Protokoll der Sitzung vom 27.03.2003

In einer solchen Situation bedarf es wirtschaftspolitischer Impulse und nicht Drohungen gegenüber unseren Betrieben. Deshalb lehnen wir die vom Bundeskanzler angedrohte Ausbildungszwangsabgabe strikt ab.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir arbeiten an der weiteren Entwicklung von Kooperation. Wir wollen nicht, dass von Berlin aus der Eindruck erweckt wird, Berufsbildungspolitik könne man gegen die Betriebe in Deutschland machen. Wir schaffen es nur mit den Betrieben und mit besseren Bedingungen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Zwei Akzente im beruflichen Bildungswesen sind für unser Reformprojekt zentral bedeutsam. Zahlreiche Maßnahmen zur Begleitung und Förderung schwächerer Jugendlicher nenne ich nur stichwortartig: der Ausbau der Kooperationsklassen Hauptschule/Berufsvorbereitungsjahr, der Ausbau des Praxiszugs Hauptschule, die Unterstützung an der Nahtstelle zwischen allgemein bildender Schule und Berufsvorbereitungsjahr, die Erprobung von Teilqualifikationen im Berufsvorbereitungsjahr in Zusammenarbeit mit der IHK Region Stuttgart.

Diese genannten Entwicklungen und vieles im Bereich der generellen inneren Schulentwicklung im beruflichen Bildungswesen sind der Tatsache geschuldet, dass wir uns den schwächeren Schülerinnen und Schülern ganz besonders verpflichtet fühlen. Es darf im Bildungswesen keine Modernisierungsverlierer geben.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir wollen das Projekt „Jugendberufshelfer“ fortsetzen. Das Landesarbeitsamt hat uns mitgeteilt, übrigens auch aufgrund von Entwicklungen in Berlin, dass es seinen Förderanteil nicht weiterführen könne. Das sind Entwicklungen von außen, die wichtige Entwicklungen in unserem Land behindern. Das halte ich nicht für richtig. Wir werden uns darum bemühen, dass dieses Projekt weitergeführt werden kann.

In diesem Zusammenhang bin ich dafür dankbar, dass die ursprünglich geplante starke Kürzung der Mittel für Schulsozialarbeit in Teilen zurückgenommen werden konnte und die bisherigen Projekte fortgesetzt werden. Das ist wichtig.

(Abg. Drexler SPD: In Teilen!)

Ja, wenn Sie sagen: „in Teilen“, fügen Sie doch gleich hinzu, dass es überhaupt kein Bundesland gibt, das in dieser Weise Schulsozialarbeit mit eigenen finanziellen Mitteln fördert. Da ist Baden-Württemberg das einzige Land.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es! Sehr richtig! – Abg. Drexler SPD: Stimmt doch gar nicht!)

Ein zweiter Bereich, der von zentraler Bedeutung für die Innovationskraft ist, ist das Projekt zur Stärkung der Eigenständigkeit beruflicher Schulen. Unsere beruflichen Schulen sind das Flaggschiff auf dem Weg zur Selbstständigkeit der Schulen. Das bezieht sich auf alle Bereiche der systematischen Schulentwicklung. Das bezieht sich auf Budgetierungsregelungen im Fortbildungsbereich, es bezieht sich auf Qualitätsmanagement, auf Lehrereinstellung, auf Leitbildentwicklung. STEBS hat gezeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Eigenverantwortung und Qualität gibt oder, anders gesagt, dass die Förderung von Selbstständigkeit bei gleichzeitiger Standardsicherung zu Qualität führt. Ich danke den beteiligten Schulen sehr dafür, dass sie sich diesem Prozess stellen, der anstrengend ist, der mit vielen Veränderungen verbunden ist, der aber zu einer höheren Qualität im Bereich der beruflichen Bildung führen wird.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Verantwortung fördern, Qualität entwickeln, Bildung und Erziehung stärken, das heißt, quer durch alle Bereiche Altersstufen, die für bestimmte Formen des Lernens besonders geeignet sind, besser zu nutzen. Lange vor PISA waren für uns das Zeitfenster vor der Schule und die Elementarerziehung von großer Bedeutung. Dass Kinder schon vor Schuleintritt begeisterungsfähig, wissbegierig und bildungshungrig sind, musste uns nicht erst PISA zeigen. Aber PISA und die Hirnforschung haben es uns wieder ins Bewusstsein gerufen – und das ist gut so –, dass wir Kinder nicht unentwegt in ihrer Begeisterungsfähigkeit, etwas zu lernen, unterschätzen dürfen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Der Bildungskongress in Ulm im vergangenen Jahr, der für das große Reformprojekt wesentliche Impulse gesetzt hat,

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

hat uns deutlich gemacht, wie wichtig die Ergebnisse der Hirnforschung für die Weiterentwicklung unseres Bildungswesens sind. Hier ist Kooperation zwischen den medizinischen Fakultäten und den Pädagogen notwendig. Deshalb prüfen wir zurzeit auf Vorschlag von Herrn Professor Spitzer in Ulm die Einrichtung eines interdisziplinären Instituts an der medizinischen Fakultät der Universität Ulm, das sich mit speziellen Fragen des Lernens und der Entwicklung von Lernstrategien aus der Perspektive der Hirnforschung beschäftigt. Das ist ein ganz konkretes Beispiel aus der konzentrierten Arbeit in unserem Bildungsrat, zu dem Professor Spitzer gehört: neue Wege diskutieren und dann auch eine neue Interdisziplinarität schaffen, wenn es um Lernen, um Lernstrategien und um die Förderung von Kindern geht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Soziales Lernen, ästhetische Erziehung, Sprechen und Sprache oder Erfahrungen mit Natur und Technik gehören in Baden-Württemberg seit langem zum Curriculum für den Lebensraum Kindergarten. Wir haben also eine gute Grundlage, auf der wir aufbauen können. Deshalb muss ich sagen, wenn ich an die gestrige Diskussion über das Kindergartengesetz denke: Es kann doch überhaupt keine Rede davon sein, dass wir in diesem Bereich in Baden-Württemberg am Punkt null beginnen.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Wer Kindergärten in unserem Land kennt, weiß, dass es ein gutes Fundament gibt, auf dem wir jetzt aufbauen können.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP)

Im neuen Kindergartengesetz wird die Sprachförderung einen Schwerpunkt bilden. Hierzu gibt es ein Projekt der Landesstiftung. Außerdem wird in einer interministeriellen Arbeitsgruppe ein ganzheitliches Sprachförderkonzept erarbeitet. Dieses Konzept wiederum ist verbunden mit einer Ausbildungsreform für die Erzieherinnen und Erzieher mit neuen zentralen Bausteinen gerade in diesem Bereich.

Seit 30 Jahren haben wir Erfahrungen in der Kooperation zwischen Kindergärten und Grundschulen. Mit dem Projekt „Schulanfang auf neuen Wegen“ sind wichtige Kooperationswege erprobt worden. 77 Kooperationsbeauftragte für den Bereich Kindergarten/Grundschule sind im Einsatz. Vertreter anderer Länder kommen zu uns und lassen sich bei uns über diese bisherigen Ansätze beraten.

Jetzt stehen wir vor einer ganz wesentlichen Weichenstellung. Wer mit denjenigen spricht, die in diesen Bereichen tätig sind – zum Beispiel mit dem Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in Bayern, Herrn Professor Fthenakis –, der weiß, dass wir das alles jetzt in einem Gesamtkonzept bündeln müssen. Deshalb freue ich mich sehr, dass Bayern, Hessen und Baden-Württemberg ihre bisherigen Entwicklungen im vorschulischen Bereich in den kommenden Jahren bündeln und in einem Erziehungs- und Bildungsplan für den Kindergarten weiterführen werden. Das ist ein wichtiger Beginn einer neuen Phase, in die die bisherigen Erfahrungen in der Kooperation zwischen Grundschule und Kindergarten einfließen werden. Das soll ein Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten nicht nur

in einem Bundesland, sondern in starker Kooperation mehrerer Bundesländer sein, sodass wir damit zugleich auch eine neue Entwicklung in Deutschland anstoßen können.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Ergebnisse bisheriger Bemühungen kennen Sie. Die Quote der vorzeitigen Einschulungen ist auf 8,4 % gestiegen. Die Zurückstellungsquote ist halbiert worden. Sie liegt jetzt bei 6,2 %. Es ist also nicht nur etwas geschehen, sondern das, was geschehen ist, hat zu ganz konkreten Veränderungen geführt.

Das Gleiche gilt für besonders begabte Kinder in der Grundschule. Ihnen werden mittlerweile – das ist ein ganz wichtiger Punkt und ein ganz wichtiges Segment – im Bildungswesen verschiedenste Möglichkeiten angeboten, um in frühen Jahren gefördert zu werden.

Meine Damen und Herren, gerade im Grundschulbereich gilt in besonderer Weise: Wir brauchen eine Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Familie. Der Bildungskongress in Ulm hat uns deutlich vor Augen geführt: Bildung beginnt nicht erst in der Schule. Sie beginnt auch nicht erst im Kindergarten.

(Abg. Wacker CDU: Zu Hause!)

Bildung beginnt – das ist der kürzeste Satz – zu Hause. Deshalb ist Elternbildung wichtig, deshalb ist Familienbildung wichtig. Deshalb brauchen wir keinen Weg, wie wir erklären, dass alle Kinder möglichst früh vom Staat betreut werden, sondern Unterstützung von Eltern, Eltern- und Familienbildung.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/DVP – Oh-Rufe von der SPD – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Alle Arbeiten an den Bildungsstandards für die Grundschule sowie die Einführung der Fremdsprache ab Klasse 1 mit zwei zusätzlichen Stunden in der Stundentafel sind konkrete Schritte, die wir zur Stärkung von Sprachkompetenz und damit zur Stärkung des Schlüssels für schulischen Erfolg beschlossen haben.

Ich nenne das Programm „bewegungsfreundliche Grundschule“. 250 Grundschulen beteiligen sich daran. Das ist ein Konzept, das weit über die dritte Schulstunde im Fach Sport hinausgeht. Es ist ein Konzept, das ich mir künftig für jede Grundschule in Baden-Württemberg vorstelle. Das ist ein wesentlicher Aspekt für die Entwicklung von Kindern.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, gut ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg besuchen die Hauptschule. Wer immer sich daran beteiligt, diese Schulart infrage zu stellen, gefährdet den bislang so erfolgreichen Modernisierungsprozess unserer Hauptschulen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Lernwelten, Lebenssituation und Lernvoraussetzungen der Hauptschülerinnen und Hauptschüler sind unterschiedlich.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Deshalb unterscheiden sich all unsere Hauptschulen stark voneinander. Es gibt nicht das einheitliche Konzept für alle. Der Modernisierungsprozess ist ein Prozess zunehmender pädagogischer Spielräume zur Gestaltung von Verschiedenheit, auch Verschiedenheit in den Lernvoraussetzungen.

Der „Runde Tisch Hauptschule“ mit vielen Partnern – Landeswohlfahrtsverband, Unternehmen, Kammern, Industrieund Handelskammertag genauso wie Handwerkstag – hat ein großartiges Reformkonzept IMPULSE Hauptschule entwickelt, das bundesweit auf Anerkennung und Auszeichnung gestoßen ist. Ich halte es für wichtig, dass das Konzept IMPULSE Hauptschule in all seinen Elementen flächendeckend fortgeführt und durchgesetzt werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in den ersten Wochen und Monaten der Diskussion über die PISA-Studie bestand Konsens zwischen allen Ländern – übrigens auch zwischen dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und allen Ländern – darüber, dass die Antwort auf die PISA-Studie nicht Debatten über Schulstrukturen in Deutschland sein sollten. Dieser Konsens droht verloren zu gehen durch die Forderung von SPD und GEW nach einer Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen.

(Zustimmung der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Das gefährdet nicht allein den Modernisierungsprozess beider Schularten. Dieser Vorschlag ist auch mit gravierenden Konsequenzen für Schulstandorte in den Flächenländern verbunden. Hier gibt es Erfahrungen in Deutschland. Sachsen und Thüringen haben bereits diese Mittelschule. Um ein pädagogisch sinnvolles und differenziertes Konzept an solchen Schulen umzusetzen, bedarf es einer gewissen Schulgröße. In Sachsen liegt die Mindestgröße für eine Mittelschule

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: 240!)

bei 240 Schülern. Schulen, die kleiner sind, werden geschlossen. Es ist unübersehbar, dass Schulschließungen in den neuen Bundesländern auch und wesentlich mit dem dramatischen Rückgang der Schülerzahlen um etwa 50 % zu tun haben; das ist die Hauptursache. Aber möge sich jeder für seinen Wahlkreis einmal vorstellen, was es bedeutete, wenn jede Schule geschlossen würde, die weniger als 240 Schüler hat. Dann hätten wir in Baden-Württemberg eine völlig andere strukturpolitische Situation als bislang.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)