Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

Bei Apotheken ist es genau das gleiche Thema. Die Reform wird auf dem Rücken der Patienten, der Versicherten ausgetragen. Denn wenn Sie diese Struktur der flächendeckenden Versorgung durch das, was Sie jetzt mit Ihrer fallbeilartigen Politik planen, so massiv gefährden, dann wird das dazu führen, dass Notdienste – oder wenn es einmal darum geht, für ein krankes Kind schnell ein Medikament zu bekommen – unter Umständen eben nicht mehr möglich sind.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ach, jetzt hören Sie auf! Das ist ja unverantwortlich!)

Das müssen Sie sich schon sagen lassen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Noll, ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, dass es im Präsidium übereinstimmende Meinung war, dass die Aktuelle Debatte in zwei Runden geführt werden soll.

Ja. Deswegen komme ich jetzt in der ersten Runde zum Schluss und sage: Die Kritik ist die, dass das ja keine Entwicklung ist, die man nach der Bundestagswahl jetzt plötzlich entdeckt hat. Es wäre vielmehr vor der Bundestagswahl Zeit gewesen, dass Sie Ihre Konzepte vorstellen. Wir von der CDU und der FDP/DVP haben unsere Konzepte vorgestellt, wie wir mit diesen Problemen umgehen können, sollen und müssen.

Wenn ich dann höre, dass die Grünen, Herr Kretschmann, jetzt als großen Erfolg verkaufen, dass analog zur HartzKommission eine Kommission mit dem Ziel eingesetzt wird, die Lohnnebenkosten zu senken, dann frage ich mich: Wo sind die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode geblieben, als es darum ging, die sozialen Sicherungssysteme angesichts der demographischen Probleme auf einen verlässlichen und auch künftig tragfähigen Boden zu stellen?

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hoffmann.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den letzten Tagen in Sachen Gesundheitspolitik erleben, ist eigentlich einmalig: Eine Regierung hat es nach vier Jahren eigenen Regierens nötig, ein Vorschaltgesetz zu erlassen, um die eigenen Fehler zu korrigieren und die Auswirkungen dieser Fehler einigermaßen in den Griff zu bekommen.

(Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Entstanden ist ein Minus von 3 Milliarden €, das derzeit bei den Krankenkassen vorliegt – das ist kein fiktiver Wert, sondern das Defizit liegt vor –, und was passiert? Man macht ein Vorschaltgesetz, in dem eine Nullrunde vorgesehen ist. Das heißt, die Ministerin stoppt ihr eigenes Handeln. Handeln wäre schön gewesen, aber sie hat eigentlich gar nichts gemacht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es! Ja!)

Was gibt es zu stoppen, wenn man vier Jahre lang nichts tut?

Wir wollen aber eigentlich nicht stellvertretend für den Bundestag eine Diskussion führen, sondern über Landesprobleme sprechen. Ich will Ihnen einmal einige Auswirkungen auf die Situation der Patienten im Land schildern.

Nehmen wir den Krankenhausbereich: Die Krankenhäuser haben im Jahr 2002 eine Budgetsteigerung um 0,81 % bekommen. Bei 3 % linearer Gehaltserhöhung und 70 % Personalkostenanteil im Krankenhaus hat jedes Krankenhaus von mittlerer Größe im Land – das sind 300 – schon jetzt ein Defizit von rund 1 Million €. Eine neue Nullrunde wird, selbst wenn die Auswirkungen durch Teilnahme an irgendwelchen Programmen leicht abgefangen werden, dazu führen, dass die Krankenhäuser in eine völlig verzwickte Situation geraten. Herr Pföhler von der Landeskrankenhausgesellschaft hat uns angeschrieben und uns definitiv mitgeteilt: pro durchschnittlichem Haus in Baden-Württemberg 30 Mitarbeiter weniger. Da werden also 30 Arbeitsplätze abgebaut. Auf das Land bezogen rechnet man bei der BWKG mit über 2 000 Entlassungen aufgrund des Vorschaltgesetzes – 2 000 Arbeitsplätze allein in den Krankenhäusern.

Man muss aber auch eine andere Zahl kennen. Seit Jahren steigen die Patientenzahlen in den Krankenhäusern um rund 24 000 pro Jahr. Wenn wir jetzt die Krankenhäuser mit 1 Million € im Jahr 2002 und weiteren Millionen im Jahr 2003 hängen lassen, obwohl wir wissen, dass 24 000 Patienten mehr kommen, dann frage ich Sie: Wer soll denn die eigentlich behandeln? Wenn Bedienstete entlassen werden, wenn Pflegerinnen und Pfleger entlassen werden, wenn keine Ärztinnen und Ärzte mehr eingestellt werden, dann können wir die Leute im Hof lassen und den Pförtner bitten, Infusionen zu legen. Das ist die Realität!

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, es ist auch sehr realistisch, wenn man davon ausgeht, was denn wirklich passiert. Die Patienten werden behandelt werden, und es ist nur die Frage, wie sie behandelt werden. Wer davon redet, dass eine Nullrunde möglich wäre, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt, der lügt die Leute an.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Lasotta CDU: Richtig!)

Baden-Württemberg ist das Kur- und Bäderland Nummer 1. Da gibt es keine Ausnahmetatbestände, Frau Haußmann. Ich prophezeie Ihnen, dass wir im Rehaklinikbereich reihenweise Hausschließungen bekommen werden, und wir werden uns noch über die Folgen unterhalten.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Jetzt aber!)

Ich weiß, dass es weh tut, zuzuhören. Wäre ich bei der SPD, würde es mir auch weh tun.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das tut mir nicht weh!)

Ich möchte Ihnen noch eine Botschaft mitgeben, die zeigt, wie eindeutig die Gesetzgebung ist. Die Ministerin rühmt sich, sich mit allen Interessengruppen angelegt zu haben. Mit einer einzigen Interessengruppe wagt die Ministerin aber nicht, sich anzulegen, und das sind die Gewerkschaften.

(Abg. Döpper CDU: So ist es!)

Wir haben seit zwei Jahren Stillstand bei der Gesundheitspolitik, und zwar deshalb, weil sich das linke Lager der SPD zusammen mit den Gewerkschaften jeglicher Veränderung der Sozialgesetzgebung widersetzt. Das ist Realität, und das muss auch gesagt werden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: Eine unheilige Allianz!)

Wozu das führt, sieht man bei der Riester-Rente. Auch dort hat man gestoppt.

(Abg. Schmiedel SPD: Was haben Sie gegen Ge- werkschaften?)

Nichts habe ich gegen Gewerkschaften. Herr Schmiedel, ich habe nur dann etwas gegen Gewerkschaften, wenn man aus ideologischen Gründen notwendigen Veränderungen im Weg steht. Dagegen habe ich etwas.

(Beifall bei der CDU)

Ein weiterer Punkt in der ersten Runde: Die Ministerin sagt, durch dieses Vorschaltgesetz würden 3 bis 3,5 Milliarden € eingespart. Die Kassen sagen übereinstimmend: Wenn überhaupt, dann haben wir eine Wirkung von 1 bis 1,5 Milliarden €. Das heißt: Die Kassen bleiben trotz Vorschaltgesetz, trotz der Entlassungen auf 2 Milliarden € der Kosten hängen.

Jetzt lassen wir das einmal gegenrechnen. Wir haben ja Zugeständnisse gemacht. Beim Hartz-Konzept werden von der Bundesregierung jetzt wieder aktuell Gelder der Versicherten bei den Krankenkassen genommen, um die Bundesanstalt für Arbeit zu finanzieren.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

Zwei konkrete Zahlen: Die Abgrenzung zwischen Arbeitslosengeld und Krankengeld wird einseitig verändert. Das kostet die Krankenkassen – aktuelle Gesetzgebung – 200 Millionen €. Das zahlen die Kassenkunden an die Bundesanstalt für Arbeit.

(Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Die Kassenkunden gehen aber eigentlich davon aus, dass sie das für die Sanierung ihrer Krankenkassen zahlen.

Der zweite Punkt ist noch viel gewichtiger. Die Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe, nach der die Bei

träge für die Kassen bemessen werden, wird verändert, und zwar nach unten. Die Krankenkassen bekommen ab 1. Januar 2003 700 Millionen € weniger Beiträge. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass ein einziger Arbeitslosenhilfeempfänger weniger krank ist, dann würde ich Ihnen das glauben. Ich glaube es Ihnen aber natürlich nicht.

(Abg. Capezzuto SPD: Na, na, na! – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: Oh, Mario! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wir wollen uns nicht total verweigern. Wir haben Ihnen Angebote gemacht, wo man mit uns sprechen kann. Auch wir wollen ein Gesundheitssystem haben, das es ermöglicht, kranke und behinderte Menschen vor wesentlichen finanziellen Belastungen zu schützen. Zum anderen wollen wir aber auch, dass Menschen, die dazu in der Lage sind, sich aktiv um ihre Gesundheit zu kümmern, Prävention und Vorsorge zu betreiben, dafür auch eine Honorierung bei ihren Kassenbeiträgen bekommen. Dass man ein solches System finden kann, zeigen uns andere Länder ohne weiteres. Man muss es wollen,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

und man muss es möglicherweise auch einmal gegen seine linke Ecke und gegen die Gewerkschaften wollen.

(Beifall bei der CDU sowie des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP – Abg. Rüeck CDU: So ist es! Genau!)

Ich rate allen, die heute noch zu diesem Thema reden, sich ihre Worte gut zu überlegen.

(Abg. Nagel SPD: Das sollten Sie auch machen!)

Alle Krankenkassen haben vor – alle großen Kassen –, zum 1. Januar 2003 die Beiträge anzuheben.

Wir werden uns in dieser Runde hier wiedersehen. Ich garantiere Ihnen, dass wir im nächsten Jahr trotz Vorschaltgesetz über Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge sprechen werden, weil die Kassen existenziell bedroht sind, dieser Fall ist einer der Ausnahmetatbestände in Ihrem Gesetz.

Sie können vor Überraschungen nicht sicher sein, Sie waren es auch nicht beim Vorschaltgesetz. Ich bin sehr, sehr gespannt, was ich nachher von Ihnen zu hören bekomme.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)