Der Unterrichtsausfall ist nach wie vor immens hoch. Die Klagen von Eltern und Lehrern darüber reißen nicht ab. Die Schulleitungen in Baden-Württemberg stehen unter Druck wie nie zuvor; sie müssen viel Energie für die Gewährleistung der Unterrichtsversorgung aufbringen, weil sie vom Ministerium bei der Ausstattung mit Personal kurz gehalten werden. Gleichzeitig weisen die Eltern völlig zu Recht darauf hin, dass Unterricht ausfällt. Dafür werden sie von Ihnen kritisiert. Pädagogik bleibt unter diesen Umständen dabei weitgehend auf der Strecke.
In der Haushaltsstrukturkommission werden Pläne ausgearbeitet – Sie haben hier ja gerade eine tolle Nummer abgegeben –, wie möglichst ohne größeres öffentliches Aufsehen kleine Hauptschulen geschlossen werden können. Hier stellen Sie sich aber als die Retterin der Hauptschulen hin. Das ist ein völliger Widerspruch zu Ihrem Prüfauftrag.
Meine Damen und Herren, an den Gymnasien ist die Stimmung nach Ihrer missglückten und überhastet eingeführten Oberstufenreform praktisch am Nullpunkt angelangt.
Den Abgeordneten wird in Stellungnahmen zu Anträgen versichert, die Einführung der neuen Oberstufe sei ruhig und reibungslos verlaufen.
Ungeachtet dessen gehen Tausende von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, denen Sie den Mund verbieten wollen, sowie Schülerinnen und Schüler auf die Straße und protestieren gegen Ihre Politik. Der Presse präsentieren Sie eine Erhebung, wonach alles in bester Ordnung sei, mit dem Hinweis, der Landeselternbeirat und dessen Vorsitzende, Frau Picker, hätten erst für die Wogen der Empörung gesorgt. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein Landeselternbeirat wird an den Pranger gestellt, und es wird gesagt: Ihr seid die eigentlichen Schuldigen.
Ganz abgesehen davon ist der Landeselternbeirat kein Abnickorgan Ihrer Politik, sondern eine Interessenvertretung der Elternschaft im Land und artikuliert deswegen zu Recht die Sorgen und Nöte aus der Elternschaft. Jetzt wollen Sie auch noch im Hauruckverfahren das achtjährige Gymnasium einführen, obwohl der Landeselternbeirat, die GEW, der Philologenverband, Schulleiterinnen und Schulleiter und zahlreiche Bürgermeister davon abraten.
Frau Schavan, ich prophezeie Ihnen, dass es im Jahr 2004 dank Ihrer Politik zu einem Chaos an den Gymnasien kommen wird.
Wenn Sie hier schon über die angeblich so hohe Zufriedenheit der Eltern mit der Schulverwaltung sprechen, darf ich Ihnen entgegenhalten: Laut PISA-Studie sind fast die Hälfte aller Schulleitungen in Baden-Württemberg der Ansicht, dass das Lernen und der Schulerfolg von 15-Jährigen unter dem Mangel an Lehrern und dem fachfremden Einsatz von Lehrkräften an der Schule leiden. In keinem anderen Bundesland, meine Damen und Herren, ist die Unzufriedenheit der Schulleitungen mit der Unterrichtsversorgung so groß wie in Baden-Württemberg. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Hinzu kommt, dass Sie daran offenbar gar nichts ändern wollen. Sie beabsichtigen nicht, daran etwas zu ändern. Besser wird die Situation nach den neuesten Aussagen der Regierungskoalition in der nächsten Zeit sicher nicht. Von Ihrem Wahlkampfversprechen, in der laufenden Legislaturperiode 5 500 Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, verabschieden Sie sich scheibchenweise. Anfang März ließen Sie den Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Oettinger, verkünden, man müsse von dem Versprechen, 5 500 neue Lehrerstellen zu schaffen, vorsichtig abrücken.
Stichwort Evaluation: Wir finden es gut, dass Sie für eine Hand voll Schulen – in Ihrem Wahlkreis wohlgemerkt – zusammen mit Arbeitgeberpräsident Hundt Pilotprojekte für eine Evaluation von Unterricht durchführen. Doch alle fragen sich: Was ist mit den anderen 4 500 Schulen in unserem Land? Da passiert nämlich nichts oder nur sehr wenig.
Den engagierten Lehrkräften, die seit vielen Jahrzehnten an den Schulen im Land unterrichten und nun zwischen 55 und 59 Jahre alt sind, haben Sie mit einem Federstrich eine Stunde mehr Unterricht aufgebürdet, weil Sie an der Bildung sparen wollen. Jetzt kommt noch eine Deputatserhöhung für Lehrer an den beruflichen Schulen und den Gymnasien hinzu. Das ist Ihre Politik und Ihre Motivation von Lehrkräften.
380 junge Lehrkräfte, die viel frischen Schwung in unsere Schulen gebracht hätten, müssen nun weiter auf die Übernahme in den Schuldienst warten. Im Rahmen Ihrer jetzigen Aktion werden durch die Streichung von Krankheitsstellvertretungen weitere junge Lehrkräfte betroffen sein.
Darüber hinaus hat Herr Teufel als ebenfalls sehr „motivierendes“ Moment und als eine Maßnahme eben jene Deputatserhöhung angekündigt. Ich bin gespannt, mit welcher Diffamierung Sie hier die Lehrkräfte in die Ecke stellen wollen.
Frau Schavan, wenn das Ihre Konsequenz aus der PISAStudie ist, dann ist diese Konsequenz erbärmlich. Genau so wird es an unseren Schulen und in der Bevölkerung gesehen und wahrgenommen – zu Recht, meine ich. Alle hier aufgezählten Maßnahmen, meine Damen und Herren, bringen Frust und nicht Motivation an unsere Schulen
und strafen alle ab, die sich in der Bildungspolitik im Land sehr engagieren. Ich sage: Das ist Schavanismus pur, meine Damen und Herren.
Kein Wunder, dass angesichts der langen Liste fataler Fehlentscheidungen noch ganz andere Begriffe zur Kommentierung aufkommen und – jetzt hören Sie, Herr Seimetz, einmal gut zu –
als Synonym für Schavanismus verwandt werden. Der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, VBE, Rudolf Karg, den Sie, denke ich, auch kennen – –
(Abg. Alfred Haas CDU: Sie sind das schlechteste Beispiel für unsere Schüler! – Gegenrufe von der SPD, u. a. Abg. Capezzuto: Das war wieder eine persönliche Erklärung! – Abg. Drexler SPD: Eine persönliche Beleidigung!)
Das war ein typischer Haas-Kommentar. Ich sage Ihnen, Herr Seimetz: Herr Karg und nicht die GEW, wohlgemerkt, wie Sie möglicherweise gleich vermutet hätten, nannte in einer Pressemitteilung – erst vorgestern – die Politik von Frau Schavan – ich zitiere – „eine Liste an Grausamkeiten“. Ich füge hinzu – vielleicht sogar noch treffender –: Die Bildungspolitik im Land wird von Herrn Karg als eine „Kammer des Schreckens“ beschrieben.
Selbst den Ihnen sonst eher wohlgesonnenen Philologenverband haben Sie mit dieser Politik vergrätzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, PISA und viele andere Studien wie etwa die UNICEF-Studie oder die Studie der Stadt Mannheim über die Kenntnisse von ABC
Schützen bei der Einschulung haben die Finger deutlich in die Wunden des baden-württembergischen Bildungssystems gelegt und den Handlungsbedarf aufgezeigt.
In vielen Fachgremien, in Kollegien, in der Elternschaft sowie in zahllosen Publikationen und Zeitungsartikeln wurde darüber in einem Maß berichtet, wie es in der Bildungspolitik selten der Fall war, ja wie es das eigentlich noch nie gegeben hat. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen ist derzeit so groß wie noch nie. Ich will die brisantesten Problempunkte noch einmal benennen und dabei aufzeigen, wie wir zu einer Verbesserung kommen können. Womöglich wird Ihnen dann klar, welche Kluft sich zwischen den Befunden und unseren Vorschlägen auf der einen Seite und Ihrer Politik auf der anderen Seite auftut.
Es ist eine pädagogische Binsenweisheit, dass Kinder in den frühen Jahren leichter und besser lernen. Deshalb müssen wir früh investieren statt spät reparieren. Das war übrigens das Motto des McKinsey-Kongresses, an dem auch Sie teilgenommen haben. Warum setzen Sie also diese Erkenntnis nicht um?
Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst einmal eine Aussage von Ihnen, Herr Kleinmann, interessant. Sie haben am 19. Februar 2003 in diesem Saal gesagt und frank und frei eingestanden:
Ich meine auch, dass uns die PISA-Studie in der Tat gezeigt hat, dass Deutschland und auch Baden-Württemberg im Bereich des frühen, rechtzeitigen Lernens, also im Primar- und Elementarbereich, Nachholbedarf haben.
Herr Kleinmann, man möchte oder könnte Sie eigentlich für dieses Eingeständnis loben. Allerdings ist es mit dem Erkennen des Problems nicht getan. Sie müssen die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Die haben Sie nicht gezogen.
Frau Schavan, schön, dass Sie jetzt auch darauf kommen, sich auf die Elementarbildung konzentrieren und sich dieser annehmen zu wollen. Mit Verlaub, aber Ihre Ausführungen dazu klingen fast so, als hätten Sie sie teilweise unserem bildungspolitischen Positionspapier entnommen. Es ist schon erstaunlich, Frau Schavan, wie lange es in Ihrem Ministerium gedauert hat, bis die Erkenntnis, dass Erziehung und Bildung im Elementarbereich mehr Gewicht beigemessen werden muss, von unten nach oben durchgesickert ist.
Die SPD-Landtagsfraktion hat schon lange gefordert, Kindergärten viel mehr als Bildungseinrichtungen zu verstehen. Wir haben hier einen Entwurf zum Kindertagesstättengesetz eingereicht, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Sie noch überlegten, wie mit den PISA-Ergebnissen umzugehen ist. Wir haben deutlich gemacht, dass für uns genau der Elementarbereich, der Kindergartenbereich einer der zentralen Bereiche ist, bei dem wir einen riesigen Nachholbedarf haben.
Meine Damen und Herren, jedes dritte Kind beherrscht nach einer Studie der Stadt Mannheim bei der Einschulung die deutsche Sprache nicht in dem Maß, dass es dem Unterricht folgen kann, und die PISA-Studie hat das im Kern bestätigt. Allein schon dies ist ja ein Alarmzeichen. Das müsste uns doch hier alle auf den Plan rufen. Wir müssen dringend handeln. Wenn jedes dritte Kind in der ersten Klasse nicht versteht, worum es im Unterricht geht, dann ist dies doch mehr als bedenklich.