Herr Präsident, meine Damen und Herren! Namens der Landesregierung beantworte ich die beiden Fragen des Herrn Abg. Moser wie folgt:
Zu Frage a: Das Wirtschaftsministerium hat einen Referentengesetzentwurf zur landesrechtlichen Neuregelung des Erschließungsbeitragsrechts und zur Neufassung des Kommunalabgabengesetzes erarbeitet. Dieser Entwurf ist bereits mit den kommunalen Landesverbänden und den berührten Ressorts vorabgestimmt. In dem Gesetzentwurf sollen noch die Neufassung der Abgabenordnung vom 1. Oktober 2002 sowie die unter der Federführung des Finanzministeriums geplante Neufassung des Landesgebührengesetzes berücksichtigt werden. Wir streben an, den Gesetzentwurf zur Novellierung des Kommunalabgabengesetzes und damit der landesrechtlichen Neuregelung des Erschließungsbeitragsrechts dem Ministerrat bis Ende dieses Jahres vorzulegen. Nach Abschluss des Anhörungsverfahrens soll der Gesetzentwurf im ersten Quartal 2003 im Landtag eingebracht werden.
Zu Frage b: Der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Landesgebührenrechts ist inzwischen fertig gestellt. Der Ministerrat wird sich mit dem Entwurf am nächsten Dienstag, dem
19. November 2002, befassen und ihn voraussichtlich den betroffenen Verbänden zur Anhörung zuleiten. Dieser Gesetzentwurf soll ebenfalls im ersten Quartal 2003 im Landtag eingebracht werden.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses zu der Mitteilung der Landesregierung vom 2. Juli 2002 – Bericht über die Europapolitik der Landesregierung im Jahre 2001/2002 – Drucksachen 13/1141, 13/1376
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben einen sehr umfassenden Bericht über die Europapolitik der Landesregierung vorgelegt bekommen. Wir waren uns im Ausschuss darüber einig, dass der Bericht sehr kompetent ist und ein sehr sachkundiges Kompendium darstellt. Ich möchte deshalb an erster Stelle der Landesregierung, insbesondere den Mitarbeitern, für dieses umfassende und sachkundige europapolitische Berichtswerk danken.
Meine Damen und Herren, wir sind sicherlich, was das Thema Europapolitik angeht, in einer spannenden Phase, denn wir befinden uns in der Schlussphase der Erweiterungsverhandlungen, und wir befinden uns zum Zweiten in der Konkretisierung der Arbeit zum EU-Konvent. Beides prägt derzeit die Europapolitik. Die Aufnahme zehn neuer Mitglieder in die EU und die Erarbeitung eines Verfassungsvertrags werden das Gesicht des Kontinents nachhaltig verändern. Die neue europäische Ordnung, deren Aufbau mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1989 in Angriff genommen wurde, gewinnt nun Gestalt.
In beiden Feldern – sowohl bei der Erweiterung als auch bei der Diskussion über die Verfassung, also im Konvent – hat die rot-grüne Bundesregierung allerdings in den letzten Monaten deutschen Einfluss verspielt oder nicht wahrgenommen. Die Erweiterungsverhandlungen über die Agrarstruktur- und Finanzpolitik waren von deutschen Bremsversuchen begleitet und mündeten in einen von Bundeskanzler Schröder persönlich verantworteten Agrarkompromiss, über den die „Financial Times“ urteilt – ich zitiere wörtlich –: „Schröder hat nicht verstanden, wie Chirac ihn ausgetrickst hat.“ So weit die „Financial Times“ in diesem Zusammenhang.
Meine Damen, meine Herren, die Schlussphase der EU-Erweiterungsverhandlungen liegt vor uns. Der Ausgang des zweiten irischen Referendums zur Ratifikation des Vertrags von Nizza öffnet formal den Weg für den Beitritt der zwölf Staaten Mittel- und Osteuropas sowie Maltas und Zyperns, mit denen derzeit Beitrittsverhandlungen geführt werden.
Wir wissen: Was Anfang der Neunzigerjahre unter maßgeblichem Einfluss von Helmut Kohl in die Wege geleitet worden ist, kann nun in kurzer Zeit Wirklichkeit werden. Die Vereinigung des europäischen Kontinents, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der damaligen Sowjetunion unter Stalin verhindert worden ist, kann Wirklichkeit werden. Jetzt entsteht ein einheitlicher Wirtschaftsraum mit mehr Einwohnern, mehr Landfläche und mehr Potenzial als der gesamte US-amerikanische Markt.
Freizügigkeit ist hier ebenfalls keine Einbahnstraße mehr. Heute arbeiten bereits mehr Deutsche in der Tschechischen Republik als Tschechen in Deutschland. Das Ob der Vereinigung Europas ist mittlerweile unstreitig. Über das Wie ist derzeit zu reden. Der Fahrplan steht. Beim Gipfel in Kopenhagen sollen die Verhandlungen mit zehn Ländern – Bulgarien und Rumänien müssen noch warten – abgeschlossen werden, und am 16. April 2003 sollen in Athen die Beitrittsverträge unterzeichnet werden.
Damit kann voraussichtlich bereits im Sommer 2004 die Europawahl in allen Staaten Europas inklusive der neu beigetretenen Staaten – somit also in 25 Staaten – stattfinden.
Meine Damen, meine Herren, wir haben über diese Fragen im Ständigen Ausschuss gesprochen, auch was die Zukunft Europas angeht, und es wird sicherlich noch bedeutsam sein, was die Zypernfrage, aber auch was die Frage des Verhältnisses zur Türkei angeht. Denn mit der Verleihung eines vom Vertragswerk gar nicht vorgesehenen Beitrittskandidatenstatus für die Türkei war der Weg kritisch. Wir haben seitens der Union bundesweit diesbezüglich – das wissen Sie – einen anderen Vorschlag; denn mit dem jetzigen Weg ist nicht stabilisiert, sondern nur belastet worden. Wir sagen: Als Partner an der Seite der EU ist die Rolle der Türkei gewichtiger, wenn man ihr eine besondere, privilegierte Partnerschaft unterhalb des Beitritts anbietet. Dann ist die Türkei nicht nur einer von 25 Staaten, sondern dann hat sie einen zukunftsträchtigen besonderen Status.
Ich will hier aber vor allem, meine Damen, meine Herren, auf den EU-Konvent eingehen. Wir haben mit Erwin Teufel Gott sei Dank einen Vertreter des Bundesrats in diesem Konvent. Denn uns in den Länderparlamenten müssen natürlich auch die Rechte der Länderparlamente und damit auch die föderalen Interessen am Herzen liegen. Bei diesem Konvent geht es jetzt um die Grobgliederung des Verfassungsentwurfs, der bis zum nächsten Frühjahr als Gerüst mit Inhalt gefüllt werden muss.
Meine Damen, meine Herren, wir waren uns im Ausschuss über alle Parteigrenzen hinweg darin einig, Herr Kollege Maurer, dass gerade dem föderalen Interesse und den Kompetenzen der Länderparlamente, auch via Bundesrat, Rechnung getragen werden muss. Damit kommen wir zum Stichwort Subsidiarität; denn das ist die zentrale Bedeutung für die EU. Erwin Teufel hat in seiner Rede im Konvent mit Nachdruck darauf hingewiesen:
Wir würden uns freuen und müssen als Länderparlamente daran interessiert sein, dass auch ein eigenes Klagerecht für die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnis positiv im Abschlussbericht möglich wird. Wir sollten als Land daran unverändert festhalten. Die Arbeitsgruppe schlägt ja auch ein Klagerecht jeder Kammer der nationalen Parlamente vor. Ich meine, das ist das Mindeste, was wir zur Subsidiaritätskontrolle erreichen müssen. Ferner wäre auch sinnvoll eine gerichtliche Kontrolle.
Ich darf in diesem Zusammenhang, Herr Präsident – Herr Kollege Birzele war dabei, Herr Kollege Theurer war dabei und auch Herr Kollege Oelmayer –, darauf hinweisen, dass wir gerade kürzlich in der Lombardei ein Treffen hatten, bei dem es darum ging, dass in diesem Verfassungskonvent die Rechte der Länder, der Regionen ebenfalls Beachtung finden. Das geht nur über den Weg einer klaren Kompetenzabgrenzung, und zwar in jede Richtung. Wir werden sicherlich in Zukunft auch parallel dazu das Thema „Bund/Länder, Föderalismusreform“ diskutieren müssen. Von oben nach unten, aber auch von unten nach oben muss kontrolliert werden, dass die Rechte der Länder nicht ausgehöhlt werden.
Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der uns auch in den nächsten Tagen, insbesondere morgen, wenn wir einen ganzen Tag eine Anhörung zum Thema „Konvent zur Zukunft Europas“ veranstalten, begleiten muss, bewegen muss. Denn ich denke, wir müssen ein Auge darauf haben.
Für die Vorschläge für das Abschlussdokument bedeutet das ganz konkret – und da nehme ich Bezug auf den Ministerpräsidenten –: Die nationalen Parlamente müssen im Rahmen eines Frühwarnsystems gleichermaßen Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip wie auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie auch gegen die Kompetenzordnung rügen können. Das muss konsequenterweise auch für eine gerichtliche Kontrolle gelten. Denn unter diesen 25 Ländern sind Staaten, wie zum Beispiel Deutschland, in denen die Länder Staatscharakter haben. Dort ist ein anderes föderales Interesse gegeben, und wir müssen dafür sorgen, dass diese Rechte der Länder gewahrt bleiben. Damit ist es wichtig, die Rolle der Regionen in der künftigen europäischen Verfassungsordnung auch im Konvent – damit mit den jetzt vorgesehenen Änderungen – zu diskutieren, damit diese dort auch Einfluss nehmen können.
Meine Damen und Herren, die EU-Erweiterung eröffnet wichtige Chancen auch für den Mittelstand. Gerade ein Land wie Baden-Württemberg, das exportorientiert ist, erhält durch die Erweiterung um zehn Länder in Osteuropa Möglichkeiten. Nach der Einführung des Euro steht damit der nächste große Integrationsschritt vor uns, die Eingliederung dieser zehn Staaten aus Mittel- und Osteuropa sowie Zyperns und Maltas, ein Binnenmarkt mit 500 Millionen Verbrauchern. Seit es die Beitrittsperspektive für diese Länder gibt, sind die Exporte der EU jährlich um 30 % und die Importe von dort jährlich um 25 % gestiegen. Von diesem Trend profitiert insbesondere auch unser exportstarkes
Land Baden-Württemberg. Denn während unsere Exporte zwischen 1993 und 2000 pro Jahr insgesamt um 9 % zunahmen, wuchsen die Exporte in die MOE-Staaten, also die mittel- und osteuropäischen Staaten, im gleichen Zeitraum um 17 %. Damit haben sich die Exporte in diese Staaten mehr als verdreifacht. Auch das sollten wir den Skeptikern dieser europapolitischen Entwicklungen sagen.
Die Landesregierung – das ist im Europabericht angesprochen – hat ein Zehnpunkteprogramm veröffentlicht, das ich für wichtig erachte. Ich möchte kurz die wesentlichsten Punkte ansprechen und hierbei auch dem Minister für europäische Angelegenheiten, Dr. Palmer, ein Kompliment machen für eine sehr fachkundige und fundierte Arbeit, bei der er die Landesinteressen mit Vehemenz vertreten hat.
Wir haben darauf hingewiesen, dass die Umstellung auf den Euro zum 1. Januar dieses Jahres auch zu einem Erfolg für den Europagedanken geworden ist. Vor allem müssen ehrliche Verhandlungen mit den EU-Beitrittskandidaten geführt werden.
Darüber hinaus soll die Reform der EU gerade im Konvent in einer großen politischen Debatte anstatt in geheimer Kabinettspolitik stattfinden. Erwin Teufel ist im Konvent ein wichtiger Vertreter unserer Interessen.
Ferner können die Europawahlen 2004 zu einem politischen Meilenstein werden, insbesondere wenn 25 Länder mit einem gemeinsamen Wahlrecht diese Wahlen durchführen.
Die Reform der EU-Struktur- und -Agrarpolitik an Haupt und Gliedern ist nötig. Gerade die Zeit bis zur nächsten Reform im Jahr 2005 muss jetzt genutzt werden, um eine Reform der EU-Agrarpolitik verstärkt durchzuführen, damit sie uns vor allem wieder Spielräume – national und regional, also auch im Land Baden-Württemberg – eröffnet.
Wir brauchen eine Europafähigkeit als Richtschnur. Wir sollten auch in Brüssel die Aktivitäten bündeln. Dort werden wir ja an einem zentralen Sitz vor Ort präsent sein. Baden-Württemberg in seiner Grenzlage innerhalb Europas kann damit ein europapolitischer Motor in Deutschland sein – vor allem auch über den Ausschuss der Regionen, in dem dieses Parlament, auch vertreten durch das Präsidium, schon viel Einfluss genommen hat.
Es wird auch um Partnerschaften – kommunale Partnerschaften, Städtepartnerschaften, Schulpartnerschaften – als Grundlage eines Europas der Bürger gehen.
Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen, meine Damen und Herren: Wir haben dieses Jahr „50 Jahre Baden-Württemberg“ gefeiert. Aber 1952 ist nicht nur das sehr erfolgreiche Land Baden-Württemberg, sondern auch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, ge
gründet worden. Sie war eine Initiative von Robert Schumann, Jean Monnet und Konrad Adenauer. Europa hat seitdem große Fortschritte gemacht. Wir sind noch nicht am Ziel. Dieses Ziel zu erreichen, ist nun unsere weitere gemeinsame Aufgabe. Dabei sollten wir uns an das Wort von Jean Monnet erinnern: „Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts dauerhaft ohne Institutionen.“
Gehen wir diesen gemeinsamen europäischen Weg weiter – selbstbewusst, aber nicht überheblich, ehrgeizig, aber auch mit Geduld. Dann werden wir dieses Ziel erreichen. Wir werden es bereits morgen mit der öffentlichen Anhörung des Ständigen Ausschusses zum Thema „Konvent zur Zukunft Europas“ weiter angehen.
Ich möchte deshalb abschließend der Landesregierung nochmals für den sach- und fachkundigen Europabericht herzlich danken.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen meines Vorredners waren in geradezu begnadeter Weise unpolemisch.