Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

Geradezu für arrogant halte ich es, wenn Sie, nachdem sich das Handwerk in wochenlanger Arbeit

(Abg. Alfred Haas CDU: Wochenlange Arbeit?)

Sie sollten sich einmal damit auseinander setzen intensiv um die Zukunft unseres Bildungs- und Ausbildungssystems Sorge macht und zu dem Ergebnis kommt, dass in Baden-Württemberg einiges nicht stimmt, dies hier mit einer solchen Arroganz abtun. Ihrerseits ist keine Bereitschaft da, zu diskutieren. Sie stellen sich auf den Sockel der Macht, ohne überhaupt bereit zu sein, wirklich die bildungspolitische Diskussion ernsthaft zu führen.

Interessant ist ja, was Sie nicht gesagt haben. Sie haben ja eigentlich zu den Konsequenzen und dazu, was Sie zu tun gedenken, sehr wenig gesagt. Sie haben nur ein paar allgemeine Floskeln losgelassen. Sie haben zum Beispiel auch nicht gesagt, dass Sie derzeit im Begriff sind, das, was Sie

sonst an neuen bildungspolitischen Ansätzen wie LIPSA oder „Schulanfang auf neuen Wegen“ immer so hochjubeln, faktisch zu unterlaufen, weil Sie genau in diesen Bereichen Unterrichtsstunden kürzen, anstatt sie auszubauen.

(Beifall bei der SPD Abg. Drexler SPD: So ist es! Kürzungsminister!)

Das passt auch nicht damit zusammen, dass die Präsidentin der Kultusministerkonferenz feststellt: Wir haben keine Bildungsolympiade; Sinn einer ländervergleichenden PISA-Studie war auch nicht, Gewinner und Verlierer zu ermitteln, sondern es ging und geht darum, voneinander zu lernen und den Wettbewerb voranzutreiben. Genau das haben Sie nicht gemacht.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben hier Bildungsolympiade betrieben und versucht, ständig Gewinner und Verlierer gegeneinander auszuspielen, anstatt voneinander zu lernen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Doch! Ja, lernen Sie ein- mal davon!)

Ja, wir sind bereit zu lernen, und zwar von denen, die wirklich in der Champions League vorne liegen. Dazu gehört, dass man sich deren Schulsysteme und Ausbildungssysteme einfach einmal genauer anschaut. Da ist es schon interessant und unbestritten, dass diese Schulen alle längere gemeinsame Lernzeiten haben, dass diese Schulen mit unterschiedlicher Schülerschaft umgehen können, dass sie in der Lage sind, Heterogenität konstruktiv in den Unterricht aufzunehmen. Die haben eben keine Kultur der Auslese, sondern eine Kultur der individuellen Förderung, die bei uns weitgehend noch fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem Sie ja von Herrn Baumert so viel halten, wie ich weiß, könnte ich Ihnen jetzt genügend Zitate vorlesen, um zu beweisen, dass Baden-Württemberg wahrhaft keinen Grund hat, sich auszuruhen und sich so selbstgefällig zu präsentieren, wie das eben gerade geschehen ist.

(Beifall bei der SPD Abg. Drexler SPD: So ist es! Provinzielles Mittelmaß!)

Wenn Sie das Nord-Süd-Gefälle ansprechen, kann man sagen: Das Nord-Süd-Gefälle zwischen Finnland und BadenWürttemberg sind eineinhalb Schuljahre. Ich denke, das muss unser Maßstab sein. Es nützt doch nichts, immer nur auf die anderen zu schielen, die nach uns kommen, sondern wir müssen uns an den Besten messen. Das ist unser Maßstab, der auch für Baden-Württemberg gilt.

(Beifall bei der SPD Abg. Drexler SPD: Sehr gut!)

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Es kann uns überhaupt nicht beruhigen, wenn wir feststellen müssen, dass jeder zehnte Ausländer ohne Schulabschluss ist, wenn wir feststellen müssen, dass auch in Baden-Württemberg die soziale Herkunft über Bildungschancen

(Abg. Drexler SPD: Entscheidet!)

entscheidet. Das kann uns nicht zufrieden stellen. Deswegen lassen Sie uns darum ringen, das Beste daraus zu machen, unser Bildungssystem weiterzuentwickeln, statt sich hier in Selbstgefälligkeit zu präsentieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen deswegen einige wenige Punkte nennen, wo wir sofort Handlungsbedarf haben.

Im Elementarbereich, also schon vor der Schule, ist es wichtig, unsere Kinder zu fördern, den Kindergarten nicht nur als Erziehungssystem, sondern auch als Bildungseinrichtung zu begreifen und dort die jungen Menschen entsprechend zu fördern. Wir müssen schon mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnen, also quasi mit Beginn des dritten Lebensjahres, eine intensive Sprachförderung zu betreiben. Das heißt, wir müssen auch bereit sein, für das Kindergartensystem mehr Geld auszugeben und nicht das zu machen, was Sie offensichtlich gestern oder heute Nacht mit den kommunalen Landesverbänden vereinbart haben. Sie haben nämlich vereinbart, dass sich das Land aus der Verantwortung zurückzieht. Es ist keine Bereitschaft da, mehr Geld für die Kindergärten und die Kindergartenarbeit zur Verfügung zu stellen, sondern das ist wieder typisch CDU, und die FDP/DVP spielt in diesem Spiel ja mit die Eltern sollen künftig dafür blechen, dass die Kindergartenarbeit und die Qualität verbessert werden soll. Das ist nicht unsere Vorstellung von Familienpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja schon interessant, dass Herr Oettinger genau auf diese familienpolitische Komponente so stark abgehoben hat. Das ist deswegen interessant, weil es sicher richtig ist, dass man das Elternhaus stärken und die Elternarbeit intensivieren muss. Aber dann muss man auch bereit sein, daraus die Konsequenzen zu ziehen, und darf nicht scheinheilig argumentieren, wie das in der Vergangenheit hier der Fall war. Schauen Sie sich einmal an, was Ihre CDU-Familienpolitik in den letzten Jahren hinbekommen hat. Das war ein Scherbenhaufen, den Sie sowohl im Bund als auch hier im Land hinterlassen haben.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Deswegen würde mich schon interessieren, Frau Schavan, ob Sie unserer Forderung zustimmen, alle Kinder ab dem fünften Lebensjahr einer Sprachstandsdiagnose zu unterziehen,

(Abg. Drexler SPD: Dazu zu verpflichten!)

um festzustellen, welcher Förderbedarf im Bereich der Sprachentwicklung notwendig ist, und diese Kinder dann zu verpflichten, an einer solchen Sprachförderung teilzunehmen.

(Beifall bei der SPD Abg. Drexler SPD: Jawohl!)

Sind Sie der Meinung, dass dies verpflichtend sein muss? Dazu haben Sie nichts gesagt.

Es muss darum gehen, ein starkes Gewicht auf die Sprachförderung zu legen. Dazu gehört aber auch, dass man dann

diejenigen, die das machen, entsprechend qualifizieren muss. Das heißt, die Erzieherinnenausbildung muss zu neuen Kompetenzen befähigen. Wir müssen auch bereit sein, die Kooperation von Grundschulen, Sonderpädagogen und Frühberatungsstellen auszubauen,

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

damit wir die Sprachförderung qualitativ gut gestalten können. Davon haben Sie heute nichts gesagt. Sie haben nachher noch Gelegenheit, das entsprechend zu korrigieren.

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch eine Stärkung der Grundschulen. Wir brauchen mehr Geld, wir brauchen mehr Zeit für unsere Kinder an der Grundschule. Wenn nämlich die Tatsache richtig ist und sie wird überhaupt nicht bestritten , dass Kinder in jungem Alter am besten lernen, müssen wir auch bereit sein, für den Elementarbereich und die Grundschule mehr Geld bereitzustellen und den Kindern längere, bessere Lernzeiten zu gewähren, damit wir bereits zu Beginn einer Schul- und einer Ausbildungsentwicklung die Weichen richtig stellen.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch bereit sein, über den Haushalt die notwendigen Lehrerstellen zur Verfügung zu stellen. Es ist ja immer wieder interessant, zu verfolgen, wie Sie sich damit schmücken, wie viel da in der Vergangenheit getan wurde. Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Ich weiß noch ganz genau, wie wir uns in der großen Koalition gegen Ihren Widerstand durchgesetzt haben, als es darum ging, mehr Lehrerstellen zu schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen kann es nicht sein ich könnte Ihnen jetzt wieder die Briefe vorlesen , dass Sie schon wieder im Begriff sind, nicht einmal den Pflichtbereich abzudecken. Das hat auch etwas damit zu tun, den Kindern das zu geben, was sie brauchen, nämlich ausreichend Unterricht. Sie dürfen nicht bereits jetzt wieder Unterrichtszeiten reduzieren, weil Sie die Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden nachher beim zweiten Tagesordnungspunkt über die Ganztagsschulen diskutieren. Deswegen will ich es hier relativ kurz machen.

Ich bin einmal gespannt, was letztlich Gültigkeit hat, ob die Aussagen von Oettinger oder die von Schavan gelten, ob das, was der Fraktionsvorsitzende sagt, oder das, was die Kultusministerin sagt, gilt. Bei der Frage, ob wir tatsächlich mehr Ganztagsschulen brauchen, wird ja ein gewisser Eiertanz vollführt.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Ich spreche über PISA.

Ich sage Ihnen eines: Wer hier sagt, wir müssten von anderen lernen, soll sich einmal anschauen, was jene Länder, die besser abgeschnitten haben als Baden-Württemberg, an Ganztagsschulangeboten haben. Wir müssen bereit sein, von diesen Ländern auch dort zu lernen, wo es um längere gemeinsame Lernzeiten geht. Deswegen bin ich gespannt, wie Sie sich bei dieser Frage konkret verhalten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Abg. Drexler SPD: Genau!)

vor allem, ob Sie bereit sind, auch das Angebot des Bundes wahrzunehmen, der Ihnen hier Nachhilfeunterricht und Unterstützung anbietet.

(Beifall bei der SPD Abg. Alfred Haas CDU: Die brauchen Sie!)

Lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Unbestritten ist da sind wir alle einer Meinung , dass die Unterrichtsarbeit verbessert werden muss, dass wir unsere Lehrerinnen und Lehrer fortbilden müssen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie gehören dazu!)

Ihre Arroganz, Herr Haas, kennt ja keine Grenzen. Sie passen genau in dieses Bild der Arroganz hinein. Sie haben von Bildung so viel Ahnung wie eine Kuh vom Bergsteigen.

(Abg. Seimetz CDU: Wo ist der Spiegel?)