Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

(Zurufe von der CDU Gegenrufe von der SPD)

und sich dann alte Zustände zurückwünschen, dann sage ich: Gute Nacht. Da haben wir etwas andere Vorstellungen. Ich glaube auch, dass die Leute das merken werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen Abg. Wieser CDU: Die haben es gemerkt!)

Meine Damen und Herren, der Antrag der FDP/DVP ist mit „Qualifizierungspotenzial älterer Arbeitnehmer“ überschrieben. Herr Hofer hat rhetorisch fast in meinem Sinn Stellung genommen ich unterstreiche: rhetorisch. Wenn man hier ins Plenum schaut, stellt man fest: 45-Jährige, 50Jährige, 55-Jährige. Die 50-Jährigen dürfen Minister werden oder werden Minister, werden Ministerpräsidenten, auf Bundesebene Bundeskanzler. Das ist also kein Malus. Aber wehe dem, der mit 45 oder 48 oder 52 oder 56 im normalen Arbeitsleben arbeitslos wird. Der hat ganz große Schwierigkeiten, den Einstieg wieder zu finden. Das ist der eigentliche Skandal, der sich in unserer Gesellschaft abspielt, bei dem wir anknüpfen und Lösungen finden müssen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Meine Damen und Herren, wenn wir beim Qualifikationspotenzial sind ich will Ihnen bloß ein Beispiel sagen , haben wir doch mit Erstaunen alle übrigens, auch diejenigen, die den Älteren schon ganz viel zugetraut haben festgestellt: Mensch, in Sachen EDV, wo wir noch vor zehn Jahren gedacht haben: „Oh, die ältere Generation schafft den Einstieg nicht“, haben wir die höchsten Zuwachsraten im Internetsurfen, beim Internetzugang, beim Sich-schlau-Machen machen mit EDV ausgerechnet bei den Älteren, auch bei denen, die bereits in Rente sind.

(Abg. Wieser CDU: Weil die Zeit haben!)

Das drückt aus, dass die Älteren bei uns ein sehr hohes Qualifikationspotenzial in persona mitbringen, sogar so viel, meine Damen und Herren Herr Schuhmacher und Herr Hofer, hören Sie zu! , dass sie auch begreifen,

(Abg. Wieser CDU: Wenn Sie sich jetzt schon so aufspielen, wie sehen Sie dann mit 60 aus?)

dass die Zerschlagung von Kündigungsschutz überhaupt keinen einzigen Arbeitsplatz für ältere Arbeitnehmer bringt, sondern dass da in unserem Land konkrete Maßnahmen passieren müssen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für uns ist die Frage: Wollen und können wir es uns leisten, dass wir tatsächlich eine sehr niedrige Erwerbsquote bei den 50- bis 65-Jährigen haben? Rhetorisch gibt es dabei wieder große Übereinstimmung.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Gibt es Übereinstimmung, oder gibt es keine?)

Ich sage einmal: Unter dem menschlichen Aspekt ist es ein Unding, dass Leute, die eigentlich ihre Persönlichkeit im Arbeitsleben entwickeln, die stark werden durch ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrungsqualifikationen, die morgens schon hören, dass mittags die Maschine kaputtgeht und deswegen eigentlich für einen Unternehmer einen unschätzbaren Wert haben, im Prinzip durch eine Generation,

die frisch und innovativ ausgebildet ist, in unserer Gesellschaft abgelöst werden. Die fröhlichsten Urständ sind in Ihrer Zeit gefeiert worden. Ich will dies ausdrücklich sagen.

(Abg. Fischer SPD: So ist es! Die Großbetriebe ha- ben alle rausgeschmissen!)

In Ihrer Zeit haben wir die Frühverrentung eingeführt, und da haben wir ordentlich Geld in die Hand genommen, um die Leute frühzeitig rauszuschicken. Das war menschlich nicht okay, und das war ökonomisch unsinnig.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Meine Damen und Herren, wenn wir uns das ökonomisch anschauen, komme ich zum Ergebnis: Kein Unternehmen kann es sich leisten, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten im Prinzip heute schon gar nicht und in Zukunft schon zweimal nicht, weil die demographische Entwicklung dahin gehen wird, dass wir einfach Arbeitskräfte suchen werden. Baden-Württemberg ist da mit Fachkräftemangel bereits heute weit vorn dran. Die Unternehmen werden die Fachkräfte bei den Älteren suchen müssen.

Der Staat wird es nicht aushalten, weil er nicht die Transferleistungen schaffen wird für Leute, die eigentlich arbeitsfähig sind und auf dem Arbeitsmarkt ihre Leistungen einbringen könnten. Auch die Sozialversicherungssysteme können es sich überhaupt nicht leisten, dass diese Politik weiter betrieben wird.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP Abg. Wieser CDU: Das ist klar! Ganz Deutschland kann es sich nicht leisten!)

Daher ist bereits ordentlich eingelenkt worden dazu sage ich gleich etwas und muss etwas getan werden.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Sie üben sich leider nur in der Rhetorik. Ich sage auch dazu gleich noch etwas. Sie üben sich leider nur in Rhetorik, obwohl ich Ihnen in der Rhetorik zum Teil ja noch zustimme.

Was brauchen wir? Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive, und zwar einmal gedacht als kurzfristige und einmal gedacht als langfristige Qualifizierungsoffensive, als das, was wir als lebenslanges Lernen verstehen.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Wir brauchen kurzfristig Maßnahmen in den Betrieben, dass kurzfristig Weiterbildungen stattfinden, dass wir auch in der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Maßnahmen durchführen, die verhindern, dass ältere Arbeitslose überhaupt abstürzen in die Arbeitslosigkeit, also Präventivmaßnahmen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Und wir brauchen auf allen Ebenen endlich den Paradigmenwechsel, also den Wechsel im Kopf, dass das Menschen sind, die wir fordern müssen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Wir brauchen nicht nur Wechsel im Kopf, sondern auch Wechsel der Köp- fe!)

Es kann nicht sein, dass man bei uns durchschnittlich mit 59 in Rente geht, unter 60 Jahren. Wir brauchen Leute, die mit 65 gesund in Rente gehen können, aber auch mit aller Anerkennung, die sie entsprechend verdient haben.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Jetzt will ich Ihnen sagen: Auf der Bundesebene hat sich in Sachen aktiver Arbeitsmarktpolitik jede Menge getan. Sie haben selbst zitiert: „50 plus die können es“. Das ist natürlich eine Aktion des Bundes, die auf Landesebene umgesetzt wird, aktive Politik der Arbeitsämter, für die wir ja die politischen Rahmenbedingungen geschaffen haben.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Wir! Abg. Wieser CDU: Was? Die Statistik habt ihr gefälscht! So ist es! Zurufe von der SPD)

Wir haben inzwischen die Situation das wissen Sie , dass wir in Klein- und Mittelbetrieben für über 50-Jährige Qualifizierungsmaßnahmen durchführen, die von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt werden, meine Damen und Herren. Das mögen Sie vielleicht nicht hören, aber so ist es. Wir haben die Situation, dass der Personalersatz für die kleinen Unternehmen teilweise bis zu 100 % übernommen wird, da sie sich das sonst nicht leisten können. Das passiert zurzeit.

Dann haben wir, Herr Hofer, das Thema Jobrotation, bei dem wir Leuten endlich wieder die Chance geben können, von der Arbeitslosigkeit ins Erwerbsleben hineinzuschmecken. Dem Unternehmer geben wir damit die Chance, festzustellen, ob der Mann oder die Frau tatsächlich etwas kann. Damit eröffnen wir den Betroffenen Lebensperspektiven.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Jetzt sage ich Ihnen etwas zum Resümee, denn alle Rhetorik nützt ja nichts, wenn man nicht konkret die Taten anschaut. Das Resümee steht in Ihrer Stellungnahme, aber ich gehe noch etwas weiter zurück. Ende September 1998 begann unsere Regierungsverantwortung in Deutschland.

(Abg. Capezzuto SPD: Gott sei Dank! Zuruf von der CDU: Leider! Abg. Reichardt CDU: Das ist ja der Fluch! Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Eine Beschwörungsformel!)

Bis September 2001 ich habe einmal diesen Dreijahresabschnitt gegriffen gab es einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Baden-Württemberg um 27,1 %.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Abg. Wieser CDU: In Baden-Württemberg sind die Zahlen in Ordnung!)

Ich sage Ihnen: Die Zahlen, die in Baden-Württemberg so toll sind, waren in der Regierungszeit von Helmut Kohl, als auf Bundesebene die CDU/CSU mit der FDP regierte, anders: Damals gab es im entsprechenden Dreijahresabschnitt ein Anwachsen der Zahl von Erwerbslosen bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern um 14,1 % in einer

Hochkonjunkturphase für Baden-Württemberg und für Deutschland.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wiedervereinigung!)

Die statistische Quelle ist die gleiche, die das Sozialministerium in seiner Stellungnahme verwendet. Diese Zahlen drücken aus, dass Sie sich nur in Rhetorik üben, aber bisher nicht ernsthaft entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Herr Hofer, es drückt außerdem aus, dass Sie in Baden-Württemberg alles an aktiver Arbeitsmarktpolitik abgeholzt haben, was bisher ging.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen Abg. Seimetz CDU: Der Hausmann ist ein Schönredner! Glocke des Präsidenten)

Eigentlich wäre ich fertig, aber Herr Hofer hätte gerne noch eine Abschlussfrage gestellt. Das darf er nun gern machen.

Herr Abg. Hausmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wieser?

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ich heiße Hofer, nicht Wieser! Sie haben die ganze Zeit den Falschen an- gesprochen! Lebhafte Unruhe)

Die gestatte ich gern.

Herr Präsident, ich nehme gern die Gelegenheit wahr. Wenn Sie schon die Statistiken zu Legislaturperioden in Baden-Württemberg nennen, dann nennen Sie doch bitte auch die Arbeitslosenstatistik in der großen Koalition und der Koalition von CDU und FDP/DVP und heute. Ich halte von solchen Statistiken nichts, würde die Zahlen aber einfach einmal nennen wollen, zumal auch Sie Mitverantwortung im Land getragen haben.