Da bahnt sich nämlich – das muss man doch ganz klar sagen – nach dem Modell der überbetrieblichen Ausbildungsstätten wieder etwas völlig Neues an.
Wo kann die Lösung liegen? Es gibt wenige Positivbeispiele. Nach vierjährigen Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Bund über die Regelung des öffentlichen Personennahverkehrs ist es allein deshalb, weil die Deutsche Bahn diesen defizitären Bereich wegbringen wollte – aus keinem anderen Grund; sonst hätte der Bund keine Kompetenzen abgegeben –, dazu gekommen, dass die Länder die volle Kompetenz für den öffentlichen Personennahverkehr übernommen haben. Und sie haben genauso viele Mittel aus dem Bundeshaushalt bekommen, wie der Bund vorher für den öffentlichen Personennahverkehr ausgegeben hat. Die Finanzverantwortung war also identisch – wie das der Kollege Maurer vorhin auch gefordert hat – mit der Zuständigkeit.
Wir haben mit dem Geld, das wir vom Bund bekommen haben, inzwischen für Baden-Württemberg ein um 34 % größeres Angebot im öffentlichen Personennahverkehr – mit dem gleichen Geld wie vorher! Deswegen: Föderalismus ist effizienter als Zentralismus.
Für das Thema, das uns morgen hier und derzeit in der Bund-Länder-Beziehung beschäftigt, könnte doch das ein Modell sein, was wir beim Personennahverkehr hatten. Der Bund erkennt an, dass beispielsweise Ganztagsschulen Länderangelegenheit sind, unzweifelhaft, und er will das unterstützen. Dann muss er es eben genauso machen, wie wir es mit den Kindergärten gemacht haben,
indem wir die Verantwortung, die Kompetenz und die volle Summe, die im Landeshaushalt war, auf die Kommunen übertragen haben. Beim Personennahverkehr ist genau das
Gleiche geschehen. Der Bund soll uns die Mittel geben, und wir werden es dann besser machen als der Bund mit engen Richtlinien, die ein Bundesministerium aufstellt.
Man muss aber auch etwas sehr Selbstkritisches sagen; das ist auch von einem Vorredner angesprochen worden. Dort, wo die Länder die Vollkompetenz haben, gehen wir in zwischenstaatliche Gremien mit den anderen Ländern hinein.
Ministerkonferenzen. Das erste Beispiel ist die Kultusministerkonferenz. Dort ist es besonders schlimm. Aber dafür habe ich noch ein bisschen Verständnis, und zwar aus folgendem Grund: Jedes Jahr ziehen 300 000 Kinder mit ihren Eltern von einem Bundesland in ein anderes. Deswegen müssen wir ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit im Schulsystem haben, weil sonst die Kinder die Leidtragenden wären. Ich möchte jetzt nicht dem Zentralismus das Wort reden und sagen, die Kultusministerkonferenz müsse alles einheitlich regeln. Aber dahinter sehe ich wenigstens noch einen Sinn.
Aber ich bin der Meinung, die Länder müssen mehr Mut zur Selbstständigkeit in den Bereichen haben, in denen sie die Kompetenz haben.
Ich habe vor einigen Jahren das Thema der Ländergremien und teilweise auch der Bund-Länder-Gremien aufgeworfen und bin auf die tausend gekommen, die Sie, Herr Kretschmann, vorhin angesprochen haben. Seit fünf Jahren bin ich nun dran: Bohren harter Bretter, kann ich nur sagen. Wir haben die Zahl um ein Drittel reduziert, aber nach meiner Meinung müssten wir sie auf 10 % reduzieren. Am Ende werde ich noch bestimmen, in welche Gremien baden-württembergische Beamte entsandt werden und in welche nicht, wenn wir nicht zu einer Übereinkunft über eine weitere radikale Reduzierung dieser Gremien kommen.
Auch dafür liefere ich Ihnen Beispiele. Ich habe vorhin unter dem Beifall des Hauses gesagt, das Baugesetz regele alle Details. Die Landesbauordnungen sind so zustande gekommen, dass die Referenten aus den Bauministerien der Länder wirklich wöchentlich zusammenkamen und dann einen Musterentwurf – so hieß er – für eine Landesbauordnung erarbeitet haben. Der ist dann in die Landtage der deutschen Länder eingebracht worden, und wenn Sie synoptisch die Landesbauordnungen vergleichen, können Sie in 95 % aller Fälle Übereinstimmung feststellen. Was nützt es dann, wenn wir beispielsweise fordern, dass die Rahmengesetzgebung gestrichen wird und wir die Kompetenz bekommen, wenn man es nachher trotzdem in allen 16 Län
dern gleich macht? Dann muss man halt unter Umständen hinnehmen, dass der Grenzabstand zwischen zwei Gebäuden in Niedersachsen ein anderer ist als in Baden-Württemberg. Wenn man sagt, das sei nicht zumutbar in Deutschland, dann muss man einen Zentralstaat machen. Das ist keine Frage.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Kretschmann GRÜNE – Abg. Drexler SPD: Dass der Handtuch- halter höher ist!)
Ich möchte noch etwas zu den handelnden Personen sagen, und zwar völlig unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit. Ich kann nur sagen, da kann man interessante Beobachtungen machen bei CDU-, FDP- und Grünen-Landespolitikern, die in die Bundespolitik gegangen sind. Bei der SPD können Sie es im Augenblick beim Kollegen Eichel feststellen, der als einziger SPD-Ministerpräsident vor vier Jahren noch eine gemeinsame Initiative von Bayern und Baden-Württemberg für eine nennenswerte Reduzierung der Bundeskompetenzen unterschrieben hat. Jetzt ist er Bundesminister. Ich beobachte das im Augenblick mit großem Interesse auch beim Kollegen Clement, der auch ein ganz überzeugter Föderalist gewesen ist. Mir fällt dazu nur der Taufspruch von Chlodwig ein – den sage ich auch jedem –:
Beuge dein Haupt, du stolzer Sigambrer. Verbrenne, was du angebetet hast, und bete an, was du verbrannt hast.
Genau so verhalten sie sich. Alles, was sie zuvor angebetet haben, verbrennen sie, sobald sie die Seite gewechselt haben, und das, was sie zuvor verbrannt haben, beten sie an. Der Volksmund in Deutschland hat das in das schöne Sprichwort gefasst: „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’.“
(Abg. Dr. Reinhart CDU: Cuius regio, eius religio! – Gegenruf des Abg. Fleischer CDU: Kleines Lati- num!)
Genau das beobachte ich. Deswegen sage ich: Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Sie werden in Lübeck das erste Problem erleben – ich sage nicht „Sie“ –, wir werden in Lübeck das erste Problem erleben, wenn einzelne Länder sagen: „Wettbewerbsföderalismus ist gut für diejenigen, die ihn machen können, aber wir sind auf die Bundeszuschüsse angewiesen.“
Die zweite bittere Erfahrung werden Sie machen, wenn Sie sehen, dass man für jede Veränderung die Zustimmung – zum Teil sogar die verfassungsändernde Mehrheit – des Deutschen Bundestags braucht.
Ich möchte nur sagen: Man darf diese Gesichtspunkte nicht übersehen. Man geht einen schweren Gang. Ich rate trotzdem sehr dazu – ich glaube, dass der Kairos im Augenblick besonders günstig ist –, die Gelegenheit zu nutzen. Wir sind auf Ihrer Seite.
Es ist auch zu Recht angesprochen worden: Wenn man schließlich die Kompetenz und die Zuständigkeit für eine Frage hat und dann in schlechthin allen Bereichen Finanzausgleiche schafft, ja was bleibt da tatsächlich übrig? Vor fünf Jahren hat es noch keinen Risikostrukturausgleich gegeben. Heute gibt es nicht nur einen Risikostrukturausgleich. Heute ist die Summe des Krankenkassenrisikostrukturausgleichs höher als die Summe, die im klassischen Länderfinanzausgleich umverteilt wird. Man muss sich einmal vor Augen führen, was da innerhalb von fünf Jahren passieren kann. Jedes Jahr geht es weiter in diese Richtung. Inzwischen sind wir so weit, dass beispielsweise die AOK Sachsen jetzt zum zweiten Mal ihren Beitragssatz gesenkt hat – er liegt nun bei 12,9 % –, während der Beitragssatz der AOK Baden-Württemberg 14,2 % beträgt.
Diejenigen, die die Leistungen empfangen, sind also besser dran als diejenigen, die bezahlen. Das ist doch eine perverse Situation.
Sie entspricht auch der totalen Nivellierung im Länderfinanzausgleich. Ich erwähne das nur. Ich bin nicht dafür, dass wir jetzt die Verhandlungen,
die wir alle anstreben, mit der Frage Risikostrukturausgleich oder einer Neuauflage des Länderfinanzausgleichs belasten. Die Probleme sind schwierig genug.
Kollege Maurer hat davon gesprochen, dass ein SchwarzerPeter-Spiel gespielt werde, wenn es um die Zuordnung der Verantwortung bei Mischzuständigkeiten gehe. Ich teile diese Auffassung in vollem Umfang. Es ist nach dem Grundrechtsteil etwas vom Wichtigsten in einer Verfassung, dass man klar sagt, wer wofür zuständig ist und dafür dann auch die Verantwortung trägt, sodass Verantwortung aus der Sicht des Bürgers klar zugeordnet werden kann.
Das habe ich im Rahmen der ersten Debatte im Verfassungskonvent gesagt. Sie konnten anschließend in unseren Zeitungen lesen, dass ich bei vielen auf blankes Unverständnis
gestoßen bin – auf blankes Unverständnis! Heute sind wir immerhin so weit, dass wir – seit einer Woche sogar ausformuliert – einen Verfassungsartikel „Ausschließliche Kompetenzen der EU“, einen Verfassungsartikel „Gemischte Kompetenzen der EU“ und einen Verfassungsartikel „Ergänzende Kompetenzen der EU“ haben. Endgültig beurteilen kann man das Ganze erst, wenn man den zweiten Teil, in dem es um die einzelnen Politikbereiche geht, wirklich kennt.