Protokoll der Sitzung vom 16.10.2002

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

6. Mitteilung der Landesregierung vom 20. September 2002 – Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK); hier: Anmeldung des Landes zum Rahmenplan 2003 bis 2006 – Drucksache 13/1346

Überweisung an den Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft und federführend an den Finanzausschuss

7. Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 2. Oktober 2002 – Energiebericht 2001 – Drucksache 13/1368

Überweisung an den Wirtschaftsausschuss

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch darauf hinweisen, dass das Präsidium für die heutige und die morgige Plenarsitzung Redezeitkontingente festgelegt hat, und zwar für heute für die einzelnen Fraktionen wie folgt: für die CDU 78 Minuten, für die SPD 82 Minuten, für die FDP/DVP 67 Minuten und für die Grünen72 Minuten.

Die Regierung möchte ich bitten, sich an die Redezeitvorgabe für die stärkste Fraktion zu halten.

Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Sprachstandsdiagnose und Sprachförderung für fünfjährige Kinder – Drucksache 13/1220

b) Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Verbesserung der Integrationschancen von Kindern mit Migrationshintergrund – Einbeziehung von Sprachförderungsangeboten in die Arbeit der vorschulischen Kinderbetreuung – Drucksache 13/1035

Das Wort erteile ich Frau Abg. Haußmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nicht erst seit der PISA-Studie wissen wir, dass die Grundlagen eines erfolgreichen Bildungswegs unserer Kinder in den ersten Lebensjahren gelegt werden. Die Studie hat uns auch vor Augen geführt, dass Länder, die der vorschulischen Erziehung eine hohe Aufmerksamkeit schenken, ihren Kindern damit ein weitaus besseres Rüstzeug für ihren späteren Bildungsweg mitgeben, als dies bei uns der Fall ist.

Sprachförderung, mit der so früh wie möglich begonnen werden muss – da sind sich Praxis und Wissenschaft einig –, ist ein zentraler Baustein dieser vorschulischen Erziehung. Dass es bisher mit der Sprachförderung in den Kindergärten des Landes nicht weit her ist, hat die Landesregierung selbst eingeräumt. Ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung auf eine der heute zu beratenden Initiativen:

Eine gezielte, intensive Sprachförderung ist bei den derzeit gegebenen Strukturen, insbesondere den personellen Ressourcen, durch das dort zur Verfügung stehende Personal nicht oder nur bedingt möglich.

So zu lesen in der Drucksache 13/1035. Dieser regierungsamtliche Offenbarungseid, liebe Kolleginnen und Kollegen, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD hat deshalb mit der heute zur Beratung anstehenden Initiative ein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie Sprachstandsdiagnose und Sprachförderung an der Schnittstelle zwischen Kindergarten und Grundschule wirksam miteinander verbunden werden können. Betrachtet man aber die Antwort der Landesregierung auf unseren Vorstoß, so lässt sich diese Antwort mit drei Schlagworten zusammenfassen: vertrösten, verzögern und die Verantwortung auf andere abschieben.

(Beifall bei der SPD)

Anstatt klar zu sagen, wie die Defizite in der Sprachförderung im vorschulischen Bereich verbessert werden können, vertröstet und verzögert diese Landesregierung längst überfällige Entscheidungen.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ’ ich einen Arbeitskreis“

(Abg. Schmiedel SPD: Typisch Schavan!)

wird erst mal eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Aber ich sage ganz deutlich: Wir brauchen keine inter

ministerielle Arbeitsgruppe, die die längst bekannten Defizite und die längst bekannten Fakten wiederkäut.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Sehr rich- tig!)

Was wir brauchen, sind endlich Entscheidungen, mit denen die notwendigen Rahmenbedingungen für Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD)

Betrachtet man die Art und Weise, wie diese Landesregierung mit dem Thema Kinderbetreuung insgesamt umgeht, dann verwundert diese Verzögerungstaktik allerdings nicht. Anstatt den dringend erforderlichen Ausbau des Kinderbetreuungsangebots und die Verbesserung der Sprachförderung in den Kindergärten als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, der sich Land, Bund und Kommunen gemeinsam stellen müssen, geht es dieser Landesregierung in erster Linie darum, die Verantwortung auf andere abzuschieben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, dass wir heute erleben müssen, dass hier vor dem Historischen Kaufhaus Eltern mit ihren Kindern für den Ausbau des Kinderbetreuungsangebots demonstrieren,

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

das, sage ich Ihnen, ist ein Armutszeugnis für dieses reiche Land Baden-Württemberg, weil es hier immer noch nicht gelingt, Familie und Beruf zu vereinbaren. Das ist ja unglaublich!

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich will deshalb, bevor mein Kollege Zeller in einer zweiten Runde auf Einzelheiten zum Thema Sprachförderung eingeht, ein paar ganz grundsätzliche Bemerkungen zum Stand der Diskussion um die Weiterentwicklung der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg machen.

Meine Damen und Herren, der Ausbau des Kinderbetreuungsangebots ist d a s landespolitische Zukunftsthema. Nirgendwo liegt Baden-Württemberg im Bundesländervergleich so weit hinten wie bei der Kinderbetreuung.

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Und im Wirtschaftswachstum auch!)

Vor diesem Hintergrund ergeben sich drei ganz wesentliche landespolitische Aufgaben.

Zum einen müssen im Land mehr Betreuungsplätze, und zwar rasch, für Kleinkinder und Schulkinder und mehr Ganztagsbetreuungsplätze geschaffen werden.

Zum Zweiten muss der Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen gestärkt werden. Dabei kommt der Sprachförderung, über die wir heute beraten, oberste Priorität zu.

(Beifall bei der SPD)

Zum Dritten muss die pädagogische Qualität gesichert sein.

Das sind die drei Punkte, um die es geht. Die Landesregierung vernachlässigt aber alle drei Aufgaben. Im Sommer hat

nämlich diese Landesregierung mit den Präsidenten der kommunalen Landesverbände eine Vereinbarung geschlossen, die im Ergebnis für die Weiterentwicklung des Kinderbetreuungsangebots, für die Stärkung des Bildungsauftrags und für die Sprachförderung Stillstand statt der überfälligen Reformschritte bedeutet.

(Beifall bei der SPD)

Auf dieser Grundlage kann das Kinderbetreuungsangebot im Land nicht weiterentwickelt werden, weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht. Das zentrale Defizit dieser Vereinbarung ist die Weigerung der Landesregierung, für die Zukunftsaufgabe Kinderbetreuung einen zusätzlichen eigenen finanziellen Beitrag zu leisten. Die Verantwortung dafür soll voll auf die Kommunen abgeschoben werden. Ich sage ganz klar für meine Fraktion, dass das zulasten der Eltern und natürlich auch zulasten der Kinder in diesem Bereich gehen wird. Wer soll das bezahlen? Die in der Vereinbarung vorgesehene Deckelung der Mittel für die Kindergartenförderung im Landeshaushalt auf dem derzeitigen Stand bedeutet, dass sich an der Schlusslichtposition des Landes im Bundesländervergleich bei der Kleinkind-, der Schulkind- und der Ganztagsbetreuung überhaupt nichts ändern wird.

Meine Damen und Herren, auf dieser Grundlage kann aus unserer Sicht, aus der Sicht der SPD, keine Kommunalisierung stattfinden. Aus Sicht der SPD ist es unabdingbar, dass folgende drei Kernforderungen erfüllt werden:

Erstens: Der Ausbau des Kinderbetreuungsangebots ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei der SPD – Abg. Zeller SPD: Jawohl!)

Das Land muss sich deshalb aus Sicht der SPD mit einem substanziellen eigenen finanziellen Beitrag in Höhe von bis zu 90 Millionen € – erst mit diesem Betrag kommen wir weiter – am Ausbau beteiligen. In unserem Gesetzentwurf, dessen Beratung wir ja zurückgestellt haben, bis die Landesregierung dem Parlament ihr Konzept vorlegt, haben wir dazu ein ganz klares Finanzierungskonzept vorgelegt.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Zweitens: Für die freien Träger – das war ja auch mit ein Anliegen der Eltern unten vor dem Historischem Kaufhaus – muss Planungssicherheit durch einen verlässlichen, gesetzlichen Förderanspruch garantiert sein. Dies gilt insbesondere für Einrichtungen, die von Elterninitiativen betrieben werden, und für Einrichtungen mit besonderer pädagogischer Prägung, die bisher auch ohne kommunale Mitfinanzierung einen gesetzlich garantierten Förderanspruch hatten.

Drittens: Es müssen landesweit verbindliche Mindestqualitätsstandards existieren. Das ist ein großes Anliegen von uns. Gerade mit Blick auf notwendige Mindestqualitätsstandards erstaunt es mich schon, dass diese Landesregierung solche Standards nicht für erforderlich hält, dass aber andererseits im Land beispielsweise die Fahrgassenbreite in Garagen penibel geregelt wird. Das kann es doch nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen,