Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

(Abg. Capezzuto SPD: Natürlich nicht!)

Wir haben versprochen, in den nächsten zehn Jahren 10 000 neue Pflegebetten bereitzustellen, haben aber bereits jetzt bis zum Jahr 2005 ein Deckungsdefizit von 20 Millionen €.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Ich komme noch einmal auf den Ausgangspunkt zurück. Im Landtagswahlkampf wurde versprochen, die Förderung um 50 % aufzustocken.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das stimmt doch nicht! Das stimmt doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Fischer SPD: Natürlich, Haas!)

Auch dieses Ziel ist bei weitem noch nicht erreicht. – Das stimmt.

Wenn Sie das also wollen, müssen Sie sich vor dem Hintergrund der aktuellen Spardebatte auch überlegen, wie Sie eine andere Förderung entsprechend finanzieren wollen. Ich möchte an dieser Stelle auch noch sagen, dass Herr Wieser erwähnt hat: Wir sorgen dafür, dass unsere alten Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben können.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist so!)

Ich glaube, auch dies ist unser gemeinsames Anliegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, auch dazu bedarf es aber bestimmter Strukturen, zum Beispiel Beratungsstellen, an die sich die Angehörigen wenden können. Sie wissen, dass mit dem Pflegeleistungsergänzungsgesetz solche Möglichkeiten zum Teil geschaffen wurden. Das Land konnte sich bisher noch nicht dazu durchringen, die Mittel in gleicher Höhe in den Haushalt einzustellen. So, wie ich die aktuelle Spardiskussion begreife, wird dies auch in Zukunft nicht geschehen, sondern genau das Gegenteil passieren. Die Fördermittel für die zentrale Wohnberatungsstelle werden gestrichen, eine Stelle, die gerade dafür sorgt, dass der Grundsatz „ambulant vor stationär“ aufrechterhalten werden kann. Ich frage Sie: Wie kann man Fördergelder für eine solche Stelle streichen und hier gleichzeitig sagen: „Wir wollen, dass die alten Menschen zu Hause versorgt werden können“?

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erhält Frau Abg. Lösch.

(Abg. Hauk CDU: Jetzt kommt die Bahre und dann die Wiege! – Abg. Wieser CDU: Jetzt kommt die Junge! Aber die wird hoffentlich auch einmal äl- ter!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation der älteren Menschen in Baden-Württemberg ist Thema dieser Aktuellen Debatte. Ich glaube, dass wir uns alle in den letzten Wochen mit dem Thema „Auswirkungen der demographischen Entwicklung“ beschäftigt haben und von daher alle für dieses Thema sehr sensibilisiert sind. Dr. Noll hat es vorhin erwähnt: Wenn man die demographische Entwicklung betrachtet, sieht man, dass schon im Jahr 2000 zum ersten Mal mehr über 60-Jährige als unter 20-Jährige lebten. Daran wird auch klar, dass dieses Thema auf alle anderen Bereiche Einfluss haben wird.

Ich finde es sehr bemerkenswert, dass Deutschland eine der schnellstalternden Gesellschaften der Welt ist und – was auch völlig neu ist – dass es in der Gesellschaft einen Alterungsprozess gibt. Das gab es vorher noch nie.

(Abg. Hauk CDU: Da zählen die Kinder! Wie viele haben Sie?)

Da spielt die Nettoreproduktionsrate, Herr Kollege Hauk, keine Rolle, und da spielt auch die Zuwanderung keine Rolle; denn dieser Alterungsprozess kann im Endeffekt nicht mehr aufgehalten werden. Es ist also klar, dass dies Auswirkungen haben wird – die Stichworte sind genannt – auf die Erwerbstätigkeit, die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und natürlich auch auf die Strukturreform der Gesundheitssysteme. Altenpolitik ist aber mehr. Altenpolitik ist mehr als Pflegeversicherung und Rente. Altenpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche der Politik einschließt.

(Beifall bei den Grünen, der SPD und der FDP/ DVP)

In Würde alt werden hat für uns oberste Priorität: Das heißt Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, das heißt Mobilität, das heißt, bis ins hohe Alter ein selbstständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen, das heißt altengerechte Wohnungen, das heißt mobile Hilfsdienste, das heißt auch ein altenund behindertengerechter ÖPNV mit wohnortnahen Haltestellen. Dies alles bedeutet in Würde alt werden. Das heißt, dass sich immer mehr Strukturen, immer mehr Einrichtungen, immer mehr Dienste auf die Interessen der alten Menschen einstellen müssen.

Die alten Menschen sind als Kunden entdeckt worden. Die Werbung hat sie als neue Zielgruppe entdeckt. Ich glaube, schon da zeigen sich auch die verschiedenen – –

(Abg. Wieser CDU: Die Grünen werden auch im- mer älter!)

Auch die Grünen werden älter.

(Abg. Wieser CDU: Keine Jungen mehr!)

Deshalb wählen fast schon mehr Ältere die Grünen als die CDU, Herr Wieser.

(Abg. Hauk CDU: So weit ist es noch nicht! Rela- tiv! So weit sind wir noch nicht! – Unruhe bei der CDU)

Auf jeden Fall haben wir, relativ gesehen, bei den Älteren, aber auch bei den Jüngeren einen größeren Zuwachs.

(Abg. Hauk CDU: Aber keine Jungen mehr!)

Das können wir nachher besprechen.

Auf jeden Fall zeigen sich schon da die verschiedenen Facetten, die das Alter auch beinhaltet.

(Abg. Dr. Birk CDU: Der Wieser ist uns auch nicht immer grün!)

Jeder kennt wahrscheinlich die Frage: Was will jeder werden, aber niemand sein? – Alt. Alt will jeder werden, aber alt sein will keiner. Schon da zeigt sich im Endeffekt die Doppelwertigkeit, die das Alter für die meisten Menschen hat.

In der Diskussion über die demographische Entwicklung wird immer gern der Kampf der Generationen heraufbeschwo

ren. Ich glaube nicht, dass wir einen Kampf der Generationen haben. Ich glaube eher, dass es schädlich ist, die eine Generation gegen die andere ausspielen zu wollen.

Wir Grünen stehen für nachhaltige Reformen, wir Grünen stehen für eine Generationengerechtigkeit. Das heißt, dass man Reformen nur miteinander und nicht gegeneinander durchführen kann.

Wir wollen das Alter auch nicht nur unter defizitären Vorzeichen sehen, die mit krank und verbraucht zu tun haben. Wenn alle gesellschaftlichen und medizinischen Bemühungen um eine höhere Lebenserwartung einen Sinn haben sollen, braucht man eine positive Bewertung von Alter, mit Erfahrungsreichtum in Beruf und Familie, mit Erinnerung und mit neuen Formen des bürgerschaftlichen Engagements, wo ältere Menschen besonders aktiv sind.

Trotz dieser positiven Aspekte des Alterns darf man nicht vergessen, dass Alter in der Tat natürlich auch etwas mit Hochaltrigkeit zu tun hat, mit gesundheitlichen Einbußen, auch mit nachlassender Leistungsfähigkeit.

Die Sozial- und Gesundheitspolitik hat sich viele Jahre eigentlich nur auf zwei Aspekte in der Altenpolitik eingestellt. Das waren „Fit sein bis ins hohe Alter“ und, wenn es dann nicht mehr geht, „Ab ins Heim“.

Ich glaube, dass man beim Thema Pflegeheim auf einen Punkt aufmerksam machen muss, der in seiner Konsequenz bisher noch nicht ganz erkannt wurde. Herr Wieser hat das vorhin angesprochen,

(Abg. Dr. Birk CDU: Wieser hat es erkannt!)

aber er konnte ja seine kluge Rede noch nicht ganz zu Ende führen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Das kommt im zweiten Teil!)

Von daher weiß ich nicht, ob er das Gleiche gemeint hat.

(Abg. Wieser CDU: Vielleicht werde ich am Ende schlechter beurteilt!)

95 % der über 65-Jährigen leben in Privatwohnungen. Beim Stichwort Alter denken ja viele sofort ans Altersheim und nicht daran, dass 95 % zu Hause leben. Viele der Wohnungen sind aber nicht altengerecht ausgestattet. Das heißt, da gibt es Treppen, Schwellen, Barrieren, die den Bewohnern das Leben schwer machen.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Deshalb brauchen wir mehr altengerechte Wohnungen, mehr ambulante Hilfen. Vor allem brauchen wir eine vernünftige Wohnberatung, die ein wichtiger Bestandteil für ein selbstbestimmtes Alter ist.

In Baden-Württemberg war bis gestern oder vorgestern auch auf der Homepage des LWV die zentrale Wohnberatungsstelle aufgeführt. Eine Sozialpädagogin und ein Architekt waren beim LWV angesiedelt, waren zuständig dafür, ältere Menschen zu beraten und über altengerechte Wohnungen zu informieren. Aber viel wichtiger war Folgendes: Die haben ehrenamtliche Arbeit betrieben. Die ha

ben dafür gesorgt, dass es ein ehrenamtliches Netz von 40 wohnortnahen, örtlichen Beratungsstellen gibt.

Die 77 000 € für diese Stelle, die gestrichen werden soll, sind genauso viel, wie das Geschirr in der Villa Reitzenstein für öffentliche Repräsentationszwecke kostet. Das muss man sich einmal vor Augen halten.