Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Volksmeinung ist gespalten. Gleichwohl bin ich stolz darauf, dass meine Fraktion sich in dieser schwierigen Frage zu einer Mehrheitsmeinung durchgerungen und auch ohne jeden Opportunismus entschieden hat.
Wenn wir eine breite Akzeptanz erreichen wollen, dann bedarf es immer wieder des Versuchs, mit einer logischen und klaren Begründung die Entscheidung zu rechtfertigen.
Wir haben heute Morgen noch einmal über den Prozess der Einigung Europas gesprochen. Wir haben von der Vision Europas geredet, die für uns Sozialdemokraten eigentlich schon seit vielen Jahren ein Europa der Regionen ist, in dem sich eben nicht die gesamten Kompetenzen in einer Bürokratie zentralistisch in Brüssel bündeln, sondern wo noch Gestaltungsspielraum für diese Regionen vorhanden ist.
Zur Größe der Regionen mag man einmal bedenken: Muss eine Region so groß wie ganz Baden-Württemberg in Bezug auf die Vier Motoren sein, oder kann eine Region nicht die Größe haben wie hier die Region Mittlerer Oberrhein im Raum Karlsruhe, oder ist es, wovon wir momentan sprechen, die Oberrheinschiene, der Oberrhein von Basel bis nach Karlsruhe in diesem Fall, die hier einen politischen Gestaltungsspielraum als Grundbedingung erhalten soll, der dann auch sichtbar sein muss?
Wir sehen das hat mein Kollege heute Morgen auch schon so ausgesprochen , dass sich an diesem Oberrhein bereits große Ansätze für eine grenzüberschreitende Kulturregion herausgebildet haben. In Mittelbaden und am Oberrhein gibt es 700 000 deutsch-französische Arbeitsplätze, 100 000 Pendler, die vom Elsass nach Deutschland oder von Deutschland, aus dem badischen Landesteil, in das Elsass pendeln. Wir haben daraus mehrfach die logische Schlussfolgerung gezogen, dass als Grundlage und Weiterführung dieser Entwicklung das gegenseitige Verständnis, die Toleranz und die Verständigung unter den Menschen gefördert werden müssen. Das trägt auch zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit bei. Gerade im Verhältnis zu unseren französischen Nachbarn haben wir Jahrhunderte und Jahrzehnte erlebt, in denen diese Fremdenfeindlichkeit an der Tagesordnung war. Begegnung und Kommunikation sind der Schlüssel unseres Jahrzehnts, um diese Fremdenfeindlichkeit nie wieder aufkommen zu lassen.
Wenn wir Kommunikation haben wollen und unsere Nachbarn über den Rhein hinweg verstehen wollen, dann müssen wir uns Gedanken über Sprachen machen. Die Forderung nach Mehrsprachigkeit ist ja nicht so neu. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union fordert uns wörtlich zur Mehrsprachigkeit auf. Der Europarat hat seine Mitgliedsstaaten schon mehrfach aufgefordert, früher und intensiver mit dem Lernen von mehreren Sprachen zu beginnen.
Mehrsprachigkeit das ist heute hier klar geworden ist ein sehr wichtiges Bildungsziel. Mehrsprachigkeit bedeutet aber, meine Damen und Herren, sich in mindestens zwei europäischen Fremdsprachen ausdrücken zu können, sie verstehen zu können. Dazu werden international Modelle praktiziert. Auch diejenigen, die dem bisher noch kritisch gegenüberstehen, müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass Modelle ausprobiert sind, in denen diese Mehrsprachigkeit bereits als machbar praktiziert worden ist. Andere Länder es ist bereits auf Finnland hingewiesen worden , auch das Saarland, lassen alle Schüler in dieser Mehrsprachigkeit heranwachsen. Ich möchte gleich noch eines betonen: Hauptschüler davon auszunehmen wäre eine Diskriminierung von Anfang an, die nicht sein darf.
Was liegt näher, wenn man diese Mehrsprachigkeit will, als die Sprache des Nachbarn einzubeziehen? Es wäre doch wohl ein Unding, den Nachbarn in diesem Mehrsprachenkonzept zu vergessen. Wir hier am Oberrhein dürfen das nicht. Wenn wir trotzdem erklären, dass wir die Weltsprache Englisch dabei nicht vergessen werden, dass sie für uns den Stellenwert behalten wird, ja dass wir ihn steigern werden, dann ist das insgesamt kein Widerspruch zu dem, wofür wir uns hier entschieden haben.
Unsere Entscheidung heißt also nicht Englisch o d e r Französisch in die lassen wir uns nicht hineindrängen , sondern Mehrsprachigkeit, die Vielfalt der Sprachen, heißt für uns in der Rheinschiene Englisch u n d Französisch. Dazu muss unser tradiertes System des Fremdsprachenlernens geändert werden. Dazu brauchen wir neue Lehrpläne. Dann werden wir auch ohne weiteres in diese Mehrsprachigkeit hineingeführt werden.
Leider, meine Damen und Herren das bedauern wir aufs Tiefste , hat sich nun in dieser Entwicklung ein unseliger Sprachenstreit entwickelt. Frau Ministerin, ich muss Sie in diesem Zusammenhang tatsächlich fragen: Was sollen unsere französischen Nachbarn davon nur halten?
Was müssen sie über uns denken? Ich frage Sie, Frau Ministerin: Haben Sie nicht auch einen Teil Verantwortung für diesen Sprachenstreit mitzutragen? Sie haben nicht genügend getan, ihn von Anfang an aufzulösen.
Richtig. Aber das ist in der Tat ein Problem, das wir nicht einfach ignorieren dürfen. Wir müssen schauen, dass wir von diesem Fremdsprachenstreit zu einer Akzeptanz der Entscheidung kommen.
Meine Damen und Herren, wenn ich von der Mehrsprachigkeit gesprochen habe, meine ich, dass sich das gesamte Problem nur noch auf die Diskussion über die Sprachenfolge reduziert. Wenn man mehrere Sprachen lernt, wird es um die Entscheidung gehen, in welcher Reihenfolge man dies tut. Es gibt einige Gründe, weshalb diese an der Rheinschiene nicht die gleiche ist wie in Württemberg. Hier hat man seit 1984 mit dem Projekt Lerne die Sprache des Nachbarn begonnen. Dies darf nicht einfach brach liegen gelassen werden. Dieses Frühfranzösisch hat sicherlich nicht alle Forderungen erfüllt. Trotzdem haben in den Be
zirken der beiden Staatlichen Schulämter Baden-Baden und Karlsruhe über 80 % aller Grundschüler an diesem Begegnungs- und Austauschprogramm teilgenommen. In der gesamten Rheinschiene sind es ca. 70 %.
Trotzdem bekamen wir von unseren französischen Nachbarn bei Besuchen und Diskussionen den Vorwurf zu hören, das sei noch zu wenig, das sei noch zu halbherzig gemacht. Es wurde Kritik an uns geübt, weil wir das Projekt Lerne die Sprache des Nachbarn zwischendurch einmal reduziert hatten. Aber wir haben insgesamt über alle Parteien hinweg versprochen, dies zu revidieren und mehr zu tun. Ich meine, mit der Überführung in den grundschulgerechten Französischunterricht in der Rheinschiene kann man ein Versprechen an den französischen Nachbarn einlösen.
Meine Damen und Herren, der Landeselternbeirat hat vor zwei Jahren auch gewusst, welche schwierige Entscheidung er zu treffen hat. Gleichwohl hat sich der Landeselternbeirat dies sollte man ebenfalls nicht minder bewerten aufgrund der regionalen Gegebenheiten in der Rheinschiene für Französisch als erste Fremdsprache entschieden.
Die Wissenschaft erleichtert uns diese Entscheidung in vielfacher Hinsicht. Es geht um den Erwerb von Sprachsensibilität, um Schulung von Artikulationsfähigkeit, um den Aufbau von Sprachlernkompetenz. Es ist so sagt uns die Wissenschaft; heute wird das noch einmal in einem Artikel der Stuttgarter Zeitung belegt offensichtlich richtig, hier in der Sprachenfolge mit Französisch zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich verschließe gleichwohl nicht die Augen vor den Problemen. Lassen Sie mich deswegen am Schluss noch eines sagen: Wir sind verpflichtet, die Eltern einzubeziehen und dort abzuholen, wo sie sich gegenwärtig befinden. Wir müssen den Eltern die Ängste nehmen, die sie immer noch in bestimmter Hinsicht und zum Teil auch zu Recht haben. Die Eltern wollen wissen, ob die Anschlüsse in der Sekundarstufe stimmig sind. Frau Ministerin, ich verweise hierzu auf den Landkreis Karlsruhe. Da müssen Ungereimtheiten noch korrigiert werden. Es wäre ein Zeichen der Stärke, wenn Sie bereit wären, Ihr Konzept noch an einigen Punkten zu optimieren.
Die Eltern im Landkreis Karlsruhe erwarten an einigen Stellen aufgrund der Anschlussdiskussion wie geht es in den weiterführenden Schulen weiter? tatsächlich noch einige Korrekturen. Wir müssen den Eltern deutlich machen, dass Englisch die Weltsprache für ihre Kinder bleibt, dass alle diese Sprache erlernen werden, dass Englisch ab der fünften Klasse für Hauptschüler, für Realschüler, für alle Schüler Sprache Nummer 1 sein wird. Wir müssen den Eltern die Angst nehmen, dass Hauptschüler benachteiligt seien, wenn sie noch nicht richtig in das Sprachenkonzept eingebunden sind.
Frau Ministerin, Sie müssen die Fördermöglichkeiten benennen, die die Eltern kennen müssen, die Angst vor einem Schul- oder Ortswechsel haben.
Meine Damen und Herren, mit der Einführung und Intensivierung der Mehrsprachigkeit geht dieses Land darüber sind wir ebenfalls sehr glücklich einen großen Schritt zu
mehr Bildung und Chancengleichheit für alle voran. Angesichts der Elternproteste zur Sprachenfolge sind wir uns trotzdem der hohen Verantwortung bei unserer Entscheidung bewusst.
Meine Damen und Herren, wir gehen deshalb alle die Verpflichtung ein, das Werk, das wir hier für unsere Kinder begonnen haben, zu einem guten Gelingen zu bringen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Debatte schließt sich unmittelbar an die Europadebatte von heute Vormittag an. Denn die Entscheidung für die Einführung einer Fremdsprache ab Klasse 1 ist nicht allein im engen Sinne eine bildungspolitische, sondern sie ist eine Entscheidung für Europa und zutiefst eine europäische Entscheidung gewesen.
Ich bin dem hohen Hause außerordentlich dankbar dafür, dass in dieser Debatte heute Nachmittag eine so breite und kaum zu erwartende Zustimmung zu diesem wichtigen europäischen Schritt deutlich geworden ist. Ich bin davon überzeugt, dass diese Sitzung in Karlsruhe in die Reihe der bedeutenden Sitzungen des Landtags eingehen wird, weil dabei deutlich geworden ist, dass uns unsere Verpflichtung im Blick auf Europa klar wird, die sich nicht in Festreden und feierlichen Akten erschöpft, sondern für den Alltag im Blick auf die nächste Generation ganz konkrete Entscheidungen erfordert. Für dieses Signal möchte ich Ihnen sehr danken. Ich bin davon überzeugt, dass dies ein wichtiger Dienst an der nächsten Generation ist.
Wie bedeutsam außerhalb Baden-Württembergs solche Entscheidungen angesehen werden, mögen Ihnen drei Beispiele zeigen.
Erstes Beispiel: Das Jahr 2001 ist von der Europäischen Union zum Europäischen Jahr des Sprachenlernens erklärt worden. Ich habe in meiner Eigenschaft als KMK-Präsidentin mit der EU-Kommissarin und mit der Bundesbildungsministerin dieses Jahr in Berlin für Deutschland eröffnet. Dort gab es bei allen Mitgliedsländern einen großen Konsens darüber, dass europäische Sprachenvielfalt ganz wesentlich zur Identität dieses Kontinents gehört und unverzichtbar ist, wenn wir tatsächlich der Überzeugung sind, dass Europa ein Kontinent starker Regionen ist, ein Kontinent der Vielfalt. Deshalb ist Europa kein Kontinent, auf dem wir anstreben, in einigen Jahren nur noch Englisch als die Sprache, als das Medium der Kommunikation zu haben.
Damals ist klar geworden und in mancher internationalen Begegnung wird es immer wieder bestätigt : Alle Kinder, alle Jugendlichen in Europa verlassen die Schule nicht, ohne Englisch gelernt zu haben. Das ist unbestritten, und das ist auch richtig so. Man neigt auf der Ebene der europäischen Gremien ja sogar zu der Aussage: Wir nennen das
gar nicht mehr Fremdsprache, sondern das ist gleichsam die zweite Sprache nach der Muttersprache. Es ist die Lingua franca; das ist unbestritten.
Zu dem Prozess des Werbens um Akzeptanz gehört zweifellos jetzt komme ich zu dem, was Herr Wintruff, Herr Caroli und Frau Lazarus gesagt haben , dass noch einmal sehr deutlich wird: Endlich reden wir nicht mehr über die Alternative Englisch o d e r Französisch, übrigens auch nicht mehr über die Alternative Englisch o d e r Latein. Da haben wir ja mit dem Biberacher Modell schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Dort machen wir ein Angebot der Verbindung, das stark akzeptiert und gleichermaßen von Eltern und Schülern für richtig befunden wird. Niemand verlässt also die Schule, ohne Englisch gelernt zu haben.
Aber der zweite Grundsatz der europäischen Sprachenkonzeption ist eben: Stärkung von Mehrsprachigkeit über die Sprache des europäischen Nachbarn. Deshalb hat die EUKommissarin in der letzten Woche in Stuttgart Kollege Palmer und ich waren mit ihr danach noch ein bisschen zusammen, um gerade diese Frage der Weiterentwicklung der Sprachenkonzeption zu besprechen gesagt: Das ist ein Ansatz, den wir auch anderen beispielhaft vorhalten können.
Der Bundeskanzler, der ganz auf der Linie der SPD-Landtagsfraktion ist, ist kürzlich in Freiburg gewesen.
Ja, es ist schon gut, dass ihr euch da einig seid. Er hat auf dem Münsterplatz in Freiburg öffentlich gesagt, er finde es fantastisch und hebe es anerkennend hervor, dass es in Freiburg möglich sei, bereits ab der ersten Klasse Französisch zu lernen.
So gibt es viele Stellungnahmen der letzten Wochen und Monate, die immer beides deutlich machen: einerseits die Akzeptanz dieser Entscheidung, andererseits das weiß auch jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, und manche tun dies seit 20 Jahren dass natürlich eine solche Entscheidung auch wirklich umzusetzen und in einen immer breiteren Konsens auch für die Beteiligten zu führen noch manche Mühe macht. Viele Gespräche, Erklärungen und Informationen das ist völlig richtig müssen geleistet werden, vor allen Dingen in Kontakt zu unseren Kindergärten.
Daher: Es ist eine europäische Entscheidung. Es ist wünschenswert und wird auch in Erwägung gezogen, in anderen Bundesländern entsprechend ihrer europäischen Nachbarn Konsequenzen zu ziehen.
Lassen Sie mich noch ein paar Punkte zum Thema Anschlussfähigkeit aufgreifen und auf die Details zu sprechen kommen.
Das Neue an dieser Sprachenkonzeption ist, dass wir mit dem pädagogischen Konzept und mit den Lehrplänen dafür Sorge tragen, dass sie im Bereich der weiterführenden Schulen anschlussfähig sind. Das heißt: Erstmals sind für
die Grundschule Lehrpläne entstanden, die von den Fremdsprachenvertretern aus allen weiterführenden Schulen mit erarbeitet wurden und bei ihnen Zustimmung gefunden haben. Den größten Konflikt in diesem Zusammenhang gibt es, wie Sie wissen, zwischen Gymnasien und Grundschulen. Das ist eine gespannte Beziehung, die über viele Jahre mit dazu geführt hat, dass sich die Fremdsprache in Deutschland in der Grundschule nicht durchsetzen konnte.
Unsere Vertreter der Gymnasien wie der anderen weiterführenden Schulen haben gesagt: Jawohl, dieser Lehrplan ist anschlussfähig, den können wir akzeptieren. Auf dieser Grundlage erarbeiten wir jetzt die Bildungsstandards und das Kerncurriculum für die Fortsetzung der Fremdsprache in allen weiterführenden Schulen. Das ist ein sehr transparenter Prozess. Die ersten Standards stehen bereits im Internet. Es ist also keine Konzeption nur für die Grundschule entstanden, sondern das ist eine Konzeption, die ein Gesamtkonzept für die gesamte Bildungsbiographie der Kinder und Jugendlichen ermöglicht.
Zweiter Punkt im Blick auf Anschlussfähigkeit: Ich bin der festen Überzeugung, dass mit der Fremdsprache in der Grundschule eine andere Form des Sprachenlernens in unseren Schulen Einzug hält. Viele Erwachsene, die heute über Englisch oder Französisch reden, haben einen ganz anderen Unterricht erhalten, ganz andere eigene Erfahrungen gemacht, weshalb Französisch als schwierige Sprache gilt. Das gilt im Elsass für Deutsch genauso.
Es braucht ein Stück politische Führung, um diese Akzeptanz herzustellen. Denn in Frankreich gilt im Blick auf Deutsch, bei uns im Blick auf Französisch: Beide Sprachen haben im jeweiligen Nachbarland den Ruf, schwierig zu sein. Und wer entscheidet sich schon freiwillig für den schwierigeren Weg, wenn der Eindruck entsteht, Englisch sei leichter zu erlernen und mit Englisch sei die Kommunikation auch möglich?
Daher sind die europäischen Länder in einer sehr ähnlichen Situation. Aber ich finde, was im Elsass versucht wird und wofür im Elsass auch viel eingesetzt wird, das sollten auch wir hinbekommen. Es hat in den letzten Monaten viele Kontakte gegeben, aus denen deutlich wird: Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem auch so etwas wie ein gemeinsames Sprachenkonzept an dieser Rheinschiene möglich wird. Ich halte es für einen wirklichen Fortschritt, dass wir hier zu Kooperationen, zu gemeinsamen Eckdaten und dann eben auch Stück um Stück zu einer gemeinsamen Sprachenkonzeption kommen.