Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Frau Künast ist auf dem richtigen Weg“,
(Abg. Seimetz CDU: Noch nie! – Abg. Dr. Birk CDU: In die falsche Richtung! – Zuruf von der CDU: In Pension!)
weil sie auf dem Weg nach Brüssel in ihrem Rucksack das mitgenommen hat, was ihr die deutschen Bundesländer, ausgehend von Baden-Württemberg, aufgeschrieben haben. Die bisherige Sprachlosigkeit von Frau Künast gegenüber Brüssel war frappierend.
(Lachen des Abg. Walter GRÜNE – Abg. Teßmer SPD: Vielleicht kriegt er ja noch die Kurve! – Zu- ruf des Abg. Dr. Witzel GRÜNE)
Stopp! Lassen Sie mich doch jetzt einmal das Kompliment anbringen. Seien Sie doch nicht so argwöhnisch!
Ich bin außerordentlich dankbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir das, was hier von Baden-Württemberg ausging, dann gemeinsam mit allen Bundesländern, egal wer wo regiert, zu Papier gebracht haben und dass dies in einer gemeinsamen Besprechung von Frau Künast anerkannt worden ist. Ich kann jetzt natürlich nur noch wünschen, dass sie nicht nur auf dem richtigen Weg nach Brüssel war, sondern dass sie mit dem richtigen Ergebnis von Brüssel zurückkommt – aber da habe ich meine Zweifel.
Wir haben heute eine interessante Debatte, obwohl der Antrag schon fast ein Jahr alt ist. Er ist trotzdem aktuell, denn Agrarpolitik ist manchmal viel aktueller als manche, die damit nicht so viel zu tun haben, denken.
Herr Teßmer, Sie haben die Frage gestellt, ob man in der Landwirtschaft nicht noch ein bisschen mehr Markt haben könnte. Dazu darf ich vorweg sagen: Vielleicht wissen viele hier im Saal nicht, dass bei vielen Produkten der Landwirtschaft der Markt eine absolute Selbstverständlichkeit ist.
Die meisten glauben, die landwirtschaftliche Produktion habe immer mit „Anti-Markt“ zu tun. Das stimmt nicht. Denken Sie an den Wein, an Schweinefleisch oder gärtnerische Erzeugnisse – auch sie sind mit dabei. Das heißt, weite Teile unserer landwirtschaftlichen Produktion sind Bestandteile des freien Marktes, bloß ist das Ganze immer wieder überwölbt durch angeblich wettbewerbsverzerrende, so genannte Subventionen an die Landwirtschaft. Nein: Große Teile sind am Markt. Bauer und Markt sind an sich kein Widerspruch.
Übrigens ein Zweites: Der Bauer, der Landwirt hat sich auf dem europäischen Markt schon bewähren müssen, als andere noch gar nicht daran denken konnten. 1992 ging man noch mehr in den Markt hinein, auch mit schwierigeren Produkten. Die Preisstützung fiel. Aber dann folgt natürlich schnell die Gretchenfrage: Wie halte ich es dann mit landwirtschaftlicher Produktion dort, wo sie hohe Kosten verursacht oder wo der Erlös von schwieriger oder kostenträchtiger Produktion nicht mehr geeignet ist, die landwirtschaftliche Existenz zu sichern? Dort ist der Punkt; da genau befindet sich die Kante, die Schnittstelle, an der man ansetzen und fragen kann: Ist das, was im Landwirtschaftssektor abläuft, ordnungspolitisch noch in Ordnung? Hat es in diesen Bereichen, in denen man die Schnittstelle betrachten und diskutieren muss, noch etwas mit Markt zu tun, wenn ich
mich dann anschließend auch in den Bereichen, die am Markt nicht den Erlös bieten, den man bräuchte, um existieren zu können, dazu bekenne: „Ja, ich will Produktion“?
Wenn ich zu der Produktion auch deshalb Ja sage, um die Landschaft zu erhalten, wenn ich einen politischen Willen dazu erkennen lasse, dann muss ich in der Konsequenz auch sagen: Dann brauche ich – wir nennen es schon lange nicht mehr Subventionen – staatliche Transferleistungen, um diesen politischen Willen in die Realität umsetzen zu können.
Das ist die Ausgangslage für das, was wir jetzt im Zusammenhang mit den Fischler-Vorschlägen diskutieren. Der Ausgangspunkt der Fischler-Vorschläge ist in der Tat, zu erkennen, wo vielleicht mehr Markt verwirklichbar wäre. Fischler tut das aus verschiedenen Gründen, die man gar nicht absprechen kann. Ich habe immer, auch schon zu Beginn der Debatte, gesagt, man möge Fischler nicht von vorneherein verdammen und seine Ansätze verleugnen. Fischler muss in der Tat spätestens im September dieses Jahres etwa vor der Welthandelsrunde immer dort Begründungen liefern, wo wir landwirtschaftliche Produkte nicht allein am Markt, sondern mit staatlichen Transferleistungen erzeugen und an den Konsumenten bringen.
Das heißt also für die aktuelle Situation: Neuformierung und Weiterentwicklung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. Ausgangspunkt sind eben diese WTO-Verhandlungen. Wenn dann noch der erklärte Wille von Fischler hinzukommt, das Ganze ein Stück weit zu entbürokratisieren, ist es richtig. Wenn er auch mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung schaffen will, so sind dies alles Oberziele, die keiner von uns bestreiten würde, sondern die wir allesamt mit unterstreichen müssten.
Meine Damen und Herren, es ist angesprochen worden, worum es dadurch jetzt im Kern geht: Stichwort Entkopplung.
„Entkopplung“ – für diejenigen, die nicht täglich mit diesem Begriff zu tun haben – bedeutet nichts anderes, als dass wir von der Direkthilfe für die pflanzliche Produktion und für die tierische Produktion wegkommen und das, was wir zugegebenermaßen auch weiterhin an Förder- und Transferleistungen tätigen müssen, den Landwirten wertneutral oder, so möchte ich einmal sagen, produktionsneutral – denn wir wollen die Landwirte, die landwirtschaftliche Produktion und die Landschaftserhaltung – zukommen lassen können.
Wie ist das einzurichten? Zugegebenermaßen – und da war Fischler, der die ersten Vorschläge unterbreiten musste, nicht zu beneiden – ging es streckenweise ein bisschen darum, die Quadratur des Kreises zu finden. Fischler hat dann seine Vorschläge gemacht und ist mit diesen Vorschlägen naturgemäß nicht auf den positiven Widerhall gestoßen, den er vielleicht erwartet hätte.
Er hat geglaubt – und das sind seine Vorschläge, die im Moment in Luxemburg diskutiert werden –, es am besten dadurch schaffen zu können, dass all das, was einem Landwirt in den Jahren 2000 bis 2002 gewährt wurde, im Schnitt als Betriebsprämie herauskristallisiert und dann als Betriebsprämie weiterhin gegeben wird – abflachend zunächst einmal bis zum Jahr 2013 im Rahmen des jetzigen Agraretats – und dass man so sicherstellt, dass dieser Landwirt weiter existieren kann.
Nun haben wir natürlich bei genauer Betrachtung schnell gemerkt, dass das Ganze auf den ersten Blick zwar vielleicht positiv erscheint, aber viele Pferdefüße hat. Zum Beispiel wurde schnell klar, dass der Verwaltungsaufwand nicht geringer, sondern größer würde. Es wurde auch ganz klar, dass das Grünland, wo wir schon lange benachteiligt sind, aus der Benachteiligung nicht herauskommen würde. Wir waren uns bei näherer Betrachtung auch klar darüber: Wenn das käme, würde es den Strukturwandel, der ohnehin schnell vor sich geht, noch weiter beschleunigen, und es käme zu Einkommenseinbrüchen bis zu 50 %.
Aber was uns besonders irritiert hat – ich weiß bis heute nicht, warum Fischler ausgerechnet diesen Vorschlag gemacht hat –, ist, dass diese Prämien tatsächlich eigentumsähnliche Qualität bekommen sollen, das heißt, dass sie im Grunde gehandelt werden dürften und dass wir aus dem landwirtschaftlich genutzten Grund und Boden geradezu ein Paradies für Zocker und Spekulanten mit diesem handelbaren Recht der Betriebsprämie machen würden.
Meine Damen und Herren, es war richtig, dass wir eine Alternative vorgestellt haben. Es ist eine differenzierte Flächenprämie entwickelt worden, lieber Kollege Walter. Als wir diese Alternative in Brüssel vorgestellt hatten, war frappierend, dass es ausgerechnet ein grüner Parlamentskollege war, der erstaunt feststellte, damit werde Berlin überholt, weil dieser Ansatz in der Tat einen Paradigmenwechsel bedeuten würde. Aber nach gründlicher Betrachtung, weil man eine Lösung finden muss und nicht nur dagegen sein kann, war eben auch unsererseits die Überlegung, dass wir unseren Landwirten am besten so helfen können, indem wir jetzt eine Flächenprämie, differenziert nach Ackerland und Grünland, einführen. Über die Höhe muss gestritten werden, allerdings im Rahmen des nationalen Finanzierungsplafonds.
Wir haben gesagt, dass wir diese Flächenprämie unverwechselbar an die Person, an den Hof binden, nicht handelbar machen und dass diese Prämie in der Tat durch eine Zusatzprämie individuell abgesichert werden müsste, um die Existenz komplett zu sichern. Diese Zusatzprämie würde im Zuge der Jahre schwinden und ginge auf die Flächenprämie über. Wir wären dann tatsächlich WTO-gerecht und fänden auch Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir könnten sowohl landwirtschaftliche Produktion in der Fläche als auch die Erhaltung unserer Kulturlandschaft sicherstellen.
Die Thematik ist nicht ganz einfach, ich weiß. Aber ich freue mich, dass das tatsächlich ein Modell geworden ist, das nicht nur im Süden der Republik Akzeptanz gefunden hat, sondern gleichermaßen von unseren agrarpolitischen Kollegen im Norden aufgenommen wurde und jetzt als deutsches Modell mit in der Verhandlung ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich muss man – die Wahrheit ist konkret – auch über einige Dinge im Zusammenhang mit dem Markt reden, die sich aus dem Blick der reinen Lehre der Marktwirtschaft sicherlich etwas suspekter darstellen. Schauen Sie, da gibt es die Marktordnungen. Eine Marktordnung hat per se nicht unbedingt allzu viel mit einem freien Markt zu tun. Das muss man schon wissen.
Eine Marktordnung ist letztlich Ausfluss des Willens, den ich vorhin formuliert habe, dass man in gewissen Segmenten, weil sie über den freien globalen Markt nicht erhaltbar sind, tatsächlich sagt: Ich bekenne mich – klarer politischer Wille! – in dem einen Fall zu Milch und in dem anderen Fall zu Zucker. Ich will, dass Milch im Interesse der Grünlanderhaltung bei uns weiter produziert wird; ich will, dass Zucker erzeugt werden kann; ich will, dass dafür stabile Preise bestehen. Das bedeutet also, dem politischen Willen folgend, in der Tat eine Marktordnung mit vorgegebenen staatlichen Transferleistungen, ausgenommen Zucker, wo das nicht notwendig ist. Das bedeutet in der Tat einen Eingriff in das freie Marktgeschehen, aber einen gewollten Eingriff im Interesse der Produktion und der Landschaftserhaltung.
Meine Damen und Herren, wir sind jetzt alle gespannt, was in Brüssel aus unseren guten Vorschlägen gemacht wird. Was wir derzeit an Meldungen aus Brüssel erhalten, lässt unterschiedliche Stimmungen aufkommen. Lieber Kollege Walter, Sie haben es angesprochen: Da steht die Möglichkeit einer so genannten Teilentkopplung im Raum.
Ich habe allergrößte Sorge, dass dieses Modell, das ein Stück weit europäischer Kompromiss zu werden droht, nichts anderes wird als eine weitere bürokratische Schale, die über das Ganze gestülpt wird, dass also die Bürokratie im Zusammenhang mit dieser Teilentkopplung geradezu potenziert wird und dass wir letztlich unseren Landwirten Steine statt Brot geben.
Es gibt einen Hoffnungsschimmer, wenn es heißt, möglicherweise werde Frau Künast aus Brüssel mit der Nachricht zurückkommen, dass – das wäre auch interessant im Blick auf die nationale Gestaltung der Agrarpolitik – die Flächenprämie eingeführt werden kann, allerdings – und das wäre schlimm – möglicherweise mit der Maßgabe, dass das, was wir an Prämien verteilen, ebenfalls als handelbares Recht zu formulieren ist, damit es den Gleichklang zur Betriebsprämie erhält.
Meine Damen und Herren, ich habe das nur angedeutet. Die Spekulation bringt uns im Moment nicht weiter, aber ich bitte Sie, aufmerksam zu beobachten, was dabei herauskommt.
Interessant ist natürlich, Herr Kollege Walter, dass die „Agrarwende“ mittlerweile als Tandem Chirac und Künast daherkommt. Das ist eine ganz neue Konstellation.