Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

Das ist der eine Spagat. Der andere Spagat ist, dass Sie zu 80 % Ihrer Redezeit auf Distanz zur Ausstellung gingen. Nochmals: Wer eine Ausstellung hereinholt, wer Veranstalter ist, trägt auch für die Inhalte eine Mitverantwortung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zurufe der Abg. Boris Palmer und Brigitte Lösch GRÜNE)

Aus dieser miserablen Mitverantwortung entlassen wir Sie nicht. Deswegen haben wir den Antrag auf Missbilligung gestellt. Ich glaube, dass das Präsidium bei aller Liberalität und Streitkultur die notwendige und angemessene Form der Würdigung, die Rüge und die Missbilligung, Ihnen gegenüber ausgesprochen hat.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei Ab- geordneten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

(Abg. Alfred Haas CDU: Er freut sich, dass der un- geliebte SPD-Minister Schily in der Ausstellung ist!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann in einer Demokratie und in einem Parlament verschiedentlich gegen Äußerungen von Regierungsmitgliedern oder gegen das, was Regierungsmitglieder im Wahlkreis machen, vorgehen. Eine Möglichkeit ist das, was die Grünen gemacht haben. Sie haben gesagt: Wir holen diese Ausstellung in unsere Fraktionsräume, um der Öffentlichkeit zu zeigen, welche Ausstellung Staatssekretär Mappus in seinem Wahlkreis verhindert hat.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: So ist es!)

Das ist eine der Möglichkeiten, die man im Parlamentarismus ergreifen können muss.

Wir haben eine andere Möglichkeit gewählt. Wir haben einen parlamentarischen Antrag eingebracht, mit dem wir sagen: Wenn ein Regierungsmitglied Zuschussempfängern, die ein soziokulturelles Zentrum betreiben, sagt: „Es wird Folgen haben, wenn diese Ausstellung gezeigt wird“

(Abg. Alfred Haas CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

das ist in der Presse von den Betroffenen deutlich gesagt worden –,

(Abg. Alfred Haas CDU: Das stimmt halt nicht!)

ist das Ausüben eines Drucks, was wir verurteilen. Das ist Zensur, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Flei- scher CDU: Das ist freie Meinungsäußerung! – Abg. Alfred Haas CDU: Das nennen Sie so!)

Ich möchte mich jetzt nicht mit dem Thema „Rechtsradikalismus und CDU“ auseinander setzen. Das möchte ich ausdrücklich nicht tun, weil ich das akzeptiere, was mein Kollege Oettinger für die CDU-Landtagsfraktion gesagt hat. Aber, Herr Oettinger: Es gab im Juni vergangenen Jahres

einen großen Bericht im Fernsehen zum Thema „Rechtsradikale in der CDU – Schloss Weikersheim“.

(Vereinzelt Unruhe bei der CDU)

Ja. – Ich muss Ihnen sagen – nur eine Reminiszenz –: Das Schloss Weikersheim ist vom Land Baden-Württemberg unterstützt worden. Damals, im Juni, gab es CDU-Mitglieder, die gemeinsam mit Rechtsradikalen die Nationalhymne gesungen haben, unter anderem Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für freie Publizistik, die nach dem Verfassungsschutzbericht eindeutig als rechtsextrem eingestuft wird. Ich will nur sagen, dass es offensichtlich auch im Land Baden-Württemberg eine Grauzone gibt. Ich sage aber ausdrücklich nicht, dass es sich hier um Mitglieder Ihrer CDU-Landtagsfraktion handelt. Das ist aber gar nicht das Thema.

(Abg. Fleischer CDU: Eben! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Die Nationalhymne dürfen auch Mitglieder der Landtagsfraktion singen!)

Das Thema ist, dass wir in der Zwischenzeit einen unglaublichen politischen Vorgang haben.

(Zuruf des Abg. Herrmann CDU)

Das Oberschulamt Freiburg zum Beispiel hat diese Ausstellung ausdrücklich empfohlen. Als Frau Ministerin Schavan bei einem Empfang in Nordbaden war und massiv geäußert hat, das könne doch nicht sein, hat das Oberschulamt Karlsruhe einer Schule verboten, diese Ausstellung zu zeigen. Das verstehen Sie unter einer liberalen Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren: reformfeindlich und dann noch zensurgeil zu sein. Das ist das Problem in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Wider- spruch bei der CDU – Abg. Blenke CDU: Ist das alles, was Ihnen einfällt?)

Natürlich, das ist das Problem.

Diese Ausstellung ist schon in 84 Städten gezeigt worden, unter anderem auch in Schweinfurt. Da hat sie der CSUOberbürgermeister eröffnet. Darüber muss man doch einmal nachdenken. Sie, Herr Mappus und Herr Oettinger, haben mit Ihrer Aktion dieser Ausstellung in Baden-Württemberg eine Publizität gegeben, die sie sonst nie bekommen hätte!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Auf genau zwei Tafeln – auf zwei Tafeln! – dieser Ausstellung geschieht Folgendes – und das muss man der Öffentlichkeit auch deutlich sagen –: Auf genau zwei Tafeln wird Bezug genommen auf CDU, CSU und den SPD-Innenminister Schily. Auf beiden Tafeln geht es um Ausländerpolitik und um Zuwanderung sowie um die Frage, ob politische Aussagen von Parteien des demokratischen Spektrums letztlich möglicherweise Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung hervorrufen könnten. Das wollen zwei Tafeln zeigen.

Unter dem Titel „Grauzone“ ist ein Infostand der CDU Berlin gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu sehen, auf ei

ner Tafel zum Thema „Feindbilder“ finden sich insgesamt nicht ganz unumstrittene Zitate von Otto Schily: „Die Grenzen der Belastbarkeit Deutschlands bei der Zuwanderung sind überschritten“ – so wird er zitiert; das hat er auch gesagt –, von Jörg Schönbohm: „Die Zeit der Gastfreundschaft ist vorbei“, von Günther Beckstein: „Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnutzen, und mehr, die uns nützen.“

(Abg. Alfred Haas CDU: Jawohl! – Weitere Zurufe von der CDU, u. a.: Da hat er Recht!)

Sie sollten immer überlegen, ob solche Sprüche bei einem Teil der Bevölkerung in Deutschland nicht zu Konsequenzen führen. Ich wollte das bloß sagen. Auch das, was Sie, Herr Haas, gerade gesagt haben, trägt nicht zu dem Eindruck bei, dass auf dieser Tafel der Ausstellung möglicherweise etwas falsch dargestellt wird.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Sehr richtig!)

Ferner findet sich auf dieser Tafel das unvergessene Zitat aus der Kampagne von Jürgen Rüttgers: „Kinder statt Inder“. „Auch die NPD knüpft an diese CDU-Kampagne an“, heißt es dazu im Text, und wie, zeigt ein Foto einer Demo: „Deutschlands Zukunft sind die Kinder, nicht die Schwulen und die Inder“, heißt es auf dieser NPD-Parole.

Auch wir verurteilen natürlich, dass das Zitat „Das Boot ist voll“ und das Zitat „Die Zuwanderung hat die Grenze überschritten“ in diesem Bild auftauchen. Das sagen auch wir, und wir distanzieren uns davon. Aber es kann doch deswegen nicht sein, dass die SPD-Fraktion jetzt im ganzen Land eine Ausstellung verhindern wollte, die versucht, das alles im Gesamtkontext darzustellen. Das muss doch eine demokratische Partei aushalten, dass sie sich dazu bekennt und die Auseinandersetzung sucht!

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Flei- scher CDU: Sie sind ein politischer Masochist!)

Ich bin überhaupt kein politischer Masochist! – Ich hätte mir vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion gewünscht, dass er, als Otto Schily auf anderer Ebene massiv angegriffen wurde, hier hingestanden wäre und Otto Schily verteidigt hätte. Das wäre ein Maßstab gewesen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Man kann SPD-Politiker nicht immer dann heranziehen, wenn man sie gerade braucht – da gefallen sie einem, und da verteidigt man sie –, und ihnen zu einem anderen Zeitpunkt auf die Rübe hauen. Das geht nicht!

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Noch einmal: Wer eine Ausstellung macht, muss sich nicht mit allem identifizieren. Wir haben eine andere Auseinandersetzung gesucht. Wir haben in diesem Fall einen parlamentarischen Antrag eingebracht; über den werden wir noch diskutieren. Aber die CDU-Landtagsfraktion und auch die Fraktion der FDP/DVP sollten sich überlegen, was gerade in den Schulen jetzt mit dieser Ausstellung passiert: Auf der einen Seite wird sie pädagogisch hoch bewertet, und zwar von Fachleuten, die sagen: Holt sie in die Schu

len, diskutiert mit euren Kindern über die Frage Rechtsradikalismus, antijüdische Hetzkampagnen usw. Selbstverständlich werden die Tafeln den Schülerinnen und Schülern dann auch argumentativ erklärt. Im gesamten Schulbereich wäre das möglich. Kaum kommt aber ein Mitglied der Landesregierung und sagt seine Meinung, schließt sich Frau Schavan an, geht nach Nordbaden, hält eine Neujahrsrede, und anschließend sagt der Oberschulamtspräsident: Liebe Freunde, das läuft nicht.

Und was sagt ein Schulleiter, der die Ausstellung zeigen wollte? Ich lese das einmal vor. Das muss man sich einmal vorstellen, was in einem demokratisch verfassten Staat möglich ist. Da heißt es:

... Hebel-Gymnasium, Thomas Paeffgen,... auch auf Intervention des Karlsruher Oberschulamts hin die Pläne begraben musste, die Ausstellung im Unterricht den Schülern zugänglich zu machen. „Als Beamter bin ich gebunden“, sagte Paeffgen, der Wert auf ein liberales und demokratisches Klima in seiner Schule legt. Er plant nun mit seinen Schülern einen Besuch in der Stadtkirche, wo die Schau vom 10. Februar an gezeigt wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gott sei Dank gibt es noch Kirchen,

(Beifall bei der SPD)

die hinstehen und diese Ausstellung zeigen!

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Carla Bregenzer SPD: Genau!)

Wir verstehen das Zeigen der Ausstellung in den Fraktionsräumen der Grünen nicht so, wie Herr Oettinger es bezeichnet hat: dass die Grünen damit alle Fraktionen – auch nicht die SPD mit dem Ausspruch Schilys, auch nicht die CDUFraktion in diesem Hause – in eine Grauzone stellen wollen. Wir verstehen dies vielmehr als eine Aktion des Protests gegen die Haltung von Mitgliedern der Landesregierung, die diese Ausstellung in Baden-Württemberg mit politischer Macht unterbinden will. Das ist eine Form des Ausdrucks.

(Abg. Fleischer CDU: Rabulistik!)

Wir haben eine andere; wir werden noch unseren parlamentarischen Antrag diskutieren. Beides muss in einem demokratischen Rechtsstaat liberaler Prägung möglich sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.