Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

(Unterbrechung der Sitzung: 13:53 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:59 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Auswirkungen der Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung auf die Patientenversorgung in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist aber schade!)

Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweite Runde soll jeweils eine Redezeit von

(Stellv. Präsident Birzele)

fünf Minuten eingehalten werden. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

(Beifall des Abg. Alfred Haas CDU)

Ich weiß nicht, ob es der Herr Minister gehört hat.

Schließlich darf ich auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Wem darf ich für die FDP/DVP-Fraktion das Wort erteilen? – Herr Dr. Noll, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auswirkungen der rot-grünen Beschlüsse mit ihrer so genannten Notverordnung oder ihrem Sparpaket zu ihrer Gesundheitspolitik auf die Bevölkerung in Baden-Württemberg, und zwar sowohl auf die im Gesundheitswesen Beschäftigten als auch auf die Versicherten und die Patienten, haben unserer Meinung nach gravierenden Charakter. Wir sind deshalb der Meinung, dass wir dieses Thema aus aktuellem Anlass im Interesse der Menschen in unserem Land zur Sprache bringen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Ru- dolf Hausmann SPD: Sehr gut!)

Sie kennen mich; ich rede üblicherweise frei. Ich werde auch jetzt frei reden. Aber Sie gestatten mir, Herr Präsident, dass ich zu Beginn ausnahmsweise einen Teil der Äußerungen verschiedenster Gruppierungen in unserem Land kurz zitiere.

Ich beginne mit Aussagen einer Funktionärin des BdA, des Berufsverbands der Arzt-, Zahnarzt- und Tierarzthelferinnen. Sie sagt, sie wisse, dass Ulla Schmidt den 300 000 Arzthelferinnen – übrigens ein klassisches SPD-Klientel – vor der bevorstehenden Tarifrunde für Praxen in den Rücken gefallen sei. Frau Wolfram sagt: „Es regt mich richtig auf, dass die Beschäftigten in den Arztpraxen in der aktuellen Debatte gar nicht vorkommen.“

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr gut!)

In dieser Debatte kommen sie vor.

Zu den Apotheken: Der Landesapothekerverband schätzt, dass bundesweit 50 000 bis 70 000 Arbeitsplätze – meist teilzeitbeschäftigte Frauen; so viel zum Thema Gender Mainstreaming – durch die Beschlüsse der Bundesregierung konkret gefährdet sind.

(Beifall der Abg. Dr. Glück FDP/DVP und Hauk CDU)

Zum Zahntechnikerhandwerk: 35 000 ehemalige Zahntechniker werden möglicherweise in die Arbeitslosigkeit getrieben. Mir schreiben nicht Verbände, sondern einzelne Labors. Ich darf aus einem Schreiben zitieren: „... für die kleinen Labors der Todesstoß. Das ist nicht sozial und nicht gerecht.“

Die Ersatzkassen: „Geplanter Beitragssatzstopp ruiniert die GKV“. Die Vorsitzende des Verbands der AngestelltenKrankenkassen, Frau Mönig-Raane – ich darf sie ausdrück

lich zitieren, weil mir ihre Aussage besonders gut gefällt –, schließt ihre Ausführungen mit folgenden Sätzen: „Der Krankenversicherung Kosten aufzubürden und gleichzeitig die Beitragskonsequenz zu verbieten, ist ein aberwitziger Politikansatz. Nach diesem Strickmuster hätte man die finanziellen Folgelasten der Flutkatastrophe vermeiden können, indem der Bundestag schlicht den Anstieg des Wassers verboten hätte.“ So Frau Mönig-Raane.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ha, ha, ha!)

Die nächste Aussage stammt von einem Kollegen, er ist leider nicht hier. Das ist etwas, was für die Krankenhausträger sicher von großer Bedeutung ist. Der Kollege Schneider, Landrat aus Biberach: „Ein Klinikstandort in Gefahr.“

Der Vorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft: „2 000 Arbeitsplätze in Kliniken BadenWürttembergs akut in Gefahr.“

Jetzt möchte ich die Zitatenrunde beschließen. Ich wollte Ihnen damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, klar machen, dass es immer wieder Protest gegeben hat, wenn im Gesundheitswesen Veränderungen angedacht waren, dass aber noch nie ein Protest so konzentriert von allen Verbänden und auch allen Mitgliedern der Verbände gekommen ist. Deshalb sollten wir und vor allem Sie von Rot und Grün einmal ein bisschen nachdenken, ob das, was Sie mit Ihrem dirigistischen Eingriff und Ihrem Marsch in eine planwirtschaftliche Staatsmedizin vorhaben – teilweise ist es schon vollzogen –, der richtige Schritt ist. Diesen Marsch treten Sie jetzt endgültig vollends an, indem Sie schlicht und einfach von Staats wegen Preise diktieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Da wird jetzt immer so euphemistisch von einer so genannten Nullrunde gesprochen. Ich darf Ihnen einmal sagen: Eine Nullrunde wäre ja noch schön. Im Gesundheitswesen haben wir – alle Beteiligten – mehrere Minusrunden hinter uns. Wenn man auf hohem Niveau ist, dann kann man einmal eine Nullrunde verkraften. Aber wenn ich es am Beispiel der Krankenhäuser klar machen darf: Da ist die berühmte Zitrone wirklich seit langem ausgequetscht, vor allem in Baden-Württemberg. Jede Nullrunde ist in Wirklichkeit gar keine Nullrunde, sondern eine Minusrunde, die auf dem Rücken der Beschäftigten in den Krankenhäusern, auf dem Rücken des pflegenden Personals ausgetragen wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Braun SPD: Sagt ihm mal, er soll nicht so schreien! Wir verstehen ihn auch so!)

Sie haben schon in der Vergangenheit nicht einmal die Budgetsteigerungen so bemessen, dass die linearen Tarifsteigerungen hätten ausgeglichen werden können. Schon dabei hat sich die BAT-Schere geöffnet. Mit der Nullrunde wird das eine Katastrophe.

Das betrifft nicht nur die Beschäftigten im Krankenhaus, sondern – was noch sehr viel schlimmer ist – auch einen weiteren Bereich, der zum Thema unserer Debatte gehört. Wir fordern eigentlich immer, mehr menschliche Zuwendung zu geben, von der Apparatemedizin wegzugehen und mehr sprechende Medizin zu betreiben. Das ist die eine Sei

te. Darin stimmen wir alle überein. Wenn Sie aber die Rahmenbedingungen so brutal mit dem Fallbeil kaputtmachen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Patienten und die Beschäftigten in den Krankenhäusern zu Recht gleichzeitig aufschreien.

Nächster Punkt: Bei einer Nullrunde, wie Sie sie jetzt vorsehen – das gilt für die Kassen, für die Krankenhäuser, für alle –, bestrafen Sie genau diejenigen, die – wie zum Beispiel die Krankenhäuser in Baden-Württemberg – schon hohe Rationalisierungs- und Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft haben und jetzt eigentlich nicht mehr in der Lage sind, weitere Reserven auszuschöpfen. Denjenigen, die das nicht getan haben, macht die Nullrunde möglicherweise nicht so viel aus.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Richtig!)

Das kann man bei den Krankenkassen ganz klar sehen. Das ist klar. Den Kassen, die schon einen hohen Beitragssatz haben und bei denen eigentlich noch Luft drin gewesen wäre, schadet die Nullrunde nicht so viel. Aber diejenigen, die mit wirklich knallhart kalkulierten niedrigen Beitragssätzen am Rande dessen waren, was vertretbar war, werden durch die Nullrunde jetzt natürlich zusätzlich bestraft.

(Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Sie setzen völlig falsche Signale.

Ich möchte einen Punkt herausgreifen: die Mehrwertsteuererhöhung beim Zahnersatz. Da versuchen Sie vielleicht zu vermitteln: Das trifft die blöden Zahnärzte, die haben eh zu viel Geld.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Nein! Ach Quatsch!)

Nein! Sie treffen in erster Linie die Versicherten und die Krankenkassen. Denn die neun Prozentpunkte mehr an Mehrwertsteuer werden mehr als hälftig von den Versicherten getragen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ein durchlaufender Posten! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das gibt doch der Zahntechniker weiter! Also, wen trifft es?)

Das gibt der Zahntechniker weiter, ja.

(Abg. Rudolf Hausmann SPD: Gerade haben Sie den Zahntechniker zitiert! Wen trifft es jetzt?)

Also, wen trifft es? Es trifft die Krankenkassen und die Versicherten. Da sind wir wieder bei diesem Punkt. Ich kritisiere das deshalb so sehr, weil wir uns, glaube ich, einig waren, dass es nicht sein kann, dass sich der Finanzminister zulasten des Gesundheitssystems entlastet, wie er es in der Vergangenheit an vielen Stellen immer wieder getan hat. Anstatt Mehrwertsteuersätze zu erhöhen, wäre der richtige Weg gewesen, zum Beispiel im Medikamentenbereich den Mehrwertsteuersatz zu reduzieren – wie es uns überall im europäischen Ausland vorgemacht wird – und den Kassen und den Versicherten damit etwas mehr Luft zu verschaffen. Sie haben also genau den Schritt in die falsche Richtung getan.

Natürlich wird auch das Ausmaß des Zahnersatzes zurückgehen. Ich habe das gesagt. Jede Menge Zahntechniklabo

re werden sterben. Jetzt weiß ich, dass Sie wohl sagen werden: Na ja, dann können wir so etwas günstig im Ausland einkaufen. Lassen Sie mich aus Erfahrung sagen: Das ist nicht die Alternative. Ich kenne keinen Zahnersatz aus dem Ausland, dessen Qualität in einigermaßen vergleichbarer Qualität mit dem, was unser deutsches Zahntechnikerhandwerk liefert, vergleichbar wäre – ganz abgesehen von dem Problem, dass man keinen direkten Kontakt hat. Also ist auch das nur eine scheinbare Einsparlösung, die letztlich auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Dann wird es noch teurer!)

Bei Apotheken ist es genau das gleiche Thema. Die Reform wird auf dem Rücken der Patienten, der Versicherten ausgetragen. Denn wenn Sie diese Struktur der flächendeckenden Versorgung durch das, was Sie jetzt mit Ihrer fallbeilartigen Politik planen, so massiv gefährden, dann wird das dazu führen, dass Notdienste – oder wenn es einmal darum geht, für ein krankes Kind schnell ein Medikament zu bekommen – unter Umständen eben nicht mehr möglich sind.