Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Lebensmittelkontrolle in BadenWürttemberg – Drucksache 13/1084
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Besprechung fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt, und für das Schlusswort fünf Minuten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Wer die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage von vor einem Jahr liest, kommt zu folgender Feststellung: Die Kontrolle funktioniert. Es wäre falsch, das zu leugnen, Herr Minister. Sie funktioniert; das ist gar keine Frage. Es fragt sich
Es besteht kein Zweifel, dass auf allen Ebenen gute Arbeit geleistet wird, in der unteren Lebensmittelüberwachungsbehörde genauso wie beim Wirtschaftskontrolldienst der Polizei, bei den vier Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern, bei den Regierungspräsidien und bei den Gesundheitsämtern. Eine Heerschar von Beamten auf allen Ebenen der Verwaltung ist damit beschäftigt, Zigtausende von Proben zu ziehen, zu untersuchen, Betriebsbesichtigungen durchzuführen, Kantinen unter die Lupe zu nehmen, Gutachten zu schreiben. Ihnen allen ist für ihren Einsatz zu danken.
Sie ordnen Maßnahmen an, leiten Strafverfolgungen ein und kontrollieren sich auch noch gegenseitig; denn wahrlich ist die Aufgabe gewaltig: die gesamte Wertschöpfungskette zu überwachen, von den Rohstoffen bis zu den fertigen Produkten, auf allen Handelsstufen, in der Gastronomie genauso wie im Stall und letztlich auch auf dem Acker.
Zu konstatieren ist ein Dschungel von Zuständigkeiten. Eines bleibt dabei völlig auf der Strecke, nämlich die Transparenz für die Verbraucher und die Effizienz, die heute bei begrenzten Mitteln mehr denn je Verwaltungshandeln bestimmen muss. Denn tatsächlich hat sich die Welt inzwischen verändert, Herr Minister. Ich vermisse, dass die Landesregierung Konzeptionen entwickelt, wie sie auf die Veränderungen reagieren will.
Wir haben einen Importmarkt von Lebensmitteln ohne Grenzen. Wir haben mehr denn je Konzentrationen in der Wertschöpfung und große Unternehmen – davon sind viele in Deutschland angesiedelt –, die auf ganz hohem Niveau Lebensmittel herstellen. Wir haben neuartige Produkte, und wir haben auch verbindliche Vorgaben seitens der Europäischen Union, die auch ständig weiterentwickelt werden.
Das Schlüsselwort für Produzenten – das ist von der EU längst vorgeschrieben – lautet: Eigenkontrolle. Große Lebensmittelproduzenten haben längst darauf reagiert und beherzigen dies auch, weil sie wissen, dass sie einen gesicherten Markt vorfinden, wenn die Verbraucher Vertrauen in ihre Produkte haben. Sie beherrschen auch den Markt. Aber für die Landesregierung muss sich die Frage stellen: Wie organisieren wir die Kontrolle der Eigenkontrolle? Und: Kann man dann nicht auch auf etliche Zigtausend Probenahmen und deren Untersuchung verzichten?
Die Landesregierung gibt zu, dass sie Eigenkontrollsysteme bei den kleineren Unternehmen häufig noch erarbeiten lassen muss. Eigenkontrollsysteme sind heute aber das A und O eines jeden Produzenten. Ich frage Sie: Wie unterstützen Sie die Betriebe eigentlich dabei, diese Systeme aufzubauen, Schwachstellen- und Risikoanalysen zu betrei
Ich vermisse hier Ihre Initiative. Wo sind die Überwachung und die Fachkompetenz so organisiert, dass die Kontrolle der Eigenkontrolle auch bei den Großbetrieben tatsächlich wirkungsvoll und effizient durchgeführt werden kann? Sind unsere Behörden auf dieses System überhaupt eingerichtet, Herr Minister?
Vorbeugender Verbraucherschutz befasst sich mit dem Gesamtsystem und entwickelt Strukturen, anhand derer man schnell und zielgenau an den neuralgischen Stellen handeln kann. Was wir immer erleben, sind kurzfristige Aktionen von Skandal zu Skandal, die Schaffung neuer Stellen, eine Task Force – das gab es auch schon einmal – und die Verschiebung von Kompetenzen, möglichst hin zu den Regierungspräsidien. Da ist aber keine durchgreifende strukturelle Analyse erkennbar.
Das Schauspiel der Lebensmittelüberwachung in BadenWürttemberg spielt sich auf verschiedenen Bühnen – Regierungspräsidien, Wirtschaftskontrolldienst und Veterinärämter – ab. Dabei geht der Wirtschaftskontrolldienst kompetent und zielstrebig an die Arbeit und wird von den unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden, also den Landratsämtern, mehr oder weniger misstrauisch beäugt. Hier gibt es ein nicht wegzudiskutierendes Spannungsverhältnis mit Reibungsverlusten. Der Verwaltungsvollzug im Landratsamt sowie die Kontrolle und Strafverfolgung beim Wirtschaftskontrolldienst lieben einander nicht, sind aber zur Ehe verdammt.
Als strategische Meisterleistung will die Landesregierung nun mit der Polizei auch den Wirtschaftskontrolldienst in die Landratsämter eingliedern.
Das ist ein alter Wunsch der Landräte, die so vieles machen möchten. Dabei hätte eine solche Verwaltungsreform nach unserer Auffassung fatale Folgen. Denn der Wirtschaftskontrolldienst kommt unweigerlich in Loyalitätskonflikte, nicht nur dass die kleinen Strukturen auf der Ebene des Landkreises – – Herr Minister, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie zuhören würden. Der Innenminister ist gar nicht da; ihn würde es auch angehen.
Er redet auch. – Der Wirtschaftskontrolldienst kommt in einen Loyalitätskonflikt mit dem Landrat, nämlich dann, wenn er zum Beispiel Betriebe untersuchen muss, die vom Landkreis selbst betrieben werden, also Kantinen, Altenheime, Krankenhäuser und dergleichen. Denn die Struktur auf Kreisebene ist so klein gewoben, dass man sehr leicht in Abhängigkeitsverhältnisse kommt, die einem unabhängigen Lebensmittelkontrollsystem höchst abträglich sind.
Mit der Fachkompetenz und dem polizeilichen Leitbild einer unabhängigen und unbestechlichen Eingreiftruppe ist das neue Modell nicht vereinbar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Schmiedel SPD: Bravo! Klare Worte! – Zu- ruf des Ministers Dr. Christoph Palmer)
In einer Situation, in der wegen des weltweiten Handels mit Lebensmitteln grenzüberschreitend eine sinnvolle Überwachung organisiert werden muss, ist Kleinstaaterei auf der Ebene der Landkreise ein Rückfall in vorindustrielle Zeiten.
Wer sich umhört, kann feststellen, dass es beim Wirtschaftskontrolldienst schon erste Absetzbewegungen gibt. In der Befürchtung, künftig einem Landrat dienen zu müssen, haben bereits die ersten Beamten des Wirtschaftskontrolldienstes Anträge auf Rückübernahme in den allgemeinen polizeilichen Vollzugsdienst gestellt, weil sie dann nicht mehr Wirtschaftskontrolldienst sein wollen und nicht in Interessenkonflikte geraten wollen.
Erstaunlich ist, dass sich der Innenminister zu diesem Thema überhaupt nicht geäußert hat. Man sollte erwarten, dass er sich vor seine Polizei, nämlich die hervorragende Einrichtung des Wirtschaftskontrolldienstes, stellt. Ich habe von ihm kein Wort gehört,
Zugunsten eines vorsorgenden Verbraucherschutzes ist ein unabhängiger Wirtschaftskontrolldienst unabdingbar, der über einen Pool von fachkompetenten Chemikern, Veterinären und Medizinern verfügt, die nicht im Landratsamt angesiedelt sind.
Die Landesregierung – das möchte ich zusammenfassend feststellen – reagiert auf auftretende Probleme nach veraltetem Muster kurzfristig und punktuell, anstatt strategische Neuausrichtungen der Lebensmittelüberwachung zu diskutieren. Ich möchte Sie darum bitten, ein bisschen tiefer zu fassen, anstatt nur, was Sie jetzt vermutlich tun werden, die großartigen Leistungen des gegenwärtigen Systems zu preisen. Das haben Sie noch und noch getan. Das können wir auch alle nachlesen. Herr Minister, es wäre schön, wenn Sie uns einmal Ihre Perspektive erläutern würden.
Insofern ist dieses Thema, obwohl seine heutige Behandlung auf eine Große Anfrage vom letzten Sommer zurückgeht, immer wichtig.
Vielen Dank dem Minister und allen Mitarbeitern des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum für die umfassende und die, wie ich meine, auch qualifizierte Beantwortung der Anfrage.
In der Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD wird darauf hingewiesen, dass eine gut funktionierende Lebensmittelüberwachung in der gesamten Kette der Lebensmittelproduktion wichtig sei. Das kann man nur unterstreichen. Ich bin froh, dass es in Baden-Württemberg eine so gut funktionierende Lebensmittelüberwachung gibt.
Verbraucherschutz, sehr geehrte Damen und Herren, gehört zu den Kernkompetenzen der Länder. Daher gilt es für die Länder, beim Bund mehr Entscheidungskompetenzen
in Bezug auf Bundes- und EU-Regelungen für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung, die Schnellwarnung und die Optimierung der Datenübermittlung einzufordern.