Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Wir Grünen lehnen aus all den genannten Gründen den vorliegenden Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde zum Gesetzentwurf der Landesregierung sprechen und nicht zu den Gesetzentwürfen, die von den Abg. Bregenzer und Bauer angesprochen wurden, weil ich diese Gesetzentwürfe noch nicht kenne.

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Kennen die Direktoren sie auch nicht?)

Ich komme auf den Gesetzentwurf zu sprechen, denn die dazu von Ihnen aufgestellten Behauptungen, beispielsweise die Behauptung, wir würden über alle Maßen einschränkend und vorschreibend wirken, werden dadurch, dass sie wiederholt werden, nicht wahrer. Aber ich werde es Ihnen im Einzelnen, so es die Zeit zulässt, nahe zu bringen versuchen.

Wir sind uns in dem Ziel einig, dass die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen ein wesentliches Merkmal einer qualitätsorientierten Hochschulpolitik ist. Das heißt, wir wollen eine bessere Koinzidenz zwischen Studierfähigkeit, Studienmotivation und Studienanforderungen erreichen, also das, was man neudeutsch „Matching“ zwischen dem Potenzial der Studierenden und den Anforderungen der Hochschule nennen würde.

Wir wollen auch erreichen, dass es einen Wettbewerb um die Studierenden, das heißt einen Wettbewerb der Lehre gibt – wir haben einen Wettbewerb in der Forschung, aber keinen Wettbewerb in der Lehre –; denn erst Wettbewerb verbessert die Qualität von Angeboten.

Wir wollen auch – dies wurde bereits gesagt – eine bessere wechselseitige Motivation der Studierenden wie der Lehrenden erreichen.

Wir wollen keine Schwächung des Abiturs. Das wird auch keine Folge der verstärkten Selbstauswahl sein. Es wird beim Abitur in Zukunft wieder mehr auf die Inhalte und weniger auf die Noten ankommen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Wahrscheinlich hat der Numerus clausus wie kaum eine Regelung zuvor letztlich das Abitur inhaltlich entwertet und zu einer Veranstaltung gemacht, die auf die Stellen hinter dem Komma, aber nicht auf Bildung abgezielt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Wir müssen eine bessere Examensquote erreichen. Wir haben in Deutschland nicht zu wenig Studierende, sondern wir haben zu wenig Absolventen. Wir brauchen kürzere Studienzeiten. Wir brauchen geringere Abbrecherquoten. Wir

brauchen höhere Examensquoten. Dabei geht es um die Lebenszeit junger Menschen.

(Abg. Zeller SPD: Mehr Studierende brauchen wir auch! Natürlich!)

Es geht aber auch darum, dass sie möglichst frühzeitig in den Arbeitsprozess eingegliedert werden können. Denn wir können uns nicht immer längere Studienzeiten, höhere Abbrecherquoten und frühere Verrentungen bei einer immer weiter zurückgehenden Zahl junger Menschen leisten.

Es geht hier darum, dass wir einerseits über die deutsche Hochschulzugangsberechtigung sprechen, andererseits aber auch über die Zugangsberechtigung von EU-Studierenden, die gleichberechtigt sind, und die Zugangsberechtigung von außerhalb der EU kommender Studierender sprechen. Nach dem Gesetz müssen übrigens Studierende von außerhalb der EU nicht gleich behandelt werden mit Studierenden, die mit einer deutschen Hochschulzugangsberechtigung aus Deutschland kommen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr wohl!)

Die EU-Studierenden müssen gleich behandelt werden. Das ist EU-Recht. Das liegt gar nicht in unserer Kompetenz.

Ich will noch einiges zum Inhalt sagen; denn mir scheint, dass der Inhalt noch nicht von allen hinlänglich verstanden worden ist. Das betrifft den Inhalt beider Teile des Gesetzentwurfs.

Der erste Gesetzesteil betrifft die so genannten Eignungsfeststellungsverfahren, in denen wir 100 % der Studierenden auswählen können. Es ist richtig: Hier muss nicht jeder Studienplatz besetzt werden. Das halte ich aber nicht für einen Rückschritt und nicht für einen Rückfall in die Siebzigerjahre, sondern für einen wesentlichen Fortschritt. Wir können erstmals in Deutschland einen Studienplatz frei lassen, wenn für ihn kein geeigneter Bewerber oder keine geeignete Bewerberin gefunden worden ist. Ich frage mich, wo denn die Logik darin liegt, dass Studienplätze auch mit ungeeigneten Bewerbern besetzt werden müssen.

(Abg. Dr. Klunzinger CDU: So ist es! Genau! Richtig!)

Das ist zwar in Deutschland noch Regel, aber es ist trotzdem nicht vernünftig. International würde es übrigens kein Mensch verstehen, dass man einen Studierenden mit der Mathematiknote fünf im Abitur zum Studium zulassen muss, nur weil ein Mathematikstudienplatz frei ist. Ich halte die nun vorgesehene Regelung für einen wesentlichen Fortschritt und auch für einen wesentlichen Einbruch in die Mentalität, die wir haben.

Bei diesen Studiengängen geht es um relativ wenige Studiengänge, nämlich um Studiengänge, für die das Abitur von vornherein keine hinreichende Vorhersagekraft für die Studierfähigkeit hat. Es ist völlig selbstverständlich, dass wir in Musik, Kunst und Sport auswählen und dass man Praxistests braucht, wenn man Musik studieren will. Die Frage ist, warum das nicht auch für Musikwissenschaft, warum das nicht teilweise für Architektur, warum es nicht für internationale Studiengänge und Sprachkompetenz und warum das

(Minister Dr. Frankenberg)

zum Beispiel nicht auch für Lehramtsstudiengänge gilt. Denn die Qualifikation zum Lehramt ist nicht nur eine Qualifikation, die man über die schulischen Leistungen feststellen kann, sondern die Eignung zum Lehrer und die Eignung für Pädagogik umfasst wesentlich mehr als das, was sich über die Schulnoten feststellen lässt.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Darüber streiten wir ja gar nicht!)

Ich differenziere allerdings, Frau Bregenzer, in den Verfahren, die Sie über einen Kamm geschoren haben. Ihre Kritik richtet sich nämlich relativ undifferenziert auf ein Verfahren, das es in dem Gesetzentwurf so gar nicht gibt.

Der Zwang zur Einrichtung von Eignungsfeststellungsverfahren kann ausgeübt werden, aber er kann nur wenige Studiengänge betreffen, weil dieses schon nach § 27 HRG keine generelle Vorschrift sein kann, sondern das Eignungsfeststellungsverfahren sich eben an besondere Studiengänge richtet. Die Zahl dieser besonderen Studiengänge ist von Hause aus reduziert.

(Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Aber Sie legen fest!)

Wir können, Frau Bauer, dies auch festschreiben und die Hochschulen dazu bringen, solche Verfahren auch in Studiengängen durchzuführen, in denen zunächst über Jahre gar keine durchgeführt worden sind, und zwar nach der Erfahrung, die wir mit den früheren Eignungsfeststellungsverfahren gemacht haben. Wir haben als Landesregierung eine Gesamtverantwortung, genauso wie Sie eine Verantwortung als Parlament haben. Wir haben eine Verantwortung für den Haushalt. Es kann keine völlige Autonomie der Hochschulen geben, solange sie zu fast 100 % staatlich finanziert sind und solange es eine Verantwortung des Parlaments für den Haushalt und eine Verantwortung der Regierung für die Gestaltung der Hochschullandschaft gibt. Es ist eine völlig absurde Vorstellung von Autonomie, zu sagen: Jemand bekommt staatliches Geld und kann damit tun und lassen, was er will.

Der zweite Teil des Gesetzentwurfs betrifft die Erhöhung der Hochschulauswahlquote in Studiengängen mit landesweitem Bewerberüberhang. Dort erhöhen wir die Auswahlquote von 40 % auf 90 %. Hierzu muss man sagen: Diese Auswahl tritt nur in Kraft, wenn ein Numerus clausus beantragt wird. Wenn also ein Numerus clausus beantragt wird, muss auch ein Auswahlverfahren durchgeführt werden. Aber wer keinen Numerus clausus beantragt, muss auch kein Auswahlverfahren durchführen. Insofern ist es eigentlich absurd, hier von Zwang zu sprechen. Dann hat man das System wirklich nicht verstanden. Nur den reinen Numerus clausus wollen wir eben nicht.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Lieber von 300 Stu- denten 100 Plätze überrennen lassen! Das kann doch keine Universität zulassen!)

Wollen Sie dann den reinen Numerus clausus? Wollen Sie das wieder nur nach Abiturnoten machen? Oder wollen Sie eine Regelung entsprechend dem, was Sie selber sagen: dass die Auswahl der bessere Weg ist als der Numerus

clausus? Da müssen Sie sich dann schon entscheiden. Aber ein Zwang wird hier nicht ausgeübt, den Numerus clausus zu beantragen.

Wir haben außerdem in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf die Kombinatorik der Kriterien weitgehend freigegeben. Es gibt erstens bei beiden Verfahren die Möglichkeit – Herr Pfister, Sie haben darauf hingewiesen –, geschichtete Verfahren durchzuführen. Zweitens werden mündliche Auswahlverfahren nicht vorgeschrieben. Es gibt also keinen Zwang zur Anreise, sondern in der Kombinatorik kann das Auswahlgespräch oder können Auswahltests gewählt werden, müssen aber nicht gewählt werden. Hier gibt es eine größtmögliche Regelungsfreiheit für die Hochschulen, aber auch genügend Rechtssicherheit; denn der Hochschulzugang in Deutschland ist ein grundgesetzlich geregelter Tatbestand. Den kann man nicht einfach jeder Beliebigkeit überlassen. Deshalb ist auch die Experimentierklausel, die die SPD vorschlägt, keine Experimentierklausel, die mit dem deutschen Hochschulzugangsrecht in irgendeiner Weise vereinbar wäre.

Wenn Sie, Frau Bregenzer, darüber sprechen, dass es hier – wie haben Sie es ausgedrückt? – einen Zankapfel zwischen den Hochschulen und dem Ministerium gebe, so stehen Sie mit Ihrem Zankapfel relativ allein. Denn es gab zwar Änderungswünsche der Landesrektorenkonferenz – das sind die Rektoren der neun Universitäten –, aber von der Fachhochschulrektorenkonferenz mit Vertretern von 24 Fachhochschulen gab es keine entsprechenden Änderungswünsche, und ich bin jemand, der die Hochschulen insgesamt sieht und unter Hochschulen nicht immer nur Universitäten versteht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Sehr gut!)

Zum Zweiten: Auch die Landesrektorenkonferenz der Universitäten stellt inzwischen fest, dass die Bedenken, die sie gegenüber dem Gesetzentwurf gehabt hat, weitgehend ausgeräumt sind. Sie hätten in der vorigen Woche eine dreiviertelstündige Diskussion in SWR 2 zwischen Herrn Fritsch, einem Experten für Auswahlverfahren, und mir hören können, bei der herauskam, dass die Differenzen zwischen der Landesrektorenkonferenz und dem Ministerium marginal sind und dass die Landesrektorenkonferenz diesen Gesetzentwurf jetzt nachhaltig unterstützt. Es tut mir natürlich Leid, wenn die Opposition keinen Zankapfel mehr findet. Ich weiß aber, dass Sie weiter behaupten werden, dass es einen gäbe, auch wenn keiner existiert.

(Abg. Pfister FDP/DVP zur SPD und den GRÜ- NEN: Ihr schafft wieder einen! – Abg. Pfisterer CDU: Es ist Aufgabe der Opposition, Zankäpfel aufzubauen!)

So ist es.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Der nächste lässt nicht lange auf sich warten!)

Ich bin ja jemand, der sehr viel mit Computern gearbeitet hat, und verstehe, dass es auch virtuelle Zankäpfel gibt.

(Heiterkeit des Abg. Pfister FDP/DVP)

(Minister Dr. Frankenberg)

Das Gesetz wahrt die notwendige Balance zwischen der Eigenverantwortung der Hochschulen, auch mit der Möglichkeit unterschiedlicher Profilierung – im gleichen Fach muss man nicht gleiche Auswahlverfahren wählen –, einerseits und der notwendigen Rechtssicherheit andererseits.

Abschließend möchte ich noch auf die Mentalitätsfrage zu sprechen kommen. In der Tat haben wir, Frau Bauer, seit den Siebzigerjahren eine meiner Ansicht nach großenteils fehlgeleitete Schul- und Hochschulpolitik gehabt. In Deutschland haben wir nämlich über die ZVS eine NCMentalität geschaffen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ja, das stimmt!)

Diese NC-Mentalität, die Numerus-clausus-Mentalität, hat im Grunde genommen das System des Gymnasiums, das System der höheren Schulbildung in seinem Grundgehalt pervertiert,