Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

Meine Damen und Herren, wir können über dieses Unglück deswegen unbefangen sprechen, weil wir in keiner Weise berührt und beteiligt waren. Es handelte sich um zwei ausländische Luftverkehrsgesellschaften und eine ausländische Lotsenorganisation. Die Schuldfrage unter ihnen ist aufseiten des Bundes, der Bundesrepublik Deutschland, zu klären. Wir sollten uns dabei, so gut es geht, zurückhalten. Es ist wichtig, dass wir eine exakte Ursachenanalyse haben, damit dann auch wirklich verursachungsgerecht gehandelt werden kann.

Aber eines kann ich damit auch schon sagen das ist immerhin ein Aspekt, an den man auch denken sollte : Wenn ich von der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland, also des Bundesstaats, spreche, dann greife ich einen Nebenaspekt auf, der für die Zukunft noch eine gewisse Bedeutung haben wird, nämlich die Haftungsfrage. Wir gehen davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Beauftragung von Skyguide mit in der Haftung für dieses Geschehen steht. Das gilt gegenüber der deutschen Bevölkerung, es kann aber auch gegenüber anderen Geschädigten gelten.

Ich habe unsere Rechtsauffassung in dieser Frage beim Bundesverkehrsministerium offen gelegt und für eine entsprechende Stelle plädiert, die die Schadensmeldungen entgegennehmen und die Schäden registrieren kann. Letzteres ist geschehen. Die Rechtsfrage wird vonseiten der Bundesregierung geklärt.

Was immer im Einzelnen herauskommen wird, eines ist schon klar: Bei Skyguide haben in der Tat erhebliche Mängel vorgelegen. Ich glaube, man verrät nicht zu viel, wenn man das heute schon als Prognose so feststellt. Es gab eine Fülle von Mängeln. Inwieweit sie kausal waren, inwieweit es andere Mängel gegeben hat, inwieweit sie auch persönlich vorwerfbar sind, das sind die Fragen, die im Einzelnen zu untersuchen sind. Dass es aber bei Skyguide eine Fülle

(Minister Müller)

von Änderungen geben muss, das scheint mir offenkundig zu sein. Ich glaube, das haben die entsprechende Organisation und der schweizerische Staat auch selber schon so gesehen.

Ich will auf einige generelle Aspekte der Flugsicherheit verweisen. Es geht mir nicht so sehr um die Frage: private oder öffentliche Organisationen? Es muss aber klar sein, dass in Fragen der Luftsicherheit Geld keine Rolle spielen darf, sondern dass die Qualitäts- und Sicherheitsstandards staatlicherseits formuliert und überwacht werden müssen. Dass die Organisationen, die die Luftsicherheit zu gewährleisten haben, dann von den Luftverkehrsgesellschaften durch entsprechende Gebühren das nötige Geld in dem Maße, wie es erforderlich ist bekommen müssen, scheint mir außer jedem Zweifel zu stehen. Auch das kann ein Grund sein, weshalb Fliegen in Zukunft möglicherweise teurer wird. Am Geld darf Sicherheit nicht scheitern.

Eine zweite Bemerkung genereller Art: Es könnte schon sein, dass im Laufe der Zeit die Verdichtung im Luftverkehr durch die Zunahme des Luftverkehrs dazu führt, dass man versucht, internationale Regeln zu schaffen, die die Abstände der Flugzeuge in der Höhe und zur Seite zusammenstauchen. Auch hier gibt es objektive Sicherheitsgrenzen, wo immer sie im Einzelnen auch liegen mögen, sodass wir im Luftverkehr möglicherweise so etwas wie Stauerscheinungen bekommen und bestimmte Flüge mangels entsprechender Sicherheitspuffer eben nicht mehr stattfinden können. So etwas würde ich à la longue, auf längere Sicht, nicht ausschließen. Auch da darf es meines Erachtens im Interesse der Sicherheit keine Kompromisse geben.

Eine dritte generelle Bemerkung: Wir brauchen mehr internationale Abstimmung. Das ist überhaupt keine Frage. Das gilt sowohl für die merkwürdigerweise ungeklärte Frage, ob ein Pilot seinem Gerät oder dem Lotsen zu folgen hat das wird von Land zu Land und von Fluglinie zu Fluglinie unterschiedlich gehandhabt und ist natürlich ein absolut unmöglicher Zustand , als auch für die Frage der Interoperationalität der verschiedenen technischen Systeme an den Übergabegrenzen, als auch zum Beispiel für die Mindestinterventionszeiten. Wenn es so ist, dass nach internationalen Gepflogenheiten die Frage, wann ein Fluglotse eine Anweisung gibt, offensichtlich nicht geregelt ist, dann bedarf das dringend der Regelung.

Das sind einige Konsequenzen, die sich schon heute aus diesem Unfall abzeichnen und die mit Sicherheit gezogen werden müssen. Es ist, wie gesagt, eine internationale Frage und eine Bundesfrage. Wir haben keine Einflussmöglichkeiten darauf.

Ich will zu dem zweiten Aspekt kommen das soll auch schon der einzige weitere Aspekt meiner Ausführungen sein , nämlich zu dem Thema: Gibt es einen Zusammenhang mit dem deutsch-schweizerischen Luftverkehrsvertrag? Um zu vermeiden, dass ein tragisches Ereignis für eine politische Auseinandersetzung instrumentalisiert wird, haben wir in großer Disziplin und mit großer Verantwortung vom ersten Tag an Wert darauf gelegt, festzustellen, dass es hier um zwei voneinander zu trennende Fragen geht, nämlich einerseits um die Gerechtigkeitsfrage wie

viel Luftverkehr über Deutschland ist in Bezug auf Zürich abzuwickeln? und andererseits um die Sicherheitsfrage. Beides hängt nicht von vornherein zusammen, wie wir an dem Unglück sehen, das ja nicht im Landeanflug auf Zürich stattgefunden hat, sondern sich im internationalen Luftverkehr ereignet hat. Die Ursachen sind andere. Die Abhilfemaßnahmen für beide Probleme sind völlig verschieden.

Deswegen ist es, glaube ich, notwendig, dass wir auch in der Öffentlichkeit diese Disziplin wahren, die beiden Dinge nicht miteinander zu vermischen. Die Dinge, die sicherheitsmäßig geschehen müssen, müssen im Interesse aller Menschen geschehen. Die Dinge, die im deutsch-schweizerischen Luftverkehrsvertrag geregelt werden sollten, haben im Interesse der deutschen Bevölkerung mit völlig anderen Intentionen und mit anderen Konsequenzen zu geschehen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Sehr richtig!)

Wenn nun gesagt wird, dass sich die Landesregierung etwas spät zum deutsch-schweizerischen Vertrag geäußert habe und dass die Bundesregierung, die seit 1998 im Amt ist, es nun endlich geschafft habe, das Thema überhaupt auf den Tisch zu legen und gegenüber der Schweiz streitig zu stellen, dann will ich doch einmal darauf verweisen, dass es ja jetzt vor allem deswegen eine neue Situation gegeben hat und auch deswegen eine neue Regelung erforderlich war, weil es auf der Züricher Seite entsprechende Ausbaupläne gegeben hat und insofern im Hinblick auf eine gewaltige Zunahme des Luftverkehrs für die Zukunft die Karten neu zu mischen waren. Das hätte eine anders gefärbte Bundesregierung in dieser Zeit selbstverständlich genauso gemacht.

(Abg. Dr. Puchta SPD: Das ist ein Zusatzaspekt! Abg. Drexler SPD: Das hätte man auch vorher ma- chen können!)

Ja, wenn wir es vorher gewusst hätten, hätten wir es selbstverständlich gemacht, Herr Drexler.

Das Zweite, was ich bemerken möchte, ist die Frage: Wollen wir für die Bevölkerung im Süden unseres Landes etwas anderes als das, was wir etwa der Bevölkerung im Einzugsbereich der Flughäfen Stuttgart oder Söllingen oder Friedrichshafen oder wo auch immer zumuten? Diese Situationen sind deswegen nicht miteinander zu vergleichen, weil wir im Süden unseres Landes, also in Waldshut, Donaueschingen, Konstanz usw., die Situation haben, dass dort über 90 % eines Verkehrs stattfinden, der dort nicht stattfinden muss. Das ist eine Gerechtigkeitsfrage, die sich an anderen Stellen des Landes so nicht stellt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die dritte Bemerkung bezieht sich auf das, was Herr Kretschmann gerade gesagt hat: Wir hätten dem Vorschlag des Bundesumweltministers bezüglich des Fluglärmgesetzes folgen sollen. Das hätten wir uns vielleicht noch einmal überlegt, aber es gab eine entsprechende Intervention des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesverkehrsministers, die dieses Fluglärmgesetz des Bundesumweltministers

(Minister Müller)

kategorisch abgelehnt haben. Deswegen hat sich uns die Frage gar nicht gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Was nun den Vertrag zwischen Deutschland und der Schweiz anbelangt jetzt komme ich einmal wirklich auf die Gerechtigkeitsfrage , können wir feststellen: Den Vertrag wird es nicht geben. Das steht heute schon mit Sicherheit fest. Die Schweiz hat ihn abgelehnt. Der Bundesrat hat ihn abgelehnt. Der Bundestag könnte ihm zustimmen. Er wird es nicht tun, schon allein deswegen, weil acht Abgeordnete der Grünen angekündigt haben, dass sie ihm nicht mehr ihre Zustimmung geben werden. Insofern fehlt die Kanzlermehrheit.

(Zuruf von der CDU: Was?)

Das heißt: Auch auf deutscher Seite wird es diesen Vertrag nicht mehr geben.

Es ist ja auch bemerkenswert Herr Kollege Scheuermann hat das zutreffend festgestellt , dass Herr Kollege Puchta in seiner Rede bereits von einer einseitigen Regelung gesprochen hat, die natürlich logischerweise das Scheitern des Vertrags voraussetzt. Noch ist es aber so, dass der Bundesverkehrsminister an diesem Vertrag festhält. Ich stelle also einmal fest: Die SPD des Landes hat den Vertrag geopfert, an dem der Bundesverkehrsminister mit der von ihm vermuteten Mehrheit im Bundestag nach wie vor festhält. Herr Kollege Puchta, da sind wir uns einig: Auch wir lehnen den Vertrag ab, weil wir ihn so nicht für richtig ansehen. Jetzt ist in der Tat die Frage: Was ist die Konsequenz, wenn es den Vertrag nicht gibt? Dann soll es in der Tat

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Professor Puchta?

Ja, bitte schön.

Herr Minister, darf ich das, was ich gesagt habe, noch klarstellen: Es ist definitiv zu erwarten da sind wir uns völlig einig , dass auch der Schweizer Ständerat nicht zustimmen wird. Die Bundestagsabstimmung, über die Sie mutmaßen, ist, würde ich sagen, noch offen, aber der Ständerat wird höchstwahrscheinlich nicht zustimmen, weil dort die konservativen Mehrheiten noch stärker sind als in der Nationalversammlung der Schweiz. Jetzt sage ich: Es ist richtig, wenn die Regierung jetzt im Vorfeld die Verordnung veröffentlicht, damit die Schweiz genau weiß, was auf sie zukommen würde, weil dadurch vielleicht noch die Möglichkeit bestünde, dass der Ständerat angesichts dessen, was in der Schweiz ansonsten droht, doch noch zustimmt. Das glaube ich zwar letztlich nicht, aber die Möglichkeit besteht.

(Abg. Schmiedel SPD: Jetzt, Herr Müller! Abg. Pfister FDP/DVP: Welche Frage soll er jetzt beant- worten?)

Das war sicher keine Frage, Herr Kollege Pfister, aber das soll mich jetzt einmal nicht stören.

Sie stellen eine ziemlich komplizierte Überlegung an. Sie unterscheidet sich jedenfalls von der Strategie des Bundesverkehrsministers. Das kann man jedenfalls feststellen. Noch dazu ist die Frage, ob sie funktionieren würde. Aber: Seien wir uns einmal in der Einschätzung einig, dass das Bundesverkehrsministerium jetzt in der Tat über kurz oder lang gefordert sein wird, diese einseitige Regelung mit entsprechenden Zahlen übrigens auch mit der Konsequenz, was die Warteräume anbelangt auszusprechen.

Hier habe ich eine vehemente Kritik an der Position der Bundesregierung. Wir haben schon vor einiger Zeit gesagt, dass die Einrichtung von Warteräumen durch die Deutsche Flugsicherung eigentlich mit den Verfahren zu erfolgen hätte, die man auch sonst anwendet, wenn man Bürgern Lasten auferlegt, nämlich dass man ein transparentes Verfahren hat, dass man Betroffene auch entsprechend beteiligt und dass man Abwägungsprozesse durchführt. Das alles hat mittlerweile ja der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim festgestellt. Wir haben einen entsprechenden Vorstoß beim Bund gemacht. Aber der Bund hat das abgelehnt und geht jetzt mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil des VGH vor, bei dem es keine Revision beim Bundesverwaltungsgericht geben soll. Ich muss sagen: Hier ist die Position der Bundesregierung nicht überzeugend und auch nicht bürgerfreundlich, meines Erachtens auch rechtsstaatlich nicht korrekt.

Nun aber zurück zu der Frage: Was hat noch in der einseitigen Verordnung zu stehen? Natürlich hat in ihr auch zu stehen, dass es zu einem Rückfall der Flugsicherung an die Deutsche Flugsicherung kommt. Wenn man jetzt unter Sicherheitsgesichtspunkten sagt, das sei zu nah an der Schweizer Grenze, dann kann man ja darüber reden. Das würde ich gar nicht von vornherein ausschließen. Es ist in der Tat eine heikle Geschichte, wenn ich relativ kurz vor einem Landeanflug oder praktisch im Landeanflug von dem einen auf das andere System umsteige. Aber es ist ein Unterschied, ob ich heute die Situation habe, dass Skyguide bei uns nach eigenem Gusto handelt, oder ob die Deutsche Flugsicherung die Kompetenz hat, sie möglicherweise mit der Schweizer Seite teilt, dies aber dann unter den Voraussetzungen geschieht, die die Deutsche Flugsicherung für die Landeanflüge in Bezug auf Zürich formuliert. Das gilt im Blick auf die Sicherheit hier hat Skyguide etwas nachzuholen , und es gilt im Blick auf die Handhabung, auf die Schonung des eigenen Luftraums.

Insofern müssen wir, glaube ich, in der Tat auf diese einseitige Regelung setzen, die nach dem Scheitern der Staatsvertragsverhandlungen kommt. Ich glaube erstens, dass die Position der Landesregierung in dieser Frage sehr diszipliniert war, was die letzten Tage und Wochen anbelangt, dass wir nicht den simplen und nahe liegenden Weg gegangen sind, zu sagen: „Wir haben es ja schon immer gewusst: Skyguide muss weg“ oder so ähnlich das ist nicht unsere Argumentation , und zweitens, dass wir die Sicherheitsfragen mit Sicherheitsmaßnahmen und die Gerechtigkeitsfragen mit Gerechtigkeitsmaßnahmen lösen müssen. Die

(Minister Müller)

Bundesregierung welche auch immer es sein mag wird demnächst Gelegenheit haben, die Fragen entsprechend zu lösen in dem Sinne, dass für dieses Gebiet wieder die Deutsche Flugsicherung zuständig sein wird und die Schweiz, wenn sie in irgendeiner Weise beauftragt wird, nach den Spielregeln handelt, die wir ihr vorgeben.

Ich bedanke mich vielmals.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass der Antrag Drucksache 13/326 geschäftsordnungsmäßig erledigt ist? Danke schön. Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Punkt 9 der Tagesordnung ist damit abgeschlossen.

Ich rufe noch einmal Punkt 4 der Tagesordnung auf:

a) von Mitgliedern des Rundfunkrats des Südwestrundfunks

b) von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Verwaltungsrats des Südwestrundfunks

Ich darf Ihnen die Ergebnisse der Wahlen bekannt geben.

Für die Wahl von Mitgliedern des Rundfunkrats des SWR wurden insgesamt 105 Stimmzettel abgegeben. Es entfielen auf Frau Abg. Ursula Lazarus 87 Stimmen, auf Herrn Abg. Günther-Martin Pauli 83 Stimmen, auf Herrn Abg. Franz Wieser 72 Stimmen, auf Herrn Abg. Clemens Winckler 82 Stimmen, auf Herrn Abg. Dr. Horst Glück 84 Stimmen, auf Herrn Abg. Hans Georg Junginger 76 Stimmen, auf Frau Abg. Birgit Kipfer 61 Stimmen, auf Herrn Abg. Herbert Moser 94 Stimmen. Damit sind diese Damen und Herren Abgeordneten zu Mitgliedern des Rundfunkrats gewählt.

(Vereinzelt Beifall)

Für die Wahl von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Verwaltungsrats des Südwestrundfunks wurden insgesamt 104 Stimmzettel abgegeben. Bei der Wahl der ordentlichen Mitglieder entfielen auf Frau Abg. Dr. Inge Gräßle 76 Stimmen, auf Herrn Abg. Winfried Scheuermann 91 Stimmen, auf Herrn Abg. Wolfgang Drexler 66 Stimmen. Es wurden sieben Stimmen für Herrn Abg. Kretschmann und jeweils eine Stimme für die Abg. Lösch, Moser und Walter abgegeben.