Protokoll der Sitzung vom 16.10.2002

Fünfter Punkt: Thema Unterrichtsgarantie. Auch Sie besprechen sich sicher hin und wieder mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern. Da ist doch die Frage interessant: Wer versteht eigentlich was unter Unterrichtsgarantie? Da sagt man mir in den allermeisten Bundesländern: „Das ist doch klar: Unterrichtsgarantie heißt bei uns, dass die Stunden der Stundentafel zugewiesen werden.“ Punkt. Ende der Durchsage. Bei uns ist es selbstverständlich, weil es zu unserem Verständnis von Schule gehört, so wie es Herr Kollege Röhm gesagt hat, dass es nicht bei der Stundentafel bleibt, sondern dass nach unserem Verständnis von Schule selbstverständlich all die Stunden zur Stundentafel kommen, die notwendig sind, um in Baden-Württemberg überzeugend Schule zu machen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Schmiedel SPD: Mär- chenstunde!)

Das kann ich Ihnen auch in Zahlen sagen. Jetzt nehme ich einmal die Grundschule, in der das im Blick auf Stütz- und Förderunterricht besonders wichtig ist. Wenn Sie die Schülerzahlen in unseren rund 2 500 Grundschulen nehmen und wenn Sie die Zahl der Lehrerstunden dazu ins Verhältnis setzen, die diesen Schulen zugewiesen wurden, kommen Sie auf ein Plus von zwei Stunden pro Klasse – es sind ungefähr, glaube ich, 25 000 Klassen an unseren Grundschulen –, die den Schulen zugewiesen wurden und die in ganz unterschiedlicher Weise eingesetzt werden. Die können durchaus auch so eingesetzt werden, dass man bei bestimmten Fortbildungsveranstaltungen, die besonders wichtig sind, wo sich jemand sehr engagiert, sagt: Da gibt es einmal eine Deputatsstunde weniger. Aber bei einem Plus von zwei Stunden pro Klasse zu sagen, in Baden-Württemberg sei die Unterrichtsgarantie nicht eingehalten, finde ich unseriös, unfair und auch nicht in Ordnung im Blick auf die Verantwortung, die wir alle in diesem Haus dem Steuerzahler gegenüber haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Glocke der Präsidentin)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage – –

Später. Ich muss das jetzt einmal zu Ende bringen.

(Abg. Wintruff SPD: Dann rufe ich dazwischen: Was ist mit der Berufsschule? Die hat keine Unter- richtsgarantie!)

Darauf kann ich auch kommen. Das ist gar kein Problem. Darauf komme ich auch gleich.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Das Wort hat die Frau Ministerin!

Jetzt räumen wir erst einmal mit den Punkten auf, die Sie hier wider besseres Wissen – das muss alles ins Protokoll – dargestellt haben.

(Beifall bei der CDU)

Statistik und Stichproben:

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Was ist mit den Berufs- schulen, mit den Realschulen, mit den Gymnasien? Was ist mit den großen Klassen?)

Baden-Württemberg war das einzige Land und ist das einzige Land geblieben, das über drei Jahre systematisch zu mehreren Zeitpunkten eines Schuljahrs Stichproben erhoben hat. Niemand hat das nachgemacht. Alle haben gesagt: „Das ist hoch gefährlich; da kommt ja heraus, was los ist.“ Wir haben aus diesen drei Jahren Konsequenzen gezogen, die zu noch mehr Transparenz führen werden.

Erstens haben wir die Anregungen der Schulen aufgenommen, die uns gesagt haben, so wie es Herr Röhm hier an Beispielen erklärt hat: Ihr könnt nicht einfach ausgefallene Unterrichtsstunden aufschreiben lassen und veröffentlichen, ohne gleichzeitig der Öffentlichkeit klar zu machen, was in unseren Schulen eigentlich alles an pädagogischer Arbeit passiert, die sich nicht in Unterrichtsstunden ausdrückt.

(Beifall bei der CDU)

Das war der erste Punkt.

Zweiter Punkt: Wir haben die drei Jahre genutzt, und BadenWürttemberg ist auch das erste Bundesland, das alle Schulen mit der Schulverwaltung vernetzt. In diesen Wochen ist im Grunde die Vernetzung durch die entsprechenden Firmen erfolgt. Das heißt, wir werden künftig zwischen Schulen, zwischen Schulen und Schulverwaltung ein technisches Netzwerk haben, das uns ein ganz genaues und ständiges Bild über die Arbeit der Schulen ermöglicht,

(Abg. Seimetz CDU: Sehr gut!)

und zwar über die Deputate, über die Stundentafeln – ein wichtiger Punkt in Zeiten flexibler Stundentafeln und der Kontingentstundentafel, die wir jetzt gegeben haben –, über Unterrichtsausfall, der mit Aktivitäten zusammenhängt, und an vielen Schulen ist es selbstverständlich, dass dieser Unterricht dann vor oder nach den entsprechenden Aktivitäten stattfindet.

Das heißt, wir haben nicht weniger an Stichproben, sondern wir haben – und dies wieder als einziges Land in Deutschland – eine wirklich vollständige Transparenz über die pädagogische Arbeit, über die zur Verfügung stehenden Ressourcen und über den Einsatz der Ressourcen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das ist Fortschritt und nicht Rückschritt in Sachen Transparenz. Ich rate Ihnen einmal, Ihren Kollegen in anderen Bundesländern zu sagen, sie sollten sich einmal auf diesen Trip begeben und das Risiko eingehen, das für manche damit verbunden ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich nenne die drei Hauptfaktoren, die in jeder bildungspolitischen Diskussion über Ressourcen eine Rolle spielen: erstens Schüler-Lehrer-Verhältnis, zweitens Bildungsausgaben pro Einwohner, drittens Bildungsausgaben pro Schüler. Das sind die drei entscheidenden Faktoren für die Ressourcenzuweisung und die damit verbundenen Investitionen im Landeshaushalt.

Da stellen Sie fest – Quelle: letzte Ausgabe des Bildungsfinanzberichts, der bekanntlich nicht aus einer CDU-Pressestelle, nicht aus der Pressestelle des Kultusministeriums stammt –: Bei der Schüler-Lehrer-Relation liegt Baden-Württemberg auf Platz 1 aller Flächenländer.

Zweitens: Bildungsausgaben. Wie viel gibt das Land pro Einwohner für Schule aus? Baden-Württemberg auf Platz 1.

Tabelle „Bildungsausgaben pro Schüler“ in den Flächenländern: Baden-Württemberg befindet sich in der Spitzengruppe, wobei das noch die Investitionen sind, über die man am meisten streiten kann. Sie wissen, dass Bremen die höchsten Investitionen pro Schüler aufweist und bei der PISA-Studie einen satten 16. Platz belegte. Spätestens an dieser Stelle wird auch klar, dass zum Beispiel die SchülerLehrer-Relation ein sehr viel wichtigerer Punkt ist als die Frage reiner Finanzausgaben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Klein- mann FDP/DVP: Sehr gut!)

Das sind die Fakten.

Wenn Sie jetzt noch ein bisschen Wahlkampfnachklapp haben wollen, können Sie auch den haben. Das ist überhaupt kein Problem. Da kann ich mich sofort wieder umstellen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Was war das mit dem Wahlkampf? – Abg. Schmiedel SPD: Der Wahl- kampf ist doch vorbei, haben Sie gesagt!)

Dann gehört doch noch Folgendes zu den Fakten – der Papst der sozialdemokratischen Bildungsministerpräsidenten, Ministerpräsident Gabriel aus Niedersachsen, hat es am 21. April 2001 öffentlich erklärt, und er hat es in meinem Beisein im Bundestag wiederholt –, was ich hiermit zitiere:

Wir haben Nachholbedarf und müssen zur Kenntnis nehmen, dass Schüler in Bayern und in Baden-Württemberg besser ausgebildet werden als in Niedersachsen.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Zurufe von der CDU: Oh! – Abg. Dr. Caroli SPD: Wahl- kampf! – Abg. Schmiedel SPD: Trotzdem haben Sie die Wahl verloren!)

Zur Lehrereinstellung: Wir haben beschlossen, in dieser Legislaturperiode nicht nur 5 000, wie die SPD es wollte, sondern 5 500 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Beschlossen!)

Und wir haben auch beschlossen – damit haben wir auch ein völlig neues Verfahren begonnen, das in den Schulen auf eine große Resonanz gestoßen ist –, eine dezentrale Lehrereinstellung einzuführen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wer hat denn die An- träge gestellt?)

Das sind auch Sie gewesen. Das ist klar.

5 500 Stellen: Aufschreiben, Herr Zeller. Ich weiß, Sie kommen gleich – deswegen sage ich jetzt nichts über die Sonderschule –; das dürfen Sie. Dann gehe ich noch einmal hinaus. Wir kriegen die Zeit bis 19 Uhr schon herum. Kein Problem, wenn er wieder ans Rednerpult geht.

Jetzt einmal ganz im Ernst: Ich finde, es ist überhaupt keine Frage, dass das Bildungswesen in Deutschland, auch das Bildungswesen in Baden-Württemberg in einer Phase der größten und tiefsten Reform steht, die es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gegeben hat. Das ist auch gut so. Ich freue mich auf den Wettbewerb. Ich freue mich gigantisch auf den Wettbewerb, wie jedes einzelne Land all das, was öffentlich gerade besprochen wird, umsetzt. Ich glaube, das wird eine interessante Debatte. Sie wird sich in der Tat nicht an originellen Reden, Herr Käppeler, entscheiden, sondern an der Frage, wer den Kurs jetzt durchhält. Wer bewältigt die Frage der Migrationsförderung? Wer bewältigt das Thema Sprachförderung? Wer bewältigt auch das, was an zusätzlichen Investitionen notwendig ist, und wie? Und dann werden Sie wieder auf die kleinen Klassen kommen. Sie, Herr Wintruff, Herr Käppeler, Herr Zeller, waren bei der McKinsey-Tagung in Berlin dabei. Sie saßen dabei, als Herr Baumert auf die Frage: „Was raten Sie den Kultusministern?“ gesagt hat: Was ich ihnen auf gar keinen Fall rate, ist, jetzt an die Frage des Klassenteilers zu gehen. Es ist die kostspieligste Frage überhaupt, und es gibt bessere Wege zu nachhaltigerer Lernkultur, einmal abgesehen davon, dass Sie auch wissen, dass die größten Klassen im Moment in der Realschule und im Gymnasium sind.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wahrlich, wahrlich!)

Die kleinsten Klassen sind an den Grund- und Hauptschulen.

(Abg. Schmiedel SPD: Na!)

Natürlich ist das so. Auch dazu wird der neue Bildungsfinanzbericht wunderbare Zahlen enthalten. Deshalb mein Vorschlag: Bildungspolitik ist so wichtig, dass Sie sich entscheiden sollten,

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Das nützt den Kin- dern in Stuttgart nichts!)

wo Sie endlich in ein bildungspolitisches Gespräch mit Ergebnissen einsteigen. Sie können sich auch anders entscheiden, nämlich nur durchs Land zu gehen und noch sieben Jahre lang gegen alle Erfahrung in vielen unserer Schulen und gegen alles, was außerhalb Baden-Württembergs über Baden-Württemberg gesagt wird, zu erklären, Sie lebten im klassischen Land der Bildungskatastrophe. Das wäre unfair den Schulen gegenüber.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Das macht auch kein Mensch!)