Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

gestoßen bin – auf blankes Unverständnis! Heute sind wir immerhin so weit, dass wir – seit einer Woche sogar ausformuliert – einen Verfassungsartikel „Ausschließliche Kompetenzen der EU“, einen Verfassungsartikel „Gemischte Kompetenzen der EU“ und einen Verfassungsartikel „Ergänzende Kompetenzen der EU“ haben. Endgültig beurteilen kann man das Ganze erst, wenn man den zweiten Teil, in dem es um die einzelnen Politikbereiche geht, wirklich kennt.

Ich habe auch gesagt – da bin ich auf noch größeres Unverständnis gestoßen –, dass wir in wenigen Bereichen auch eine Negativabgrenzung brauchen. Auch das kommt.

Die europäische Ebene kann nicht kommunale Selbstverwaltung regeln, aber die europäische Ebene muss einmal sagen, was kommunale Selbstverwaltung auch für Europa bedeutet, und muss sagen, dass das selbstverständlich in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten bleibt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Regelung des inneren Staatsaufbaus muss Sache der Mitgliedsstaaten bleiben, und das muss irgendwo stehen. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist der einzige Bereich, bei dem man sich im Parlamentarischen Rat die Zähne ausgebissen hat, sodass man deswegen auf die Verfassungsbestimmungen der Weimarer Republik verwiesen und diese ins Grundgesetz übernommen hat. Wollen wir bei 25 Staaten der Europäischen Union glauben, dass wir zu einer einheitlichen Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche kommen? Auch da muss beispielsweise gesagt werden, dass das selbstverständlich in der Zuständigkeit der Mitgliedsländer bleibt.

Dann haben Sie, Herr Kollege Maurer, den Satz zitiert, den ich hier in der Tat mehrfach zitiert habe – er stammt von Daniel Bell –: Der Nationalstaat ist für die Lösung der großen Probleme zu klein, und er ist für die Lösung der kleinen Probleme zu groß. Es gibt, finde ich, keine kürzere Formel für das, was die Überzeugung von Leuten ist, die sich für Europa einsetzen, weil es unglaublich viele Aufgaben gibt, für die heute der Nationalstaat zu klein ist. Aber der zweite Teil des Satzes von Daniel Bell ist natürlich genauso wichtig und richtig: Der Nationalstaat ist für die Lösung der kleinen Probleme zu groß. Er ist zu weit weg. Die kleinen Probleme sind nicht die niedlichen, die zu vernachlässigenden Probleme, sondern das sind die Probleme, die dem Bürger am nächsten liegen, die über seine Lebensqualität entscheiden. Deswegen hat die kommunale Selbstverwaltung und haben die Regionen Zukunft.

Ich spreche das an, Herr Kollege Maurer, wobei Sie und ich es da verhältnismäßig leicht haben. Ich bin auf Landesebene politisch tätig und im Augenblick zusätzlich für eine begrenzte Zeit auf europäischer Ebene, und Sie sind auf Landesebene tätig und morgen wahrscheinlich auf europäischer Ebene. Aber man darf die Rechnung nicht ohne den Wirt machen, und der Wirt ist der Deutsche Bundestag, und der Deutsche Bundestag hat auch zahlreiche Kompetenzen an die europäische Ebene verloren.

(Abg. Drexler SPD: Und kriegt nichts!)

Der Deutsche Bundestag wird sich an unglaublich viele Dinge klammern, mit allem Nachdruck klammern, die heute in dieser Entschließung drinstehen und die heute als Beispiele angesprochen worden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Drexler SPD: Sonst wird er bedeutungslos! – Abg. Pfister FDP/DVP: Natürlich! Das ist doch klar! Das ist das Hauptproblem!)

(Ministerpräsident Teufel)

Deswegen werden wir viel zu tun haben. Nachdem hier ein so großer Konsens besteht, was auch nicht selbstverständlich, sondern ganz und gar erfreulich ist, wird die Hauptaufgabe der SPD Baden-Württembergs darin liegen, die Verantwortungsträger ihrer Partei auf Bundesebene zu überzeugen. Die Aufgabe der Grünen in Baden-Württemberg wird es sein, ihre Verantwortungsträger auf Bundesebene zu überzeugen. Die Aufgabe der FDP und der CDU in BadenWürttemberg wird es sein, ihre jeweils eigenen Parteifreunde auf Bundesebene zu überzeugen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Grundgesetzänderung! Nichts anderes! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Kollege Kretschmann, Rezzo ist überflüssig!)

Aber wir bringen tatsächlich nichts fertig. Deswegen ist da eine gewaltige Überzeugungsarbeit zu leisten.

Herr Kollege Pfister, Sie haben die Friedrich-NaumannStiftung angesprochen. Ich muss hier einmal sagen: Niemand hat in den letzten zehn Jahren besser und deutlicher die Theorie des Föderalismus und der Subsidiarität formuliert als die Naumann-Stiftung, und zwar in einer ganzen Reihe von Gutachten. Das muss ich einmal sagen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Was ist mit der Konrad-Adenauer-Stiftung?)

Wenn man das als Grundlage für eine Neuordnung nähme, wäre das außerordentlich erfreulich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Herr Pfister und Herr Kretschmann haben einen bemerkenswerten Satz gesagt, nämlich dass Föderalismus mit Sicherheit eine bessere Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zustande bringe als der Zentralstaat. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Deswegen fällt das Hauptargument, das immer gegen eine föderative Ordnung vorgebracht wird, tatsächlich weg.

Herr Pfister hat auch gefragt: Brauchen wir ein Bundeshochschulgesetz? Nach meiner Meinung brauchen wir es nicht. Er hat auch ein Beispiel gebracht. Nun kann man wirklich mit guten Gründen gegen Studiengebühren sein.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Natürlich! Aber das ist nicht der Punkt!)

Es gibt in allen Parteien Befürworter und Gegner von Studiengebühren, und es gibt auch Argumente dafür und dagegen. Aber gerade deshalb wäre es doch vernünftig, man würde sie einmal in einem Land, das mutig genug dafür ist, einführen und die Entwicklung drei oder vier Jahre beobachten. Dann könnte man sie in weiteren Ländern einführen, oder man wäre durch das Experiment in dem einen Land so geheilt, dass es gar kein anderes Land mehr macht.

(Zurufe der Abg. Pfister FDP/DVP und Carla Bre- genzer SPD)

Das wäre doch vernünftiger, als dass man auf Bundesebene sagt: „Das findet nicht statt.“ Das muss man doch nun wirklich sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Wir schaffen den Bundestag ab! Dann haben wir das Problem gelöst!)

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend noch einmal sagen: Die Landesregierung bemüht sich intensiv. Sie nimmt die Interessen des Landes und auch des Landtags in vollem Umfang wahr, und zwar nicht nur auf der nationalen Ebene, sondern auch auf der europäischen Ebene. Wir müssen die Potenziale des Föderalismus neu erschließen. Dabei darf ich auf ein Papier hinweisen, das ich auch an Sie, Herr Landtagspräsident, verschicke.

Im Übrigen möchte ich mit aller Anerkennung sagen, dass Sie unter den 16 Landtagspräsidenten der sind, der dieses Thema Föderalismus unablässig angesprochen hat. Wenn wir nun so weit sind, wie wir heute sind, dann ist das auch mit Ihr Verdienst. Das muss ich auch einmal sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD)

Ich schicke Ihnen einmal ein 50-seitiges Papier, das wir – mehrere Ministerpräsidenten – vor genau vier Jahren in Freising verabschiedet haben. Dann werden Sie sehen, wie aktuell das noch ist.

Wenn Sie fragen: „Warum ist man nicht weitergekommen?“, sage ich Ihnen: Jeder Ministerpräsident in der Ministerpräsidentenkonferenz schwört mit der rechten Hand auf den Föderalismus, und mit der linken Hand blättert er in der Vorlage, wie viel ihn etwas kostet oder wie viel es ihm bringt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Danach hebt er hinterher den Finger hoch, oder er lässt ihn unten. Das ist die tatsächliche Situation.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Spruch des Tages!)

Deswegen haben wir ein gewaltiges Stück Arbeit vor uns.

Herr Kretschmann, Sie sagten, wir müssten die Öffentlichkeit und die anderen von den Vorzügen des Föderalismus überzeugen. Sie haben auch gesagt, dass der Föderalismus in Europa auf dem Vormarsch sei. Beides ist wahr. Aber nun muss ich Ihnen ein hochinteressantes Erlebnis berichten, das ich vor 14 Tagen im französischen Senat im Gespräch mit Senatoren und im Gespräch mit mehreren Ministern der französischen Regierung in Paris hatte und das uns bei dem Thema, das wir heute besprechen, zum Nachdenken zwingt. Die Senatoren und Minister waren alle auf kein Thema gespannter als auf das Thema der föderativen Ordnung bei uns, denn sie wollen sogar eine Verfassungsänderung mit einer stärkeren Dezentralisierung vornehmen. Jetzt kommt der Satz, den ich für bemerkenswert halte. Da hat ein Senator gesagt: „Diejenigen, die für eine föderative Ordnung bei uns sind, beziehen sich immer auf das Beispiel Deutschland. Und diejenigen, die gegen eine Veränderung sind, beziehen sich auch auf das Beispiel Deutschland.“

(Heiterkeit)

(Ministerpräsident Teufel)

Deswegen, glaube ich, haben wir allen Grund, knapp 55 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes mit der Erfahrung, die wir alle mit der Verfassungswirklichkeit in Deutschland gemacht haben, nun auch an eine grundlegende Reform zu gehen, damit das Modell auch für die Nachbarländer noch attraktiver wird.

Ich möchte auch noch eine positive Erfahrung nennen. Ich glaube, dass es für einen Staat ein Vorteil ist, wenn er bei der Lösung eines Problems nicht nur einmal, sondern 17mal Fachkunde durch qualifizierte Beamte und Minister hat. Damit möchte ich nicht sagen, dass es bei 16 Ländern bleiben muss. Das möchte ich damit nicht sagen. Dieser Überzeugung würden beispielsweise auch acht Länder plus der Bund, also neunmal Sachverstand, gerecht. Das ist keine Frage.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist leider so! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Man könnte ja die Pfalz doch noch in das Saarland integrieren!)

Aber ich verschwende dafür keine Zeit, obwohl ich eine Länderneugliederung für zwingend nötig hielte, weil ich es aus zwei Gründen für völlig unrealistisch halte, über eine Länderneugliederung zu diskutieren mit der Zielsetzung, dass man Erfolg hat.

Der erste Grund ist: Der einzige Punkt, bei dem das Grundgesetz eine Volksabstimmung vorsieht, ist eine Länderneugliederung.

Der zweite Grund: Auf der Grundlage einer Klage von Bremen und dem Saarland vor über zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht eine Grundfinanzierungsgarantie für alle Länder abgegeben. Jetzt frage ich mich: Was soll einen Bürger des Saarlands oder eines anderen Landes veranlassen, für die Zusammenlegung mit einem anderen Land zu stimmen, wenn im Grunde eine Finanzierungsgarantie für jedes Land besteht? Damit ist der einzige denkbare Grund, der eine Mehrheit von der Zusammenarbeit überzeugen könnte, weggefallen.

Meine Damen und Herren, es ist des Schweißes der Edlen wert,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Jawohl!)

gerade von Landespolitikern, die Erfahrungen nun zu nutzen, die Kräfte zu bündeln, Überzeugungsarbeit nicht nur in diesem Haus, sondern gerade außerhalb dieses Hauses zu leisten. Wenn wir nur einen Teil von dem erreichen, was wir uns jetzt vorgenommen haben, dann haben wir den Föderalismus gestärkt und den Bürgern genutzt. Davon bin ich überzeugt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP/DVP und der Fraktion GRÜNE, Drucksache 13/1796. Wer diesem Antrag zu

stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. Ich bedanke mich.