Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

Eine Redezeit wurde nicht festgelegt. Das Präsidium hat beschlossen, dass bis zu zwei Redner je Fraktion benannt werden können.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Vor wenigen Monaten wurde die PISA-Studie und vor wenigen Wochen die PISA-EStudie, das heißt die nationale Auswertung, der Öffentlichkeit vorgestellt. Seitdem steht die Bildungsthematik zu Recht noch mehr im Mittelpunkt der Landespolitik. Alle Fraktionen und Parteien in Baden-Württemberg sowie die Landesregierung und die Ministerin für Kultus, Jugend und Sport haben eine erste Bewertung vorgenommen. Es liegen Reformvorschläge aller Art auf dem Tisch. In der heutigen von unserer Fraktion beantragten Aktuellen Debatte nehmen wir die parlamentarische Beratung auf und sagen diesem hohen Haus unser Interesse an einer ideologiefreien, nüchternen, objektiven und fairen Beratung von sinnvollen Veränderungsvorschlägen unter Berücksichtigung der guten Ausgangslage Baden-Württembergs zu.

Zuallererst: Die Ausgangslage Baden-Württembergs ist gut. Baden-Württemberg liegt im weltweiten Maßstab auf einem vorderen Mittelplatz, in Deutschland auf Platz 2. Mit sieben Bewertungen, die ich wörtlich zitiere, zeigen wir, wo wir stehen.

Erstens: Baden-Württemberg bildet zusammen mit Bayern und Sachsen die Spitzengruppe.

Zweitens: Baden-Württemberg liegt international OECDweit über dem Durchschnitt. Alle sozialdemokratisch geführten Länder liegen deutlich darunter. Wir haben ein erhebliches Leistungsgefälle von Süden nach Norden.

Drittens: Die Korrelation von Bildungsbeteiligung und Leistungsniveau ist in unserem Land am besten.

Viertens: Die gute Leistung geht nicht auf Kosten sozialer Gerechtigkeit. Wer Leistung fordert, fördert Chancen

gleichheit und verhindert sie nicht. Genau so gehen wir seit Jahren und Jahrzehnten in Baden-Württemberg vor.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dazu ein ganz konkretes Zitat aus der PISA-E-Studie:

Am ausgeprägtesten

so wörtlich

ist das soziale Gefälle der Bildungsbeteiligung in den Ländern Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Hier erreicht die relative Begünstigung von Jugendlichen aus Oberschichtfamilien im Vergleich zu Kindern aus Facharbeiterhaushalten... ein bemerkenswertes Ausmaß.

Die relativen Chancen, ein Gymnasium zu besuchen, sind für Angehörige dieser Gruppe acht- bis zehnmal so groß wie für Jugendliche aus Facharbeiterfamilien. Unter den alten Bundesländern ist Baden-Württemberg das Land mit den niedrigsten sozialen Disparitäten im Gymnasialbesuch.

Genau daran halten wir fest. Wir wollen fordern und fördern, egal, welche soziale Herkunft ein Kind, ein junger Mann, eine junge Frau in Baden-Württemberg hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dieses gute Abschneiden verdanken wir indessen nicht nur dem Gymnasium. Wir haben ein in jeder Gliederung stabiles Schulwesen. Die Leistungsfähigkeit gerade von Hauptund Realschulen ist ein Votum dafür, dass Baden-Württemberg in den letzten Jahren ohne Ideologie den richtigen Kurs eingeschlagen hat.

(Beifall bei der CDU)

Baden-Württemberg hat von allen deutschen Ländern die höchste Zuwanderung, den höchsten Anteil von ausländischen Mitbürgern an der Bevölkerung. Wenn dies so ist, kommt unserem Land beim Thema Integration, beim Faktor Migration besondere Bedeutung zu. Deswegen werden wir unsere Anstrengungen vor allem darauf konzentrieren, zu erreichen, dass jedes Kind schulfähig ist, wenn es in die erste Klasse kommt, dass die Herkunft, das Elternhaus, die Frage, ob man Deutsch kann oder nicht, beim Kind keine negative Rolle spielen wird. Die Migration steht für uns zuallererst im Mittelpunkt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

PISA E zeigt, dass die Schulpolitik unseres Landes seit vielen Jahren und Jahrzehnten Früchte trägt. Wir sind auf gutem Kurs. Ohne jegliche Ideologie haben wir in den letzten Jahren unsere Schule weiterentwickelt. Dafür steht unsere Kultusministerin, dafür stehen unsere Regierung und auch die CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU)

Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hat Baden-Württemberg als erstes Land realisiert. Die flexible,

frühe Einschulung nach Begabung und Fähigkeit, die Fremdsprache ab der ersten Klasse, die Stärkung der Hauptschule, die Ergänzung um die Werkrealschule, die Reform der Oberstufe und G 8 bedeuten: intensiv und gut gebildet, aber früher auf dem Weg zum Abitur.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf dazu zweimal einen sehr geschätzten Kollegen der SPD zitieren: Kollege Moser hat vor wenigen Jahren gesagt:

Die Pläne für fünf Elitegymnasien sind ein pädagogischer Irrweg, der die Aussonderung von Kindern zum Schaden aller weiter vorantreibt.

Ich bin sicher, dass er dies nicht wiederholt. Wir waren damals mutig und haben konsequent diesen Kurs eingeschlagen. Andere Fraktionen hinken mühsam hinterher.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Nochmals: Wir bekennen uns zu sozialer Gerechtigkeit und zum Leistungsprinzip. Wer Kinder nicht fordert, fördert sie in Wahrheit nicht. Lieber Herr Kollege Moser, auch hier war Ihre Fraktion, waren Sie lange Jahre auf falschem Kurs. Ich zitiere nochmals wörtlich aus einer umfassenden Kultusdebatte im Jahr 1984:

Endlich pauken sie wieder,

sagten Sie hämisch

die Acht-, Neun- und Zehnjährigen in der Grundschule, ganz egal,

wie viele Fingernägel abgekaut werden und wie viele Eltern schlaflose Nächte verbringen, um die verschärften Prüfungsbedingungen zu schaffen.

Wir bekennen uns zu Prüfungen für alle Kinder in der Schule, weil zum Leben Prüfung und Leistungsbewertung gehören, weswegen Schule frühzeitig und ehrlich auf das eigentliche Leben vorzubereiten hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Der einzige Vorschlag der SPD bundesweit heißt: Zentralisierung der Bildungspolitik; alle Kompetenz zum Bund.

(Abg. Drexler SPD: Nein!)

Hier bewirbt sich, lieber Kollege Drexler, in Wahrheit der Bock um die Stelle des Gärtners.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen halten wir energisch an der föderalen Kompetenz, an der Kompetenz der Länder für Schule und Hochschule fest. Mein Rat an Ihren Parteivorsitzenden: Hände weg von Schule und Telekom; dann haben beide bald einen höheren Wert.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/DVP)

Die Ausgangslage Baden-Württembergs ist ordentlich: international vorderes Mittelfeld, deutschlandweit Platz 2. Aber unser Ehrgeiz zielt darauf ab: Diese Regierungskoalition unter Erwin Teufel, Frau Dr. Schavan, die FDP/DVP und die CDU, wir wollen in den nächsten Jahren Platz 1 mit Bayern und keinen Platz hinter Bayern erreichen, und wir wollen in die Champions League. Das heißt, wir eröffnen einen Ideenwettbewerb, was man weiter verbessern kann, damit mit viel Geld in Baden-Württemberg wir geben viel Geld aus Schule noch bessere Zukunftschancen für die junge Generation von morgen bringen kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Eines ist uns dabei wichtig: PISA ist nicht zuallererst ein Warnzeichen für den Unterricht, sondern PISA ist zuallererst ein Warnzeichen für die Gesellschaft insgesamt. Von sieben Tagen und Nächten in der Woche verbringen Kinder die große Mehrzahl der Stunden von Erziehung und Bildung nicht in der Schule, sondern im Elternhaus, in der Familie, in der Jugend- und Vereinsarbeit, im sozialen Umfeld. Deswegen geht PISA jeden von uns an. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Verstärkung, damit Kindern eine bessere Zukunftschance zukommt.

Beim Stichwort Eltern Vater und Mutter sage ich auch selbstkritisch: Wir müssen prüfen, ob wir nicht zu viel Elternrechte und -ansprüche aufgebaut haben, gesetzlich und in der Bewusstseinslage, und ob nicht das Thema „Elternverantwortung, Elternpflicht, Rechtspflichten statt nur Rechte“ zu wenig im Mittelpunkt unserer Debatte steht.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin zu einer Verstärkung der Verantwortung und der Pflichten von Vater und Mutter bereit. Wir sollten darauf achten, dass die Elternvorbereitung, die Familienbildung, wenn ein Kind geboren wird, wenn es dann in den Kindergarten und in die Schule kommt, die Begleitung durch das Elternhaus für die Bildung und Erziehung in Kindergarten und Schule gestärkt wird. Ich spreche mich nachdrücklich zuallererst für Reformen jenseits der Schule in der Gesellschaft, im Elternhaus, in der Verantwortung von uns allen aus.

(Beifall bei der CDU)