neuen Präsidenten in Zukunft so bleiben wird. Ich sage dies mit aller Deutlichkeit.
Meine Damen und Herren, mit dieser Initiative soll erreicht werden, dass bei dem Spagat des Herrn Haasis, von dem ich gesprochen habe, die Interessen unseres Landes, nämlich die Sicherung von Arbeitsplätzen, nicht völlig hinten herunterfallen. Deshalb gilt für mich und meine Fraktion:
Erstens: Wir wollen beide Standorte erhalten.
Zweitens: Wir wollen eine Gesamtlösung für Baden-Württemberg.
Drittens: Sollte es gegen unseren erklärten Willen doch zu einer Teilauflösung kommen, müssen auf jeden Fall Arbeitsplätze in Baden-Württemberg gesichert werden.
Viertens: In diesem Fall muss es eine Zeitschiene von drei bis vier Jahren geben, damit die qualifizierten Arbeitskräfte in Baden-Württemberg Beschäftigung finden und zur Existenzsicherung ihrer Familien beitragen können.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die Gegensätze zwischen Württemberg und Baden nicht verschärft werden, sondern dass es möglich ist, gemeinsam in unserem Bundesland die Verantwortung für beide Landesteile zu übernehmen.
Für die Initiative zu dem heutigen gemeinsamen Antrag möchte ich mich ausdrücklich bei meinen beiden Karlsruher Kollegen Frau Schmidt-Kühner und Herrn Fischer bedanken. Ich denke, das war eine gute Initiative und eine gute Debatte im Interesse unserer beiden Standorte.
Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Klagen der Eltern über die Belastungen ihrer Kinder im achtjährigen Gymnasium reißen nicht ab. Selbst heute Morgen um 7 Uhr hat mich der Personalchef einer Bank, der in Stuttgart arbeitet, im Zug angesprochen und mir erzählt, wie es seinem Sohn in der fünften Klasse des Gymnasiums geht.
Er hat gesagt: „Der Zustand ist unglaublich, wenn ich ihn mit der Schulzeit der älteren Geschwister meines Sohnes vergleiche.“
Der Landeselternbeirat hat eine repräsentative Befragung der Eltern durchgeführt.
Er hat die zeitliche Belastung durch das G 8 klar gemacht und kommt zu dem Ergebnis: Für viele Kinder bedeutet das achtjährige Gymnasium, dass sie keine Zeit mehr haben, um ein kindgerechtes Leben zu führen.
Deshalb sage ich: Kinder brauchen auch Freiräume. Kinder haben ein Recht auf ein kindgerechtes Leben.
Kinder brauchen auch Zeit zum Spielen. Es handelt sich hier um zehn- bis zwölfjährige Kinder.
Meine Damen und Herren, der Landeselternbeirat hat aber auch aufgezeigt, dass sich viele Eltern über die gesundheitlichen Probleme ihrer Kinder beklagen: Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Müdigkeit selbst bei guten Schülern und das Gefühl, immer überlastet zu sein.
Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Sie wollen diese Probleme einfach ignorieren.
So wie im G 8 darf Kindheit nicht sein.
Meine Damen und Herren, im Kultusministerium jagt eine Krisensitzung die nächste. Permanent werden die Direktoren der Gymnasien einbestellt und zur Brust genommen. Dies alles wird wirkungslos bleiben, wenn Sie nicht bereit sind, das unausgegorene Konzept des G 8 zu ändern.
Ich habe mit vielen Schulleitern gesprochen, an deren Gymnasien man sich wochen- und monatelang vorbereitet hat, wo Klassenlehrerstunden, Stunden für Lernen lernen usw. eingeführt wurden, also nicht zusätzlicher Lernunterricht in den Poolstunden. Selbst bei optimaler Umsetzung gibt es diese Belastungssituation für die Kinder. Deshalb sagen wir: Wir müssen dieses Konzept grundsätzlich überarbeiten.
Nun hat die CDU – auch Aussagen des Kultusministers und Ihr Änderungsantrag belegen dies ja – heute schon begonnen, etwas zurückzurudern. Sie will prüfen, ob die zweite Fremdsprache erst ab Klasse 6 eingeführt werden kann.
Aber, meine Damen und Herren, die Eltern wollen nicht, dass bis nach den Landtagswahlen geprüft wird. Die Eltern wollen die klare Aussage, dass diese Belastungen ihrer Kinder beendet werden.
Frau Vossschulte und Herr Kultusminister Rau sagen ja immer: „Das ist doch wunderbar: Unsere Gymnasien sind selbstständig. Sie können doch entscheiden, den Lernstoff nach hinten zu verlegen. Wir haben die Kontingentstundentafel.“ Aber, meine Damen und Herren, der heimliche Lehr
plan sind doch die Vergleichsarbeiten am Ende der sechsten Klasse. Deshalb ist für die Schulen klar: Diese Selbstständigkeit ist nur vorgeschoben, denn faktisch müssen sie diese Ziele erreichen und können eben nicht bewusst pädagogisch entscheiden, wie sie den Lernstoff verteilen.
Welche Funktion haben denn diese Vergleichsarbeiten? In Ihrer tollen Broschüre „Gymnasium 2004“ steht genau, welchem Zweck diese Vergleichsarbeiten dienen sollen. Ich zitiere:
Vergleichsarbeiten werden erstmals am Ende der Klasse 6 geschrieben. Zum ersten Mal müssen demnach die Schülerinnen und Schüler des neuen achtjährigen Gymnasiums am Ende des Schuljahrs 2005/2006 Vergleichsarbeiten schreiben.
Jetzt kommt’s:
Dieser Zeitpunkt... eignet sich für eine erste Zwischenbilanz und zeigt auf, ob die Schullaufbahn für das Kind richtig gewählt wurde oder ob ein Schulartwechsel sinnvoll erscheint.
Es ist doch ganz klar, und die Eltern wissen es genau: Hier geht es um die Frage: Sind die Kinder an der falschen Schule?
Müssen sie wieder einmal aussortiert werden? Das ist doch die Angst, die in den Schulen besteht. Das ist in unserem Schulsystem immer die entscheidende Frage: Sind die Kinder nicht an der falschen Schulart? Muss man sie nicht wieder aussortieren?
Deshalb sage ich: Diese Vergleichsarbeiten sind als eine Form der Evaluation in anonymisierter Form richtig, denn sie geben den Schulen eine Rückmeldung darüber, ob sie die Bildungsstandards erreichen. Aber Evaluation und Zeugnisnote, das verträgt sich überhaupt nicht.
Evaluation hat mit Noten nichts zu tun. Geben Sie den Eltern die Sicherheit, dass diese Evaluation dazu dienen soll, den Schulen zu helfen, indem sie ihnen wichtige Rückmeldungen gibt, aber dass sie nicht in irgendeiner Form zur Benotung und Selektion führen darf.
Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Herr Kultusminister Rau, ist Ihnen noch erinnerlich und bekannt, dass wir Grünen vor drei Jahren, als das G 8 hier im Landtag beschlossen wurde, gefordert hatten, das die zusätzliche Lernzeit in der Oberstufe stattfinden soll und nicht in der Unter- und Mittelstufe des Gymnasiums, und ist Ihnen bekannt, dass wir damals davor gewarnt haben, dass das G 8 eine Ganztagsschule wird, und erklärt haben, dass man rechtzeitig Vorsorge treffen muss, indem Mensen und Aufenthaltsräume gebaut werden? Damals wurde bestritten, dass das faktisch eine Ganz
tagsschule wird. Ist Ihnen das aber noch erinnerlich, was wir damals gefordert hatten?
Herr Kultusminister Rau, Sie haben bislang noch nichts zum Thema Vergleichsarbeiten gesagt. Das ist ja eine zentrale Forderung seitens der Eltern, der Schulen und auch der Grünen. Vergleichsarbeiten sind bekanntlich ein Mittel der Evaluation. Ich nehme an, Sie haben sich intensiv mit Evaluation beschäftigt. Sind Sie bereit, diese Vergleichsarbeiten nicht benoten zu lassen und in anonymisierter Form als Rückmeldung an die Schule zu geben?
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem heutigen Gesetzentwurf wollen wir Grünen die strukturelle Weiterentwicklung der Schulen in Baden-Württemberg ermöglichen. Unser Ziel ist dabei die Überwindung der frühen Selektion und Sortierung unserer Schülerinnen und Schüler nach nur vier gemeinsamen Schuljahren zugunsten einer neunjährigen Basisschule nach skandinavischem Vorbild. Ich sage ausdrücklich „nach skandinavischem Vorbild“, weil wir nicht die deutsche Gesamtschule meinen, die ja nicht die Lösung des Problems darstellt, sondern ein Teil des selektiven Schulsystems ist.
Wir Grünen streben ein gerechtes und leistungsstarkes Schulwesen an, das die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler zum Ziel hat. Wir wollen an den Stärken jedes Kindes ansetzen, jedem Kind Lernerfolg vermitteln und alle Begabungspotenziale in unserem Bundesland optimal fördern.
Das, meine Damen und Herren, erfordert eine ganz neue Lernkultur, bei der positiv mit der Unterschiedlichkeit, mit der Heterogenität von Kindern und Jugendlichen umgegangen wird.
Unser Gesetzentwurf beinhaltet drei wichtige Änderungen des Schulgesetzes.
Erstens: Wir wollen die Basisschule als neue Schulart gesetzlich verankern.
Zweitens: Jede Schule – also auch jede Hauptschule, jede Realschule und jedes Gymnasium – soll die Möglichkeit erhalten, alle Schüler und Schülerinnen, egal, welche Leistungsfähigkeit sie haben, individuell zu fördern, und jede Schule soll sich zu einer Basisschule weiterentwickeln können.
Schließlich drittens: Wir wollen die aus wissenschaftlicher Sicht falsche Behauptung, dass es sich beim gegliederten Schulsystem um ein begabungsgerechtes Bildungssystem handle, aus dem Schulgesetz streichen.
Meine Damen und Herren, eines ist natürlich richtig: Kinder sind unterschiedlich begabt. Aber das ist noch lange kein Grund, sie in unterschiedliche Schularten zu sortieren. Es gibt keine drei Begabungstypen. Deshalb ist Ihre Aussage, Herr Kultusminister Rau, wie Sie sie jetzt bei der Hauptschulmesse erneut vorgetragen haben, dass unser gegliedertes Bildungssystem begabungsgerecht sei, aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg falsch. Vielmehr ist unser dreigliedriges Schulsystem ein Relikt aus dem Ständestaat des vorletzten Jahrhunderts, wie das beispielsweise Rita Süssmuth
erst vor wenigen Monaten in einem „taz“-Interview zutreffend festgestellt hat. Sie hat deshalb auch gefordert, unser Schulsystem endlich nach skandinavischem Vorbild weiterzuentwickeln.
Meine Damen und Herren, derzeitige Realität in BadenWürttemberg ist der große Einfluss der sozialen Herkunft der Kinder auf ihre Bildungslaufbahn und ihren Bildungserfolg. Die Sortierung der Schüler nach der Grundschulzeit erweist sich als eine soziale Auslese. Meine Damen und Herren, ein solch ungerechtes Bildungssystem, das keinerlei Akzeptanz mehr hat,
können wir uns in einer Wissensgesellschaft, in der wir auf die Förderung aller Begabungen angewiesen sind, in der wir alle Begabungspotenziale erschließen müssen, schlichtweg nicht mehr leisten.
Mit unserer Grünen-Forderung nach einer Basisschule stehen wir schon längst nicht mehr alleine da. Denn zunehmend kommt Druck von unten. Ich möchte erwähnen, dass auch die Hauptschullehrkräfte sehen, dass aufgrund der Verschärfung der sozialen Auslese die benachteiligten Kinder, die Kinder mit Migrationshintergrund immer mehr unter sich bleiben. Es fehlen die positiven Vorbilder. Es fehlen die Motoren. Es fehlen die Kinder, die zu Hause auch Bücher haben, die also auch ein Anregungsmilieu für die Entwicklung der anderen Kinder bieten.
Der Druck kommt vom Handwerkstag. Der Handwerkstag fordert ebenfalls eine Überwindung des selektiven Schulsystems zugunsten einer Basisschule.
Schließlich liegen die ersten Anträge von Bürgermeistern aus kleinen Orten vor, die fordern, dass sich ihre Hauptschulen zu solchen integrativen Schulen weiterentwickeln können. Die Zahl dieser Anträge wird zunehmen. Denn wenn jetzt die demografische Entwicklung ihre Folgen zeigt, wer
den kleine Schulstandorte mit Hauptschulen, die heute nur noch 60 Schüler haben, nicht mehr gehalten werden können. Deshalb brauchen wir diesen Anreiz und diese strukturelle Öffnung des Schulsystems, damit in jedem Ort attraktive Bildungsangebote erhalten bleiben können.
Herr Kultusminister Rau, wenn Sie sagen, dass bei solch integrativen Angeboten 600 Schulstandorte geschlossen werden müssten, ist das geradezu absurd; denn das Gegenteil ist der Fall.
Nur mit solchen neuen attraktiven Standorten und mit anspruchsvollen integrativen Bildungsangeboten können Schulen in den einzelnen Orten erhalten bleiben.
Meine Damen und Herren, die Voraussetzung dafür, dass sich die Schulen strukturell weiterentwickeln können, ist natürlich, dass alle Verordnungen, die heute die Schulen knebeln, wie etwa die Versetzungsordnung, die verpflichtende Grundschulempfehlung und die Klassenarbeitenverordnung, abgeschafft werden. Dann gibt man den Schulen wirklich die Freiheit, sich zu Basisschulen weiterzuentwickeln.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein gerechtes und leistungsfähiges Bildungswesen. Das schaffen wir nur, wenn wir den Schulen die Freiheit geben, sich strukturell weiterzuentwickeln. Der Druck ist da. Lassen Sie es zu, dass die Entwicklung vor Ort so weit in die Wege geleitet wird, dass ein Prozess beginnt, der uns den Anschluss an erfolgreiche Bildungsländer in Europa ermöglicht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ministerpräsident Oettinger hat in Karlsruhe beim Neujahrsempfang der IHK gesagt, dass er noch vor dem Faschingsmontag eine Entscheidung zu Lahr treffen und bekannt geben wolle. Wir Grünen sind der Meinung, dass diese Entscheidung von grundsätzlicher landespolitischer Bedeutung ist. Denn eine Genehmigung für Lahr – selbst wenn es nur eine eingeschränkte Genehmigung wäre – würde ein Abrücken von den Zielen des Generalverkehrsplans und des Landesentwicklungsplans bedeuten.
Deshalb sind wir Grünen der Auffassung, dass es in dieser Frage keinen Alleingang des Ministerpräsidenten geben darf. Es ist nämlich eine originäre Aufgabe des Landes, zu entscheiden, wie ein Generalverkehrsplan ausgestaltet wird. Deshalb muss der Landtag heute dem Ministerpräsidenten eine klare Entscheidung mit auf den Weg geben.
Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Festlegung des Flughafens Söllingen als einzigem Flughafen am mittle
ren Oberrhein im Landesentwicklungsplan ein richtiger Beschluss war. Selbst ohne Lahr haben wir mit Basel, mit Straßburg und Söllingen am Oberrhein bereits eine sehr hohe Flughafendichte. Wenn wir noch Frankfurt und Stuttgart berücksichtigen,
dann ist es europaweit fast die höchste Flughafendichte. Wenn noch Lahr hinzukommt, können wir uns preisen, dass wir in Baden die höchste Flughafendichte Europas bekommen.
Ein Gutachten belegt eindeutig, dass kein Bedarf für einen weiteren Flughafen besteht. Deshalb fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren: Bleiben Sie konsequent bei der bisherigen Beschlusslage, und stimmen Sie unserem Antrag, keine Genehmigung einer Passagierfluglizenz jeglicher Art für den Flughafen Lahr zu erteilen, zu.
Meine Damen und Herren, wir Grünen lehnen aber auch die ausufernde Subventionierung von Flughäfen ab. Aus ökologischer Sicht und aus haushaltspolitischer Sicht ist das eine falsche Entwicklung, die gekippt werden muss.
Die Subventionierung von Flughäfen ist keine Kernaufgabe des Landes wie zum Beispiel die Bildung. Deshalb bitte ich auch um Zustimmung zu Abschnitt II Ziffer 2 unseres Antrags, die besagt, dass das Land keine weitere Subventionierung von Flughäfen unterstützen darf.
Dagegen fordern wir Grünen, dem berechtigten Anliegen des Europa-Parks Rust, eine bessere Verkehrsanbindung zu erhalten, zu entsprechen. Das ist ganz klar.
Aber wir fordern dazu den Ausbau des öffentlichen Verkehrs,
zum Beispiel die Anbindung des Flughafens Söllingen an das Karlsruher Straßenbahnnetz,
eine Stichanbindung des Europa-Parks an die im Ausbau befindliche Rheintalbahn und eine Reaktivierung des Bahnübergangs Breisach mit Anbindung an den Flughafen Freiburg/Mulhouse. Das sind richtige Entscheidungen, und damit kann auch dem berechtigten Anliegen des Europa-Parks entsprochen werden.
Nun noch ein Wort zu den Änderungsanträgen, die Sie heute vorgelegt haben.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, es wird Sie nicht überraschen, dass wir Ihrem Änderungsantrag nicht zustimmen werden.
Denn Sie beantragen – Moment! –
eine beschränkte Flughafenlizenz für Lahr.
Das ist für uns das Einfallstor – man kann es noch deutlicher sagen: das Trojanische Pferd –
dafür, dass eine generelle Passagierfluglizenz kommen wird.
Deshalb lehnen wir das konsequent ab.
Dann kommt der Vorschlag von Ute Vogt – damit will man sozusagen die Technologieregion Karlsruhe befrieden –, dass das Land doch dafür sorgen möge, dass Flüge vom Flughafen Stuttgart nach Söllingen umgelenkt werden und damit praktisch die wirtschaftliche Existenz des Flughafens Söllingen gewährleistet wird.
Erstens ist das rechtlich gar nicht möglich.
So eine Entscheidung – das ist schon festgestellt worden – treffen die Flughafengesellschaften.
Mit Sicherheit ist es überhaupt nicht zu machen, dass man Flüge, die für Stuttgart vorgesehen sind, nach Söllingen umleitet.
Das ist sozusagen reine Augenwischerei.
Damit möchte man lediglich eine Befriedungsaktion für die Technologieregion Karlsruhe starten.
Nun zum Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der FDP/ DVP-Fraktion.
Dieser Änderungsantrag kommt unserem Anliegen schon etwas näher. Wir werden deshalb
den Ziffern 1 und 4 des Änderungsantrags der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP zustimmen.
Wir halten es für sehr sinnvoll und richtig – das ist auch unser Anliegen –, dass der Landtag und die Ausschüsse über den weiteren Fortgang unterrichtet werden
und dass keine Entscheidung getroffen wird, bevor nicht der Landtag bzw. der zuständige Fachausschuss eine Meinungsbildung und Mitberatung ermöglicht bekommt. Das ist in unserem Sinne; deswegen stimmen wir dem zu.
Was die Ziffern 2 und 3 des Änderungsantrags der Regierungsfraktionen anbelangt, sind uns die Formulierungen in der Tat zu wischiwaschi,
insbesondere Ziffer 2. Wenn Sie sagen, hier solle kein weiterer Verkehrsflughafen entwickelt werden, dann schließen Sie damit nicht aus, dass Sie unter Umständen zustimmen würden, dass hier eine Sonderlizenz erteilt wird.
Da wir Grünen gegen jegliche Sonderlizenz sind, bitte ich Sie, ein klares Wort zu sagen und nicht einen solchen Wischiwaschiantrag zu stellen, den Flugplatz Lahr nicht zu einem weiteren Verkehrsflughafen zu entwickeln, sondern unserem Antrag zuzustimmen. Damit können Sie in ökologischer und verkehrspolitischer Hinsicht zu Ihrem Wort stehen, was den Generalverkehrsplan und den Landesentwicklungsplan anbelangt. Wir können uns nach dem Messekannibalismus keinen Flughafenkannibalismus in Baden-Württemberg leisten.
Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In einem beispiellosen Schulterschluss haben die Landtagsopposition – die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD –, der Landeselternbeirat, der Landesschülerbeirat, der Philologenverband, die GEW und weitere Verbände vor Einführung des achtjährigen Gymnasiums gewarnt, dass mit Ihrem Konzept des achtjährigen Gymnasiums faktisch die Ganztagsschule durch die Hintertür eingeführt und die Orientierungsstufe abgeschafft werde und es damit zu einer großen Belastung für die Schülerinnen und Schüler in der Unterstufe kommen werde.
Meine Damen und Herren, alle diese Befürchtungen haben sich in vollem Umfang bewahrheitet. In diesem Jahr hat die Verkürzung und Verdichtung des Unterrichts in der Unterstufe mit voller Wucht die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse getroffen. Im nächsten Jahr werden davon bereits die Fünftklässler betroffen sein.
Meine Damen und Herren, es sind vor allem die bildungsorientierten Eltern, die Eltern mit akademischem Hintergrund, die jetzt auf die Barrikaden gehen, und zwar flächendeckend in ganz Baden-Württemberg.
Es sind vor allem der Landeselternbeirat und seine Vorsitzende, Frau Staab, die betont, dass jetzt in der Unterstufe für neun- bis elfjährige Kinder eine 45-Stunden-Woche eingeführt wurde.
Wir erhalten jeden Tag Briefe und E-Mails mit diesem Inhalt. Wir erhalten keine einzige andere Aussage von Eltern in diesem Land. Da können Sie jetzt noch so sehr toben.
Ein Beispiel: Eine Mutter schreibt, dass ihre Tochter trotz guter Noten
häufig weint, weil es ihr einfach zu viel ist.
Eine andere Mutter schreibt, dass sie sich absurderweise das erste Mal in ihrem Leben über ausgefallene Schulstunden freue, weil endlich einmal die Belastung ihres Sohnes reduziert werde.
Ein Vater, Kinderarzt, schreibt, dass es aus gutem Grund ein Jugendarbeitsschutzgesetz gebe, welches die zulässige Arbeitszeit für 16-Jährige regle, aber er fragt, wer unsere zehnjährigen Kinder vor dieser übermäßigen Belastung schütze.
Meine Damen und Herren, die Eltern haben Recht: Der Sprung ins Gymnasium ist schwieriger geworden. In der Regel haben jetzt die Sechstklässler – ab dem nächsten Jahr die Fünftklässler – sieben bis neun Stunden mehr Unterrichtsstunden in der Woche, und das von einem Jahr zum nächsten. Sie haben vorgezogene Fächer wie Geschichte und die zweite Fremdsprache.
Sie haben das Fachlehrerprinzip. Das heißt, Sie verschärfen dadurch die soziale Auslese in unserem Bundesland.
Wie sollen Kinder mit Migrationshintergrund, die Sprachprobleme haben, künftig überhaupt noch eine realistische Chance haben, den Sprung ins Gymnasium zu schaffen?
Der Leiter eines Stuttgarter Gymnasiums empfiehlt den Eltern inzwischen ein Zeitmanagement für ihre Kinder von morgens um 7 bis abends um 20 Uhr, einen strukturierten Zeitplan für den ganzen Tag.
Ich warne vor einer solchen Verplanung von Kindheit.
Neun- bis elfjährige Kinder brauchen auch Freiräume.
Sie brauchen Zeit für eigene Aktivitäten, sie brauchen Zeit zum Spielen, sie brauchen Zeit zum Träumen, sie brauchen auch ein kindgerechtes Leben.
Sie brauchen gar nicht so zu schreien und zu toben. Sie haben das achtjährige Gymnasium eingerichtet. Sie sind dafür verantwortlich.
Herr Kultusminister Rau, Sie wiederholen gebetsmühlenhaft den Satz Ihrer Amtsvorgängerin,
die immer gesagt hat: „Wir brauchen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Lebenszeit junger Menschen.“ Das,
was Sie hier betreiben, ist ein verantwortungsloser Umgang mit der Lebenszeit von Kindern.
Herr Kultusminister Rau, Ihre Amtsvorgängerin war beratungsresistent. Aber Sie verleugnen die Realität.
Ich komme noch darauf, Herr Haas. Warten Sie es ab.
In der Stellungnahme zu unserem Antrag behaupten Sie, das Konzept stimme
und die Schulen hätten die Aufgabe, dieses Konzept verantwortungsvoll umzusetzen,
die Schulen hätten Freiräume, sie hätten Kontingentstundentafeln,
sie hätten Poolstunden.
Das ist richtig. Aber die Lehrer und Lehrerinnen haben ein Jahr lang hart gearbeitet, um sich auf die Bildungspläne vorzubereiten. Ihnen jetzt den schwarzen Peter zuzuschieben
ist ein ganz schlechter politischer Stil, schwächt das Ansehen der Lehrer und Lehrerinnen in diesem Land weiter
und trägt nicht dazu bei, das Vertrauensverhältnis zwischen Elternhaus und Schule zu stärken.
Denn – Herr Kollege Röhm, Sie sind ja Schulleiter – die Vergleichsarbeiten sind doch der heimliche Lehrplan. Wenn nach der sechsten Klasse Vergleichsarbeiten geschrieben werden müssen, können die Schulen ja nicht sagen: Wir behandeln den Stoff aber erst in der siebten, achten oder neunten Klasse.
Ich stelle fest: Es sind also nicht die Lehrkräfte, die schuld sind.
Schuld ist vielmehr die falsche Architektur des achtjährigen Gymnasiums. Sie haben zunächst einmal am falschen Ende angefangen. Sie haben zuerst mit dem Dach begonnen, nämlich mit der Oberstufe. Wenn man erst das Dach, die Oberstufe, einrichtet, ist natürlich die Frage, ob die Unterstufe noch dazu passt.
Sie haben eine Verdichtung und Verkürzung in der Unterstufe vorgenommen, und deshalb muss sofort eine Korrektur erfolgen. Wir brauchen eine Notbremse. Wir brauchen einen sanften Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium, sodass auch Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder aus sozial benachteiligten Familien eine realistische Chance bekommen, den Sprung aufs Gymnasium zu schaffen. Wir müssen eine Verzahnung zwischen Grundschule und weiterführenden Schulen durchführen. Überall soll es diese Verzahnung geben, sogar zwischen Kindergarten und Grundschule. Aber beim Übergang zum Gymnasium soll es plötzlich nur noch eine Schockwirkung geben. Das kann es nicht sein.
Nein. Er kann am Schluss noch fragen. Ich bin ohnehin gleich am Schluss.
Meine Damen und Herren, deshalb liegt heute der Antrag Drucksache 13/4772 meiner Fraktion vor. Wir wollen, dass die Verdichtung und Verkürzung in der Unterstufe zurückgenommen wird. Wir wollen, dass das finnische Prinzip eingeführt wird: Langsam starten und dann Gas geben. Das ist das Geheimnis des finnischen Erfolgs: Ein solides Fundament, und dann können Kinder später auch mehr und schneller auf dieser Basis lernen.
Wir wollen, dass die Orientierungsstufe wieder hergestellt wird. Das kann man so machen, dass mit der zweiten Fremdsprache erst im sechsten Schuljahr begonnen wird oder man es allen Schularten freistellt, ob sie die zweite Fremdsprache in der fünften oder in der siebten Klasse einführen, dass man also der Schule die Möglichkeit einräumt, in unterschiedlichen Stufen vorzugehen. Außerdem wollen wir die Durchlässigkeit zwischen den Schularten bis einschließlich zur neunten Klasse erreichen.
Meine Damen und Herren, Herr Kultusminister Rau, jetzt können Sie beweisen, dass Sie im Gegensatz zu Ihrer Vorgängerin bereit sind, berechtigte Kritik anzunehmen, dass Sie den Mut haben, Fehler und Fehlentwicklungen einzugestehen und darauf zu reagieren. Im Interesse der Kinder und Eltern in diesem Lande fordere ich Sie dazu auf.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Kollegin SchmidtKühner schon eindrucksvoll vorgetragen hat, haben wir über viele Jahre hinweg in diesem Haus immer wieder hartnäckig gefordert, dass Sie endlich den Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige erleichtern sollen und dass Sie endlich die hohe Hürde der Eignungsprüfung abschaffen müssen. Auch der Druck aus der Industrie- und Handelskammer und aus der Handwerkskammer in Baden-Württemberg hat immer stärker zugenommen. Jetzt haben Sie sich endlich mit diesem Gesetzentwurf ein bisschen bewegt. Natürlich bringen Sie hier überhaupt nichts Neues und nichts Spektakuläres, sondern Sie lösen hier endlich einmal die seit Jahren vorgetragenen Forderungen ein.
Ich muss allerdings dazusagen: Die Entwicklung ist inzwischen bundesweit weitergegangen. Wie aus Ihrem vorgelegten Bericht deutlich zu entnehmen ist, ist der Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige in vielen Bundesländern sehr viel weiter gehend, als Sie es jetzt in Baden-Württemberg zulassen wollen. In Berlin ist er am weitesten gehend. Aber ich will gerade auch Niedersachsen und Hessen erwähnen. Deshalb sagen wir: Wenn wir jetzt schon hier den Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige erleichtern, müssen wir gleich Nägel mit Köpfen machen und auch die
Forderungen einlösen, die zum Beispiel vom Baden-Württembergischen Handwerkstag erhoben werden.
Wir Grünen haben in unserem Gesetzentwurf gefordert, dass die Eignungsprüfung für qualifizierte Berufstätige, für Meister und vergleichbar Qualifizierte, abgeschafft wird und dass gleichzeitig Meister und vergleichbar Qualifizierte auch ein Studium ihrer Wahl absolvieren können, sie also nicht nur ein affines Fach, nämlich ein Fach, das ihrer Ausbildung entspricht, sondern auch ein Fach ihrer Wahl studieren können.
Ich möchte an einem Beispiel illustrieren, wie notwendig das ist. Wenn die Regelung, die Sie jetzt im Hochschulgesetz vornehmen wollen, in Baden-Württemberg eingeführt wird, könnte Erwin Teufel in Baden-Württemberg nicht Philosophie studieren, sondern er müsste Verwaltungswissenschaften studieren. Sie müssen doch selbst zugeben, dass das für den ehemaligen Ministerpräsidenten keinerlei Sinn ergeben würde.
Ich muss auch noch eines dazu sagen: Ein qualifizierter Berufstätiger, jemand, der eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, jemand, der die Meisterprüfung gemacht hat und eine hohe Motivation für ein Studium mitbringt, kann dieses Studium auch tatsächlich bewältigen. Sie wissen ja auch, dass das Abitur, das ja den allgemeinen Hochschulzugang eröffnet, keine Garantie für ein erfolgreiches Studium ist.
Das belegen ja nicht zuletzt die hohen Abbruchzahlen.
Zum Zweiten bleiben Sie hinter den Forderungen, zum Beispiel des Baden-Württembergischen Handwerkstags, auch dadurch zurück, dass für beruflich Qualifizierte mit abgeschlossener Berufsausbildung kein Fachhochschulzugang eröffnet wird. Das ist etwas, was zum Beispiel in einigen anderen Bundesländern möglich ist, zumindest mit einem Probestudium. Wenn wir wirklich die berufliche Bildung mit der allgemeinen Bildung gleichstellen wollen, müssen wir auch für beruflich Qualifizierte mit einer qualifizierten Berufsausbildung diesen Zugang eröffnen.
Ich komme zum Schluss, weil die Details mit Sicherheit noch im Ausschuss erörtert werden. Sie haben sich endlich etwas bewegt. Sie bleiben aber hinter dem, was vonseiten der Wirtschaft gefordert wird und was in anderen Bundesländern bereits praktiziert wird, weit zurück. Wenn wir wirklich die Gleichwertigkeit der beruflichen und der allgemeinen Bildung einlösen wollen, wenn wir das berufliche Schulwesen in Baden-Württemberg wirklich noch attraktiver machen wollen, müssen Sie die Forderungen, die wir Grünen in den Landtag eingebracht haben, erfüllen. Deshalb wird es, denke ich, noch eine interessante Beratung im Ausschuss werden.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:
Wir haben in Deutschland ein ständisches Bildungswesen. Die Hauptschule entspricht der früheren Volksschule fürs gemeine Volk. Die Realschule nimmt die Mittelschicht auf, das Gymnasium wendet sich an eine Bildungsoberklasse.
So sieht, wenig überzeichnet, die heutige Schulstruktur aus.
Und die reicht nicht mehr für eine Wissensgesellschaft mit einer dramatisch sich beschleunigenden Alterung. Wir müssen jeden einzelnen Schüler voranbringen, weil wir jeden später als Bürger und als Finanzier des Sozialsystems brauchen.
Wir können uns die dreigliedrige Schule schlicht nicht mehr leisten.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Kritik der ehemaligen Bundestagspräsidentin und Pädagogikprofessorin Rita Süssmuth an unserem Bildungswesen,
die sie in einem „taz“-Interview am 28. September 2005 vorgetragen hat.
Konsequenterweise ist Frau Süssmuth auch Mitglied in der bundesweiten Initiative „Länger gemeinsam lernen“ geworden. Sie plädiert dafür, dass wir endlich eine Entwicklung einleiten, wie sie etwa in Skandinavien, in Finnland, oder in Kanada umgesetzt wurde, nämlich jeden Schüler individuell zu fördern und in der Heterogenität der Schülerschaft eine Bereicherung und eine Chance für einen besseren Bildungserfolg aller Schülerinnen und Schüler zu sehen, statt Schüler in angeblich homogene Lerngruppen zu sortieren.
Genau dies, meine Damen und Herren, ist auch das Ziel des Ihnen heute vorliegenden Antrags meiner Fraktion. Die Notwendigkeit einer besseren individuellen Förderung aller Schüler und Schülerinnen hat sich wie ein roter Faden durch alle fünf Anhörungen unseres Schulausschusses durchgezogen.
Eine bessere individuelle Förderung und eine längere gemeinsame Schulzeit sind notwendig, um das Problem der gravierenden sozialen Ungerechtigkeit in unserem Bundesland zu lösen. Denn, meine Damen und Herren, das Hauptproblem des baden-württembergischen Bildungswesens ist und bleibt die soziale Ungerechtigkeit. Das ist durch die Länderauswertung der zweiten PISA-Studie erneut dramatisch bestätigt worden. Ein Kind mit Migrationshintergrund hat in Baden-Württemberg eine 4,4 mal schlechtere Chance als ein Kind aus einem akademischen Elternhaus, bei gleicher Begabung aufs Gymnasium zu kommen.
Über 60 % der Schüler mit Migrationshintergrund besuchen nach der Grundschule die Hauptschule, während es von den deutschen Kindern nur noch 22 % sind. 16 % der ausländischen Schüler dagegen kommen aufs Gymnasium, während es bei den deutschen Schülerinnen und Schülern mittlerweile 43 % sind. Damit, meine Damen und Herren, wird in unserem Bundesland nicht nur massiv gegen das Prinzip der Chancengerechtigkeit verstoßen, sondern wir verschwenden auch kostbare Bildungspotenziale von Tausenden junger Menschen, die unsere Gesellschaft dringend braucht. 18 % der ausländischen Jugendlichen verlassen die allgemein bildenden Schulen ohne Schulabschluss.
Meine Damen und Herren, die großen Problemlagen, die wir durch die mangelnde Integration von ausländischen jungen Menschen haben und die gekennzeichnet sind durch Abschottung, soziale Isolation, Gewaltbereitschaft und Drogenkonsum – hier sind insbesondere auch die jugendlichen Aussiedler betroffen, die ja einen deutschen Pass haben –, hängen doch mit den niedrigen Bildungsabschlüssen und mit den fehlenden beruflichen Perspektiven junger Migranten in unserer Gesellschaft zusammen.
Ich finde es angesichts dieser Situation erschreckend, dass Sie im letzten Haushalt ausgerechnet bei den Schwächsten gespart haben, indem Sie die Mittel für die Schulsozialarbeit komplett gestrichen und ausgerechnet beim zweiten Bildungsweg gekürzt haben. So ist der zweite Bildungsweg in Baden-Württemberg die einzige Chance für leistungswillige junge Migranten, höherwertige Schulabschlüsse zu erzielen. Für ein Bundesland mit einem so hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund – wir liegen in Baden-Württemberg mit 31,6 % bundesweit sogar an der Spitze aller Flächenstaaten, nur Hamburg und Bremen als Stadtstaaten liegen noch darüber – sind die Versäumnisse in der Bildungspolitik geradezu sträflich.
Meine Damen und Herren, lieber Kultusminister Rau, Sie geben zu Recht zu, dass wir in unserem Bildungswesen ein massives Gerechtigkeitsproblem haben. Auch Ministerpräsident Oettinger hat es heute Vormittag in seiner Regierungserklärung angesprochen. Das Eingestehen dieser sozialen Ungerechtigkeit allein ist ja schon ein großer Fortschritt in Baden-Württemberg. Denn ich erinnere daran, dass Ihre Vorgängerin, die ehemalige Kultusministerin Schavan, im Schulausschuss noch im Jahr 2000, also ein Jahr vor der ersten PISA-Studie, auf einen Antrag von uns Grünen hin, nämlich dass Migrantenkinder besser gefördert werden müssen, damit sie auch eine gerechte Chance haben, auf das Gymnasium zu kommen, völlig genervt geantwortet hat: Wo kämen wir denn hin, wenn wir jetzt auch noch verlangen wollten und erwarten würden, dass man einen türkischen Jungen, dessen Eltern aus Anatolien kommen, auch noch ins Gymnasium bringen könnte?
Das kennzeichnete die bisherige Haltung. Deshalb ist das Eingeständnis dieser sozialen Ungerechtigkeit in der Tat schon ein Fortschritt für dieses Bundesland.
Meine Damen und Herren, trotz dieser Erkenntnis halten Sie, Herr Minister Rau, und halten Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, immer noch an dem Dogma des gegliederten Schulsystems mit der frühen Auslese nach nur vier Grundschuljahren fest. Sie, Herr Minister Rau, sagen ja bei jeder Gelegenheit, beim dreigliedrigen Schulsystem sei die Chancengerechtigkeit durch die Anschlussfähigkeit im beruflichen Schulwesen gesichert.
Meine Damen und Herren, Sie wissen: Ich verkenne doch überhaupt nicht, welchen wichtigen Beitrag das berufliche Schulwesen für die Verbesserung der Bildungschancen junger Menschen und auch für eine Erhöhung der Bildungsbeteiligung leistet. Es ist doch ein hervorragendes Ergebnis, dass ein Drittel der Abiturienten in Baden-Württemberg aus den beruflichen Gymnasien kommen und dass wir 9 % junger Menschen mit Fachhochschulreife haben, die diese ebenfalls in den beruflichen Schulen erwerben. Es ist natürlich auch sehr positiv, dass viele junge Menschen – auch Migranten – in den beruflichen Schulen nachträglich noch einen Hauptschulabschluss erwerben können. Deshalb haben wir in diesem Haus ja auch einen fraktionsübergreifenden Konsens, dass die beruflichen Schulen einen wichtigen Beitrag leisten und dass sie die Stärke des baden-württembergischen Schulsystems sind.
Aber es ist nicht die originäre Aufgabe der beruflichen Schulen, eine Reparaturwerkstatt
für die Versäumnisse der allgemein bildenden Schulen zu sein.
Trotz der bedeutenden Verbesserung der Bildungsbeteiligung kann auch das berufliche Schulwesen die soziale Un
gerechtigkeit, die an den allgemein bildenden Schulen besteht, nicht ausgleichen.
Ich will Ihnen das anhand von Zahlen auch belegen. In der TOSCA-Studie, die das berufliche Gymnasium untersucht hat, sind die Experten zu dem Ergebnis gekommen, dass die beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg zwar einen guten Beitrag zur besseren Bildungsbeteiligung, zu einer Erhöhung der Abiturientenquote leisten, aber das berufliche Gymnasium die Schule für die Aufsteiger aus der Realschule, aus der Mittelschicht ist und gerade nicht für die Kinder mit Migrationshintergrund.
Zweitens: Das Statistische Landesamt hat neue Zahlen veröffentlicht und kommt zu dem Ergebnis – ich habe die Zahlen dabei, ich kann sie Ihnen nachher auch zeigen –, dass Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund hauptsächlich in Bildungsgängen wie dem Berufsvorbereitungsjahr und in den Sonderberufsschulen zu finden sind. Sie sind aber absolut unterrepräsentiert an Berufskollegs, an Fachschulen – dort wird die Meisterprüfung abgelegt – und an beruflichen Gymnasien. Die Autoren der Studie sagen am Schluss: Für die beruflichen Schulen ergibt sich ein ähnliches Bild wie für die allgemein bildenden Schulen. Auch dort findet beim Zugang zu höherwertigen Bildungsabschlüssen noch eine soziale Ungerechtigkeit statt.
Das heißt, wir müssen zuallererst in den allgemein bildenden Schulen die Zugangsgerechtigkeit verbessern. Wir dürfen nicht allein darauf setzen, dass dies an den beruflichen Schulen erfolgt. Unser berufliches Schulwesen ist eine Stärke, aber es ist nicht der einzige Weg, um soziale Gerechtigkeit im baden-württembergischen Bildungswesen tatsächlich zu erreichen.
Herr Minister Rau, ich bin mit Ihnen völlig einig, dass die frühe Förderung im vorschulischen Bereich und die frühe Förderung in der Grundschule verbessert werden müssen. Die Grundschule ist schon heute eine gute Schule für die Schüler und Schülerinnen. Das hat die IGLU-Studie ja bestätigt. Aber wir müssen dort tatsächlich mehr an Sprachförderung leisten. Deshalb fordere ich Sie zum Handeln auf und stelle diese Forderungen im Landtag heute erneut:
Der Klassenteiler von 31 ist zu hoch, um Schüler mit Migrationshintergrund in diesen Riesenklassen sprachlich zu fördern. Wir brauchen also kleine Lerngruppen – keine Grundschulklasse darf mehr als 25 Kinder haben –, und wir brauchen zusätzlich kleine Lerngruppen, in denen Kinder mit großem Sprachförderbedarf sind.
Das ist die erste Forderung.
Zweitens: Wir brauchen die Einbeziehung von zusätzlichem pädagogischem Personal.
Sicher, Herr Röhm. Genau das ist das Problem, weil 25 % der Grundschulkinder in Klassen mit Größen zwischen 26 und 31 Schülern sind. In den großen Grundschulen in den Ballungszentren gibt es Klassen mit 28, 29 und 30 Kindern.