Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

Herr Präsident, ich gebe zu überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn Sie von Ihrem Platz aus alle zwei Stunden zu Bewegungsübungen aufrufen würden. Man weiß ja vom Fliegen, dass das Thromboserisiko bedeutend reduziert wird, wenn man sich regelmäßig bewegt, wenn man Gymnastik macht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der Grünen)

Wenn das unter der Würde des Präsidentenamtes wäre, würden Frau Brunnemer und ich wir beide haben uns gerade abgesprochen uns selbstverständlich bereit erklären, diese Aufgabe zu übernehmen und den Vorturner zu machen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Glück, gestatten Sie mir, weil Sie mich angesprochen haben, die Zwischenbemerkung: Ich habe den Eindruck, dass sich die Abgeordneten jeweils spätestens nach zwei Stunden bewegen,

(Heiterkeit)

sodass diese gemeinsame Übung wohl nicht erforderlich ist.

Herr Präsident, wenn wir diese Übung machen würden, könnte ich Ihnen versprechen, dass Sie anschließend ein gut durchblutetes und im Kopf wieder bestens hergestelltes Plenum haben. Wir könnten das ja irgendwann einmal versuchen, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren, bereits die Peripatetiker, also eine Schule des Aristoteles, haben empirisch festgestellt, dass es sich gehend besser philosophiert. Dieses empirische Wissen hat sich dann übertragen. Sie kennen den Spruch von den Römern mit dem gesunden Geist in einem gesunden Körper. Das, was die Anthroposophen als Interaktion von Körper und Geist betrachten, ist genau das Gleiche. Die moderne Sportmedizin, die Sportphysiologie hat in der Tat Transmittersubstanzen gefunden, die diese Interaktion bedingen.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Ich will nun keine Vorlesung über sportmedizinische Propädeutik halten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten wir nicht das eine oder andere Problem gehend diskutieren? Könnten wir nicht Treppen steigen, ohne das Geländer zu benutzen? Und, mit Verlaub, wie wäre es, wenn sich jeder bemühen würde, morgens seine Socken im Stehen und nicht im Sitzen und ohne sich an die Wand anzulehnen anzuziehen?

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Wir sollten jede Möglichkeit nützen, das Minimaltraining, das wir haben, auszunützen, nachdem wir den ganzen Tag nur herumsitzen. Wir würden damit dazu beitragen, dass ein vorzeitiger muskulärer, kardialer und neurologischer Abbau verhindert wird.

(Abg. Schmiedel SPD: Das Thema!)

Nach diesen allgemeinen Einführungen würde ich gerne in einem zweiten Teil auf einige Punkte des Papiers eingehen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Wem darf ich für die CDUFraktion das Wort erteilen? Frau Abg. Brunnemer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht haben es einige schon vergessen: Vor zwei Jahren, im Frühjahr 2000, haben wir den Sport als Staatsziel in die Landesverfassung aufgenommen. Damit hat Baden-Württemberg dem Sport in all seiner Vielfalt den Stellenwert eingeräumt, den er in unserer Gesellschaft braucht.

(Abg. Fischer SPD: Ihr habt aber lange gebraucht!)

Unsere Gesellschaft ist inzwischen so fortschrittlich geworden, dass der Mangel an körperlicher Betätigung immer mehr zum ernsthaften medizinischen Problem wird. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns alle darüber freuen, dass wir heute im Landtag über den Schulsport reden, über einen Bereich des Sports, der für uns von allergrößter Bedeutung ist und den wir mit allen Kräften fördern müssen, egal meine Damen und Herren, das sage ich ganz bewusst , ob wir hier die Regierung stellen oder Opposition betreiben.

Gut, es gab den legendären Staatsmann Winston Churchill. Er starb 1965 im begnadeten Alter von 90 Jahren. Sie kennen sicher seine Bemerkung auf die Frage, was ihn so gesund erhalte.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Richtig, Frau Rastätter. Churchills Rezept lautete schlicht: No sports. Ich denke aber, wir sind uns darüber einig, dass wir weder diesen Ausspruch noch die körperliche Statur dieses Staatsmannes für unsere Jugend zum Vorbild erklären sollten.

Doch zurück zum Ernst der Lage. Ganz konkret und nicht aus der amtlichen Statistik möchte ich Ihnen einiges sagen, was ich bei meiner Tätigkeit als Sportlehrerin an einem Gymnasium erlebt habe. Dabei habe ich doch bedenkliche Erfahrungen gemacht. So hat die Zahl der Schüler, die nicht mehr in der Lage sind, einen Purzelbaum zu schlagen, in den fünften Klassen stark zugenommen.

Sie werden jetzt sicher sagen: Der Purzelbaum als Lernziel ist sekundär. Doch was bedeutet das konkret für das Kind? Seine oftmals überlebensnotwendige Fähigkeit, sich körperlich aus gefährlichen Situationen herauszubewegen, zum Beispiel Stürze abzufangen, bei Gefahr auch einmal ganz schnell wegzulaufen, verkümmert zusehends.

Sie würden auch staunen, wenn Sie beobachten könnten, wie sich Schülerinnen bei Wanderungen bereits nach wenigen Kilometern konditionell am Ende zeigen.

Warum ist das so? Kinder wachsen in einer Umwelt auf, in der die Bewegung immer unwichtiger wird. Viele Wege werden mit dem Auto und mit dem Bus zurückgelegt, meistens auch der Schulweg. Manche gutmütige Mutter, auch mancher Vater, der seine Kinder so selbstverständlich chauffiert, manche Eltern sollten sich fragen, ob ihr Kind den Schulweg nicht besser zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen sollte.

(Beifall bei der CDU, der FDP/DVP und den Grü- nen)

Hinzu kommt, dass Kinder immer mehr Zeit fast bewegungslos vor dem Fernsehgerät oder dem Computer verbringen. Folgen sind: Fähigkeiten wie Bewegungssicherheit, Geschicklichkeit und körperliches Leistungsvermögen von Kindern und Jugendlichen nehmen ab. Wichtig: Auch für das Selbstbewusstsein förderliche Bewegungserfahrungen bleiben aus. Das hat jetzt auch die Studie der Karlsruher Universität gezeigt.

Ebenso bestätigen die Ärzte, dass die Kinder zunehmend unter Haltungsschwächen leiden, krankhafte Veränderungen des Skelettsystems zeigen, übergewichtig sind und im späteren Lebenslauf Erkrankungen des Bewegungsapparates und des Herz-Kreislauf-Systems dazukommen.

Es ist klar und muss immer wieder festgestellt werden: Die Schulen allein können mit ihren Möglichkeiten und Ressourcen den Folgen der gesamtgesellschaftlich begründeten Bewegungsarmut nicht abhelfen. Wir brauchen vielmehr eine starke Partnerschaft zur körperlichen Ertüchtigung unserer Kinder.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Hier sind alle gefordert die Eltern, die Schulen, die Vereine, ja auch die Kirchen, also alle, die für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen Verantwortung tragen.

Worum geht es konkret? Wir müssen für die Bedeutung des Schulsports werben. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder täglich Zeit für die Bewegung haben. Wir müssen dafür sorgen, dass der Sportunterricht in der Wertigkeit der Unterrichtsfächer genauso wichtig wie andere Fächer genommen wird.

Ich glaube, andere Kulturnationen sind uns da ein Stück voraus. Deshalb müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Ich wiederhole: Schulen, Schülerschaft, Eltern, Kommunen, Kirchen und Vereine sind aufgefordert, sich um eine Verbesserung der so genannten Bewegungsförderung zu kümmern.

Der Schulsport leistet einen unverzichtbaren Beitrag dazu. Wenn Schüler Freude und Spaß am Sportunterricht bekommen, sind sie auch offen dafür, sich anzustrengen, und dann gehen sie auch in die Sportvereine. Ich sage Ihnen: Dabei geht es häufig um Motivation, um Anleitung, darum, zu vermitteln, wie wichtig Sport und körperliche Fitness für die eigene Entwicklung sind.

Ich sage Ihnen auch: Es geht beim Schulsport nicht immer nur um mehr Lehrer, mehr Hallen und mehr Sportplätze. Sportliche Betätigung fängt nämlich im Kopf bei der Einstellung zum Sport an.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sie fängt bei der Erkenntnis an, dass es gut ist und auch Spaß macht, seinen Hintern vom Sessel zu heben und sich sportlich zu betätigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ja, da muss sich auch mancher Erwachsener, denke ich, an die eigene Nase fassen und fragen, ob er insoweit seiner Rolle als Vorbild für seine Kinder gerecht wird.

(Beifall bei der CDU Unruhe)

Schulsport gehört zur ganzheitlichen Bildung und Erziehung von jungen Menschen. Schulsport fördert eine gesunde körperliche Entwicklung. Schulsport beeinflusst entscheidend die geistige, soziale und emotionale Entwicklung. Schulsport trägt wesentlich zum Erwerb von Sozialkompetenz und Leistungsorientierung bei. Daher ist und bleibt für die CDU-Fraktion die Bewegungs- und Sportförderung an unseren Schulen von ganz besonderer Bedeutung.

Was sollten wir tun, um noch mehr für den Schulsport zu erreichen? Wir sollten die Bewegungserziehung bereits im vorschulischen Bereich verstärken. Schon im Kindergarten muss den Kindern vermittelt werden, dass Bewegung etwas ist, was Spaß macht. Dass Bewegung auch noch gesund ist, das ist den kleineren Kindern nämlich schlicht egal. Die Sportwissenschaftler bezeichnen das Vorschulalter für die Bewegungserziehung als goldenes Kindesalter. So ist es nur richtig, schon im Kindergarten einen Schwerpunkt in der Bewegungserziehung zu setzen. Mit Kooperationen zwischen Schule, Verein und Kindergarten sowie mit dem Modell „Bewegungsfreundlicher Kindergarten“ können wir dieses Ziel erreichen.

Ebenso richtig ist es, die überschäumende Bewegungsfreude der Grundschüler aufzunehmen und in den Schulalltag zu integrieren. Hierzu ist die Ausweitung des Modells „Grundschule mit Sport und bewegungserzieherischem Schwerpunkt“ auf weitere Grundschulen ein wichtiger Schritt.

Es geht auch um die Aufnahme von weiteren Trendsportarten in den Sportunterricht. Damit wurden und werden interessante Möglichkeiten sportlicher Betätigung geschaffen. So haben sich Klettern und Inlineskating bestens bewährt und bieten auch außerhalb der Schule beste Bewegungsangebote.

Ich denke, letztendlich geht es darum, den Schülerinnen und Schülern die Freude an der Bewegung zu vermitteln, Kreativität und Bereitschaft zur Anstrengung zu entwickeln und sie möglichst zum lebenslangen Sporttreiben zu motivieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Dazu haben wir in Baden-Württemberg den richtigen Weg eingeschlagen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass bereits 1994 in Baden-Württemberg das Konzept „Sport- und bewegungsfreundliche Schule“ geschaffen wurde. Wir haben die Ziele Bewegung, Spiel und Sport über den eigentlichen Sportunterricht hinaus an den Schulen verankert und gefördert. Auch „Bewegungsfreundlicher Schulhof“, „Aktive Pausen“ warum nicht auch im Landtag?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)