Protokoll der Sitzung vom 26.03.2003

Ich will nicht das NOK kritisieren. Da sind wir uns einig, Herr Kollege Drexler. Darum kann es nicht gehen. Aber ich halte es für richtig, wenn jetzt in diesen Tagen der Oberbürgermeister dieser Stadt in einem Schreiben auch an die Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg noch einmal auf ein paar, ich will einmal sagen, Ungereimtheiten hinweist. Ich will jetzt gar nicht die Petitesse „Kreisverkehr und Einbahnstraße“ ansprechen. Darüber will ich mich nicht unterhalten.

Aber wenn zum Beispiel das Thema Paralympics angesprochen wird und der Stadt Stuttgart sowie der Region ein leichter Vorwurf gemacht wird, dass wir in Baden-Württemberg gerade im Behindertensport zu wenig täten, will ich schon darauf hinweisen: Wenn bei einem Mitbewerber akribisch aufgezählt wird, wie viele Behinderte in dieser Stadt, die sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewirbt, Behindertensport betreiben, gleichzeitig aber nicht darauf hingewiesen wird – was auch in der Stellungnahme der Kultusministerin sehr deutlich wird –, dass BadenWürttemberg gerade auch im Behindertensport sehr viel tut, dann finde ich diese Darstellung nicht in Ordnung und eigentlich schade. Baden-Württemberg kann sich durchaus rühmen, mindestens gleich gut zu sein, wenn es darum geht, im Behindertensport viel zu tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Seit vielen Jahren!)

Ich bin auch einfach traurig darüber, dass ein anderes Kriterium offensichtlich bei der Bewertung überhaupt keine Rolle gespielt hat: die Begeisterungsfähigkeit der Stuttgarter und der Baden-Württemberger. Das ist doch ein ganz zentrales Thema. Wenn es um die Frage geht, wo die Olympischen Spiele stattfinden sollen, dann muss doch neben Si

cherheitsaspekten und neben der Frage, wie die Gebäude und Sportstätten später genutzt werden sollen, und neben den Finanzierungsfragen insbesondere auch die Frage im Vordergrund stehen, ob diese Olympischen Spiele von den Menschen mitgetragen werden, ob dieses Ereignis auf fruchtbaren Boden fällt oder eine Veranstaltung ist, die völlig losgelöst von den Bürgerinnen und Bürgern stattfindet.

Ich sage: Das ist im Grunde einer der entscheidenden Gründe dafür, dass ich für Olympische Spiele in Stuttgart bin. Ich glaube, dass es in der Bundesrepublik Deutschland kaum ein Bundesland gibt, in dem die Begeisterungsfähigkeit für den Sport – für den Breitensport und für den Spitzensport – so groß wie gerade im Lande Baden-Württemberg ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, deshalb bin ich trotz dieser Enttäuschung nach wie vor sehr zuversichtlich, was den 12. April angeht. Ich teile die Meinung – meine beiden Vorredner haben dies bereits angesprochen –, dass es letzten Endes bei der Entscheidung im NOK auf die eine zentrale Frage ankommen wird, welche Stadt, welcher deutsche Bewerber im internationalen Wettbewerb in der Schlussabstimmung bestehen kann. Gerade da glaube ich, dass Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und die Region allerbeste Chancen haben, weil wir international sind, weil Baden-Württemberg in die internationale Sportszene eingebettet ist – nicht erst seit gestern –, weil wir eine Region mit 2,6 Millionen Einwohnern und mit die exportstärkste Region in Europa sind, weil wir als Wissenschafts- und Forschungsstandort in Baden-Württemberg europäisches Format haben und weil in diesem Land global agierende Unternehmer tätig sind, deren Produkte mit entsprechender Qualität und Präzision in der ganzen Welt beheimatet sind. Das ist die Internationalität dieses Standorts Stuttgart.

Ich bin davon überzeugt – ich sage das noch einmal –: Wenn es in der letzten Phase um die Frage geht, wo die Olympischen Spiele stattfinden sollen, dann glaube ich, dass dieser internationale Standort Stuttgart, dieser internationale Standort Baden-Württemberg die Nase vorn haben wird.

Meine Damen und Herren, kämpfen wir dafür, dass dieses Ziel erreicht wird. Stuttgart hätte es verdient.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Präsident des Württembergischen Landessportbunds, Klaus Tappeser, Oberbürgermeister in Rottenburg, hat von einem „schwäbischen Kommunikationsproblem“ gesprochen. Er hat damit wahrscheinlich auch gemeint, dass die Schwaben, die Badener und die Kurpfälzer vielleicht ein Stück weit zu bescheiden sind. Er hat damit gemeint, dass es möglicherweise bei dem einen oder anderen auch Minderwertigkeitskomplexe gibt. Er hat damit gemeint, dass wir in den letzten Tagen, auf der letzten Etappe bis zum 12. April, diese Standortvorzüge auch ein Stück weit selbstbewusster und eindringlicher deutlich machen sollten.

Ich will das gerne unterstreichen. Ich glaube nicht, dass wir unsere sprichwörtliche Bescheidenheit, unsere sprichwörtli

che Lebensart, die uns auszeichnet – das Gegenteil von Großkotzigkeit –, diesen Wesenszug aufgeben sollten, ganz im Gegenteil. Aber wenn es uns gelingt, in der Präsentation in dieser letzten Viertelstunde ein Stück weit noch Selbstbewusstsein an den Tag zu legen,

(Abg. Fischer SPD: Das liegt an den handelnden Personen!)

auch Pfiffigkeit an den Tag zu legen, damit diese Präsentation gelingt, wenn wir dies noch ein Stück weit zuspitzen können, dann werden sich unsere Chancen für Stuttgart nochmals verbessern.

Meine Damen und Herren, Stuttgart ist zweifellos ein ganz ausgezeichneter Standort, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes; denn für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1993 – Sie wissen das – wurde Stuttgart neben anderen Preisen mit dem Fair-Play-Preis der UNESCO ausgezeichnet. Wir wissen – ich wiederhole das; die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1993 in Stuttgart und viele andere Veranstaltungen haben das gezeigt –, dass wir hier ein besonders begeisterungsfähiges und faires Sportpublikum haben. Dies alles wird in der Endabstimmung letzten Endes Gewicht haben.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Grund, den ich ausdrücklich ansprechen möchte, ist: Ganz Baden-Württemberg ist ein Sportland. Dies ist auch wichtig, damit eine solche Bewerbung getragen werden kann. Wenn ich sage, Baden-Württemberg sei ein Sportland, dann gilt dies für das Land, für die Regionen, aber insbesondere auch für die Kommunen, und nicht nur in finanzieller Hinsicht. Sie können sehr detailliert nachlesen, in welchem Umfang das Land Baden-Württemberg den Sport in Baden-Württemberg fördert. Es geht hier aber nicht nur um die Finanzen, sondern auch um den persönlichen Einsatz.

Meine Damen und Herren, in einem Land, in dem in 11 000 Sportvereinen 3,6 Millionen Mitglieder organisiert sind, in einem Land, in dem es insgesamt 6 Millionen Sport Treibende gibt, kann man durchaus sagen: Der Sport ist die größte Bürgerinitiative in diesem Lande. Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Stuttgart olympiatauglich ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wenn Sie sich die weiteren Zahlen ansehen, werden Sie feststellen, dass gerade die Vielfalt des Sports für BadenWürttemberg entscheidend ist. Es geht ja nicht nur um den Spitzensport, über den wir heute reden, sondern es geht genauso um den Breitensport, um den Behindertensport und um den Schulsport. All dies zusammen sind Mosaiksteine eines Gebildes und insgesamt wichtig.

Lassen Sie mich vor allen Dingen mit einer Mär aufräumen. Es gibt ja immer noch Olympiagegner, die argumentieren: Um Himmels willen, wäre es nicht besser, wenn das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und wir alle uns nicht so sehr um den Spitzensport, um Olympia, sondern mehr um den Breitensport kümmern würden? Diesen Leuten sage ich: Es ist völlig falsch und total neben der Kappe, wenn man versucht, Spitzensport und Breitensport gegeneinander auszuspielen.

(Abg. Fischer SPD: Das ist wahr!)

Beide sind wichtig: Spitzensport und Breitensport sind zwei Seiten ein und derselben Medaille; sie können nicht voneinander getrennt werden. Die junge Generation, die Jungen und die Mädchen in diesem Lande brauchen sportliche Vorbilder. Sie brauchen den Spitzensport, damit sie im Breitensport tätig sind. Umgekehrt gilt aber selbstverständlich auch: Ohne Breitensport, ohne breite Grundlage sind Spitzenleistungen nicht möglich.

Meine Damen und Herren, wer sich für den Olympiastandort Stuttgart und Baden-Württemberg ausspricht, der muss deshalb auf beides setzen: Der muss auf die Vorbildfunktion des Spitzensports setzen, der muss aber auch alles tun – und das tut Baden-Württemberg –, um den Breitensport entsprechend zu fördern.

Ich möchte einen weiteren Punkt kurz ansprechen: das Geld. Natürlich spielen die Finanzen bei einer solchen Olympiabewerbung eine Rolle. Hohe Investitionen sind erforderlich. Für Stuttgart 2012 werden die Investitionen auf 2,5 Milliarden € veranschlagt; davon werden 1,6 Milliarden € durch private Investoren finanziert. Natürlich ist die Frage nach dem Mitteleinsatz berechtigt, gerade in Zeiten großer Finanznot. Meine Damen und Herren, ich will aber auch darauf hinweisen, dass diesen erforderlichen Aufwendungen auch enorme positive Wirtschafts- und Beschäftigungseffekte gegenüberstehen. Olympia ist auch unter diesem Aspekt ein wünschenswerter und dauerhafter Impuls – und zwar auch wirtschaftspolitisch, auch arbeitsmarktpolitisch und erst recht gesellschaftspolitisch – für die Stadt, für die Region, für das ganze Land.

Nun mögen Sie die Berechungen, die Sie alle gelesen oder auch nicht gelesen haben, für falsch oder für weniger falsch oder für richtig halten. Darauf kommt es nicht an.

Entscheidend ist – das muss man wirklich zur Kenntnis nehmen, und dies unterstreicht das, was ich gesagt habe – und Tatsache ist, dass seit den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 alle Sommerspiele mit einem Überschuss endeten. Das heißt, meine Damen und Herren – davon bin ich auch überzeugt –: Wir können mit Olympia letzten Endes mehr gewinnen, als uns dies kostet. Dies gilt für den wirtschaftlichen Bereich, dies gilt aber auch für den sportlichen und gesellschaftspolitischen Bereich. Beide Bereiche sind wichtig.

Deshalb kann ich nur sagen: großen Dank an die Landesregierung von Baden-Württemberg, die diese Bewerbung unterstützt, großen Dank an die Region, großen Dank an Herrn Gründler, den unermüdlichen Organisator, großen Dank an die Stadt Stuttgart, aber auch großen Dank an uns alle, an die Fraktionen des baden-württembergischen Landtags. Jetzt wird es darauf ankommen, die Ärmel hochzukrempeln,

(Abg. Herrmann CDU: Die haben wir schon lange oben!)

jetzt wird es darauf ankommen, zum Schlussspurt anzusetzen. Ich will, dass heute noch einmal ein klarer Wille des Landtags von Baden-Württemberg deutlich wird: Stuttgart muss am Ende die Nase vorn haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dederer.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über ein Jahrtausende altes Kulturgut. Die ersten Olympischen Spiele der Antike fanden ja bereits etwa 900 Jahre vor Christus statt.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Der Grund war damals: Man wollte den Göttern gefallen. Plato hat schon gesagt: Die Götter sind die Freunde der Kampfspiele.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Dass wir Frauen, so wie heute, bei diesem Thema mitreden können, war nicht immer so. Denn wir durften bei den Olympischen Spielen früher nicht zuschauen.

(Zuruf des Abg. Rau CDU)

Herr Kollege Rau weiß das wahrscheinlich.

(Abg. Fischer SPD: Warum? War er schon dabei? – Heiterkeit)

Ich gehe doch davon aus, dass er als Staatssekretär die Geschichte der Olympischen Spiele kennt.

(Abg. Fischer SPD: Ach so, jetzt! – Abg. Dr. La- sotta CDU: Ach so!)

Zu Beginn der Spiele traten die Athleten noch mit einem winzigen Lendenschurz auf – es handelte sich ja um Männer –, später dann allerdings nackt. Da war es Frauen bei Todesstrafe verboten, bei den Olympischen Spielen zuzuschauen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ja hoffentlich! Das wäre ja noch schöner!)

Die Zeiten ändern sich Gott sei Dank. Wir Frauen dürfen heute zuschauen und auch mitdiskutieren.

Erwähnen möchte ich noch – vor allem gerade jetzt –, dass in Kriegszeiten während der Olympischen Spiele in der Antike die Waffen ruhten, damit damals auch die Feinde aus Sparta und Pisa teilnehmen konnten.

(Abg. Wieser CDU: Frau Dederer, Sie kommen aber sicher noch auf Stuttgart!)

Ich finde gerade in solchen Zeiten den Gedanken an Spiele, die die Völkerverbindung und den interkulturellen Dialog fördern sollen, sehr faszinierend.

Meine Damen und Herren, im Parlament von NordrheinWestfalen wurde eine ähnliche Debatte geführt. Sie wurde als „Stunde des parlamentarischen Aufbruchs zu olympischen Ufern“ bezeichnet. Ich möchte nicht ganz so weit gehen und es vielleicht etwas nüchterner formulieren. Ich finde es toll, dass wir als Landtag, als Fraktionen heute die Gelegenheit nutzen, zu dokumentieren, dass wir über die Parteigrenzen hinweg die Olympiabewerbung Stuttgarts un

terstützen und uns mit großem Engagement für Olympische Spiele in Stuttgart einsetzen. Denn Stuttgart hat die besten Voraussetzungen als international anerkannte Sportstadt. Ich möchte jetzt nicht die ganzen Vorteile wiederholen, die meine Vorredner schon genannt haben. Wir Landtagsgrünen unterstützen die Olympiabewerbung Stuttgarts und haben sie stets positiv, aber auch kritisch begleitet.