Protokoll der Sitzung vom 17.07.2002

(Abg. Drexler SPD: Nein!)

dass man sich Sorgen um diejenigen Jugendlichen macht, die zum größten Teil in einer dualen Ausbildung beim Handwerk landen, wie das Handwerk sagt? Warum machen Sie sich keine Sorgen?

(Beifall bei der SPD Zuruf: Sehr gut! Abg. Drexler SPD: Sie kann sich keine Sorgen machen!)

Ich wundere mich, dass diese Frage von einem Vertreter des beruflichen Schulwesens kommt, Herr Wintruff, weil Sie alle Details kennen.

(Abg. Drexler SPD: Aber Sie nicht! Lachen bei der SPD)

Sie wissen, dass wir in den letzten Jahren im Hinblick auf die Risikogruppe zahlreiche Weichen gestellt haben, die dazu führen, dass wir nach der Nahtstelle zwischen Schule und Betrieb, zwischen Schule und Ausbildung, am Ende das ist doch das Ergebnis bei der Gruppe der bis 25-Jährigen zu einer Jugendarbeitslosigkeit von 4,7 % kommen, die die europaweit niedrigste Jugendarbeitslosigkeit ist.

(Beifall bei der CDU)

Das ist Ausdruck der Tatsache, dass wir uns nicht einfach Sorgen machen, sondern in unserem Bildungswesen durch eine Kooperation zwischen allgemein bildenden und beruflichen Schulen, durch Kooperationsklassen, durch den Praktikerzug in der Hauptschule, durch Jugendberufshelfer und eine Menge anderer Maßnahmen Konzepte für genau diese Gruppe erarbeitet haben, und ihr Erfolg wird uns bestätigt: Die Risikogruppe ist in Baden-Württemberg deutlich unter dem Bundesschnitt.

(Abg. Drexler SPD: Aber sie liegt bei 20 %!)

Sie ist zu groß. Natürlich ist sie zu groß das ist wohl wahr , und das war sie schon vor 30 Jahren.

(Abg. Drexler SPD: Also, dann kümmern Sie sich darum!)

Deshalb muss man halt im Bereich der beruflichen Bildung ein Konzept umsetzen Stück um Stück , das bei einer Risikogruppe von 20 % am Ende 15 % in Arbeit bringt. Herr Drexler, das ist das Ergebnis. 15 % dieser Gruppe sind in Ausbildung und arbeiten, und es bleiben 4,7 % von diesen 20 % übrig.

(Beifall bei der CDU Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Zu den Weichenstellungen in Baden-Württemberg in den letzten Jahren gehört die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren, dazu gehört die Neuordnung der gymnasialen Oberstufe, dazu gehört eine völlig neue Entwicklung im Bereich der Realschulen, erste wichtige Schritte zu einer Lernkultur, die für Jugendliche attraktiver und im Ergebnis zugleich nachhaltiger ist. Ich bin sehr dafür, dass wir uns nicht an diesem rastlosen und die Schulen jeden Tag mit neuen Vorschlägen aufregenden Aktionismus beteiligen. Das werden wir in Baden-Württemberg nicht machen.

(Beifall bei der CDU Unruhe bei der SPD Zu- ruf des Abg. Drexler SPD Weitere Zurufe von der SPD)

Wir werden auch wenn Sie sich noch so aufregen im System weiterarbeiten. Wir werden das System so weiterentwickeln, dass die Zukunftschancen der jungen Generation sicher sind, so sicher wie in keinem anderen Land. Wir werden dafür sorgen, dass die Hauptschüler, die keinen

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Abschluss bekommen, die Hauptschüler, die sich mit einem Abschluss schwer tun, über weitere Bildungsangebote zum Ziel und das heißt in eine qualifizierte Ausbildung kommen. Das sind nicht erst Weichen nach PISA, sondern das sind Weichen, die wir in den letzten fünf Jahren gestellt haben. Deshalb können wir in Baden-Württemberg davon ausgehen, dass wir in der Weiterentwicklung hin zur Verbesserung ein paar Jahre Vorsprung haben.

Das ist allerdings auch wichtig, denn unbestritten ist, dass alle Länder in Deutschland besser werden müssen. Unbestritten ist, dass sich alle Länder in Deutschland mit bestimmten besonderen Aufgaben zu beschäftigen haben werden. Nur, Rezepte finde ich dafür weder in sozialdemokratischen Programmen noch bei sozialdemokratischen Regierungen,

(Abg. Schmiedel SPD: Handwerk!)

die alle mit ihren Konzepten nicht zu dem Ziel gekommen sind, so wie Henning Scherf es formuliert hat.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Aufträge sind erteilt. Die Gespräche sind geführt. Wir werden zu einer verstärkten Form der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule kommen bis hin zu Zielvereinbarungen zwischen Eltern und Schulen, vor allem im Bereich besonderer Förderprogramme.

Zweitens sind die Weichen für die Weiterentwicklung der Unterrichtskultur gestellt.

Drittens sind die Weichen für die Lehrerbildung gestellt. Viele Länder beneiden uns um die Pädagogischen Hochschulen. Die Pädagogische Hochschule ist das Kernkompetenzzentrum in Sachen Lehrerbildung. Unsere Hochschulen werden zunehmend auch Orte der Weiterbildung sein. Wir werden die Bildungsforschung in Deutschland aufbauen müssen. Wir werden auch in Baden-Württemberg Unterrichts- und Bildungsforschung einrichten. Die Hochschule wird ein wichtiger Partner unserer Schulen werden. Die Hochschule muss ihren Beitrag zur Entwicklungsarbeit in den Schulen leisten.

Wir werden uns im Bereich einer Lernkultur weiterbewegen, die Jugendlichen die Chance gibt, Verantwortung einzuüben, die Chance gibt, mitzugestalten, auch durch Streitschlichterprogramme, Schülermentorenprogramme. Wir brauchen mehr Räume in den Schulen, in denen Jugendliche das, was sie gelernt haben, auch wirklich praktizieren, den Ernstfall von Verantwortung und sozialer Kompetenz einüben. Auch hier gibt es gute Konzepte an einzelnen Schulen, die sich vervielfachen lassen.

Wir werden im Bereich der Lehrerfortbildung den Prozess fortsetzen, den wir in den letzten Jahren begonnen haben: die Schule als Ort der Weiterbildung, die Schule als ein Ort, der wesentlich das Profil der Weiterbildung gestaltet, und zwar gemeinsam mit den Hochschulen, die zunehmend zum ersten Ort der Weiterbildung werden.

Das alles kann in der Schule geschehen: eine neue Form der Steuerung, mehr Selbstständigkeit der Schule, Verant

wortung im Bereich des Personalwesens. 1 000 von 3 000 Stellen in Baden-Württemberg sind bereits in diesem Jahr über das Internet schulscharf ausgeschrieben worden. Die Entscheidung an der Schule ist moderne Entwicklung im Bereich des Personalwesens. Wir werden in den nächsten fünf Jahren dazu kommen, dass die Schule wesentlich über Personal entscheidet, dass die Schule wesentlich Personal auswählen kann. Auch das ist ein qualitativ neuer Schritt der Steuerung des Bildungswesens. Ich nenne weiter neue Steuerung durch Evaluation, die Weiterentwicklung der Unterrichtskultur, die Stärkung der Erziehungspartnerschaft, den konsequenten Ausbau auch von Ganztagsangeboten im Zusammenhang mit Schulentwicklung und schließlich den anderen Umgang mit Zeit. Das steht im Vordergrund unseres Programms, unserer Antwort auf PISA.

Ein anderer Umgang mit Zeit wird auch zu einer etwas realistischeren Debatte über Ganztagsangebote führen. Natürlich müssen wir darüber reden, ob es richtig ist, Unterricht immer mehr als Aneinanderreihung von Unterrichtsstunden mit Fünf-Minuten-Pausen anzusehen. Aber das sind nicht Konzepte, die verordnet werden, sondern Entwicklungen vor Ort. Die Frage, wie lange Schule dauert, ist eine pädagogische Frage, eine Frage der inneren Schulentwicklung und in Zeiten der selbstständigen Schule nicht eine Frage, die von oben beantwortet wird.

Meine Damen und Herren, die Antwort muss konsequent, langfristig und nachhaltig angelegt werden. Wo immer sich Länder in diesen Wochen zu kurzfristigen aktionistischen Programmen entscheiden, werden sie in zehn Jahren noch genau da stehen, wo sie heute stehen. Deshalb fürchte ich den Wettbewerb in den nächsten Jahren in Deutschland für Baden-Württemberg nicht und bin der festen Überzeugung, dass die Weichen, die bereits gestellt sind und die wir stellen werden, dazu führen, dass unser Bildungswesen in allen Bereichen, in allen Segmenten auf eine international starke Wettbewerbsfähigkeit kommen wird.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller.

(Oh-Rufe von der CDU Abg. Drexler SPD: Hau gleich einmal rein, rechts und links!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir soeben erlebt haben, lässt uns zu dem Ergebnis kommen: Baden-Württemberg ist Spitze

(Zuruf von der CDU: Ja! Demonstrativer Beifall bei der CDU)

allerdings bei der Selbstgefälligkeit und der Arroganz dieser Bildungspolitik. Ich sage Ihnen eines, Frau Schavan: Sie haben hier das Feindbild SPD ausgesucht, anstatt zu überlegen, was Baden-Württemberg besser machen kann, um tatsächlich vorne mitzuspielen und nicht im Mittelfeld stehen zu bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin ja sehr für Auseinandersetzungen. Aber wenn einerseits hier von Herrn Oettinger eingefordert wird, man soll ideologiefrei diskutieren, und Sie hier gleichzeitig Wahlkampf machen, passt dies nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD Zurufe von der SPD: Bravo! Sehr gut!)

Ich will Ihnen noch eines sagen: Das ist ja Ihre Masche Herr Drexler hat Herrn Oettinger schon widerlegt, der hier Tabellen zitiert , Dinge zu zitieren und sozusagen immer etwas zu behaupten und das als richtig zu präsentieren, aber wenn man dann der Sache nachgeht, zeigt sich, dass das doch nicht so ist.

(Beifall bei der SPD Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Herr Oettinger wurde hier auf frischer Tat ertappt.

Nachdem Sie, Frau Ministerin, hier offensichtlich als Kompetenzfrau gelten und auftreten,

(Abg. Drexler SPD: Stoiber!)

will ich Ihnen aus einem Brief von Herrn Wernstedt zitieren, der, denke ich, das sehr treffend formuliert. Er sagt:

Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass man in Wahlkampfzeiten zuspitzt und bestimmte Eindrücke in der Öffentlichkeit vermitteln will. Kein Verständnis habe ich aber dafür, dass Sie mit falschen Zahlen und Unterstellungen operieren, die sich sogar noch widerlegen lassen. Insofern empfinde ich Ihr Verhalten als ausgesprochen unkollegial und unfair.

(Beifall bei der SPD)

Das ist genau der Punkt, der hier auch weitestgehend auf Ihren Beitrag zutrifft.

Wer ideologiefrei diskutieren will, muss auch bereit sein, über alle Fragen offen zu diskutieren. Was Sie aber machen, ist, dass Sie bestimmte Themenbereiche zulassen und sagen: Etwas anderes kommt für uns nicht infrage. Das passt nicht zusammen.

Geradezu für arrogant halte ich es, wenn Sie, nachdem sich das Handwerk in wochenlanger Arbeit